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PORTRAIT/012: René Goscinny - unvergessener Comic-Autor (SB)


René Goscinny

(14.8.1926 - 5.11.1977)


"Sobald er sich an seine Schreibmaschine setzte, war er im Paradies. Bevor er das erste Wort tippte, hob er die Hände in Schulterhöhe und ließ seine Finger genüßlich tanzen, als wollte er sich gleich über eine Leckerei hermachen. In diesen Momenten konnte ihn nichts mehr von seiner Arbeit ablenken!", sagte Albert Uderzo einmal über seinen langjährigen Freund und Arbeitspartner René Goscinny. Millionen von Comic-Lesern ließ Goscinny viele Jahre lang an dieser Arbeits- und Lebensfreude teilhaben und durch seine Ideen einen liebevollen und zugleich ausgesprochen scharfsinnigen Blick auf unsere Welt werfen.

René Goscinny wurde am 14. August 1926 in Paris geboren, wuchs jedoch in Buenos Aires auf, da seine Eltern 1928 nach Argentinien gezogen waren. Dort besuchte er auch das französische Gymnasium und machte sein Abitur. Wie bei vielen seiner Berufskollegen erwachte auch bei Goscinny schon sehr früh das Interesse am Zeichnen, speziell am zeichnen von Comics, was er schon während seiner Grundschulzeit leidenschaftlich gern tat. Seine Vorliebe fiel jedoch niemandem besonders auf und wurde auch nicht weiter gefördert.

1945, nach dem Tod des Vaters, ging Goscinny auf eine Einladung seines Onkels hin in die USA. Dort bewarb er sich bei mehreren Verlagen als Zeichner, blieb aber zunächst erfolglos. Bald darauf mußte er zum Wehrdienst, wobei er sich entschied, ihn für Frankreich abzuleisten. Danach versuchte er weiter, als Zeichner unterzukommen und bewarb sich wiederum bei etlichen Verlagen und Werbeagenturen. Während dieser Zeit übte Goscinny die verschiedensten Tätigkeiten aus, um sich finanziell über Wasser zu halten. Erst durch die Bekanntschaft mit Harvey Kurtzman (dem späteren Gründer des weltbekannten satirischen Comic-Magazins "MAD"), der ihn in seinem Studio mitarbeiten ließ, gelang es ihm, im Comic-Gewerbe Fuß zu fassen.

Von da an ging es steil bergauf. Seine nächsten Stationen waren Anfang der 50er Jahre die Bekanntschaft mit Maurice de Bevère, der schon damals unter seinem Künstlernamen "Morris" die von ihm entwickelte Serie "Lucky Luke" zeichnete, und die Entscheidung, nach Belgien zu gehen, um dort eine Karriere als Comic-Autor aufzubauen und sich dem Erfinden neuer Figuren zu widmen.

In Belgien wurde er ziemlich schnell zu einem der meistgefragten Texter und konnte sich nun die besten Zeichner für eine Zusammenarbeit aussuchen. Goscinny war nicht nur genial, sondern auch ungeheuer produktiv und schrieb im Laufe der Jahre Texte und Szenarien für zahlreiche Serien. Zum Teil übernahm er das Texten von Serien, die der betreffende Zeichner bisher allein gestaltet hatte, wie zum Beispiel "Lucky Luke" von Morris oder "Der kleine Nick" von Sempé, andere Figuren und Serien entwickelte er in Zusammenarbeit mit dem Zeichner neu, wie etwa "Umpah-Pah" und "Asterix" mit Uderzo oder "Isnogud" mit Tabary. Goscinny schrieb außerdem die Texte für "Kasimir" des Zeichners Berckmanns, "Signor Spaghetti" von Attanasio, für Gotlib, Jijé, Tibet und noch viele andere mehr.

1958 begann René Goscinny sich darum zu bemühen, verbesserte Rechtsgrundlagen für Comic-Autoren zu schaffen. Wegen dieses unliebsamen Vorhabens kam er bei einigen Verlagen auf die "schwarze Liste". Davon ließ er sich jedoch nicht weiter beeindrucken und gründete zusammen mit Jean Michel Charlier, Albert Uderzo und Jean Hebrard eine Gesellschaft für Werbung und eine für Comics, die sich für die Rechte von Autoren einsetzten.

Dieselbe Gruppe gründete im Jahr 1959 die Zeitschrift "Pilote", ein Wochenmagazin, das ein durchschlagender Erfolg wurde. Für Pilote schufen Goscinny und Uderzo den weltberühmten Asterix, der mit der Nummer 1 des Magazins erstmals erschien. Auch die Serien "Barbe-Rouge" - "Der Rote Korsar" und "Tanguy et Laverdure" - "Mick Tangy" wurden speziell für Pilote entwickelt. Viele namhafte Zeichner veröffentlichten in Pilote: Gotlib, Tardi, Morris, Brétecher, Druillet und viele andere; bekannte Serien wie beispielsweise "Lucky Luke", "Achille Talon", "Leutnant Blueberry" oder "Valerian" wurden ebenfalls von Pilote herausgebracht.

1960 erkaufte sich der Verleger Georges Dargaud die Rechte an Pilote, ließ den Autoren aber großen Freiraum bei der Gestaltung ihrer Geschichten. Anfang der 70er Jahre verließen viele der Autoren das Magazin, nachdem es verlagsinterne Querelen gegeben hatte; 1974 ging schließlich auch René Goscinny selbst, der bis dahin der Herausgeber und die "Seele" von Pilote gewesen war.

Dem Zeichner Albert Uderzo fühlte sich Goscinny besonders verbunden. Mit ihm ging er einen "Bund fürs Leben" ein. Das Team Goscinny und Uderzo kreierte u.a. "Jean Pistolet" - den Korsar des Königs, "Luc Junior", "La Bibre Belgique", "Benjamin & Benjamin". Und schließlich ging eine der erfolgreichsten Serien der Welt aus der überaus fruchtbaren Zusammenarbeit dieser beiden Spezialisten des feinsinnigen Humors hervor - Asterix, der Gallier.

Asterix trug viel zur allgemeinen Aufwertung des Comic-Mediums bei, denn selbst die strengsten Kritiker kamen nicht an der Tatsache vorbei, daß es sich hier um Qualitätsarbeit handelte. Goscinny, der sich stets um authentische Hintergründe bemüht hatte, vergrub sich für Asterix in die gallische Geschichte und verstand es meisterhaft, die historischen Bezüge auf humorvolle Weise in seine Erzählungen einzubauen. Die Geschichten sind zudem gespickt mit zahlreichen geistreichen und hintersinnigen Bezügen auf die heutige Zeit, beispielsweise zum politischen Geschehen. Wenn man bedenkt, daß man als Nicht-Franzose viele der Anspielungen nicht versteht oder übersieht und schätzungsweise 80% der Wortspiele als nicht übersetzbar gelten, kann man sich vorstellen, was noch an "Schätzen" in den Asterix-Heften verborgen ist.

Am 5. November 1977 starb René Goscinny an den Folgen eines Herzinfarktes, den er sich tragischerweise während eines Belastungstests bei seinem Hausarzt zuzog. Die Lücke, die sein Tod hinterließ, ist auch nach 30 Jahren immer noch zu spüren.

Der rührige Goscinny, der nebenbei auch noch Regie bei Trickfilmen des Hauses Belvision, wie etwa "Lucky Luke" führte, hat sich um den französischen Comic und den Comic allgemein verdient gemacht. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, Preise und Ehrenmitgliedschaften, so etwa den "Prix Gaulois", den "Prix Alphonse Allais" und den "Prix Loisirs-Jeunes". Er war Mitglied der "Akademie für Humor", "Ritter des Ordens für Künste und Literatur" und "Ritter des Nationalen Verdienstordens".

6. Juni 2007