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SF-JOURNAL/034: Akzente... Schreiben - die Arbeit des Schriftstellers (SB)


Schreiben - Notizen zur Arbeit des SF-Autoren


Welcher leidenschaftliche SF-Fan hat nicht schon einmal mit dem Gedanken gespielt, selbst eine technische Idee, eine politische Vorstellung oder eine Gesellschaftsform als schriftliche Vision "in die Zukunft umzusetzen". Wer sogar soweit gegangen ist, dies auch in Angriff zu nehmen, vielleicht damit auf den Bauch gefallen ist und dessen ungeachtet als hartnäckiger Fall und ohne sich in seiner Eitelkeit getroffen zu fühlen, weitergeschrieben hat, der läßt sich auch nicht von den folgenden Ausführungen entmutigen - und hat gute Aussichten, zu den Unverbesserlichen zu gehören.

Sollte der Leser erwarten, hier die entscheidenden technischen Hinweise zu erhalten, die als Geheimrezept auf die Straße des Erfolgs führen, so unterbreche er besser an dieser Stelle, denn ein Weiterlesen wäre Zeitverschwendung. Man kommt um die Mühe, selbst in die Probleme des Schreibens (und in die nicht immer ermunternden Erkenntnisse über Sprache) einzutauchen und sich durchzubeißen, nicht herum!


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Zum Schreiben "habe ich Begabung, das geht mir leicht von der Hand" oder "da fehlt mir die Inspiration, das ist mir zu hoch", sind das wirklich die einzigen Möglichkeiten, an dieses Thema heranzugehen?

Mal ehrlich, bei diesen unscharfen Vorstellungen oder dieser nebulösen Ehrfurcht vor der unerreichbar "hohen Kunst des Schreibens" beläßt man es gerne und fängt gar nicht erst an. Bei aller Verlockung des Erfolgs - der Realist begegnet dem Schreiben mit Argwohn: War das Formulieren nicht schon in der Schule äußerst unbequem? So einfach drauflos zu schreiben war ab einem bestimmten Stand nicht mehr weiterzuentwickeln - die unreflektiert angewendete, ewig gleiche Masche wurde bald durchschaut. Mancher schriftstellerische Höhenflug wird als introvertiert assoziativ und damit wirres Zeug entlarvt. Der Versuch, allein den Regeln und Formen sprachlichen Konsenses zu genügen, von denen man vorher vielleicht sogar keine Ahnung hatte, setzt dem Autoren Grenzen und macht den Text leblos. Die "Berufung" gerät in eine Krise und das Ganze beginnt nach einem kompletten Mißerfolg oder viel Mühe und Arbeit zu riechen.


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Der Glaube daran, "Literatur" aus dem Ärmel schütteln zu können, ist ein sichtbarer Anfängerirrtum. Die ersten Schreibversuche bestehen aus nachgeahmten stilistischen Eigenheiten von Vorbildern, aus einer weiteren Variation bekannter Inhalte oder aus wiedererkennbarem Formenspiel. Nur wenige Autoren sind von Anfang an so erfahren bzw. haben so viel Kenntnisse über die Wirkung ihrer Sprachverwendung, daß sie eine unverkennbar eigene "Handschrift" entwickelt haben. Es gilt zunächst, inhaltliche Richtung, Stringenz, Standpunkt und Stil auszubauen. Damit hat man alle Hände voll zu tun, so daß sich bald die Frage stellt, wie intensiv man sich wirklich mit dem Schreiben befassen will. Beschließt man, ihm alle Zeit zu widmen, kommt bald ein weiterer Konflikt hinzu, mit dem schon Jack London um die Jahrhundertwende gekämpft hat:

"Als Aspirant [in Sachen Literatur, d. Verf.] ist er definitionsgemäß ein auf seine Anerkennung Wartender, also jemand, der beim lesenden Publikum noch nicht angekommen ist. Als Mensch mit leerer Brieftasche muß er sich um seinen Lebensunterhalt sorgen. Als Künstler mit Ambitionen möchte er die Freude seines Herzens in gedruckte Rede umsetzen. Doch hier begegnet ihm das zu überwindende Paradox: Auf welche Weise muß er von der Freude des Herzens singen, damit er von ihrer gedruckten Umsetzung leben kann?"
(aus Jack London: Ein Kapitel schließt, Erzählungen, "Der Aspirant in Sachen Literatur", Frankfurt a.M, Ullstein 1987, 1902 by Jack London, S. 123)

weiter:

"Nun tippt ein künstlerisch ambitionierter Aspirant seine ungesungenen Lieder in die Schreibmaschine, um die Freude des Herzens gegen die Befriedigung seines Magens einzutauschen, um Dauerhaftes zu schaffen und selbst am Leben zu bleiben. Wenn er nicht gerade ein ungewöhnlich begnadeter Künstler ist, wird er schnell herausfinden, daß seine Schreibmaschinenlieder nicht unbedingt die der Zeitschriften sind, daß seine in dauerhafte, künstlerische Form gepreßten Seelenergüsse nicht immer leicht verdaulich sind; kurz, daß die Suche nach einem Ruhmbereiter und Brotgeber erfolglos bleibt."
(Jack London, a.a.O., S. 126)

Auf der Suche nach dem Broterwerb sieht man sich diversen Zwängen unterworfen und paßt sich dem Geschmack und der unterstellten Reaktion einer anonymen Leserschaft an. Was bleibt aber dann noch von dem Anliegen übrig, mitzureden, andere Menschen durch Worte zu überzeugen oder geistreich unterhalten zu können? Daß es eine ständige Herausforderung darstellt, überhaupt mit Worten zum anderen vorzudringen, hat jeder in entscheidenden Situationen schon einmal erfahren. William Voltz, seinerzeit einer der erfolgreichsten deutschen SF-Autoren, drückt dieses Problem als eine Beschwerde in poetischer Form aus: "Louis Armstrong schreibt man den Ausspruch zu: "Wie viel vermag ein Mann mit seiner Trompete zu sagen - und wie wenig mit seiner Feder!" Wie wahr dies in Bezug auf die Unzulänglichkeit von Worten ist [...]" (aus: PERRY RHODAN HEFTROMANE, Nr. 1234: "Piratensender Acheron", Leserkreisseite, Thema: Erscheinung von Heft 1000.) Berücksichtigt man dieses Grundproblem, hat es wenig Zweck, nach dem "Goldenen Schnitt", der richtigen Paßform, der allen Anforderungen standhaltenden Norm für einen Roman oder eine Kurzgeschichte zu suchen, die dann Erfolg garantieren sollen. Genauso wenig sollte man seine Produkte mit den verschiedensten Ansprüchen und Absichten - sogenannten Botschaften - befrachten, es sei denn, man möchte, daß sie nicht ankommen.


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Das Verfolgen ernsthafter Probleme in einer Kurzgeschichte oder einem Roman ist nicht unbedingt unterhaltsam. Von vertrauten Fragen und Themen abzuweichen, wie Science Fiction es tut, bedeutet für den Schreibenden, daß er mehrere Dinge gleichzeitig im Auge behalten sollte. Zum einen stellt sich das Problem, die inhaltliche Aussage sprachlich so zu lösen, daß der Leser bei der Stange bleibt; anspruchsvolle und gleichzeitig unterhaltsame Science Fiction setzt zudem bei diesem ein Verständnis nicht nur für gesellschaftliche Zusammenhänge, sondern auch für Wissenschaft und Technik voraus. Das ist besonders in diesem Genre ein Problem, denn die Leser kommen aus allen Bevölkerungsschichten.

Als Science Fiction-Autor kann man direkten, auch mündlichen Austausch mit seinem Publikum, den SF-Fans, haben. Das bringt Begeisterung und reichliche Ideen für den Inhalt mit sich. Die Probleme sprachlicher Verständigung und sprachlicher Präsentation treten hinter die inhaltliche Auseinandersetzung zurück und werden deshalb unbelastet, solidarisch und technisch diskutiert.

Das sollte eigentlich Ermutigung genug sein, sich nicht von seinem Vorhaben abbringen zu lassen, eine hochentwickelte Gesellschaftsform, die effektivsten Heilmethoden, den irrsinnigsten Raketenantrieb, Abenteuer in den unendlichen Weiten von Raum und Zeit, die düstersten Prognosen sozialer Gewaltverhältnisse nach dem ökologischen Zusammenbruch oder ein Weiterleben der Menschheit ohne ihren Planeten zu entwickeln.


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Akzente
Hinweise auf
- Bemerkenswertes, Erfreuliches und Wissenswertes
- Höhepunkte und Tendenzen in der Entwicklung
- neue literarische Richtungen
- gesellschaftliche Einflüsse


Erstveröffentlichung am 12. April 1998

5. Januar 2007