Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → COMIC

ANTIQUARIAT/023: "Der Mann aus Kanada" von Hugo Pratt


Hugo Pratt


Der Mann aus Kanada

5. Band der Reihe "Ein Mann ein Abenteuer"



Kanada zum Ende des 19. Jahrhunderts. Ein einsamer Mountie durchstreift die verschneiten Weiten des Landes und sorgt mit aufsehenerregender Gründlichkeit für Gerechtigkeit. Niemand weiß, wer in der roten Uniform der berittenen Polizei Kanadas steckt ...

... aber eines steht fest: Dieser Mann, der da auf so selbstgerechte Weise die Justiz vertritt, ist mit Sicherheit kein Mountie. Nachdem er in eine leerstehende Blockhütte eingedrungen ist, entdeckt der indianisch aussehende junge Mann dort eine Mountie-Uniform, die er sogleich anzieht. Eines Überfalls auf die Hütte weiß er sich zu erwehren, die drei Angreifer werden liquidiert und skalpiert. Nun macht sich der falsche Mountie, der sich in der Gegend offensichtlich gut auskennt, auf den Weg. Unterwegs begegnet er einem indianischen Medizinmann, der ein weißes Kind bei sich hat. Er tötet den Indianer und bringt das Kind bei einer Inuit-Familie unter.

In dem kleinen Dorf Artillery angekommen, sucht er dort den Pater auf. Er gibt sich als Jesuit Joe zu erkennen und spricht von früher, als der Pater sie immer dazu zwang, in den Gottesdienst zu gehen und den Kindern erzählte, sie müßten leiden, um ins Paradies zu kommen. "Nun, ich hab's versucht. Ich hab immer versucht zu leiden, aber es ist mit nie gelungen. Statt dessen habe ich die anderen leiden lassen ... Ich wollte wissen, ob du, Prediger des Leids, selbst genug gelitten hast." Sagt's und nagelt die Hand des Pfarrers mit seinem Messer auf dem Tisch fest.

Im Wirtshaus wird er von einem anderen Mountie angesprochen, der offensichtlich Sergeant Fox, den Besitzer der Uniform, in der Jesuit Joe steckt, erwartet hat und nun etwas erstaunt ist, daß nicht er, sondern ein Ersatzmann gekommen ist. Jesuit Joe erhält von ihm den Auftrag, ein Verbrecherpärchen ins nächstgelegene Fort zu bringen. Sobald sie sich in sicherer Entfernung von der Ortschaft befinden, läßt der Indianer die beiden frei: "Ich habe nichts gegen euch. Flieht nach Westen. In diesem Winter wird euch niemand folgen." Das nächste Ziel des falschen Mounties ist eine abgelegene Blockhütte, deren Bewohner, zwei Männer und eine Frau - seine Schwester - er erschießt. Er konnte es nicht ertragen, daß sie mit den Weißen zusammenlebte.

Er beobachtet einige Indianer, die den Vater des entführten Kindes in ihre Gewalt gebracht haben. Und auch hier tut Jesuit Joe, was er für richtig hält. Er tötet die Indianer und befreit den Mann, sagt ihm allerdings nicht, wo sein Sohn steckt, denn er ist der Meinung: "Wenn die Cashels sich ihr Kind haben rauben lassen, so heißt das nur, daß sie es nicht wert waren, eines zu haben." Weiter geht die Reise des geheimnisvollen Unbekannten. Auf einer Eisscholle treibend findet er einen halberfrorenen Mann - Sergeant Fox. Obwohl er ihm gefährlich werden könnte, rettet er ihm das Leben - um am nächsten Morgen von ihm festgenommen zu werden, denn Fox hat inzwischen seine gestohlene Uniform erkannt. Nun soll Jesuit Joe mit nach Fort Resolution kommen. "... Vielleicht läßt das Gericht Gnade walten. Schließlich hast du etliche Banditen erledigt und einer Rotjacke das Leben gerettet." - "Ich gehe nicht mit dir ... mein Weg ist nicht der deine!" ist Joes Kommentar dazu.

Man sieht zwei Männer, die sich gegenüberstehen. Zwischen ihnen liegt ein Gewehr. Das letzte Bild zeigt eine Schneelandschaft, ein Krachen liegt in der Luft. Wer von beiden hat überlebt?


Die kompromißlose Selbstjustiz eines Einzelgängers, der seine Auffassung von Gerechtigkeit durchsetzt - diese Thematik war schon immer ein beliebter Stoff. Wer als Kind gerne mit Winnetou und anderen Helden auf die Pirsch gegangen ist, wird sich auch dem wortkargen falschen Mountie Jesuit Joe gerne anschließen ...

Interessant ist übrigens der Einstieg in die Erzählung "Der Mann vom großen Norden", wie sie im Innentitel heißt, gestaltet: Die ersten zwölf Seiten kommen ganz ohne Worte aus. Dadurch gewinnen die Bilder an Eindringlichkeit, der Betrachter scheint förmlich hinter dem Mann zu stehen und ihn heimlich dabei zu beobachten, wie er in die leerstehende Blockhütte eindringt.

Eine weitere Besonderheit dieses Albums ist die strenge Bildaufteilung (jede Seite besteht entweder aus 3 x 2 exakt gleich großen Panels oder 2 x 2 gleichgroßen Bildern plus einem Querformat), die konsequent eingehalten wird. Mehr als bei Comicalben üblich, wirkt jedes der durch einen relativ breiten Abstand von den anderen getrennten Panels, genauso wie es in Beziehung zu den anderen steht, auch für sich allein und kann isoliert als wirkungsvolles Einzelbild betrachtet werden. Auch trägt die große Einheitlichkeit dazu bei, daß sich der Betrachter besser in die Bilder vertiefen kann.

Hugo Pratt ist ein Zeichner mit intensiver Ausdruckskraft. Da seine Bilder übersichtlich gestaltet sind und sich auf das wesentliche beschränken, kann man, wenn man will, die Geschichte recht schnell, gewissermaßen in "komprimierter" Form erfassen. Andererseits wird man häufig bei einzelnen Bildern oder der Gestaltung einer gesamten Seite verweilen, einfach, weil es ein Genuß ist, die graphisch höchsten Ansprüchen genügenden Zeichnungen zu betrachten. Eine Empfehlung aus dem "Antiquariat".

Der 1995 verstorbene Zeichner und Schriftsteller Hugo Pratt wurde am 15.7.1927 in Rimini geboren. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er in Afrika. Bereits kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges schuf er seine erste berühmt gewordene Serie "Asso di Picche" ("Pik-As"), die in einem gleichnamigen Magazin veröffentlicht wurde. Seine berühmteste Figur wurde der Abenteurer "Corto Maltese", den er 1967 schuf. Die Serie spielt in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg auf den Weltmeeren und in fernen, exotischen Ländern. Bei der Gestaltung seiner Erzählungen griff Hugo Pratt nicht nur auf fundiertes Quellenmaterial zurück, sondern bereicherte die Geschichten vor allem auch durch Eindrücke, die er, selbst ein Abenteurer, auf seinen eigenen, ausgedehnten Reisen gewann.

Hugo Pratt
Ein Mann ein Abenteuer (5) "Der Mann aus Kanada"
Feest Comics, 1997
52 Seiten, Softcover, farbig, ISBN 3-89343-904-8

Als dritter Band dieser Reihe erschien ein
weiterer Band von Hugo Pratt (in gleicher Ausstattung):


Hugo Pratt
"Der Mann der Karibik"
ISBN 3-89343-902-1