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FRAGEN/008: Museum neu denken - Interview mit dem Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, Johannes Vogel (Leibniz)


Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft 4/2015

Museum neu denken

Interview mit Johannes Vogel, dem Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, von Christine Burtscheidt und Lena Leisten.


Warum Ausstellungen Orte des Experimentes sind und Exponate Besucher emotional berühren sollten. Ein Interview mit Johannes Vogel, dem Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde, dem Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung.


Leibniz: Wann waren Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben in einem Forschungsmuseum?

Johannes Vogel: Mit zwölf Jahren. Das war im Naturwissenschaftlichen Verein Bielefeld.


Was hat Sie fasziniert?

Die Menschen, die dort gearbeitet haben. Ich habe mich gefragt, was treibt die an? Warum beschäftigen die sich mit all diesen komischen Dingen, also getrockneten Pflanzen und toten Tieren. Ich bin aus dem Staunen gar nicht mehr herausgekommen.


Welche Museen besuchen Sie heute noch regelmäßig?

Hauptsächlich Naturkundemuseen, wobei die mit Abstand allerbesten Ausstellungen in Berlin stehen. Das liegt an Uwe Moldrzyk, unserem Ausstellungsmacher. Ich halte ihn für ein Genie. Mir gefallen auch richtig klassische Ausstellungen wie in Wien oder sehr moderne Entwicklungen wie etwa in San Francisco. Dort wurde das Gebäude abgerissen und wieder neu errichtet. Dabei hat man sich genau überlegt: Wie baue ich so, dass ich nicht mit jeder neuen Ausstellung das Gebäude komplett umstrukturieren muss. Ausstellungen muss man vom Kopf her denken können. Deshalb brauchen wir Räume, in denen wir jederzeit Inhalte verändern können.


Die Leibniz-Gemeinschaft zählt acht Forschungsmuseen. Überall finden zurzeit Umbauten statt. Auch bei Ihnen.

Ja, wir haben ganz großes Glück, dass die Stadt Berlin wie auch der Bund und die EU bereits 80 Millionen Euro in die Sanierung investiert haben. Damit sind 25 Prozent der Gesamtkosten gedeckt.


Wann sollen die Umbauten abgeschlossen sein?

Zunächst wird bis 2018 gebaut; bis dahin haben wir Planungssicherheit. Als international sichtbare und global bedeutende kulturelle und wissenschaftliche Einrichtung sind wir hoffentlich 2025-2030 fertig - 40 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung wären dann die Kriegsschäden beseitigt.


An allen acht Forschungsmuseen geht es nicht nur um räumliche Umbauten. Die Frage ist, wie plane ich Ausstellungen so, dass sie für Besucher attraktiv bleiben? Wo vollziehen sich hier die Veränderungen?

In den Köpfen! Vielleicht sollte ich vorausschicken, dass es bei den Baumaßnahmen nicht nur um den Ausstellungsbereich geht. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft sind ja Zwitter: Ausstellungshäuser, aber vor allem national und international bedeutende Forschungs- und Sammlungseinrichtungen. Was mich nach Berlin zog, war ganz klar das unheimliche Potential der Mitarbeiter für Veränderung.

Mir ging es von Beginn an darum, dass sie das, was sie bisher getan haben, auch mal anders denken. Oder wie Gershwin sagt: "It ain't necessarily so". Veränderung ist die Norm und nicht die Ausnahme. Man darf nicht zu große Herausforderungen setzen, aber man darf auch nicht nachlassen, Herausforderungen zu setzen. Darauf müssen sich gerade Forschungsmuseen einstellen. Das ist schwierig, da der Begriff Museum vom Gegenteil ausgeht. Museen gelten als Häuser der Vergangenheit, für mich sind sie jedoch Häuser der Zukunft.


Sind Museen als Orte der Vergangenheit nicht erfolgreich?

Wir haben steigende Besucherzahlen, im Jahr 2015 waren es ganze zehn Prozent, weil wir ein Haus der Zukunft sind; also genau gesagt, seitdem die Ausstellungen von Uwe Moldrzyk, seinem Team und unseren Wissenschaftlern gebaut werden. Die Ausstellungen basieren auf unserer exzellenten Forschung und fordern die Besucher heraus, miteinander ins Gespräch zu kommen.


Was war bisher üblich?

In Naturkundemuseen der alten Prägung wurden Ausstellungen gemacht, die vor allem wissenschaftlich wertvoll sein sollten, gleichgültig wie viele Besucher kamen. Ich denke, beides ist wichtig. In unserem Haus beflügeln wir die Wissenschaft, gleichzeitig kommunizieren wir die Ideen so, dass sie für die Besucher interessant sind.


Lässt sich das Museum der Zukunft in drei Sätzen zusammenfassen?

Es ist das integrierte Forschungsmuseum; also der Ort, an dem Forschung, Sammlung und Kommunikation untrennbar verwoben sind. Die Forschung ist sammlungsbasiert, die Sammlungsentwicklung wissenschaftsgestützt und die Kommunikation wissenschaftsbasiert. Das ist in wenigen Sätzen leicht gesagt, in der Umsetzung aber schwer. Denn dazu muss man sich an Pfründe wagen und Schubladendenken aufgeben. Das tun wir hier.


Kommen auch junge Menschen in Ihr Haus?

Ja, sehr viele. Gestern habe ich zufällig beim Durchqueren unserer Ausstellungen eine Gruppe von 25-jährigen jungen Männern gesehen, die gekommen war, um sich unsere Dinosaurier anzusehen. Mindestens 50 davon im Sauriersaal. Das ist typisch. Sie kommen, weil wir sie nicht bevormunden, sondern ihnen die Möglichkeit geben, ihr eigenes Urteil zu bilden. Aktuelle Umfragen hierzu zeigen: Zwei Drittel der Bevölkerung wissen nicht genug über das Thema Natur, aber genauso viele sagen auch: Wir möchten gerne mehr wissen. Nur, wo können wir uns bilden? Die Rolle von Museen für das lebenslange Lernen ist sehr wichtig; und ich glaube, dass hier bisher das Potential noch nicht ausreichend genutzt wird.


Wie kann ein Forschungsmuseum für Besucher attraktiv sein?

Alles eine Frage der Wissenschaftskommunikation: weniger Objekte, ikonische Objekte, theatralisch inszeniert mit relativ wenig Beschriftung. Die Beschriftung tritt in den Hintergrund, wodurch der Blick unmittelbar auf das Objekt fällt. Und, ganz wichtig, hier wird nicht aus zweiter Hand berichtet, sondern sind die Ausstellungen unmittelbar mit der eigenen Forschung verbunden; authentischer geht es nicht - eben FORSCHUNGSmuseum.


Mit welchen Objekten locken Sie in Ihre Ausstellungen?

(lacht) Naja, seit Weihnachten 2015 mit einem Riesendinosaurier, einem Tyrannosaurus rex, der Zähne lang wie ein Unterarm hat. Die Aufgabe von Wissenschaftskommunikation ist, für Wissenschaft zu begeistern. Und das geht nur über die emotionale Ebene. Dazu müssen Museen Orte des Experiments werden. Keiner weiß doch gegenwärtig ganz genau, was der richtige Weg für einen wissenschaftsgeleiteten Dialog mit der Öffentlichkeit ist. Das ist die Herausforderung, gerade für die Leibniz-Gemeinschaft mit ihren acht Forschungsmuseen, die den Auftrag haben, hier Konzepte zu entwickeln und zu erproben - als Vorreiter für den ganzen Bereich.


Gehen Menschen im Zeitalter der Digitalisierung überhaupt noch ins Museum?

Auf jeden Fall, die digitalen Angebote bringen sogar mehr Museumsbesucher. Ich kann Ihnen jetzt schon versprechen, dass die Leute nicht nach Berlin kommen werden, um auf einem Bildschirm ein 3D-Modell von T. rex zu sehen. Die wollen die echte Killermaschine sehen und anfassen. Das erste ist erwünscht, das zweite leider nicht erlaubt (lacht).


Auf unmittelbare Erfahrung mit der Forschung zielt auch der Kommunikationsansatz "Citizen Science". Ist das die Zukunft?

Die Citizen-Science-Norm in Deutschland heißt, Bürger in wissenschaftliche Projekte einbinden, die die Forscher vorgeben. Letztlich aber geht es um mehr, nämlich wie man mit der Bevölkerung auf deren Interessen stärker eingehen und Projekte gemeinsam entwickeln kann. Was hier gut läuft, ist zum Beispiel das Messen von Luftqualität in Städten über Smartphones. Ein anderes Citizen-Science-Projekt, das bislang nur in Großbritannien oder den USA verwirklicht wird, sind internetbasierte Stadt-Naturführer. Welche Arten gibt es? Wo stehen sie?


Welches Citizen Science Projekt würden Sie gerne in Berlin realisieren?

Wir machen gerade mehr zum Thema Stadt-Natur mit Hilfe des Bundesumweltministeriums. Wir haben in Berlin 360.000 Schulkinder. Zurzeit erreichen wir mit dem Thema 60.000; das sind die, die zu uns ins Museum kommen. Es sollten noch mehr sein, die wissen, dass Natur auch in den Städten vorkommt und was sie für uns alle bedeutet. Gerade auch die neu nach Deutschland Zugewanderten sollten ein Verständnis dafür bekommen. Vielleicht gelingt auch so Integration.


Wo sind die Grenzen der Bürgerbeteiligung?

Dort, wo die Freiheit der Forschung anfängt. Sie ist ein hohes Gut. Forschung darf nicht verboten werden - wird sie aber in Deutschland schon. Denken wir nur an die Debatten über Tierversuche oder Gentechnologie. Dass man Angst vor derlei Entwicklungen haben kann, verstehe ich. Trotzdem darf Wissenschaft nicht verboten werden. Andererseits: Die Kommunikations-Bringschuld für Ideen und Entwicklungen - schon am Anfang, upstream public engagement als Schlagwort - liegt bei der Wissenschaft!


Neu ist die Idee auch, Forschungsmuseum stärker für andere Partner zu öffnen. So schwebt Ihnen in Berlin eine Natur- und Gesellschaftsmeile vor. Was verstehen Sie darunter?

In Deutschland gibt es meiner Meinung nach eine gute Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik. Ähnlich gute Beziehungen könnten aber auch zur Gesellschaft aufgebaut werden. Letztlich stehen doch alle Bildungs- und Forschungseinrichtungen vor ähnlichen Herausforderungen in der Kommunikation, ob das nun das Uni-Klinikum Charité oder die Humboldt-Universität ist. Immer sind es dieselben Fragen: Warum brauchen wir Wissenschaft? Warum Technologie? Auch teilen wir Leibniz-Themen wie Mobilität, Altern, Natur, Digital, Kunst, Physik, Lebenswissenschaften, Biologie mit zahlreichen Partnern hier entlang der Invalidenstraße als zukünftiger Wissenschaftsmeile. Ganz zu schweigen von der Internationalität, die auf dieser Wissenschaftsmeile möglich wird, wenn wir die Bundesministerien an oder nahe der Invalidenstraße als Partner einschließen würden.


Wie wollen Sie solche Partnerschaften realisieren?

Der erste Schritt ist ein Konzept. Das entwerfen wir soeben mit Partnern.


Sie wollen auch Kunstschaffende mit einbinden.

Wissenschaft braucht andere Perspektiven. Gerade die Kunst greift viel früher als andere Bereiche neue gesellschaftliche Strömungen auf. Sie macht oftmals in einer sehr klugen Art Interventionen und hilft uns auf die Sprünge.


Einerseits fordern Sie das projektbezogene, inter- und transdisziplinäre Arbeiten über das Museum hinaus, auf der anderen Seite gibt es die traditionelle Rolle des Kurators, der die Objekte pflegt. Wie passt das zusammen?

Das geht über die Sammlung zusammen, die unsere wissenschaftliche Infrastruktur ist. Wir Museumsleute sollten nicht die Einzigen sein, die das Privileg haben, an dieser globalen unheimlich spannenden Sammlung arbeiten zu dürfen. Es muss eine Öffnung geben für Künstler, Natur-, Kultur- und Geschichtswissenschaftler, Designer, Ingenieure, Bürgerwissenschaftler. Wer weiß, welche technischen Innovationen man auf diese Weise noch aus unseren Sammlungen herausholen kann?


Welche Rolle spielt das Forschungsmuseum in Zukunft, gerade auch in Abgrenzung zu anderen Museen?

Es muss grundsätzlich wieder mehr von der Forschung, der Objektforschung her gedacht werden. Wenn wir Veränderungen möglich machen wollen, wenn wir einen Raum schaffen können, in dem wissenschaftliche und gesellschaftliche Lösungen für die großen globalen Herausforderungen gemeinsam entwickelt werden können, bleiben wir relevant. Dieses gemeinsame Potential der Forschungsmuseen zu heben, muss Aufgabe der Leibniz-Gemeinschaft sein.


Johannes Vogel ist seit 2012 Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin und Professor für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach dem Studium in Bielefeld und Cambridge promovierte er in Genetik und arbeitete ab 1995 am Natural History Museum in London. Dort war er als Spezialist für Moose, Pilze und Farne zuletzt Chefkurator der botanischen Abteilung.

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Quelle:
Leibniz-Journal - Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2015, Seite 38-41
Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Matthias Kleiner
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2016

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