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SF-JOURNAL/014: Autoren... Michael Moorcock, Provokation "New Worlds" (SB)


Michael John Moorcock, (geb. 1939)


Der Name Michael Moorcock ist das Aushängeschild für die britische Science Fiction der sechziger Jahre und zwar für Protest und Provokation unbequemer jüngerer Autoren, die mit dem Genre neu experimentierten, um die stagnierende Science Fiction-Literatur wieder in Bewegung zu setzen. An letzterem war er als Herausgeber des avantgardistischen SF-Magazins "New Worlds" beteiligt - als Autor hatte er stets eine größere Vorliebe für seine "Heroic Fantasy" mit schwertschwingenden, tragischen Helden, die zwischen den grundlegenden Konflikt der Mächte der Ordnung und des Chaos geraten.

Moorcock führt ein ruheloses Leben. Projekte und Vorstellungen, für die er eine Zeitlang vorbehaltlos lebt, verwirft er wieder und beginnt etwas völlig Neues. Sein Interesse gilt auch der Rock-und Popmusik, er trat als Gitarrist und Bluessänger auf und schrieb Liedertexte. Kurz: Man bezeichnet ihn als eine "schillernde Persönlichkeit".


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Persönliche Daten

Michael John Moorcock wurde am 18. Dezember 1939 in Mitcham, Surrey, England, als Sohn des Ingenieurs Arthur Moorcock und der Direktrice June Nellie Taylor geboren.

Er verbrachte Kindheit und Jugend in London. Zu dieser Zeit wurde die Stadt durch die deutsche Luftwaffe ausgebombt. Der Schrecken und die Eindrücke der Zerstörung finden sich später in vielen seiner Werke wieder. In London ging Moorcock auch zur Schule. Mit dieser strengen Institution konnte er sich nur schwer abfinden, er nennt sie desillusionierend. Um sich abzulenken, verfaßte er selbst Fanzines und Magazine. Sein erstes bekanntes Produkt ist "Outlaw's Own" (1951).

Von 1951 bis 1955 besuchte er, ebenfalls in London, das Attended Pittman's College, das er jedoch ohne Abschluß verließ.

Moorcock beschloß, sich einer künstlerischen Laufbahn zuzuwenden. Es gelang ihm bald, Herausgeber des Comic-Magazins "Tarzan Adventures" zu werden, für das er Sprechblasentexte ersann. An dieses Magazin verkaufte er auch 1957 seine erste selbstverfaßte Fantasy Story, "Sojan the Swordman". Sein Freund und literarischer Agent E.J. Ted Carnell riet ihm, als Nebenverdienst SF-Kurzgeschichten zu schreiben. Schon bald ergänzte Moorcock deshalb seine erste Geschichte um Sojan den Schwertkämpfer um weitere, die in Magazinen wie "Science Fiction Adventures" und "Science Fantasy" veröffentlicht wurden.

Schon 1958 verließ er "Tarzan Adentures" wieder und wurde von 1958 bis 1961 Lektor der Krimi-Taschenbuchreihe "Sexton Blake Library", für die er den Roman "Caribbean Crisis" verfaßte. Während dieser Zeit trat er als Bluessänger auf, spielte Gitarre und sang in verschiedenen Nachtclubs, um sich zusätzlich Geld zu verdienen. Anfang der 60er Jahre entstand auch Moorcocks wohl berühmtestes Werk "Elric von Melniboné", ein Fantasy-Zyklus um den Antihelden "Elric", der von seinem schwarzen Schwert Sturmbringer beherrscht und schließlich vernichtet wird.

Dann gab er vorübergehend das Schreiben auf und reiste als Bluessänger und Gitarrist durch Skandinavien.

1962 kehrte er wieder zurück nach London und heiratete die Journalistin Hilary Denham Bailey, die auch Science Fiction schrieb. Moorcock verfaßte wieder Erzählungen, und 1967 schrieb er "Corum" und den "Runenstab-Zyklus", der neben "Elric" zu seinem Hauptwerk wurde.

1964 wurde ihm durch die Vermittlung Ted Carnells die Übernahme des SF-Magazins "New Worlds" angeboten, das allerdings finanziell kurz vor dem Ruin stand. Moorcock nahm an und blieb lange Zeit verantwortlicher Herausgeber dieser Zeitschrift. Er ergriff die Gelegenheit, dem Genre, das ihn zu dieser Zeit recht unzufrieden stimmte, eine neue, ungewöhnliche Richtung zu geben. Er hatte eine Menge Science Fiction-Literatur gelesen und ihre Schwächen für sich herausgearbeitet, was ihn zu dem Schluß kommen ließ, daß ihre traditionellen Strukturen verändert werden müßten. So ließ Moorcock den Autoren von Anfang an mehr künstlerische Freiheit und förderte ein Interesse, das größeren Wert auf literarische Neuheiten als auf wissenschaftliche Utopien legte. Formal bevorzugte er außergewöhnliche Stilformen, inhaltlich überwarf er sich mit der herkömmlichen gesellschaftlichen Moral.

Schon in der 1. Ausgabe von "New Worlds" erklärte er, eine "neue Literatur für das Raumzeitalter" schaffen zu wollen und förderte Autoren mit unkonventionellen Ideen. Innerhalb kürzester Zeit verwandelte er das konservative Magazin zu einem Forum für alle Bereiche experimenteller Prosa und Lyrik. Nur wenige Stammleser zeigten sich so flexibel, dem neuen Trend zu folgen. Die Auflagezahlen gingen zurück.

Zunächst überbrückte Moorcock finanzielle Schwierigkeiten, indem er Anthologien aus dem Material seiner Autoren herausgab und selbst Fantasy Romane schrieb, deren Gewinn er in "New Worlds" investierte, um Verluste zu decken.

Außerdem hatte er begeisterte Anhänger seiner Ideen unter der jüngeren SF-Autorengeneration. Damon Knight schloß sich zum Beispiel an, und es folgten begeistert Brian W. Aldiss, John Brunner, Charles Platt und die Amerikaner Thomas Dish, John Sladek, Norman Spinrad und Harlan Ellison.

Mit Hilfe der Autoren änderten sich auch zeitweise die bedrohlichen Finanzverhältnisse. Brian W. Aldiss, der die besten literarischen Beziehungen hatte, setzte sich beim britischen Arts Council für "New Worlds" ein und erreichte eine Regierungssubvention für das Magazin.

Als die Autorin und Herausgeberin Judith Merril nach England kam, zeigte sie sich so begeistert von dem "New Worlds"-Experiment, daß sie es auch in den USA verbreiten wollte. Sie nannte diese neue Richtung in der Science Fiction-Literatur "New Wave".

Auch Moorcock schrieb zu dieser Zeit reine Science Fiction. 1965 kreierte er die Geschichten um den ausgeflippten Pop-Helden Jerry Cornelius. Darin verwendete er eine ungewöhnliche Ausdrucksform: Sprachliche Elemente aus der Subkultur von Rock und Pop (stakkatoähnlicher Stil der Rockmusik) verband er mit dem gerade modernen Endzeitthema aus dem Genre. "Jerry Cornelius" beschäftigte die SF-Szene sehr. Auch die anderen Autoren schrieben über ihn, zum Beispiel Norman Spinrad, Brian W. Aldiss und John Harrison. Der Comiczeichner Moebius machte Jerry Cornelius durch seine Comicserie noch einmal berühmt, die im amerikanischen Comic-Magazin "Heavy Metal" erschien.

Ein weiterer reiner Science Fiction-Roman von Moorcock war "The Black Corridor" (1969). Er stellt dort den Traum von der Raumfahrt zu fernen Planeten zynisch in Frage und thematisiert die Raumfahrthysterie, die durch die Mondlandeprojekte der NASA entstanden war.

Inzwischen war "New Worlds" finanziell kaum noch zu halten und Moorcock verlor zu dieser Zeit das Interesse an der Science Fiction. Schließlich gab er das Magazin ab, und Freunde übernahmen es bis zur endgültigen Einstellung 1970.

Moorcock engagierte sich auch musikalisch. Es gelang ihm, die Rockgruppe "Hawkwind" für sich zu gewinnen, die der Science Fiction sehr zugetan war und einige seiner Texte verwendete. Moorcock war ab und zu Gastmusiker bei ihnen. Dann wollte er sich selbständig machen und gründete mit zwei Freunden die Gruppe "Deep Fix". Mit Unterstützung zahlreicher Gastmusiker wurde die LP "The New Worlds Fair" hergestellt (1975), eine Fantasy Platte, die thematisch durch Charaktere und Szenen mit seinen Romanen verbunden ist. Währenddessen schrieb Moorcock auch weiter. Zwischen 1972 und 1975 entstand der Zyklus "Dancers at the End of Time" mit einer Inkarnation von Jerry Cornelius (fünf Bände).

In den 80er Jahren ließ er sich von Hilary Bailey in London scheiden. Es ist ruhig um Michael Moorcock geworden. Er hat seine literarische Tätigkeit indes intensiviert.


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Werke

Moorcocks Stil ist recht eigenwillig. Er empfindet die barocke, verschnörkelte und manchmal auch leicht überladene Schreibweise der Literatur des 19. Jahrhunderts nach. Die Menge seiner Produktion ist beachtlich. Nicht selten sind die Eindrücke des zerstören London Hintergrund seiner Romane. Charakteristisch für ihn ist, so viel Stoff wie möglich in kleinem Umfang unterzubringen.

Sein erster SF-Roman entstand in den frühen 60er Jahren, eine metaphysische Space Opera. Er führt darin den Begriff "Multiversum" ein, ein Universum, das aus einander ständig überlagernden Realitätsebenen besteht, die sich zwar dominieren können, aber niemals ganz auslöschen. In den jeweiligen Halbwelten leben die verschiedenen Abenteurer.

Diese Helden und ihre Konflikte sind alles Inkarnationen des einen "ewigen Helden" unter verschiedenen Namen. Elric von Melniboné, Erekosë, Hawkmoon sind nur einige von ihnen. Sie kämpfen, gelenkt von höheren Gewalten, einen einsamen Kampf gegen Untergang und Zerstörung. Moorcocks Gesamtwerk ist so auf vielschichtige Weise miteinander verflochten, worauf er großen Wert legt.

1968 wurde sein Kurzroman "Behold the Man", eine Zeitreisegeschichte um Jesus Christus, als bester Kurzroman des Jahres 1967 mit dem Nebula Award ausgezeichnet.


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Leseprobe

Hier soll die berühmteste Inkarnation des "ewigen Helden" vorgestellt werden, Elric von Melniboné, von düsterster Verfassung. Er ist der 428. Abkomme des großen Zauberer-Herrschers der Dracheninsel Melniboné, die 10.000 Jahre lang über die Welt herrschte und diese Rolle seit knapp 500 Jahren nicht mehr ausführen kann. Seine Mutter starb bei seiner Geburt, und durch

Beschwörung von Runen und mit Hilfe von Zaubermitteln und seltenen Kräutern hatte man diesen Sohn aufgepäppelt, seine Kräfte wurden künstlich genährt unter Anwendung aller Kniffe, die den Zauberer-Königen Melnibonés bekannt waren. Und so hatte er denn überlebt [...] dank Zauberei und noch einmal Zauberei; von Natur ist er apathisch und wäre ohne seine Drogen an normalen Tagen nicht lange in der Lage, auch nur die Hand zu heben.
(S. 13)

Aufgrund seiner lebenslangen Schwäche liest Elric viel und so kommt es, daß seine Zauberkräfte die seiner Vorfahren weit in den Schatten stellen. Er könnte der Dracheninsel ihre frühere Macht zurückgeben, aber durch sein Bücherstudium stellt er den "Sinn und Zweck der Macht allgemein in Frage [...] ebenso wie seine eigenen Motive" (S. 13). So stellt er für seine Untergebenen ein Rätsel dar und wird von manchen sogar für eine Gefahr gehalten, "denkt und handelt er doch nicht in Übereinstimmung mit ihrer Vorstellung, wie ein echter Melnibonéer [...] denken oder handeln sollte (S. 13)".

Sein Leben ist freudlos und wird begleitet von melancholischer Grundstimmung und tragischen Ereignissen. Das entwickelt sich nicht erst im Laufe des Romans, sondern ist bei der Vorstellung und Beschreibung Elrics schon angelegt:

Es hat die Farbe eines ausgebleichten Schädels, sein Fleisch; das lange Haar, das gut schulterlang herabfällt, ist milchig-weiß. Aus dem schmal zulaufenden schönen Kopf starren schräge Augen rot und bedrückt, und aus den weiten Ärmeln seines gelben Gewandes ragen zwei schmale schlanke Hände, ebenfalls knochenbleich, und ruhen auf den Seitenlehnen eines Sitzes, der aus einem einzigen riesigen Rubin gestaltet ist.

Die roten Augen wirken nervös, und von Zeit zu Zeit hebt sich eine Hand und betastet den leichten Helm, der die weißen Locken krönt..."
(S. 11)

Schließlich geht er an den Intrigen seiner Umwelt und dem Machthunger seiner engsten Vertrauten und Mitstreiter zugrunde.

(aus Michael Moorcock: Elric von Melniboné, Die Sage vom Ende der Zeit, München 1980 [1961/62 by Michael Moorcock])


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Literatur:

* Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Heyne Science Fiction Magazin 5, 1982, München, S. 55 "Michael Moorcock - Sein schriftstellerisches Werk und seine musikalischen Eskapaden", von Joachim Körber

* Alpers, Fuchs, Hahn, Jeschke: Lexikon der Science Fiction Literatur, München 1988, Bd. 1, Heyne-Verlag

* Michael Moorcock: Elric von Melniboné, Die Sage vom Ende der Zeit, München 1980 (1961/62 by Michael Moorcock)


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Autoren
- Persönliche Daten
- neue Akzente für die Science Fiction-Literatur
- Zur Schreibtechnik
- Stellungnahmen zur Science Fiction
in Interviews und Romanen
- Werke mit Auszeichnungen und Verfilmungen
- Leseproben

Erstveröffentlichung 1998

5. Januar 2007