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SPRACHE/510: Namen - Mehr als Schall und Rauch (Campus - Saarland Uni)


Campus - Universität des Saarlandes, Nr. 3/4 - Dezember 2007

Namen: Mehr als Schall und Rauch

Von Raven Karr


In der Saarbrücker Zeitung gibt es allwöchentlich eine Rubrik, die gerade zur Welt gekommenen saarländischen Babys gewidmet ist. Was an dieser modernen Form der Geburtsanzeige sogleich auffällt sind die aparten und exotischen Vornamen der neuen Erdenbürger. Ob diese nun trendige Bindestrichnamen wie Emily-Joanne, Mara-Jolie und Luca-Justin tragen oder prägnant und nicht weniger trendy Nele, Fynn und Leon heißen, meist steckt der elterliche Wunsch dahinter, dass ein ganz besonderes Baby auch einen ganz besonderen Namen erhalten soll. Dabei spielt die Bedeutung eines Namens fast überhaupt keine Rolle. Sowohl Namen-gebenden als auch -tragenden ist sie oftmals unbekannt oder einfach egal. Trotzdem sind Eltern derzeit bei der Namenwahl ihrer Kinder so bedacht und kreativ wie niemals zuvor.


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Der Saarbrücker Germanist Prof. Wolfgang Haubrichs, Experte auf dem Gebiet der Onomastik (Namenforschung), erläutert: "Heute sind Wohlklang und Harmonie des Vornamens mit dem Familiennamen die wichtigsten Motivationen werdender Mütter und Väter". Generell gilt: je mehr Vokale ein Vorname enthält, desto wohlklingender ist er. Emilian etwa klingt erhaben und poetisch, jedoch durfte es den meisten Eltern einerlei sein, dass sich der Name von einem bedeutenden römischen Patriziergeschlecht ableitet und soviel wie "der Eifrige" bedeutet. Besonders was die Harmonie von Vor- und Nachname angeht, wird in Zeiten des Vornamen-Exotismus deutschen Eltern manchmal viel Sensibilität abverlangt. Die beiden Glieder sollten eben irgendwie zueinander passen. Es leuchtet daher ein, dass Kombinationen wie Desdemona Stümpfle oder Luna-Marie Fleischhauer den Heranwachsenden nicht gerade zum Vorteil gereichen.


Namen sind wie Bienen im Bernstein

Prof. Haubrichs macht deutlich: "In keinem anderen Land gibt es so viele ausländische Namen wie in Deutschland." Verantwortlich dafür sei natürlich das Trauma der NS-Zeit und damit das schwierige Verhältnis der Deutschen zu ihrer Geschichte. So wurde die Dominanz von Vornamen christlicher und germanischer Herkunft, die bis auf das frühe Mittelalter zurückgeht, nach dem Zweiten Weltkrieg abgelöst von vor allem hebräischen, italienischen, französischen und anglo-amerikanischen Einflüssen. Von letzteren legen all die Peggys, Mandys und Cindys besonders in der ehemaligen DDR ein beredtes Zeugnis ab.

Eine solche Akkulturation, also Begegnung verschiedener Kulturen, beobachtet die Onomastik auch in spätantiker und frühmittelalterlicher Zeit. Haubrichs und seine Kollegen arbeiten gerade an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) seit 2005 geförderten Projekt 'Onomastik und Akkulturation'. Es geht von den Begegnungen der römischen Zivilisation und des Christentums mit den germanischen Gesellschaften im 4. bis 8. Jahrhundert aus. Haubrichs will das bislang ungeklärte Phänomen ergründen, warum sich im Bereich der Namengebung die germanische Tradition durchsetzen konnte, während in den meisten anderen kulturellen Bereichen sich römische und christliche Traditionen etablierten.

Die Vorstellung eines Vor- und Familiennamens existierte in germanischer Zeit nicht. Es herrschte das Prinzip der Einnamigkeit, und es gab lediglich Rufnamen. Trotzdem ist auch bei diesen eine zweigliedrige Struktur erkennbar. Sieg-fried, Ger-hart (ger = Speer) oder Gund-olf (Kampfwolf) verweisen als kriegerische Namen auf die unmittelbare Lebenswelt der germanischen Völker. "Dagegen", erklärt Haubrichs, "kann das römische Namensystem der Spätantike als Innovation gegenüber der bei den indogermanischen Sprachen üblichen Einnamigkeit angesehen werden." Die römische Namengebung, der so genannten tria nomina, bestand aus drei Komponenten: einem Vornamen (praenomen), einem Familiennamen (nomen gentile) und einem individuellen Beinamen (cognomen). Publius Ovidius Naso etwa hieß Publius, gehörte der Familie der Ovidii an und trug ob seiner großen Nase das Cognomen Naso, welches in einer späteren Phase der Republik erblich wurde. Der römische Beiname kann als Vorläufer unseres modernen Familiennamens angesehen erden. Es gibt unzählige solcher Übernamen, die ursprünglich auf körperliche Eigenheiten eines Menschen anspielten, die beispielsweise in Deutschland der auffallend Schlanke Schmeling und der Lockige Krause hieß.

Da das römische Namensystem infolge Recht und Vererbung immer komplexer wurde und regelrechte Namenungetüme von bis zu 40 Gliedern entstanden, ersetzten die Cognomina allmählich Prä- und Gentilnamen, und das System wurde gleichfalls einnamig.

Die germanischen sowie die römischen Namensysteme sind zwar in den Grundlagen erforscht, jedoch fehlen Studien speziell zur Begegnung beider. Hier knüpft Prof. Haubrichs mit seinem Forschungsprojekt an. Er nennt Beispiele für eigentümliche Mischformen, die aus der Akkulturation entstehen. So werden germanische Namen wie Theoderich ("Volksherrscher") zu einem romanischen Theodorico. Oder ein Name, der ganz und gar romanisch klingt wie Dulcialdo entspringt ebenfalls der Begegnung von Latein (dulcis = lieblich) und Germanisch (walda herrschen, walten).

Für die Folgezeit nennt Prof. Haubrichs den Namenschwund und die daraus resultierende Bezeichnungsnot als Grund für die Entwicklung zur Zweinamigkeit mit Vor- und Familiennamen. Die Konzentration von immer mehr Menschen auf immer engerem Raum im Zuge der mittelalterlichen Stadtentwicklung und die damit einhergehende schriftliche Verwaltung machten solche zusätzlichen Differenzierungen in der Namengebung unerlässlich.

Im 12. Jahrhundert, der Hoch-Zeit des Glaubens, als dieser entscheidendste Einschnitt unserer Namengeschichte stattfand, hatten vor allem Heiligennamen Konjunktur. Heute beobachten wir einen ähnlichen Trend - nur dass die Kinder heute nicht mehr Benedikt, Elisabeth oder Antonius, sondern Angelina (Jolie), Justin oder gar Beyoncé heißen. "Promis und Stars sind heute die neuen Heiligen", merkt der Saarbrücker Sprachforscher an.

Haubrichs hat sich nicht nur eingehend mit Personennamen (Anthroponymen), sondern auch mit Ortsnamen (Toponymen) des Saar-Mosel-Raums und des Rheinlandes auseinandergesetzt. An beiden demonstriert er seine Auffassung, dass Namen wie Bienen im Bernstein sind. Namen konservieren längst ausgestorbene Bezeichnungen und verraten einiges über die Geschichte des Landes und der Sprache. Wir vergessen oft, wenn Eigennamen fremd und merkwürdig vor uns stehen, dass sie einmal eine Bedeutung hatten, die sich unmittelbar erschloss. Zum Beispiel leben längst ausgestorbene Berufe in manchen Familiennamen weiter. Haubrichs erwähnt etwa den Namen Gelzleichter, was im Südwesten Deutschlands den Beruf des (Schweine-)Kastrators bezeichnete.

Mitnichten also sind Namen "Schall und Rauch", wie das Goethes Faust nahelegt. Es ist im Übrigen überliefert, dass der Dichterfürst selbst beunruhigt war, dass der auch für seine Sprachforschung bekannte Philosoph Johann Gottfried Herder dem Namen Goethes auf den Grund zu gehen versuchte und dabei offen ließ, ob dieser "von den Goten oder vom Kote" stammte. Namen haben etwas mit der Identität einer Person zu tun. Haubrichs hierzu: "Das ist der Rumpelstilzchen-Effekt: Wer den Namen einer Person kennt, hat acht über sie". Auch werdende Eltern sollten sich ihrer Macht bei der Namengebung bewusst sein. Schmunzelnd nennt Haubrichs das Beispiel eines amerikanischen Arztes, der seine beiden Kinder Gastritis und Meningitis nannte, nicht etwa aus Boshaftigkeit, nein, einzig aus medizinischer Begeisterung. Zum Glück sind die Namengesetze in Deutschland strenger.


Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs ist seit 1977 Professor für Mediävistik und Ältere Deutsche Philologie an der Universität des Saarlandes. Im Mittelpunkt seiner Forschungen stehen neben dem Thema 'Onomastik und Akkulturation', welches er im Rahmen eines DFG-Projektes (SPP) untersucht, unter anderem Siedlungs- und Flurnamen des Saar-Mosel-Raumes, die historische Semantik des Straßen- und Wegewortschatzes sowie die Erstellung eines Wörterbuchs der Deutschen Winzersprache.


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Quelle:
Campus Nr. 3/4, Dezember 2007, Seite 26-27
Herausgeber: Der Universitätspräsident, Universität des Saarlandes
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2008