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BERICHT/003: "Die Untoten" - Pressegespräch zu Kongress & Inszenierung vom 12.-14.5.2011 auf Kampnagel (SB)


Dem Zweifel und der Kritik die ganze Bühne!

Hortensia Völckers (Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes), Hannah Hurtzig (Künstlerische Leitung Die Untoten), Dr. Karin Harrasser (Wissenschaftliche Leitung Die Untoten), Amelie Deuflhard (Intendantin Kampnagel), Bruce LaBruce (Filmemacher) - Foto: © 2011 by Schattenblick

Einladung zum Pressegespräch: (v.lks) Hortensia Völckers (Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes), Hannah Hurtzig (Künstlerische Leitung Die Untoten), Dr. Karin Harrasser (Wissenschaftliche Leitung Die Untoten), Amelie Deuflhard (Intendantin Kampnagel), Bruce LaBruce (Filmemacher)

Foto: © 2011 by Schattenblick

1967/68 gelang dem südafrikanischen Chirurgen Christiaan Barnard erstmals erfolgreich eine Herztransplantation am Menschen. Kurz darauf sprach sich eine Ad-hoc Kommission der "Harvard Medical School" in Boston dafür aus, künftig den Hirntod als neues Kriterium für den Tod des Menschen festzulegen. Daß diese Todesdefinition im Vorfeld der sich abzeichnenden Entwicklung der Organtransplantationstechniken festgelegt wurde, war sicherlich kein Zufall. Schließlich müssen Organe, die zu einer Transplantation taugen sollen, noch warm sein.

Die zunächst fiktionale Vision von der Machbarkeit des Lebens, von Unsterblichkeit, Lebensverlängerung und -produktion, die als Traum oder Alptraum unsere Filme, Romane, Comics, Feuilletons und Bestsellerlisten mit einem Heer von 'Untoten' bevölkerten, ist in der real existierenden Wirklichkeit längst angekommen. Der Hirntod als biopolitische Setzung des Todes wurde außer in Japan sehr schnell in allen technisch hochentwickelten Ländern in die Gesetzgebung aufgenommen. Wer tot ist, bestimmt seitdem ein Gesetz.

Die eigene Kompetenz werde abgegeben an ein technologisches Konzept, so Hannah Hurtzig, künstlerische Leiterin des Kongresses Die Untoten - Life Sciences und Pulp Fiction beim Pressegespräch auf Kampnagel am 4. Mai. Darin liege auch eine Entrechtung der eigenen Wahrnehmung. In der unmittelbaren Begegnung mit einem sogenannten Wachkomapatienten erlebe man diesen keinesfalls tot: "Er atmet noch, er ist warm, seine Wunden heilen, er wächst noch er hat sogar Reaktionen."

Die schon früh geäußerte Befürchtung, mit diesem Gesetz und unter dem Druck der Nachfrage könnten Menschen früher dem Tod zugeführt werden, findet immer neue Nahrung. Mit der Entwicklung moderner Medizin- und Biotechnologien haben die Fragen: Wann beginnt ein Leben, wann endet es, und vor allem, wer bestimmt darüber? ganz neue Dimensionen erhalten.

Die Kunst des Sterbens, Formen der Kommunikation mit den Toten und Untoten, individuelle Todesrituale, Bestattungskulturen, Möglichkeiten einer ökologischen Verwesung, faktische Beziehungen der Lebenden zu ihren Toten anstelle bloßer Verlustverarbeitungen, praktischer Umgang mit denen, die dem Tode nahe sind, die künstliche Produktion und Reproduktion von Zellgewebe, Präimplantationsdiagnostik (PID), "Frozen Angels" (überzählige Embryonen aus der Reproduktionsmedizin) sind nur einige der Themen, zu denen vom 12. bis 14. Mai 2011 Wissenschaft und Kunst, Theoretiker und Praktiker in Lecuture Perfomances, Experimentalanordnungen, Vorträgen, Filmpräsentationen, Dialogen und Interviews zusammenkommen. Darüber hinaus werden im Alabama-Kino auf dem Kampnagel-Gelände an allen drei Abenden Filme zum Thema gezeigt, von George A. Romeros berühmtem Klassiker "Night of the Living Dead" (1968) bis zum Trash-Kunst-Sex-Film "Otto; or, Up with Dead People" von Bruce LaBruce (2008).

Der kanadische Filmemacher Bruce LaBruce - Foto: © 2011 by Schattenblick

Der kanadische Filmemacher Bruce LaBruce (lks.)
Foto: © 2011 by Schattenblick

Wer will, kann parallel zum Kongress dem kanadischen Filmemacher und Regisseur von Agit-Porn-Zombie-Filmen bei der Arbeit an seinem neuen Projekt "Ulrike's Brain" zuschauen. Mit der Obduktion des Gehirns von Ulrike Meinhof nach dem Tod der RAF-Häftlinge in Stammheim wurde einer Beurteilung der Weg geebnet, die das Denken und Handeln dieser im eigenen Selbstverständnis Revolutionärin auf den Begriff eines krankhaften postoperativen Defektes brachte. Die ebenfalls entnommenen Gehirne der anderen Häftlinge blieben bis heute verschwunden, für immer getrennt von ihren Körpern, die man aus Angst vor möglichen Exhumierungen unter Beton begrub. Ein alter Horrorfilm über das Gehirn Hitlers, in dem versucht wurde, das entkörperte Gehirn Hitlers wiederzubeleben, um dem Dritten Reich doch noch zum Sieg zu verhelfen, habe ihn zu der Spekulation angeregt, ob, würde man dasselbe mit "Ulrike's Brain" machen, es vielleicht doch noch eine Revolution von links gäbe. Das sei Fiktion, so Bruce LaBruce, ihn interessierte die Frage, auf welche Weise solch mythische Figuren untot sind, wie sie durch ihre Ideen und Taten im Bewußtsein Nachkommender, aber auch physisch durch die Existenz ihrer konservierten Gehirne, weiterleben.

Der Kongress bewegt sich zwischen Wissensvermittlung und Kunst, so Kampnagelintendantin Amelie Deuflhard. Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes als Initiatorin des Kongresses, erinnert daran, daß wir alle mit dem Thema früher oder später konfrontiert sind, entweder, weil wir pflegebedürftig sind oder jemanden werden pflegen müssen. Jeder kennt jemanden, der mit Präimplantationstechnik zu tun hat oder von der PID betroffen ist, "irgendwie kommt man mit diesen Life Sciences in Berührung". Deshalb kann man, so Hannah Hurtzig, über das Thema gar nicht zu viel wissen.

"Der Kongress ist ein Ort der Begegnung zwischen verschiedenen Personen und Redeweisen, die aktuell definieren, was noch/schon lebendig und was noch/schon tot ist. Der Bereich dazwischen, eine unübersichtliche Zone des Untoten, wird in den Lebenswissenschaften kontrovers diskutiert und stetig fulminant erweitert. Die Forschungen der Biotechnologie, die Überlegungen der Medizinethik, die Errungenschaften der Transplantationsmedizin und die Zögerhilfen der Philosophie werden an drei Tagen mit den Bildwelten der Popkultur konfrontiert und aufgeladen. An diesen Schnittstellen sammelt der Kongress Erzählungen, Zeichen, Bilder und Chiffren für ein Archiv des Untoten", heißt es im Programm.

Erwartet werden dabei von den Veranstaltern keine Antworten, sondern eher Räume für Zweifel, Fragen und Unwägbarkeiten. Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin Dr. Karin Harrasser, die zusammen mit dem Medizinethiker und Philosophen Dr. Oliver Müller und den Autoren und Filmkritikern Geog Seeßlen und Markus Metz die wissenschaftliche Leitung des Kongresses übernommen hat, verweist darauf, daß der Begriff 'Untote' eine Chiffre für Entitäten darstellt, die sich durch große Erfahrungsarmut und Unkenntnis auszeichnet. "Es geht um Bereiche, in denen eine große Unsicherheit vorherrscht, rechtlich, kulturell, moralisch, symbolisch, ethisch, aber auch ganz praktisch." "Wir werten Leben nur noch nach seiner Produktivität", so Hurtzig, "betreiben eine Kultur der Vitalität, Momente von Stagnation und Unproduktivität bleiben ausgespart." Eine Veränderung der Kulturen hat stattgefunden und damit eine Veränderung des Menschenbildes.

Hortensia Völckers, Hannah Hurtzig, Dr. Karin Harrasser - Foto: © 2011 by Schattenblick

v. lks.: Hortensia Völckers, Hannah Hurtzig, Dr. Karin Harrasser
Foto: © 2011 by Schattenblick

Der Kongress will Nachdenken provozieren, gezielte Desorientierung schaffen, extreme und extrem gegensätzliche Standpunkte und Positionen vorstellen in der Absicht, sie miteinander ins Gespräch zu bringen. "Das ist nichts für Feiglinge", so Hannah Hurtzig. Über 50 Referenten und Mitwirkende haben sich für das Mammutprojekt gewinnen lassen, Gerontologen, Theater- und Filmwissenschaftler, Anwälte, Philosophen, Mediziner, Künstler, Experten für Populärkultur, Ethiker, aber auch, und das war den Veranstaltern wichtig, Praktiker, sprich Pflegende in der Sterbehilfe und in Hospizen und selbst vom Thema unmittelbar Betroffene wie z.B. der HIV-positive englische Dramatiker Mark Ravenhill. Menschen mit den verschiedensten Narrativen kommen zusammen, um miteinander zu diskutieren, nicht in einer Vortragsform, sondern in einem Arbeits- und Schauraum. Hannah Hurtzig, Gründungsdirektorin von Kampnagel, die sich mit ihrem Projekt "Mobile Agentur" neuen Formaten zur Wissensvermittlung verschrieben hat, kreierte dazu ein Filmset, an dem das Untote produziert wird. 'Krankenhaus', 'Labor', 'Friedhof' und 'Kino' fungieren gleichzeitig als 4 aktive Bühnen, auf denen zeitgleich Vorträge, Performances oder Gespräche stattfinden. Jeder Besucher kann sich zwischen den einzelnen Kulissen frei bewegen, er kann sich aber auch mittels eines tragbaren Radios auf 8 Kanälen von jedem Ort des Geschehens aus via Knopfdruck in eine andere Veranstaltung einklinken. Disparates simultan hörbar machen, ist das Anliegen dieser Raumkonzeption.

Überforderung und Orientierungsverlust sind nicht nur riskiert, sondern gewollt. Wem das zu viel ist, dem wird als Teil des Programms eine sogenannte charismatische Beratung angeboten, ein Konzept, das Hannah Hurtzig auch in anderen Zusammenhängen bereits erfolgreich praktizierte. Keine Lebensberatung, sondern Gespräche über die Zombifikation des eigenen Alltags, sei es in Form von Liebeskummer, als 'Erschöpfungszustand im Kapitalismus' oder durch das Zusammenleben mit einem vom Tod gezeichneten Menschen.

In Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule für Medien in Köln und der HafenCity-Universität Hamburg wurden untote Orte in der Hansestadt, "an denen Unerledigtes rumort", sei es historisch oder aus aktuellen gesellschaftlichen oder politischen Konflikten heraus kartografiert, um von den Besuchern aufgespürt zu werden. An 8 sogenannten Drops der Stadt sind USB-Sticks installiert, von denen man sich Geschichte und Geschichten auf den eigenen Laptop herunterladen kann.

Ein gigantisches Projekt, ein "monströses Nebeneinander" wie die Veranstalter es nennen.

Die Untoten wurden von der Kulturstiftung des Bundes initiiert. Einfach war es nicht, so Hortensia Völckers, das Thema dem Stiftungsrat zwecks Förderung nahezubringen. Das sei bei allen Themen so, "die ein bißchen weh tun". Eineinhalb Jahre Überzeugungsarbeit waren nötig, um das Projekt ins Rollen zu bringen. Dabei ist auch die Spannbreite des Themas nicht ganz leicht verdaulich: Was haben Demenzkranke mit Untoten zu tun? Darf man Zombie-Welten parallel zur Problematik von Wachkomapatienten zeigen? Möglichen Empfindlichkeiten haben die Veranstalter Rechnung getragen, indem Sie das Filmset vom eigentlichen Kino wie auch vom Probenraum für das neue Filmprojekt von Bruce La Bruce räumlich getrennt haben. "Wir wollen nicht provozieren", so Hannah Hurtzig.

Die Frage nach dem Übergang vom Leben zum Tod war immer eine Frage, zu jeder Zeit, in jeder Kultur, die mit Unwissen behaftet ist", führt Karin Harrasser aus. Wir leben heute in einem Zeitalter der Vitalität, die eine große Bilderwelt für alles, was mit Leistung zu tun hat, bereitstellt, aber da, wo es stagniert, wo nicht viel passiert, fehlen die Symbole, die Bilder, die Worte. "Vielleicht finden wir gerade im Bereich der Populärkultur neue Bilder, neue Erzählungen und neue Begrifflichkeiten, um besser, präziser und phantasievoller mit dieser Unschlüssigkeit umzugehen." Das sei der eigentliche Ansatz dieser Konferenz, eine produktive Erweiterung der Formen des Nachdenkens und Sprechens über Zwischenbereiche zu finden, Ressourcen für Zögerlichkeiten, die solche Entitäten berücksichtigen. Die Pop-Kultur hat auf manche der Fragen, die Politik und Wissenschaft heute beschäftigen, schon Antworten gegeben, bevor sie gestellt waren.

Damit reproduziert der Kongress eine Inszenierungsform des 19. Jahrhunderts: "die theatralen Wissenschaftspopularisierungen im Zeitalter des Fortschrittsglaubens", heißt es im Programmheft: "Unter dem Motto: 'Wissenschaftliche Erkenntnis als Schock und Erstaunen erfahrbar machen', gestaltete man öffentliche Schauräume, in denen die Aneignung von Wissen zum Moment einer kollektiven Praxis wurde - ein Volkstheater. Damals waren Zweifel und Kritik an der Kontrollierbarkeit von Wissenschaft und Technik und am Aufklärungsgedanken ungeplante Nebenwirkungen: Wir geben ihnen die ganze Bühne."

Weitere Informationen:
www.untot.info
www.facebook.com/dieuntoten
www.untote-orte.de

Bruce LaBruce und Hannah Hurtzig in der noch unfertigen Kulisse des Filmsets - Foto: © 2011 by Schattenblick

Bruce LaBruce und Hannah Hurtzig in der noch unfertigen Kulisse des Filmsets
Foto: © 2011 by Schattenblick

7. Mai 2011