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FESTIVAL/085: Fumetto 2008 - Internationale Ausstellungen (Fumetto)


Fumetto - Internationales Comix-Festival Luzern, Medienmitteilung vom 19. Februar 2008

Ausstellungen 2008 - Internationale Ausstellungen


Die Ausstellungen

(Die Nummern in Klammern beziehen sich auf die Festivalgeographie)

(01) Wettbewerbsausstellung zum Thema "Klima"
(07) Christophe Blain - Stargast (FR)
(04) Boris Hoppek - Keine Konventionen (DE)
(03) Igort - Baobab (IT)
(02) Ben Katchor - Chronist des täglichen Lebens (US)
(14) Henning Wagenbreth - Tobot (DE)
(07/11) Florent Ruppert/Jerôme Mulot - Anarchie & Subversion (FR)
(04) The Raindrops - Der Ball der toten Ratte (DE)
(09) Tom Gauld - Artist in residence (GB)
(04) Matthew Thurber - Crashing (US)
(05) Michelangelo Setola - Förderplattform Fumetto (IT)
(04) Sint-Lucas Beeldende Kunst Gent - Studierende der Comicfachklasse (BE)

Festivalgeographie 2008

01 Festivalzentrum Kornschütte, Rathausplatz
02 Galerie Brandgässli, Brandgässli
03 Festsaal Maskenliebhaber, Süesswinkel 7
04 Hochschule Luzern - Design & Kunst, Rössligasse 12
05 Götti + Niederer, Mühlenplatz 1
06 Hotel Löwengraben, Löwengraben 18
07 Interio, Löwengraben 2
08 Galerie Pia-Anna Borner, Hertensteintrasse 62
09 Hotel Schweizerhof Luzern, Schweizerhofquai 3
10 Fumetto-Infopoint, Bahnhofplatz
11 KKL Luzern: Terrassensaal und vor dem KKL beim Wagenbachbrunnen, Europaplatz 1
12 Sammlung Rosengart, Pilatusstrasse 10
13 Orell Füssli Die Buchhandlung, Hofgebäude, Frankenstrasse 7a
14 Hl. Geist-Kapelle, Stadthauspark, Hirschengraben 17
15 Galerie das Ding, Sempacherstrasse 15


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Wettbewerbsausstellung Klima (International)

Klima ist ein akut wichtiger und vieldiskutierter Begriff und das Thema des diesjährigen Wettbewerbs. Erderwärmung, Gletscherschmelze, Wirbelstürme, steigender Meeresspiegel und viele andere Probleme stehen im Zusammenhang mit dem Klima, genauer gesagt mit dessen Veränderung. Doch ein Klima herrscht nicht nur im meteorologischem Zusammenhang, sondern klimatische Phänomene treten überall im Leben spürbar auf, sei es zwischenmenschlich oder in einem anderen übertragenen Sinn. Es ist wie immer der Phantasie der TeilnehmerInnen überlassen, wie der Begriff umgesetzt wird. Wir freuen uns jedenfalls, die Beiträge von mehr als 1.000 TeilnehmerInnen aus fast 30 Ländern im grössten europäischen Comic-Wettbewerb zeigen zu können.

Wanderausstellung

Der Wettbewerb wird in diesem Jahr vom Verein ökomobil unterstützt, der im Anschluss ans Festival eine gedruckte Auswahl der Comics auf Wanderschaft schickt, um junge Leute zur Auseinandersetzung mit dem Thema anzuregen.

Jury 2008

François Chalet, Künstler und Motion-Designer; Zürich
Ulli Lust, Comiczeichnerin und Art Director electrocomics.com; Berlin
Noyau, Künstler und Comiczeichner, Zürich
Pierre Schaer, Visuelle Künste, Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia; Zürich
Johann Ulrich, Verleger, avant-verlag; Berlin


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Christophe Blain (FR) - Stargast

Christophe Blain ist einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Zeichner Europas. Bereits sein Erstling Réducteur de vitesse katapultierte ihn in die oberste Liga der französischen Zeichner. Das liegt daran, dass der Eigenbrötler Blain höchstes zeichnerisches Können und eine aussergewöhnliche erzählerische Begabung besitzt. Die Lust am Erzählen und sein unbändiger Strich, den er ständig weiterentwickelt hat, machen Blain zu einem der Erneuerer des Comics in Frankreich. Neben Joann Sfar und Lewis Trondheim ist er die treibende Kraft in der Szene, die sie durch ihre undogmatische und freche Art sowohl auf künstlerischer wie auch auf erzählerischer Ebene bestimmen. Dass Blain dafür nicht die Form der Autobiografie gewählt hat, unterscheidet ihn von vielen der wichtigen französischen Zeichner Anfang der Neunziger Jahre. Blain siedelt seine Geschichten, die er nichtsdestoweniger aus dem Leben greift, in der Umgebung von Western und Piraten an. Als Kind waren dies seine liebsten Genres und jetzt dienen sie ihm als abwechslungsreicher und abenteuerlicher Hintergrund seiner Geschichten.

Wie in kindlichem Ungestüm galoppieren Strich und Geschichten in seiner Western Serie Gus dahin. Die Zeichnungen und die Geschichten schlagen ein Tempo an, das den Leser packt und mitreisst. Dasselbe gilt für seine Serie Isaac der Pirat, in der Blain gekonnt zwischen Sturm und Flaute hin und her wechselt und so die perfekte Ambiance für dieses Epos schafft. Es gibt kaum einen Zeichner, der so genau spürt, wann es zu abstrahieren gilt, wann die Zeichnungen ausgearbeitet werden dürfen, wann eine Geschichte Tempo braucht, wann der Leser eine Pause benötigt und nicht zuletzt, wie die Ebenen Bild und Text symbiotisch funktionieren. Alles in seinen Arbeiten erscheint spontan und intuitiv und selbst in den tragischsten Momenten sind seine Figuren noch komisch.

Sie sind mit allen menschlichen Unzulänglichkeiten behaftet und stolpern von einem Missgeschick ins nächste. Aber es spricht stets eine lebensbejahende Haltung aus ihnen. Blain verstärkt die Charaktereigenschaften seiner Figuren durch kleine Details, die er zeichnerisch beiläufig auf den Punkt bringt. Blain dienen die Welten von Western, Piraten oder Altertum dazu, seine Geschichten überhöht und actionreich zu erzählen. Er will nicht Genres parodieren oder dekonstruieren, vielmehr will er mit ihnen spielen und sie als Bühne für die alltägliche Begebenheiten und Missgeschicke verwenden. Denn Blain will unterhalten und es gelingt ihm, aus dem Leben zu greifen und dieses mit Leichtigkeit und viel Humor zu würzen.

Fumetto hat es geschafft, diesen aussergewöhnlichen Zeichner dazu zu bewegen, endlich seine beeindruckenden Originale zu zeigen und hat eine umfassende Retrospektive zusammengestellt. Denn Blain stellt nicht gerne aus, er zeichnet lieber. Deshalb ist er überhaupt zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum zu sehen. Die Ausstellung wird neben Originalseiten der bekanntesten Serien auch Einblick geben in die Art wie Blain seine Geschichten entwickelt und Storyboards, Bleistiftskizzen, Charakterstudien und unveröffentlichte Arbeiten zeigen. Ausserdem hat Fumetto erreicht, dass Blain sich einverstanden erklärt, die Ausstellung auf Wanderschaft zu schicken, und damit kann ganz Europa in den Genuss der Originale dieses aussergewöhnlichen Künstlers kommen. Teile der Fumetto-Ausstellung werden auch in Italien und Deutschland gezeigt werden.

Kurzbiografie

Christophe Blain wurde 1970 geboren, studierte Bildende Kunst in Cherbourg, lebt und arbeitet heute als Comiczeichner und -szenarist in Paris. 2000 erhielt er für Le Réducteur de Vitesse in Angoulême den Preis für die beste Erstveröffentlichung. Für den ersten Band seiner Reihe Isaak der Pirat wurde er 2002 in Angoulême mit dem Preis für das beste Album ausgezeichnet.

Event am Festival

Zum Festival erscheint Das Getriebe (Original Réducteur de Vitesse) auf deutsch. Am Samstag, den 19. April, um 14 Uhr findet in der Ausstellung ein Gespräch mit dem Künstler und anschliessend die Buchvernissage statt.

Zu dieser Ausstellung wird ein Podcast mit O-Tönen des Künstlers produziert.

Website des Künstlers: www.bulledair.com/blain/

Reprodukt Verlag:
www.reprodukt.com/creator_info.php?creators_id=65


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Boris Hoppek (DE) - Keine Konventionen

Die Kunstwelt liebt Boris Hoppeks Arbeiten, die durchaus dem Grafitti und der Streetart zuzuordnen sind, weil er ohne Rücksicht auf Konventionen der Kunst oder politische Korrektheit einen eigenständigen Weg gefunden hat, sich auszudrücken, weil er ernste Themen unverfroren angeht - und nicht zuletzt weil er das mit einer offenbaren Freude am Spiel und einem Witz tut, der der deutschen Kunst allzuoft fehlt.

Am Fumetto wird Hoppek vor Ort eine neue, grosse Skulptur gestalten.

Der Bimbo, die von Boris Hoppek erschaffene, ikonenhaft reduzierte Figur, die sich durch einen Grossteil seiner Arbeiten zieht, ist inzwischen in der knuddeligen Kuscheltierwelt angelangt, wenn Hoppek sie aus Stoff, Latex, Knöpfen und anderen Materialien zusammennäht. Doch nur selten sind diese Puppen zum Liebhaben gedacht - unverblümt thematisiert Hoppek gesellschaftliche Tatsachen wie Vergewaltigung, Gewalt, Prostitution oder Faschismus, wenn er seinen Puppen eine Latexhaut um den weichen Leib schneidert, den schwarzen "Mega Bimbo" mit einem beinlangen Penis ausstattet oder einen Adolf Hitler (in schmuckem Breit-Kord) mit erhobenem, fingerlosen Ärmchen frech vom Sofa grinsen lässt ("Happy Bimbo"). Nebenan grüsst der Klu Klux Clan-Bimbo über den am Boden liegenden, schwarzen "Standard"-Bimbo ...

Aus den Bimbos ist die Stoffpuppenband "The C'mons" entstanden, die durch die Opel-Werbung tobt und mit ihrer unwiderstehlichen Mischung aus Niedlichkeit und Frechheit nun das ganz grosse Publikum erobert.

Hoppek schafft das scheinbar Unmögliche, den Spagat zwischen Street-Credibility und breitester Nutzung der "C'mons" durch MTV und Opel. Das ist nur möglich, weil er so radikal seine eigenen Massstäbe anlegt und weil die Wirtschaft langsam erkennt, dass er nur dann werbewirksam bleibt, wenn man ihn so lässt, wie er ist.

Biografie

Boris Hoppek wurde 1970 in Kreuztal bei Siegen geboren, lernte zunächst Technischer Zeichner, wechselte dann aber bald in die Graffiti- und Streeart-Szene. Über Köln und Berlin verschlug es ihn schliesslich nach Barcelona, wo er heute als Künstler arbeitet und lebt.

Bibliografie

Lavagina Magazin, Heliumcowboy Artspace, Hamburg 2007
Tranquillo, Rojo Edition, Barcelona 2006
Boris Hoppek y Sancho Panza, Die Gestalten Verlag, Berlin 2005

Kommerzielle Projekte (Auswahl)

C'mons Puppen/Videos/Website etc. für MTV, International
C'mons Puppen/Videos für Opel, International
Zimmergestaltung Hotel Fox, Kopenhagen
Gestaltung Turnschuhe für Djinns
Scateboards für Helping Hounds of Hell
Gürtel für Yummi Industries


Ausstellungen/Kunstmessen (Auswahl)

"The Helping Hounds of Hell", heliumcowboy artspace, 2008
Scope, Miami 2007
Tiro al negro 800, Estampa, Madrid 2007
"I won't fuck with you tonight", heliumcowboy artsspace, Hamburg 2007
"86 Negritos", Cadiz 2007
Scope, Basel 2007
Colophon, Luxembourg 2007
Kubrik, Las Palmas 2007
Artbeat, Amsterdam 2007
The Lazy Dog, Paris 2006
"Viva Espagna", Iguapop Gallery, Barcelona 2006
Full Pull Festival, Malmö 2006
Bread & Butter, Barcelona 2006
Pictoplasma, Berlin 2004, 2006
Thalia Theater, Halle 2006
Art.fair Köln 2006
"Egal!", heliumcowboy artsspace, Hamburg 2005
Büro Discount, Zürich 2005
"Micky Ficky Jesus", heliumcowboy artsspace, Hamburg 2004

Seite des Künstlers: www.borishoppek.de
Blog des Künstlers: http://www.borishoppek.de/bh-blog/Hoppeks Blog
C'mons: www.thecmons.com
Galerie: http://www.heliumcowboy.com/2006/05/boris_hoppek.html


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Igort (IT) - Baobab

Der Italiener Igort gehört seit über 20 Jahren zu den wichtigsten Zeichnern Europas. Viele seiner Bücher haben die bedeutendsten Preise eingeheimst und sind in unzählige Sprachen übersetzt worden. Als einer der wenigen Europäer arbeitete er erfolgreich in Japan, dem grössten Comicmarkt überhaupt. Igort ist aber nicht bloss als Künstler erfolgreich sondern auch als Verleger und Drehbuchautor. Igort ist ein Perfektionist, der nichts dem Zufall überlassen will und dem seine künstlerische Vision heilig ist. Deshalb sind seine Publikationen auch immer Kleinode von höchster Qualität.

All die vielen Projekte in die er involviert ist, stehlen ihm seine Zeit, wie er sagt, denn das Projekt, das ihm am meisten am Herzen liegt, ist die Geschichte Baobab. Sie wird sich über 600 Seiten erstrecken und besteht aus zwei Handlungssträngen, die in den Kulturen Japans und Amerikas angesiedelt sind, und sich zu einer epischen Geschichte, die Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt und über eine Zeitspanne von 100 Jahren reicht, verbinden.

In Igorts Geschichten gehört das Element der Nostalgie zum festen Bestandteil. Er hat minutiös recherchiert, aber es geht nicht darum, einer vergangenen Zeit nachzuweinen oder diese als Bessere erscheinen zu lassen. Vielmehr lässt das Zurückblicken eine Auslegeordnung zu. Die Codes in Mode, Architektur und Lifestyle etc. sind in der Retrospektive berechenbar. Damit spielt Igort gerne. Er recherchiert die feinsten Details und konstruiert seine Geschichten bis in die letzten Einzelheiten durch. Die Zeit wird in jedem Detail evoziert und in unzähligen Referenzen spielt Igort auf die Geschichte an. Doch selbst das genügt dem Künstler noch nicht, und so lehnt er auch seine Zeichensprache an die Ästhetiken der jeweiligen Epochen an, stimmt selbst Codes, Stile und Moden immer perfekt auf die einzelnen Charaktere und Milieus der Handlung ab, verstärkt die Wirkung indem er auf Bild- und Textebene dieselbe Sprache spricht.

Das Werk von Igort wurde bereits in grossen Retrospektiven gezeigt. Aus diesem Grund konzentriert sich Fumetto darauf, in der Ausstellung das neuste Projekt dieses aussergewöhnlichen Zeichners vorzustellen. Denn Baobab entsprang einer Idee von Igort, die er vor über 25 Jahren hatte und die ihn nie mehr losgelassen hat. Die Ausstellung zeigt seine ersten verworfenen Versuche, die in die 80er Jahre zurückreichen, seine farbige Version für den japanischen Markt, die hierzulande noch nie jemand gesehen hat, und die wunderschönen Originale in Duoton. Daneben wird ein Einblick in seine Recherchen und das gesammelte Material gegeben, sodass ein einmaliger Eindruck entsteht von der Art und Weise wie Igort arbeitet, wie er seine Arbeit vorbereitet und wie langwierig und voller Verwerfungen und Varianten sich ein solcher künstlerischer Prozess gestalten kann.

Biografie

Igort wurde 1958 als Igor Tuveri in Bologna geboren, arbeitete an multimedialen Projekten u.a. mit Yello und Ryuichi Sakamoto, gründete vor 6 Jahren den Verlag Coconino Press. Er selbst hat über 20 Comicalben und Kinderbücher veröffentlicht, die in Europa, den USA und Japan erschienen sind. Heute lebt Igort als Comicautor, Illustrator und Verleger in Paris.

Bibliografie (auf Deutsch erschienen)

5 ist die perfekte Zahl, Avant Verlag, Berlin 2003
Fats Waller, Avant Verlag, Berlin 2005
Baobab 1, Avant Verlag, Berlin 2005
Baobab 2, Avant Verlag, Berlin 2006

Event am Festival

Vortrag Igorts zu seinem Werk: Donnerstag, 17. April, 17.00 Uhr, stattkino

Zur Ausstellung wird eigens ein Podcast mit O-Tönen des Künstlers produziert.

Seite des Künstlers: www.igort.com
Sein Verlag: www.coconinopress.com
Deutsche Ausgaben: www.avantverlag.de


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Ben Katchor (US) - Chronist des täglichen Lebens

Ben Katchor, 1951 in New York geboren, gilt heute als einer der innovativsten amerikanischen Comiczeichner und Nachfolger von Art Spiegelman, dem Autor von Maus. Bekannt geworden durch seine wöchentlichen Comicstrips Julius Knipl: Real Estate Photographer und The Jew of New York, zeichnet er derzeitig für eine Vielzahl von amerikanischen Wochenzeitungen und Magazinen. Seit 1999 schreibt er Libretti und gestaltet Bühnenbilder für Comic-Opern wie The Carbon Copy Building, The Rosenbach Company oder das aktuelle Stück The Slug Bearers of Kayrol Island. 1995 erhielt er das Stipendium der Guggenheim Memorial Foundation und im Jahre 2000 als erster Comiczeichner die mit einer halben Million Dollar dotierte MacArthur Foundation Fellowship, die auch "genius grant" (Genie-Stipendium) genannt wird. Nebst seiner Tätigkeit als Comicschaffender unterrichtet er an der New Yorker School of Arts.

Trotz seines vielseitigen Werks ist Ben Katchor im deutschsprachigen Raum wenig bekannt. Es mag am unspektakulären Inhalt seiner Geschichten liegen: Katchor hat einen Sinn für das Randständige. Seine Welt wird von skurrilen Figuren wie dem Immobilienfotografen Julius Knipl bewohnt, der durch die Strassen einer Grossstadt wandert und Nebensächliches zelebriert: Zeitungsbeschwerer, Fahrstuhl-Inspektoren, defekte Neon-Reklamen oder die "ewige Flamme", die das Sauerkraut am Hotdog-Stand warm hält. Die Knipl-Strips sind eine Enzyklopädie des Details. Katchor ist ein Archäologe des Urbanen, Sammler vergessener Artefakte unserer Konsumgesellschaft und Beobachter erfolgloser Kleinunternehmer, die an der globalisierten Metropole von heute scheitern. Katchor greift Ideen für eine utopische Weltstadt auf: Sein Comicstrip The Jew of New York spielt in den 1830ern und erzählt von Visionären. Es ist die Geschichte des jüdischen Politikers Mordecai Manuel Noah, der auf einer entlegenen Insel bei Buffalo einen neuen Staat Israel ausrufen will. Ein Forscher will die Verwandtschaft zwischen Juden und amerikanischen Ureinwohnern beweisen. Ein Unternehmer schmiedet Pläne, den Lake Eerie mit Kohlensäure anzureichern und ganz New York mit Mineralwasser zu versorgen. Träume, die allesamt scheitern.

Ben Katchor sieht sich nicht als Historiker, sondern als aufmerksamer Tourist, der den Leser das Beobachten von Details wieder lehren möchte: "Die ganze Welt ist auf Details aufgebaut. Hinter jedem Gegenstand in der physischen Welt steckt eine Geschichte. Das ist die Natur der Dinge. In einem Zuckertütchen verbirgt sich eine ganze Welt von kulturellen Entscheidungen: warum das Tütchen genau diese Form hat oder jene Farbe." Ben Katchors Comicstrips sind eine poetische Erklärung dafür, weshalb die Welt so ist, wie sie ist.

Biografie

Ben Katchor wurde 1951 in New York geboren, wo er an der School of Visual Arts studierte. Er blieb in New York wo er heute als Comic- und Hörspielautor, als Illustrator u.a. für den New Yorker, als Gestalter von animierten Bühnenbildern und als Professor an der School of Visual Arts tätig ist.

Bibliografie (Auswahl)

Cheap Novelties: The Pleasures of Urban Decay, Penguin Books, 1991
Julius Knipl, Real Estate Photographer: Stories, Little, Brown & Co., 1996
The Jew of New York, Pantheon Books, 1998
Julius Knipl, Real Estate Photographer: The Beauty District, Pantheon Books, 2000

Events am Festival

Ben Katchor gibt an der Hochschule Luzern Design & Kunst einen Comic-Workshop. Am Freitag, den 18. April, um 16.00 Uhr wird Ben Katchor im stattkino einen Vortrag zu seinem Werk halten.

Zu seiner Ausstellung wird ein Podcast mit O-Tönen des Künstlers produziert.

Webseite des Künstlers: www.katchor.com
Comicstrips im Metropolis Magazin: www.metropolismag.com


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Henning Wagenbreth (DE) - Tobot

Henning Wagenbreths künstlerische Wurzeln finden sich in der neuen Sachlichkeit und im deutschen Expressionismus. Er will mit seinen Bildern verwirren und herausfordern. Aufbauend auf dem surrealistischen Spiel "cadavre exquis" hat er das automatisierte Illustrationssystem "Tobot" entwickelt. Ein Schriftprogramm als Basis nutzend, hat der Künstler eine Grammatik der Bildkomposition entwickelt, die ein Universum von skurrilen und absurden Geschichten schafft. Es addiert unterschiedliche Bildelemente zu Figuren, Häusern, Autos etc. und diese zu komplexen Bildfolgen.

Sie werden in der Ausstellung von alten Faxgeräten auf Papierstreifen unbegrenzt ausgespuckt. Das System lässt sich auch als Animation anwenden, die in der Ausstellung laufen wird. Ausserdem zeigt Wagenbreth grossformatige Ölbilder, die Tobot-Geschichten erzählen, die je nach Leserichtung verschiedene Bedeutungen zulassen.

Biografie

Henning Wagenbreth wurde 1962 in Eberwalde geboren, studierte Grafik-Design an der Kunsthochschule Berlin. Er lebt und arbeitet als Illustrator und als Professor an der Universität der Künste in Berlin.

Bibliografie (Auszug)

Das Geheimnis der Insel St. Helena, 2002
Mond und Morgenstern, mit W. Frommlet, 2002
Cry for Help: 36 Scam Emails from Africa, 2006

Event am Festival

Vortrag von Henning Wagenbreth: Mittwoch 16. April, 16.00 Uhr, stattkino

Zur Ausstellung wird ein Podcast mit O-Tönen des Künstlers produziert.

www.wagenbreth.de


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Florent Ruppert & Jerôme Mulot (FR) - Anarchie und Subversion

Ruppert und Mulot spielen sowohl formal als auch inhaltlich in intelligenter und dekonstruktivistischer Art und Weise mit dem Medium Comic. Die beiden Künstler unterlaufen alle Erwartungen des Lesers. Dialoge und Bilder widersprechen sich und zeigen die Doppelmoral der Gesellschaft ohne zu moralisieren. Auf sich selbst zurückgeworfen wird der Leser zum Voyeur, Komplizen oder zum Moralisten wider Willen.

Genau dies ist auch der Ansatzpunkt ihrer ungewöhnlichen Zeichenperformances, die sie am Fumetto im Zusammenhang mit drei Tigern abhalten werden! Dabei spielen sie mit dem Besucher und verwickeln ihn in eine Konversation, die sie gleichzeitig zeichnerisch festhalten.

Als 2005 ihr erstes Album erschien, schrieb der kanadische Kommunikationswissenschaftler Dr. Beaty: "Safari Monseigneur is touching and absurd, hilarious and horrifying. It is smartly composed, constructed in a style that places Ruppert and Mulot at the top of their game before they've even really gotten started. This is the best debut comic in ages, and an absolute must read." 2007 wurden Ruppert und Mulot vom Festival Int. de la bd d'Angoulême für Panier de Singe als beste Newcomer ausgezeichnet. Am Fumetto werden sie im Ausstellungsprojekt eine exklusiv für das Festival gemalte Bilderreihe zeigen, die das Medium und seine Helden gleichzeitig feiert und persifliert.

Kurzbiografie

Florent Ruppert und Jerôme Mulot wurden 1979 bzw. 1981 geboren und lernten sich während des Studiums an der École nationale supérieure d'arts in Dijon kennen. Florent Ruppert lebt und arbeitet in Paris, Jerôme Mulot in St. Ouen und Paris. Im Gegensatz zu den meisten Zeichnerduos hat nicht einer die Rolle des Texters und der andere die des Zeichners, sondern sie machen beide alles. Und im Gegensatz zu allen anderen zeichnen sie oft sogar zeitgleich am selben Bild.

Bibliografie

Safari Monseigneur, L'Association, coll. "Ciboulette", 2005
La poubelle de la Place Vendôme, L'Association, coll. "Patte de Mouche", 2006
Panier de singe, L'Association, coll. "Ciboulette", 2006
Gogo Club, L'Association, coll. "Mimolette", 2007


Events am Festival

Zeichenperformances: Freitag, 18. April und Samstag, 19. April jeweils 12.00 - 16.00 Uhr auf dem Europaplatz am Wagenbachbachbrunnen vor dem KKL

Zur Ausstellung wird eigens ein Podcast mit O-Tönen der Künstler produziert.

www.succursale.org


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The Raindrops (DE) - Der Ball der toten Ratte

Die Berliner Künstlergruppe The Raindrops (Atak, C.X. Huth, Kathy Käppel und Dorthe Eisterlehner) interpretiert die grotesken Bilder des belgischen Malers James Ensor.

Ensor (1860-1949) nimmt in der Kunstgeschichte eine Sonderstellung ein. Er war ein Symbolist, galt aber auch als Vorläufer des Expressionismus und wurde berühmt als der "Maler der Masken". Seine eigenwilligen Bilder haben bis heute nichts an Aktualität eingebüsst.

Die Faszination für Ensors Maskenwelten regte das Berliner Künstlerkollektiv The Raindrops zur Auseinandersetzung mit seinem Werk Der Ball der toten Ratte an. Dieser Bal du rat mort ist der Höhepunkt des Karnevals von Oostende und wurde vor 100 Jahren von Ensor selbst ins Leben gerufen.

Aufbauend auf Ensors kritischer Darstellung der Gesellschaft greifen The Raindrops Motive aus dem Ensorschen Kosmos auf und ergänzen ihn mit eigenen Elementen und Ikonen der Popkultur. Wo bei Ensor Skelette und Masken sich in einem absurden Totentanz vereinen, tauchen bei den Raindrops auch Neonazis, Punks oder Mickey Maus auf. Die Idee des bunten karnevalesken Treibens nimmt die Ausstellung in der räumlichen Inszenierung der Bilder, Objekte und Skulpturen auf, die den Besucher in den Mittelpunkt eines komplexen und widersprüchlichen Geschehens stellt.

Events am Festival

Musikabend, Freitag, 11. April, 20.00 Uhr
Filmabend, Sonntag, 13. April, 20.00 Uhr
beide in der Ausstellung

The Raindrops: www.raindrops-berlin.de


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Tom Gauld (GB) - Artist in residence

Aus wenig viel zu machen, ist eine Kunst. Doch noch schwieriger ist es, aus viel die Essenz herauszudestillieren. Darin ist Tom Gauld ein Meister. Er ist ein aufmerksamer Beobachter unserer Gesellschaft und gesegnet mit einem wunderbar trockenen Humor. Diese Eigenschaften setzt er perfekt in Bild und Dialog um. Herrlich unaufgeregt und spärlich illustriert, zeigt er dem Leser eine Welt, die wir alle zu kennen glauben, aber aus den Augen verloren haben.

Im Hotel Schweizerhof Luzern wird eine Ausstellung eingerichtet, die einen Querschnitt durch das Comic- und Illustrationsschaffen des begehrten Künstlers zeigt. Als Artist in residence wird Tom Gauld aber täglich weitere Bilder und Geschichten zu dieser Ausstellung hinzufügen, die er vor Ort in Luzern zeichnet. Sein Arbeitsort wird dabei der Ausstellungsraum selbst sein und die Besucher der Ausstellung können ihm so bei der faszinierenden Arbeit über die Schulter schauen.

Kurzbiografie

Tom Gauld wurde 1976 in Aberdeen geboren, studierte am College of Art in Edinburgh und am Royal College of Art in London, wo er noch heute lebt und arbeitet.

Bibliografie

Hunter and Painter, Buenaventura Press
Three Very Small Comics, Vol. 1-3, Cabanon Press
Guardians of the Kingdom, Cabanon Press

Event am Festival

Vortrag von Tom Gauld: Donnerstag, 17. April, 16.00 Uhr, stattkino

www.cabanonpress.com


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Matthew Thurber (US) - Crashing

Fumetto zündet eine Kreativbombe des in Europa noch weitgehend unbekannten amerikanischen Künstlers Matthew Thurber. Thurber ist einer der seltenen Zeichner, der eine überbordende Ideenflut ungestraft inkohärent in eine Geschichte verpacken oder auf einem Bild ein absolutes Chaos anrichten kann, ohne dessen Wirkung zu zerstören. Im Gegenteil, jeder Strich sitzt, und man spürt sofort die ungebremste Kreativität und den Spass des Künstlers in seinen absurden Geschichten und Bildern. Er wirbelt Farben, Monster, Satire und historische Begebenheiten schamlos und manchmal bösartig durcheinander und wirft sie in einem lockeren Zeichenstil nonchalant aufs Blatt.

Im Zentrum der Ausstellung steht eine raumgreifende Installation von Thurber, der seine Comics und Bilder gegenüberstehen und mit ihr zu einem atmosphärisch dichten Gesamtbild verschmelzen. Ausserdem wird er seine anarchischen Performances, die Zeichnungen, Musik und Gesang verbinden, in der Ausstellung abhalten.

Kurzbiografie

Matthew Thurber lebt als Comiczeichner und Musiker in Brooklyn. Er zeichnet für Magazine wie The Ganzfeld und Kramers Ergot, spielt Saxofon in der Kultband Soiled Mattress and the Springs und Bariton-Ukulele bei Ambergris.

Bibliografie

Carrots for Girls, PictureBox Inc./The Ganzfeld
1-800 MICE, (Serie), PictureBox Inc.

Event am Festival

Performances in der Ausstellung:
Samstag, 12. April, 16.00 Uhr
Samstag, 19. April, 17.00 Uhr

www.ambiguousmass.org
www.ambergriscomics.com
www.pictureboxinc.com/product/id/19/


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Michelangelo Setola (IT) - Förderplattform Fumetto

Michelangelo Setola ist eines der grössten Talente des europäischen Comics. In der Reihe des Förderinstruments "Erstpublikation" von Fumetto erscheint in der Edition Fumetto Bar Miki, das erste Album des Italieners. Bar Miki ist eine eindringliche Geschichte über Sehnsüchte und Ängste. Setola erzählt in traumhaften Schwarzweissbildern wie einem Stahlarbeiter, der sich in den Gegensätzen der Welt verliert, die Realität entgleitet. Er öffnet dadurch ein faszinierend andersartiges Universum, das die Absurdität des Lebens widerspiegelt.

Michelangelo Setola gewann 2006 den ersten Preis des Wettbewerbs am Fumetto und publizierte seitdem in den wichtigsten europäischen Comicmagazinen, darunter Canicola, Strapazin, Black und Glömp. In der Ausstellung am Fumetto werden die Originale des Künstlers und viele seiner früheren Arbeiten zum ersten Mal in einer grösseren Einzelausstellung gezeigt.

Kurzbiografie

Michelangelo Setola, wurde 1980 in Bologna geboren, wo er an der Accademia di Belle Arti studierte und noch heute lebt und arbeitet.

Event am Festival

Buchvernissage Bar Miki in der Ausstellung: Samstag, 12. April, 17.00 Uhr

www.electrocomics.de/ebook_unterseiten/affenbaum.htm
www.canicola.net


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Hogeschool voor Wetenschap & Kunst Sint-Lucas Beeldende Kunst Gent (BE) - Studierende der Comicfachklasse

Wenn im Zusammenhang mit Comics von der "Belgischen Schule" die Rede ist, weiss man, dass es um hohe Qualität geht und stellt sich Bilder wie aus "Tim und Struppi" vor. Nun stellt Fumetto aktuelle Arbeiten einer realen belgischen Hochschule vor, nämlich Comics von Studierenden der Schule Sint-Lucas Beeldende Kunst Gent.

Sint-Luc in Flandern ist ein traditionsreiches Institut, das schon 1862 gegründet wurde. Tradition und moderne Medien sind in Belgien jedoch keine Widersprüche. Am Sint-Luc unterrichtet beispielsweise der Comiczeichner Ever Meulen, der die Ligne Claire pflegt und sie gleichzeitig revolutioniert hat. Fumetto bietet jedes Jahr einer Abschlussklasse einer ausländischen Kunsthochschule die Möglichkeit, sich mit einer Ausstellung zu präsentieren. Dadurch wird die Vernetzung der eingeladenen Studierenden mit denen der Hochschule Luzern - Design & Kunst gefördert und der jungen Schweizer Szene neue Impulse gegeben. Auch die Zusammenarbeit der beteiligten Hochschulen wird systematisch aufgebaut.

www.kunst.sintlucas.wenk.be
Ever Meulen: www.sparehed.com/category/ever-meulen/


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Quelle:
Medienmitteilung vom 19. Februar 2008
Herausgeber:
Fumetto - Internationales Comix-Festival Luzern
Rössligasse 12, Postfach 5163, 6000 Luzern 5
Tel: 041 412 11 22, Fax: 041 412 11 23
http://www.fumetto.ch
comix@fumetto.ch


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2008