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FUNDGRUBE/097: Schachboxen - Von der Comicvorlage in die Realität ...


Vermischtes aus der Welt der Comics, 5. Oktober 2005


Wie bei Alexander Nikopol? - Schachboxen in Berlin

In Berlin wurde der erste Europameister im Schachboxen gekürt

Daß das ursprünglich englische Wort "Sport" im eigentlichen Wortsinn "Zerstreuung, Vergnügen, Zeitvertreib, Spiel" heißt und seine spezielle Bedeutung als umfassende Bezeichnung für alle mit der planmäßigen Körperschulung und mit der körperlichen Betätigung im Wettkampf und Wettspiel zusammenhängenden Belange erst später erhielt, ist heute ziemlich in Vergessenheit geraten. Viele, die nur die nachträglich aufgepfropfte Bedeutung des Wortes kennen, haben sich wahrscheinlich schon gefragt, was in aller Welt der "Denksport" Schach mit "richtigem" Sport im Sinne von Körperertüchtigung zu tun hat. Seit dem vergangenen Wochenende gibt es außer der ethymologischen Herleitung noch eine weitere, ganz handfeste Gemeinsamkeit: Das Schachboxen, eine neue sportliche Disziplin, in der am vergangenen Wochenende in Berlin der erste Europameister gekürt wurde.

Und was hat das alles mit Comics zu tun? Nun, die Idee des Schachboxens stammt aus einem Comic, genauer gesagt dem dritten Teil der Trilogie "Alexander Nikopol" von Enki Bilal mit dem Titel "Äquatorkälte". In Szene gesetzt wurde das Ganze von dem Künstler Iepe Rubingh, der eigens zu diesem Zweck die WCBO (World Chess Boxing Organisation) ins Leben gerufen hat. Die Regeln des Schachboxens sind simpel und auch für Laien schnell zu verstehen: Die Schachboxer spielen Schach und boxen abwechselnd. Alle vier Minuten wird die Schachpartie, bei der jeder der beiden Kontrahenten insgesamt zwölf Minuten Bedenkzeit hat, von einer zweiminütigen Boxrunde unterbrochen. Dann geht es wieder zurück an den Schachtisch. Sieger ist derjenige, der entweder die Schachpartie zu seinen Gunsten entscheidet oder aber sein Gegenüber k.o. schlägt.


Austragungsort der etwas skurrilen Europameisterschaft war der Autosalon Ost, eine Industrieanlage, die ihre besten Tage schon vor langer Zeit gesehen hat, in Berlin-Prenzlauer Berg. Schon nach drei Zügen hatte der mit den schwarzen Steinen spielende Bulgare Tihomir "Tigertad" Titschko seinem Kontrahenten Andreas "D" Schneider die erste Überraschung bereitet. Titschko hatte ein sizilianisches Königsfianchetto eingeleitet, indem er auf Bauer e4 und Springer f3 mit Bauer c5 und Bauer g6 geantwortet hatte. Im weiteren Verlauf überließ er das Zentrum des Brettes dem Deutschen und bevorzugte den Angriff von den Flanken her. Darauf war Lokalmatador "Andy", wie er beim Publikum hieß, nicht besonders gut vorbereitet und verlor einen Bauern. Im Boxen hingegen gab es keinen eindeutigen Favoriten. So etwas wie Deckung schien keiner der beiden zu kennen. Da die Schläge aber nicht unbedingt Tyson-Qualität hatten, war das auch egal. Die Sympathien des Publikums lagen klar bei "Andy". "Hau ihn um", forderte die Menge. Das wäre auch seine einzige Chance gewesen, denn im Schach war der Bulgare einfach besser. Kurz vor Ende der neunten Runde gab Andreas "D" Schneider auf. Ob sich ein neuer Herausforderer für den frisch gekürten Europameister finden wird?