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BUCHTIP/1023: Elias Bierdel - Ende einer Rettungsfahrt (amnesty journal)


amnesty journal 1/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte


Rettung verboten

Die letzte Fahrt des Flüchtlingsschiffs Cap Anamur.

Von Julia Duchrow

In seinem Buch beschreibt Elias Bierdel die letzte Rettungsfahrt der Cap Anamur im Juni 2004, dem ersten eigenen Rettungsschiff des gleichnamigen Vereins, die sich vor, den Grenzen Europas im Mittelmeer abspielte. Dass Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte e.V wurde 1979 durch die spontane Rettung von vietnamesischen Bootsflüchtlingen gegründet. Zum Zeitpunkt der Aktion im Mittelmeer hatte die Organisation Projekte in Krisengebieten wie Liberia, Afghanistan und Irak unterhalten. Die Rettungsaktion im Sommer 2004 sollte jedoch nicht in fernen Ländern stattfinden, sondern direkt vor Europas Grenzen.

Mit zahlreichen Dokumenten und Bildern versucht Bierdel, die spektakuläre Rettung von 37 afrikanischen Bootsflüchtlingen vor der italienischen Insel Lampedusa in Form eines Tagebuches darzustellen. Die Schiffsbesatzung sichtete am 20. Juni 2004 ein Gummischlauchboot, völlig überfüllt, mit rauchendem Motor und um Hilfe suchenden Menschen an Bord. Die Flüchtlinge hatten kein Wasser mehr und litten an Unterkühlung. Sie sollten noch über drei Wochen auf dem Meer zwischen Lampedusa, Malta und der sizilianischen Küsten hin- und her geschickt werden, bis sie endlich die Erlaubnis zu Landung am 12. Juli 2004 im sizilianischen Hafen Porto Empedocle erhielten. Trotz des durch den italienischen Flüchtlingsrat ausgehandelten Kompromisses wurden die Bootsflüchtlinge in einer Eilaktion abgeschoben. Der Kapitän, Bierdel und ein weiteres Besatzungsmitglied wurden verhaftet.

In der deutschen Presse wurde die Aktion zunächst mit einer wohlwollenden Berichterstattung begleitet. Bald aber wich die Sympathie der Skepsis. Grund waren Zweifel über die Route, die die Cap Anamur genommen haben sollte und über die Herkunft der Bootsflüchtlinge. Viele kamen aus Ghana und nicht aus dem Sudan, wie viele zunächst angebeben hatten. Hinzu kam die Kriminalisierung der Besatzung durch die italienischen Behörden.

Bierdel muss sich seit November vor einem sizilianischen Strafgericht wegen Förderung des illegalen Einschleusens von Ausländern verantworten. Auch der damalige Bundesinnenminister Otto Schily drohte strafrechtliche Ermittlungen an. Er nutzte zudem die Gelegenheit, um seine Idee eines Flüchtlingslagers in Libyen innerhalb der EU voran zu treiben, mit dem Ziel, den Flüchtlingsschutz nach Nordafrika "auszulagern". Damals scheiterte die Idee Schilys unter anderem am Widerstand der neugewählten linken spanischen Regierung.

Bierdel schildert in beeindruckender Weise, welchen Druck die damalige italienische Regierung auf die Besatzung des Schiffes und die Flüchtlinge mit Hubschraubern und Schnellbooten ausübte. Sie wollte ein Exempel auf Kosten der Bootsflüchtlinge statuieren: Wer sich anmaßt, Flüchtlingen in Seenot zu helfen, muss mit Strafen rechnen. Außerdem wurde das Schiff beschlagnahmt und konnte nur mühsam dem Zugiff der italienischen Behörden wieder entzogen werden.

Für Elias Bierdel und die Bootsflüchtlinge ist die Rettungsaktion schlecht ausgegangen. Unabhängig davon macht das Buch vor allem eines deutlich: Die Notwendigkeit eines neuen - nicht auf Abwehr gerichteten - Konzepts für die Aufnahme und Behandlung von Migranten und Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen, das mit menschenrechtlichen Standards vereinbar ist.

Elias Bierdel
Ende einer Rettungsfahrt.
Das Flüchtlingsdrama der Cap Anamur,
Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2006,
232 S., 19,80 Euro


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Quelle:
amnesty journal, Januar 2007, S. 38
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2007