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ANTIQUARIAT/045: "Der Wind in den Weiden" von Michel Plessix (SB)


Michel Plessix


Der Wind in den Weiden

Vierbändige Comic-Reihe nach dem Roman von Kenneth Grahame



Der Maulwurf spürte die ersten wärmenden Sonnenstrahlen auf seinem Fell. Die Gräser wogten sanft im Wind. Nach der langen Zeit in seinem finsteren Bau hatte er all diese lieblichen Empfindungen fast vergessen ...

Nun sitzt er am Fluß und beobachtet das geschäftige Treiben ringsumher. Dem Frühjahrsputz entflohen, genießt er es, einfach nur seinen Gedanken nachzuhängen. Doch als eine freundliche Wasserratte den Maulwurf zu einem kleinen Picknick einlädt, sagt er nicht nein und so nimmt eine wunderbare Freundschaft ihren Anfang. Das herrliche Picknick soll nicht die einzige Unternehmung der beiden bleiben. Bald darauf machen sie einen Besuch beim Kröterich, der, wie es seine Art ist, ständig irgendeiner neuen Leidenschaft frönt. Im Moment ist es ein Pferdewagen, mit dem er auf große Reise gehen will. Die beiden Freunde lädt er gleich mit dazu ein. Und so finden sich die drei schon am nächsten Tag auf der Landstraße wieder, um die weite Welt zu erkunden ...

In "Im Wilden Wald", dem ersten Band der Comic-Adaption von "Der Wind in den Weiden", werden Kapitel eins bis drei des Romans ins Bild gebracht - in wunderschöne, stimmungsvolle Bilder übrigens, die so ganz zu der verträumten Stimmung der Erzählung passen und große wie kleine Leser gleichermaßen begeistern. Die mit federleichtem Strich gezeichneten und in zarten, duftigen Farben gehaltenen Landschaften sind ebenso wie die sympathisch-schrulligen Tiergestalten und die liebevoll ausgestalteten Details ihrer Umgebung bestens dazu geeignet, sich immer wieder in die insgesamt vier Alben zu vertiefen. Auch kleinere Kinder haben an den Bildern ihre Freude und können den Geschichten gut folgen, wenn sie sie vorgelesen bekommen.

Michel Plessix ist mit seinem Werk eine adäquate Übertragung dieses berühmten Klassikers in ein anderes Genre gelungen, zumal die Comics sowohl für diejenigen, die den Roman noch aus ihrer Kinderzeit kennen, als auch für "Neulinge" gleichermaßen ein Genuß ist. Immer wieder erlebt der Betrachter, wie er gewissermaßen in die Bilder "hineingehen" kann; gleichzeitig lassen sie der Phantasie des Lesers trotz ihres großen Detailreichtums immer noch genug Raum für eigene Vorstellungen und er wird nicht, wie bei vielen Comics heute üblich, durch eiskalten Perfektionismus erschlagen. Jeder der vier, jeweils 32 Seiten umfassenden Comics, enthält drei Kapitel aus dem Roman. So erlebt Kröterich im zweiten Band diverse Abenteuer als "Schrecken der Landstraße" (Kapitel vier bis sechs), während das dritte Album wieder sehr stimmungsvoll und beschaulich beginnt:

Späte Stunde eines Sommerabends ... das klang wie ein Romantitel, dachte Maulwurf. Der Tag wollte nicht einsehen, daß es Zeit war, sich zu verabschieden. Dabei hatten er und seine Freundin, die Sonne, sich in der sengenden Glut eines unerträglich heißen Nachmittags restlos verausgabt. Hingestreckt im Schatten einer Weide, hielt Maulwurf erschöpft nach einem Wölkchen Ausschau und lauschte dem Summen der Insekten, das nicht enden wollte. ...

Hier haben Maulwurf und sein Freund, die Ratte, eine Begegnung, die sie tief beeindruckt. Durch Rattes Besuch aus seinen Tagträumereien aufgeschreckt, lädt Maulwurf seinen Freund auf einen Imbiß in die schattige Laube ein. Dort berichtet Ratte, daß Otty, der jüngste Sprößling des Otters, wieder einmal ausgerissen ist. Schon zwei Tage sei er verschwunden. Als die Nacht hereinbricht, haben die beiden ihren Entschluß gefaßt: Sie werden den Kleinen suchen gehen.

Die ganze Nacht hindurch fahren sie mit ihrem Boot den Fluß entlang und suchen alles ab - ohne Erfolg. Als der Mond schon unter-, die Sonne aber noch nicht aufgegangen ist, erleben sie einen seltenen Moment: Nicht der geringste Laut ist zu hören in dieser Zeit zwischen Nacht und Tag. Die Tiere der Nacht sind schon schlafen gegangen, die des Tages noch nicht erwacht. Nicht einmal das Plätschern des Wassers oder ihr eigener Atem ist zu hören. Es scheint, als würde die Zeit stillstehen. Da erlauscht Ratte plötzlich von Ferne Musik. Nachdem er seinen Freund darauf aufmerksam gemacht hat, kann Maulwurf sie auch hören - Musik, die so schön ist, daß ihm die Tränen kommen. Die beiden rudern zu einer kleinen Insel, von der die Musik auszugehen scheint. Dort gelandet, folgen sie einem Pfad, der zwischen wilden Obstbäumen hindurchführt und sehen für einen kurzen Moment die Gestalt "des Freundes" - Pan, der von Elfen umschwebt am Fuß eines Baumes sitzt.

Da blendet sie der erste Sonnenstrahl des Tages und die Zeit nimmt wieder ihren Lauf. Die Vögel singen, der Fluß plätschert und eine sanfte Brise des Vergessens streicht über ihre Gesichter ...

Die kleinen Tiere standen reglos da, wie benommen vom Nachgeschmack einer verblassenden Erinnerung. Es war, als seien sie aus einem schönen, aber flüchtigen Traum erwacht, von dem nur ein Gefühl der Ruhe und tiefem Wohlbehagen zurückgeblieben war.

Bleibt noch zu berichten, daß Maulwurf und Ratte am Fuß jenes Baumes den kleinen Otty fanden und ihn wohlbehalten bei seinen überglücklichen Eltern ablieferten. Noch während das Boot sie mit einer sanften Strömung nach Hause zurückbrachte, fielen die beiden in einen friedlichen, wohlverdienten Schlummer.

Im vierten Band gibt es dann ein Wiedersehen mit Kröterich, der zwischenzeitlich im Gefängnis gelandet war und dem auf wundersamen Wegen in Frauenkleidern die Flucht gelang. Nach der ersten Wiedersehensfreude kommt der Schock: Gut Kröten wurde in der Abwesenheit des Hausherrn von den Wieseln und ihren Kumpanen besetzt, die bei ihren wilden Gelagen nicht nur Kröterichs geliebtes Anwesen verwüsteten und seine Vorräte aufbrauchten, sondern sich nun auch noch über den Heimgekehrten lustig machen. Außer sich vor Wut geht Kröterich daran, seinen Besitz zurückzuerobern ...

Die Comic-Adaption von Michel Plessix wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, u.a. als "Comic des Jahres" 1999 und auf dem Comic- Salon Erlangen 2000 mit dem "Max-und-Moritz-Preis" für die beste deutschsprachige Comic-Publikation für Kinder und Jugendliche.

31. Juli 2007

Der Wind in den Weiden Vierbändige Comic-Reihe nach dem Roman von Kenneth Grahame von Michel Plessix Carlsen Verlag, Hamburg, 1998-2002 je 32 S., farbig, Hardcover


Band 1 "Im Wilden Wald", ISBN 3-551-73341-4
Band 2 "Der Schrecken der Landstraße", ISBN 3-551-73342-2
Band 3 "Die große Flucht", ISBN 3-551-73343-0
Band 4 "Saustall im Herrenhaus", ISBN 3-551-73344-9