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MARVEL-BROKER/027: Der spektakuläre Spider-Man 21 - Sündenfall


Samm Barnes, Scot Eaton


Der spektakuläre Spiderman (21)

Sündenfall - Sarahs Story (Teil 2 von 2)



Sarahs Story oder Amerikaner in Paris

In der vorangegangenen Ausgabe unternahm Peter Parker eine kleine Reise nach Paris, der Stadt der Liebe, doch es war kein Liebesurlaub mit seiner Ehefrau. Im Gegenteil, die daheimgebliebene Mary Jane war ein wenig beunruhigt zu wissen, daß sich ihr Göttergatte in der Gesellschaft einer attraktiven jungen Frau befand, die das genaue Ebenbild seiner verstorbenen, einst so großen Liebe Gwen Stacy zu sein schien. Die verblüffende Ähnlichkeit war auch kein Wunder, handelte es sich bei der jungen Mademoiselle schließlich um Gwens Tochter Sarah. "Gwen hatte eine Tochter?", wird sich der eingefleischte Fan des Netzschwingers fragen. Und auch Peter wußte nichts davon, bis er durch einen Anruf aus Paris erfuhr, daß seine alte Liebe Zwillinge zur Welt gebracht hatte, eine Tochter und einen Sohn, und daß Sarah sich wegen einer Überdosis an Medikamenten in Behandlung befindet. Peter fühlte sich sofort verantwortlich für sie und reiste umgehend nach Frankreich, um ihr zu helfen, nicht ohne vorher mit Mary Jane darüber gesprochen zu haben.

Während Sarah zunächst Peter noch überzeugt, daß es sich bei ihren Schwierigkeiten um eine Überreaktion ihres Körpers aufgrund eines beschleunigten Wachstums handele, erfährt er später, daß dieser rapide Alterungsprozeß mit unerträglichen Schmerzen einhergeht. Unter denen leidet sie, genauso wie ihr Zwillingsbruder Gabriel - der graue Kobold -, derart furchtbar, daß sie zuerst Medikamente und später auch Drogen zur Schmerzlinderung einnehmen mußte. Die Zwillinge gerieten in die Abhängigkeit der pharmazeutischen Produkte, und da ihnen bald das Geld für die Drogen ausging, stiegen die Geschwister selbst als Kuriere in die Drogenszene ein. Immer tiefer wurden sie in den Sumpf der Kriminalität hineingezogen, bis die Fänge des organisierten Verbrechens zuschnappten: die "Schwarze Hand", der größte Drogenring der Welt, hielt sie fest im Griff.

Die in den USA gebliebene Mary Jane wollte ihren Peter, angesichts der "Gefahren", die überall lauern, dann doch lieber im Auge behalten und reiste ihm heimlich nach. Und in Paris warf auch Peter ein Auge auf jemanden, nämlich seinen Schützling Sarah, und zog aus diesem Grunde, allerdings sehr "widerwillig", in das Anwesen der Stacys ein. Und wie könnte es anderes sein, als daß Mary Jane dort beide in einer eindeutigen Position überrascht - bei einem Kuß. Peter versucht die Situation noch zu retten und gibt vor, Sarah nur getröstet zu haben, worauf MJ nur erwidert: "So nennt man das in Frankreich? Lass mich in Ruhe!"

Das ist aber nicht die erste, nicht die letzte und auch nicht die schärfste Spitze in diesem Heft, die gegen Frankreich und die Lebensart der Franzosen abgeschossen wird. Man könnte meinen, daß der "Kalte Krieg", der seit der illegalen, US-amerikanischen Invasion in den souveränen Staat Irak zwischen den USA und dem koalitionsunwilligen Frankreich herrscht, in dem Medium Comic weiter ausgetragen wird. Ständig wird in diesem Heft ein Vergleich zwischen den Kulturen der US-Bürger und der Franzosen gezogen, wobei die Amerikaner stets die "Tougheren" sind, als da sind Blondchen Sarah, die alleine die gefährliche Verbrecherorganisation die "Schwarze Hand" - Sektion Paris - ausschaltet, oder Spider-Man himself, der den Leuten von Interpol einmal mehr zeigt, was eine Harke ist, und daß er als Sheriff aus Amerika überall das Sagen hat. Aber damit nicht genug. Wieder einmal muß der uralte und dennoch höchstaktuelle Streit in puncto Essen zwischen den anglo-amerikanischen "Hühnerbein-Vertilgern" und den französischen "Froschfressern" herhalten. Auch wird indirekt darauf angespielt, daß die fränzösischen Männer zuviel reden, was eigentlich nur Frauen tun, und daß sogar ihre Aussprache weibliche Züge trägt.

Doch die ganze Verachtung des Autors zeigt sich in der Szene, als Mary Jane, nachdem sie sich mit Peter gestritten hatte und sich von dem Taxifahrer Luc Beldron in einem lauschigen Restaurant an der Seine trösten ließ, über dessen Jacke kotzt, was zweifelsfrei als pauschale Antwort auf die französische Lebensart gedacht war.

Natürlich könnte man auch den Standpunkt vertreten, daß dies doch alles nur eine Form von Humor ist, eine versteckte Liebeserklärung an die Franzosen, hervorgehoben durch die ständigen Frotzeleien untereinander. Doch dann sollte man nicht vergessen, daß Humor durch den Vergleich unterschiedlicher Personen und dessen Lebensbewältigung immer zu Lasten einer Seite geht und das ist bestimmt nicht die eigene. Ein Vergleich zwischen zwei Kulturen dient also nur dem Zweck, die eigene Kultur über die andere zu erheben, mit der Zielsetzung eines Alleinvertretunganspruchs auf Kultur. Deutlich wird dies, wenn bei einem Kulturvergleich gönnerhaft festgestellt wird, daß man von der anderen Kultur "ja noch was lernen" könne. Damit wird nur einmal mehr die vermeintliche Überlegenheit gegenüber diesen "Barbaren" demonstriert. Wie hoch über den anderen muß jemand "schweben", wenn er sich in der Lage wähnt, beurteilen zu können, daß er "ja noch lernen" könne?

So bleibt bei diesem Heft doch ein schaler Beigeschmack, weil sich der Inhalt zu sehr auf das Hervorheben von Unterschieden zwischen Amerikanern und Franzosen konzentriert. Daß jeder Comic die Moralvorstellungen der eigenen Wertegemeinschaft widerspiegelt, ist an sich nicht ungewöhnlich, doch sollte das Medium nicht dazu verkommen, einzig und allein zu Propagandazwecken wie in Zeiten des Krieges zu dienen. Und wenn bei einem Comic dennoch eben dieser Eindruck entsteht, läßt es dann nicht den Umkehrschluß zu, daß die Kriegszeiten keineswegs vorbei sind?

Euer Marvel-Broker


Samm Barnes (Autor), Scot Eaton (Zeichner)
Der spektakuläre Spiderman (21)
Sündenfall - Sarahs Story (Teil 2 von 2)
Panini, Stuttgart, November 2005
52 Seiten, farbig, Softcover-Album
Kleinformat, Euro 3,65