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MARVEL-BROKER/025: Batman & Superman - Identity Crisis 7 von 7


Brad Meltzer, Rags Morales


Batman & Superman

"Identity Crisis" (7 von 7)



Identity Crisis - der "Heldenfall" bei DC?

Das lange Rätselraten um den Mörder von Sue Dibny hat ein Ende! Doch die schockierende Enthüllung über die Identität des Täters sorgt für große Aufruhr unter den Mitgliedern der Justice League! Sowohl auf Seiten der Helden wie auch der Schurken gibt es herbe Verluste zu beklagen ... Das DC-Universum wird künftig niemals so sein, wie es einmal war! (S. 34)

Dem Leser, der in den Universen von DC und Marvel gleichermaßen bewandert ist, kam die Ankündigung auf der Checkliste von Panini Comics in den verschiedensten DC Serienheften sehr bekannt vor. In der Marvel-Heftserie "Heldenfall", die in Deutschland, nur um Monate versetzt, später erschien als die sieben Hefte umfassende "Identity Crisis" von DC, bedeutete dies für die Marvel-Helden "die Rächer" die endgültige Auflösung. Auch bei "Batman und Superman" wird ein nahes Ende verkündet, das mit dem letzten Teil dieser Saga sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft des DC Universums unwiederbringlich verändert soll, da die Geschehnisse keinen der beteiligten Helden unberührt ließen.

Ob dies in der DC-Heftserie "Identity Crisis" auch das Ende der Helden der "Justice League of America" (JLA) bedeutet, kann schon an dieser Stelle ganz klar verneint werden, ganz im Sinne wie sich in dieser Ausgabe "Green Arrow" gegenüber "Flash" äußerte: "Die Liga überlebt ALLES."

Dieses ALLES wollen wir den Lesern noch einmal sehr kurz in Erinnerung rufen. Was war in den sieben Heften der "Identity Crisis" die Hauptstoryline? Ein Mörder geht um. Er tötet zuerst brutal Sue Dibny, die schwangere Frau von Ralph alias Elastoman, in deren Zuhause, d.h. er verschaffte sich Zutritt in eine der am besten geschützten Wohnungen Amerikas. Damit versetzte er die Helden der JLA in Angst und Schrecken, denn er konnte sie an ihrer verwundbarsten Stelle treffen, nämlich bei ihren Verwandten, Geliebten und Freunden, die er seitdem ins Visier nahm. Er kannte das private Leben der Helden und scheute nicht vor weiteren Angriffen auf deren Lieben zurück, wie auf Atoms Freundin Jean Loring und auf Robins Vater Jack Drake.

Jean wurde im letzten Moment gerettet, und Jack konnte zwar seinen Angreifer, den mutmaßlichen Mörder von Sue, "Captain Boomerang", stellen, doch dies kostete sowohl ihm als auch dem Superschurken das Leben. Jack war nämlich mit einer Pistole bewaffnet, die ihm zuvor eine mysteriöse Person mit der Botschaft "Schütze dich" hinterlassen hatten. Eine Botschaft, die für den wirklichen Täter verhängnisvoll wurde. Denn unmittelbar nach diesen Ereignissen machten Dr. Mid-Nite und Batman bei der Obduktion von Sue Dibny eine entscheidende Entdeckung, die ihren Tod unter einem völlig anderen Licht erscheinen ließ und Captain Boomerang als ihren Mörder ausschloß. Denn Sue starb durch einen mikroskopisch kleinen Anschlag auf ihr Gehirn! Sofort wurde eine Suche nach Ray Palmer alias Atom eingeleitet, dem Mann fürs Kleine, der auf atomarer Ebene wirken kann. Doch nicht Atom war der Mörder. Der wahre Täter verriet sich wie in der TV-Krimiserie "Columbo" durch eigenes "Geschick", indem er sein vorwitziges Mundwerk im entscheidenen Moment nicht halten konnte und Details verriet, die nicht an die Öffentlichkeit gelangt waren und die folgerichtig nur der Täter wissen konnte. Und so verplapperte sich Jean Loring, die Freundin von Ray "Atom" Palmer, und outete sich als Täterin. Ursprünglich wollte sie gar nicht morden, sondern sie erhoffte sich durch die Angriffe mit Hilfe von Atoms altem Kostüm, das ihr die mikroskopische Verkleinerung ermöglichte, daß sich die Superhelden ihren Freunden und Lieben verstärkt zuwenden würden. Der Mord an Sue Dibny war ein Unfall, doch der Tod von Jack war es nicht mehr. Jeans Motiv war ein sehr menschliches, denn sie versprach sich, daß es mit Ray wieder wie früher werden könnte, wie vor ihrer Scheidung. Doch in der Heftserie "Identity Crisis" wurde dieser Wunsch zur Obsession mit wahnhaften Zügen, und so ließ Ray Palmer seine Freundin Jean Loring am Ende der Serie kurzerhand in Arkham einweisen, dem Gefängnis für geistesgestörte Verbrecher.

In den Storylines beider Heftserien von DC und Marvel führt das Verlangen nach menschlicher Nähe und Zuwendung zum Wahnsinn mit tödlicher Folgekonsequenz für die Freunde der Betroffenen, und beide Male sind die Täter Frauen. Aus der Sicht der amerikanischen Comic-Autoren werden beide Frauen als sehr labile, ausschließlich nach Gefühlen orientierte Menschen dargestellt, deren geistige Stabilität sehr "fragil" zu sein scheint. Doch unterscheiden sie sich wirklich von den anderen Bewohnern ihres Landes? Beide Frauen der jeweiligen Serie sind typische Vertreter amerikanischer Lebensweise, streben sie doch nach deren höchsten Gut, der Familie.

Die Familie, mit dem Versprechen auf Liebe, Geborgenheit und Glück, scheint nach wie vor in der amerikanischen Gesellschaft das erstrebenswerteste Zusammenleben menschlicher Individuen zu sein. Doch in beiden Comicserien wird deutlich, daß sich das Singledasein schon längst gegen die zum Ideal erhobene Familie durchgesetzt hat, mit der damit verbundenen Vereinzelung und Atomisierung der Einwohner dieser westlichen Gesellschaft. Die Folge ist eine zunehmende Vereinsamung der Bürger und ein kälter werdendes Klima im Umgang miteinander, was wiederum ein ansteigendes Sehnen nach menschlicher Nähe und nach gegenseitiger Achtung mit sich bringt. Somit sind beide Täterinnen nur der Prototyp des modernen, individuellen Menschen, der bestenfalls am Spagat zwischen seiner Lebensrealität des Alleinsein und dem zum bloßen Versprechen erhobenen Lebenssinn, der Familie, zerreißen. Daß dieser Spreizschritt in den amerikanischen Filmen und der Belletristik oft mit dem Markel des Wahnsinns verhaftet wird, zeigt nur wieder einmal deutlich, daß sich die Autoren lieber mit oberflächlichen Klischees zufriedengeben, als daß sie sich ernsthaft mit dem Problemen einer Gesellschaft auseinandersetzen, deren Mitglieder unter den Folgen der sozialen Entfremdung zu leiden haben. Daß das Medium Comic durchaus zu dieser Ernsthaftigkeit in der Lage wäre, wurde zum Beispiel unlängst bei dem Marvel-Helden Wolverine versucht.

Die soziale Entfremdung zwischen den Menschen zeigt in der aktuellen Ausgabe der Dialog zwischen Flash und Green Arrow, als letzterer sagt: "Wenn du einen guten Feind willst, nimm einen Freund - sie wissen genau, was dir weh tut." Green Arrow bezieht sich dabei auf die Taten von Jean Loring gegenüber ihren Freunden. Daß diese Freunde sich anschließend von ihr abgewandt und sie im Stich gelassen haben und sie nun unter ständigen Drogeneinfluß in Arkham dahinvegetiert ohne die geringste Chance auf Hilfe von außerhalb, ist natürlich etwas völlig anderes und soll wohl eine "gerechte Strafe" sein.

Würde man zum Beispiel die Taten der anderen Mitglieder der JLA unter den gleichen moralischen Gesichtspunkten betrachten, dann wäre die bekannte Aussage "Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" des Jesus von Nazareth mehr als angebracht. Denn die Justice League of America aus einer Ära, als sich das Hauptquartier in einem Satellit im Erdorbit befand, hatte damals illegale und moralisch verwerfliche Handlungen an ihren Gegnern sowie an ihren eigenen Mitgliedern vorgenommen. Die damalige JLA manipulierte bewußt den Verstand ihrer Gegner, um ihre Geheimidentitäten und damit auch ihre Freunde, Bekannte und Verwandte zu schützen. Dabei führten sie zum Beispiel bei dem Gegner Dr. Light mit Hilfe von Zatanna eine magische Lobotomie durch und veränderten so nachhaltig seinen Geist, so daß seine ursprüngliche Persönlichkeit ausgelöscht wurde, was durchaus einem Mord gleichkommt. Als sie dabei von Batman überrascht wurden, löschten Green Arrow, Green Latern und die anderen Anwesenden seine Erinnerungen an diese Begebenheit aus. So gehen also "Freunde" miteinander um. Und ausgerechnet diese Handlungsweise sollte die Liga vor dem Zerbrechen bewahren!

Aufgrund der aktuellen Geschehnisse von Jean Loring ist zur Zeit bei den Mitgliedern der JLA das Bestreben groß, in der Not zusammenzurücken, die Liga am Laufen zu halten und untereinander einen respektvollen Umgang zu pflegen, doch zweifelsohne werden die alten Taten der Helden noch ihre Folgen haben.

Der Umgang der Mitglieder der JLA untereinander und zu ihren Freunden, aber auch zu ihren Gegnern, sind nur Ausdruck dieser bereits stattfindenen Veränderungen gesellschaftlichen Zusammenlebens, und somit ist Jean Loring bestenfalls die konsequente Weiterführung einer egoistischen Bedürfnisbefriedigung, die zu Lasten anderer Menschen durchgesetzt wird. Denn letztendlich hat Jean "ihre" Absichten verfolgt, ohne daß Ray überhaupt mit einbezogen wurde, in dem Versuch, vielleicht irgendwann einmal miteinander zu sprechen und nicht nur gegenseitig Meinungen auszutauschen.

"Identity Crisis" bildet bei DC den Auftakt für weitere Einzelhefte oder kleinere Heftserien, wie z. B. "Identity Crisis Special: Flash" oder "Infinite Crisis", auf die sich der Leser freuen kann. Das die JLA zunächst noch "überlebt" hat, ist an dieser Stelle offensichtlich, aber ob sie wirklich "ALLES überlebt", bleibt zunächst einmal dahingestellt. Das dicke Ende steht noch bevor, so daß der geneigte Leser voller Vorfreude in die nächsten Abenteuer eintauchen kann.

Euer Marvel-Broker


Batman & Superman: Identity Crisis 7 von 7
Autoren: Brad Meltzer, Rags Morales
Panini, Stuttgart, Juli 2005
36 Seiten, farbig, Heftformat, 3,50 Euro