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MEDIEN/136: Hörprogramm für ICE-Strecke Dresden - Eisenach (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 6 vom 27. März 2007

Einmal Kultur hin und zurück, bitte! TU-Geisteswissenschaftler entwickeln Hörprogramm für die ICE-Strecke zwischen Dresden und Eisenach

Interview mit Dr. Ludger Lieb: Anja Bartho


Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Jahr 2007 zum Jahr der Geisteswissenschaften ausgerufen und mit einem Hochschulwettbewerb gestartet. Unter dem Motto "Geist begeistert" waren die geisteswissenschaftlichen Disziplinen deutscher Universitäten aufgefordert, Projektideen einzureichen, wie geisteswissenschaftliche Forschung der Öffentlichkeit nähergebracht werden kann. Mit der Idee, die Kulturlandschaft zwischen Eisenach und Dresden in einem Hörprogramm für Reisende auf der ICE-Strecke zwischen beiden Städten vorzustellen, zählen die Geisteswissenschaften an der TU Dresden zu den Wettbewerbssiegern. UJ sprach mit Dr. Ludger Lieb vom Institut für Germanistik, wo das Projekt initiiert wurde.


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UJ: Herr Dr. Lieb, wie ist die Idee zu dem Projekt entstanden?

DR. LUDGER LIEB: Die Idee ist eigentlich schon älter. Ich pendele seit mehreren Jahren zwischen meiner Familie und der TU Dresden und bin daher viel mit dem Zug unterwegs. Dabei habe ich festgestellt, dass man viel zu wenig über die Dinge weiß, die man dabei sieht, und deshalb keine Beziehung dazu aufbauen kann. Der Hochschulwettbewerb bot den Anlass, diesen Gedanken in ein konkretes Projekt umzuwandeln. Gerade die Strecke zwischen Eisenach und Dresden ist Teil einer reichen Kulturlandschaft mit einer langen Geschichte.

UJ: Was möchten Sie mit dem Projekt, das den Titel "ZUGBILDUNG" trägt, erreichen?

DR. LUDGER LIEB: Zuerst soll das Projekt natürlich dazu dienen, Wissen über markante Reisepunkte entlang der ICE-Strecke zwischen Dresden und Eisenach in einem Hörprogramm zu vermitteln. Gleichzeitig bietet das die Gelegenheit für unterschiedliche geisteswissenschaftliche Disziplinen, sich mit eigenen Beiträgen zu beteiligen und auf diese Weise die Vielfalt der Geisteswissenschaften an der TU Dresden in der Öffentlichkeit vorzustellen. Zum Beispiel sind Beiträge aus der Germanistik, der Technikgeschichte, Musikgeschichte, Kirchengeschichte und anderen Fächern geplant. Natürlich möchten wir damit auch für die Geisteswissenschaften an der TU Dresden werben. Schließlich ist mit der interdisziplinären Zusammenarbeit auch eine integrative Funktion innerhalb der Universität verbunden.

UJ: Wie ist der weitere Ablauf des Projektes geplant?

DR. LUDGER LIEB: Das Konzept ist im Moment noch nicht abgeschlossen. Bisher sind jeweils neun unterschiedliche Hörbeiträge in beiden Fahrtrichtungen geplant. Für einen Teil der geplanten Beiträge gibt es bereits feste Zusagen von einzelnen Fächern, bei anderen Höreinheiten werden noch Partner gesucht. Deshalb sollen die Disziplinen an der TU Dresden nochmals angesprochen werden, auch um weitere eigene Vorschläge für Beiträge einzureichen. Es ist möglich, das Konzept auszubauen, jedoch wird die Länge des Hörprogramms vor allem durch die technische Umsetzung bestimmt. Es ist noch nicht klar, ob CDs hergestellt werden sollen, die allerdings eine begrenzte Speicherkapazität haben und auf Reisen eher zu den Auslaufmodellen gehören, oder ob das Programm als MP3-Datei zugänglich gemacht werden soll.

Der eigentliche "Aktionszeitraum" ist für August und September 2007 geplant, dann soll das Hörprogramm auf der ICE-Strecke verfügbar sein. Doch zunächst steht erst einmal eine Exkursion mit Studenten und Dozenten an, auf der die Strecke abgefahren werden soll. Die Strecke muss gefilmt und es muss dokumentiert werden, wie lange die Reisepunkte im Blickfeld der Reisenden bleiben, sodass "Sehen" und "Hören" optimal verquickt werden können. Wenn die Beiträge ausgearbeitet sind, soll noch ein Begleitheft, der "ZugBildungsPlan", produziert werden. Er soll die Fahrtstrecke abbilden und den Reisenden empfehlen, wann die einzelnen Beiträge abgespielt werden sollten. Außerdem soll er Bilder und Informationen zu den vorgestellten Reisepunkten enthalten und die beteiligten geisteswissenschaftlichen Disziplinen sollen sich selbst vorstellen.

UJ: Wie soll das Verhältnis zwischen Bildung und Unterhaltung einerseits und wissenschaftlicher Darstellung andererseits sein?

DR. LUDGER LIEB: Das Ziel des Hörprogramms soll es sein, die Vielschichtigkeit historischer Tatsachen darzustellen und keineswegs nur einfache Begebenheiten zu schildern. Zum Beispiel soll in einem Hörbeitrag der Sängerkrieg auf der Wartburg problematisiert werden. Dieser angebliche Dichterwettstreit war bereits im Mittelalter eine literarische Fiktion, der der Verherrlichung des thüringischen Landgrafen Hermann I. diente und als Gründungsakt deutscher Dichtung gilt. Darüber hinaus existieren zahlreiche literarische Verarbeitungen dieses Stoffes aus dem 19. Jahrhundert und es soll vermittelt werden, wie man sie auch als Projektionen dieser Zeit interpretieren kann. Natürlich wird es eine Herausforderung sein, die Beiträge pädagogisch aufzubereiten und die Themen sowohl komplex als auch spannend darzustellen.

UJ: Wie soll den Reisenden im ICE das Hörprogramm konkret zugänglich gemacht werden?

DR. LUDGER LIEB: Es ist geplant, dass Studenten und Dozenten selbst mit den Reisenden in Kontakt kommen und die Programme verteilen. Allerdings wird das auf der viel befahrenen und drei Stunden dauernden Strecke in den Zügen kaum möglich sein. Doch an besonders stark frequentierten Tagen und großen Bahnhöfen soll es Infostände geben, an denen das Programm verteilt wird. Auf alle Fälle müssen die Hörprogramme individuell steuerbar sein, da es technisch nicht anders umgesetzt werden kann.

UJ: Können Sie sich vorstellen, dass das Projekt nach dem "Aktionszeitraum" weiter verwertet wird?

DR. LUDGER LIEB: Das ist natürlich vom Erfolg des Projektes und der technischen Realisierung abhängig. Aber es ist denkbar, dass das Projekt kommerzialisiert wird und sich Firmen gründen. Zum Beispiel könnte das Konzept für andere Strecken, Sprachen oder Zielgruppen, wie Kinder, weiterentwickelt werden. Obwohl das Projekt dazu dient, geisteswissenschaftliche Forschung darzustellen, bietet es natürlich auch Anlass für Themen aus anderen Disziplinen, zum Beispiel aus den Ingenieurwissenschaften oder der Landschaftsarchitektur. Wie sind Landschaften entstanden oder wie haben sich Städte entwickelt - all dies sind interessante Fragen. Ich sehe da ein riesiges Feld.

UJ: Durch das Jahr der Geisteswissenschaften und den Hochschulwettbewerb "Geist begeistert" soll die Aufmerksamkeit der Geisteswissenschaften gestärkt werden. Andererseits kann man in Deutschland die Tendenz beobachten, dass nur drittmittelstarke Forschung beachtet und weiter gefördert wird. Wie sehen Sie das aus der Sicht eines Geisteswissenschaftlers?

DR. LUDGER LIEB: Dass bestimmte Fächer besser in der Lage sind, Drittmittel einzuwerben, ist normal. Dies wird erst dann zum Problem, wenn dadurch die Relevanz anderer Bereiche, die wenig oder nicht durch Drittmittel finanziert werden, in Frage gestellt wird. Diese Problematik ist natürlich von öffentlichen Diskursen abhängig, die jedoch leider teilweise irrational geführt werden, zum Beispiel durch die Verwendung von Schlagwörtern wie Internationalität oder Anwendungsorientierung. Die Geisteswissenschaften müssen selbstverständlicher Bestandteil der Universitäten bleiben.

UJ: Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung sollen die Geisteswissenschaften stärker gefördert werden. Wie kann man aus Ihrer Sicht die Geisteswissenschaften am besten stärken?

DR. LUDGER LIEB: Wir erleben im Moment, wie Professoren und Stellen im Allgemeinen gekürzt werden, obwohl die Professoren stark überlastet sind. Es wäre sinnvoll, Professoren wieder stärker für die Forschung freizustellen, indem zum Beispiel wieder mehr Assistentenstellen geschaffen werden. Kontraproduktiv ist dagegen der permanente Zwang, Förderanträge zu schreiben. Häufig können durch die zeitaufwendigen Anträge nur jene Lücken vor allem in der Nachwuchsförderung geschlossen werden, die durch die Kürzung entstanden waren. Wenn man die Geisteswissenschaften stärken will, dann muss man aufhören zu sparen. Generell kann man aber sagen, dass die Geisteswissenschaften in Deutschland immer noch ein relativ gut ausgestatteter Bereich sind. Es kommt allerdings darauf an, ihre Relevanz deutlicher zu zeigen - dafür ist der Hochschulwettbewerb "Geist begeistert" sehr gut geeignet.

Weitere Informationen unter: http://tu-dresden.de/zugbildung


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 18. Jg., Nr. 6 vom 27.03.2007, S. 6
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Tel.: 0351/463-328 82, Fax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2007