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SF-JOURNAL/017: Geschichtliches... Autorinnen inkognito (70er Jahre) (SB)


Geschichte der Science Fiction

Autorinnen inkognito


Wohl kaum eine Entwicklungsrichtung in der Geschichte der Science Fiction-Literatur ist unter so vielen Aspekten beleuchtet, so heiß diskutiert worden wie das verstärkte Eindringen von Autorinnen in die heiligen Hallen eines bislang von Autoren geprägten Genres in den 70er Jahren.

Was so gerne als "Phänomen", "Erscheinung", "etwas Besonderes" bezeichnet wird, stellt sich als gar nicht mehr so geheimnisvoll heraus, wenn man den Zeitgeist der 70er Jahre noch einmal Revue passieren läßt: Das, was Ende der 60er Jahre zart als Aufbegehren der Frauen gegen ihre gesellschaftliche Unterdrückung begonnen hatte, war zu dieser Zeit schon durch geschickte gesellschaftliche und wirtschaftliche Installation in ungefährliche Bahnen gelenkt und im Keime erstickt. Frauen hatten nun Erfolg damit, sich zu integrieren und zu etablieren, und schon allein durch den Ruf nach Anerkennung der "zweiten Hälfte der Menschheit" und nach Selbstbehauptung und durch radikal klingende Abgrenzungstendenzen konnte eine ganze Bewegung angepaßt und konform gemacht werden - denn sie orientierte sich damit logischerweise am Vorhandenen, am großen Bruder. Diese Entwicklung betraf alle gesellschaftlichen Bereiche, auch die Literatur, nicht nur das Genre der Science Fiction-Literatur.

Frauenliteratur generell ist in der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu einem Etikett geworden, unter dem eine Fülle von sehr unterschiedlichen Texten verkauft wird. [...] Gerade an die Literatur wird die Hoffnung geknüpft, daß sie sich zu einem Medium entwickelt, in dem sich Verständigung über sich selbst und mit anderen vollziehen könne und in dem unterdrückte und verdrängte schöpferische Kräfte von Frauen Ausdruck finden können.
(aus: Metzler Literaturgeschichte)

Damit war die verstärkte Präsens der Autorinnen gleichzeitig in eine Schublade gesteckt oder in eine Ecke gestellt worden. Die schreibenden Frauen beschränkten sich durch das Formulieren von Ansprüchen freiwillig selbst.

Man kann fast so weit gehen zu behaupten, daß der innovative Geist der Frauen für das Genre schon in dem Moment erstickte, als SF- Autorinnen offiziell Beachtung fanden. Vielleicht hatten das diejenigen geahnt, die ihre Geschlechtszugehörigkeit hinter männlichen Pseudonymen oder neutralen Initialen verbargen...


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Vom Wunsch, sich Gehör zu verschaffen bis zur radikalen Provokation

In den 20er und 30er Jahren wurde Science Fiction ausschließlich von Autoren geschrieben. Auch über 90 Prozent der Leserschaft war männlichen Geschlechts. Vor 1948 schrieben nur verschwindend wenige Frauen in diesem Genre. Die Autorinnen konnten nur selten von der Bezeichnung her als Frauen identifiziert werden. Männer hingegen schreiben fast nie unter Frauennamen. Die erste Generation von SF- Autorinnen verwendete männliche Pseudonyme, nannte statt ihrer Vornamen nur Initialen oder der Vorname war zweideutig genug: Andre Norton zum Beispiel war eigentlich Alice Mary Norton, die Bibliothekarin einer Kinderbücherei im Ruhestand aus Cleveland, Ohio; Catherine Lucile Moore gebrauchte C.L., ihre Initialen, und veröffentlichte, als sie mit Kuttner zusammenarbeitete, gar nicht mehr unter ihrem Namen; Leigh Bracketts Vorname konnte sowohl weiblich als auch männlich sein. Joan C. Holly veröffentlichte als J. Hunter Holly, Rachel Cosgrove Payes als E.L. Arch, beide schrieben in den 60er Jahren ein Anzahl Romane.

Mit dem Erscheinen von Judith Merril im SF-Magazin "Astounding" im Jahr 1948 begannen die Frauen, sich in den Magazinen langsam zu erkennen zu geben: Katherine MacLean, 1949, Zenna Henderson, eine Lehrerin aus Arizona im Magazin S&SF, Alice Mary Norton begann nun unter eigenem Namen mit einer Romanreihe. Das war alles noch in den 50er und 60er Jahren vor der öffentlichen Flut von Aktionen für die Gleichberechtigung. Manche Autorinnen hielten sich inkognito, um die Leserschaft nicht schon aus Verachtung vor den weiblichen Fähigkeiten gegen ihre Stories einzunehmen.

Ende der 60er Jahre, verstärkt aber Anfang der 70er lag der Anteil der SF-Schriftstellerinnen an der SF-Produktion bei etwa 10 bis 15 Prozent, der weibliche Anteil an der gesamten Leserschaft bei 10 Prozent. Von nun an änderte sich dieses Verhältnis schnell. Eine "weibliche Welle" setzte ein. Neue Autorinnen wurden nicht nur akzeptiert und bekannt, sondern erhielten auch die begehrten SF- Preise. Außerdem setzten sie dem Genre neue Impulse und leiteten eine qualitative Veränderung ein. Die Frauenbewegung und eine Änderung der Ansichten bei einigen Verlegern, Lesern und Autoren hatten ein verändertes Klima geschaffen. Die Hälfte der eingesandten Manuskripte stammten von Frauen. Ihre Stellungnahme zur traditionellen Science Fiction-Literatur wurde öffentlich diskutiert. Inhaltlich betraf die Veränderung sowohl die Rolle der Frauen in den Romanen als auch die weiblichen Identifikationsmöglichkeiten mit dem Genre. Hier einige Meinungen:

Unsere fehlende Darstellung ist der erste und grundsätzlichste Vorwurf. Darüber hinaus sind die wenigen weiblichen Figuren, die in der Science Fiction vorkommen, nur selten der Erinnerung wert, werden selten außerhalb einer Beziehung zu einem männlichen Protagonisten dargestellt und verhalten sich fast immer so, wie es einem konventionellen Rollenverhalten und sexistischen Vorurteilen entspricht. Wenn wir tatsächlich die Hälfte der Menschheit ausmachen; wenn wir tatsächlich unsere Würde, Bedeutung und Unabhängigkeit haben; wenn wir tatsächlich für die Zukunft eine Alternative haben, dann haben die Frauen das sicher niemals von unserem Bild in der Science Fiction erfahren."
(aus Mary Kenny Badami: Science Fiction aus feministischer Sicht, S. 325 * in H.J. Alpers: Science Fiction Almanach 1981, München)

oder Marion Zimmer Bradley:

Wie viele Frauen, die Science Fiction und Fantasy lasen, zu einer Zeit, als die Leserschaft sich noch zu 98% aus Männern zusammensetzte, stürzte ich mich auf diese Literatur, weil die "Frauenliteratur" mich unendlich langweilte - und es noch immer tut. Ich habe kein Interesse an dem modernen Genre "Frauen-Science Fiction", das nichts anderes darstellt als "Der perfekte Haushalt" mit ein paar eingestreuten Robotern und Computern. Ich glaube, daß Frauen mehr beanspruchen können als hausbackene oder romantische Romane, die sich auf ihre Rollen als Hausfrauen, Verbraucherinnen und Liebesobjekte konzentrieren, selbst wenn diese Bücher "schmackhafter" zubereitet und mit ein paar futuristischen Zutaten gewürzt sind.


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[... zur Hard-tech Science Fiction:] ... ein Genre, das dazu tendiert, die Qualitäten von Figuren und Geschichten zu mißachten und stattdessen das Hohelied der Maschinen und der Vormachtstellung der Technologie zu singen. Ich halte an der Überzeugung fest, daß gute Geschichten sich nicht um Raumschiffe oder technokratische Strukturen oder darauf basierende Gesellschaften drehen, sondern um Menschen und Gefühle.
(aus Marion Zimmer-Bradley in der Einleitung zu: Wolfsschwester, Magische Geschichten II, Fischer Bibliothek, Frankfurt 1986, S. 8 und S. 121)

Beliebte Schwerpunkte in Romanen und Kurzgeschichten, die von SF- Autorinnen geschrieben wurden, waren anarchistische Gesellschaftsformen, die Ehrfurcht vor dem organischen Zyklus von Mensch und Natur, Umweltverträglichkeit einer hochentwickelten Technologie, Betonung der Sinneswahrnehmungen, Analyse des Geschlechterverhältnisses einschließlich Hetero-, Homo- und Bisexualität, künstliche Kinderzeugung, Experimentieren mit neuen Formen des Zusammenlebens. Science Fiction wurde phantasieorientierter und persönlicher.


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Eigene Inhalte

Während Leigh Brackett (eine der populärsten SF-Autorinnen der 40er und 50er Jahre) und C.L. Moore noch dazu neigten, die Konventionen anzuerkennen und gekonnte Space Operas im klassischen Sinne schrieben (C.L. Moore bringt mit "Shambleau" jedoch auch Atmosphäre und Gefühl ins Genre), ist die Prosa von James Tiptree Jr., das heißt Alice Sheldon, zum Beispiel stilistisch ungewöhnlich, aber genauso überzeugend. Bevor ihr Psyeudonym enthüllt wurde, sagte man ihr nach, sie sei der einzige Autor, der es noch mit der Übermacht der Autorinnen in der Science Fiction aufnehmen könne. Niemand ahnte damals, daß sich hinter dem männlichen Pseudonym eine ältere Lady, die Psychologin Alice Sheldon, verbarg, die 1973 und 1976 den Nebula Award und 1974 und 1977 den Hugo Award für ihre außergewöhnlichen Kurzgeschichten gewann. Sie geht davon aus, daß Mann und Frau einander fremd sind. In "Houston, Houston, bitte melden!" (1976) wird das Problem beschrieben, ob Männer bereit sein würden, Frauen als gleichberechtigt anzuerkennen und mit ihnen die Macht zu teilen. Drei Astronauten sind auf die Hilfe von Astronautinnen angewiesen. Jeder verkörpert einen bestimmten Typen: den Macho, den Boss und religiösen Fundamentalisten und den sensiblen Intellektuellen. Keiner bringt es fertig, die Frauen als kompetente Astronautinnen zu sehen. Sie haben entweder nur sexuelle Gewaltanwendung, Eroberung des Schiffes oder logisch-analytische Distanz im Kopf. Bei den drei Männern besteht eine auf Befehl und Gehorsam beruhende Hierarchie, wogegen die Frauen auch ohne Kommandozentrale auskommen und anarchistisch zusammenleben. Ihre Raumfähre ist ein fliegendes Ökosystem.

Ursula K. LeGuin entwirft im "Winterplanet" (1969) zweigeschlechtliche Wesen, die Kinder zeugen und empfangen können. Der Erdgesandte Genly Ai muß sich mit einer geschlechter-, nicht aber geschlechtslosen Gesellschaft auseinandersetzen.

Kate Wilhelm, Vonda McIntyre, Pamela Sargent und Suzy McKee Charnas entwickeln neue Rollen für die Frau.

Joanna Russ schreibt mit ihrem "Planet der Frauen" stilistisch experimentell und sprengt damit konventionelle SF-Formen. Handlungsträgerinnen sind kollektive, repräsentative weibliche Figuren, die eine Idee verkörpern. Die verschiedensten Formen der Unterdrückung werden angesprochen, die geschlechtliche, gesellschaftliche, intellektuelle, die Unterdrückung des Weiblichen in Sprache, Kunst und Geschichte, aber auch die patriarchale Verstrickung der Frauen durch Handlangerdienste, und schließlich ihre Aufklärung und Entwicklung zu freier weiblicher Entfaltung. Die Reaktionen auf ihren Roman waren Betroffenheit und Irritation bei den Lesern und Begeisterung bei den Leserinnen.

Neu in den 70er Jahren waren Joan D. Vinge und Tanith Lee. Während Tanith Lee Fantasy bevorzugte, wählte Joan D. Vinge klassische Science Fiction-Themen aus Naturwissenschaft und Technik, die übrigens viele Autorinnen entgegen ihrem Ruf nicht scheuten. Einige haben eine natur- oder biowissenschaftliche Ausbildung (z.B. Leigh Brackett, Vonda N. McIntyre). Katherine MacLean und Joanna Russ zählten als Schülerinnen zum hochbegabten wissenschaftlichen Nachwuchs. Sie hatten sich über ihre wissenschaftliche Begeisterung Kenntnisse über Science Fiction-Literatur angeeignet und suchten nun eigene Wege.

Ebenfalls in den 70er Jahren wurden bekannt: Elizabeth E. Lynn, C.J. Cherryh, Chelsea Quinn Yarbo, Martha Randall, Ruth Berman, Octavia E. Butler, Carol Carr, Joy Chant, Grania Davis, Miriam Allen DeFord, Phyllis Eisenstein, Suzette Haden Elgin, Katherine Kurtz, Anne McCaffrey, Raylyn Moore, Kit Reed, Lisa Tuttle und nicht zuletzt Marion Zimmer Bradley, die schon in den 60er Jahren Nachahmungen der männlichen Pulps geschrieben hatte und dann mit Romanen begann, in denen Frauen die Hauptrollen spielen. In ihrem erst Anfang der 70er Jahre richtig berühmt gewordenen Darkover-Zyklus entwickelte sie einen ausgeprägten Frauenstandpunkt.


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Science Fiction als Forum der Auseinandersetzung mit Gewalt gegen Frauen?

Die Autorinnen waren offensiv geworden. Ging es anfänglich nur darum, sich überhaupt Gehör zu verschaffen, wurde das Genre für die vielen schreibenden Frauen nun - wie jede andere Literaturform - zum Forum der Ansprüche und der Anklage von Mißständen. Es sollten die Schwächen einer "sexistischen Gesellschaft" aufgedeckt und dadurch eine bessere Zukunft entwickelt werden.

Frauenbewegte Frauen wie Joanna Russ oder Suzette H. Elgin ("Amerika der Männer") und Françoise d'Eaubonne ("Das Geheimnis des Mandelplaneten") verstanden sich nicht mehr allein als "Schriftstellerin", sondern als Vertreterin einer neuen Kultur und Sprache, einer neuen Gesellschaftsdefinition. Und sie wollten mit ihren Werken Veränderungen einleiten.

Ein hoher Anspruch! Er setzt voraus, daß Unterdrückung, Schmerz und Leid ebenso wie Überzeugungen und die Auseinandersetzung mit der Gewaltfrage mitteilbar sind durch schriftliche Darstellung in Romanen und Kurzgeschichten, und daß dieses für die Belange der Frauen Konsequenzen haben kann.

Literatur eignet sich bestens dazu, das Ausmaß der Gewalt zwar sichtbar werden zu lassen, sich aber von den eigenen Anteilen daran distanzieren zu können. Es kann bei einem zustimmenden Kopfnicken bleiben, ohne sich selbst in die Nesseln zu setzen. Ist das die Funktion der Frauenliteratur? Ihr Anliegen, Veränderungen einzuleiten, ist bestenfalls den Schlußfolgerungen, die die Leserin zieht, und auf jeden Fall ihrer Entschlossenheit überlassen, sich dem Problem umfassend und konkret zu stellen und es nicht in die Schublade der Aussichtslosigkeit zu packen.


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Literatur:

1. Wolfgang Jeschke: Das Science Fiction Jahr 1991, München 1991 * Weist die SF von Frauen neue Wege? von Theresia Sauter-Bailliet, S.372

2. James Gunn (Hrsg.): Von Heinlein bis Farmer, Wege zur Science Fiction, Fünfter Band, 1979 by James Gunn, 1989 Heyne Verlag Deutsche Erstausgabe (über Catherine L. Moore und Henry Kuttner und Judith Merril)

3. James Gunn (Hrsg.): Von Ellison bis Haldeman, Wege zur Science Fiction, Siebter Band, 1979 by James Gunn, 1991 Heyne Verlag Deutsche Erstausgabe (* Science Fiction als Gleichnis: Ursula K. LeGuin und * Strittige Fragen und hitzige Debatten, Joanna Russ)

4. Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Heyne Science Fiction Magazin 2, 1982, München * Susan Wood: Die Rolle der Frau in der Science Fiction

5. Wolfgang Jeschke (Hrsg.): Heyne Science Fiction Magazin 3, 1982, München * Interview mit Catherine Lucile Moore, interviewt von Jeffrey Elliot

6. H.J. Alpers: Science Fiction Almanach 1981 - Frauen in der SF, Moewig Verlag, München, 1980 * Nachwort von H.J. Alpers, S. 363 und * Mary Kenny Badami: Science Fiction aus feministischer Sicht, S. 325

7. Marion Zimmer-Bradley in der Einleitung zu: Wolfsschwester, Magische Geschichten II, Fischer Bibliothek, Frankfurt 1986, S. 8

Erstveröffentlichung 1997

6. Januar 2007