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BERICHT/028: "Die Untoten" - Frühembryonen im Fadenkreuz der Begehrlichkeiten (SB)


Common goods - die Vergesellschaftung der menschlichen Physis im frühesten Stadium


'Schneeflocken', 'Eisbärchen' oder 'Frozen Angels' sind nur einige der Namen für sogenannte kryonisch konservierte Embryonen. So verleihen Mütter, die ihren Kinderwunsch nur über die assistierende Reproduktionstechnik verwirklichen können, ihren Träumen und Hoffnungen Ausdruck. Die beziehungsträchtigen, fast irrational anmutenden Benennungen sind der physisch, psychisch wie sozial verletzlichen Situation betroffener Mütter geschuldet, aber auch dem Unwillen oder Unvermögen, im Zusammenhang mit der Problematik um die Methoden der Reproduktionstechnik Klartext zu reden. Dabei verlangt die Tatsache, daß im Zuge des Verfahrens Embryonen übrig bleiben, in der Konsequenz eine Entscheidung darüber, welcher der Embryonen eine Lebenschance erhält und was mit den übrig gebliebenen geschehen soll.

Auf diesen Punkt der Verwendung fokussiert und dem Rahmen entsprechend der Veranstaltung "Die Untoten" locker präsentiert, sollte das Thema vor dem Hintergrund politisch aktuell diskutierter Gesetzesvorhaben über biotechnischen Fortschritt und seine Anwendung (Präimplantationsdiagnostik und Embryonenschutz) nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier Nutzbarkeitsfelder eröffnet werden, die ganz grundsätzlich die Würdigung von Leben in Frage stellen und neu definieren.

Michi Knecht referiert über Mikroembryonen als 'common good' - Foto: © 2011 by Schattenblick

Michi Knecht referiert über Mikroembryonen als "common good"
Foto: © 2011 by Schattenblick

Für die Sinnhaftigkeit der Verwendung dieser Mikroembryonen als "common good", wie es Michi Knecht in ihrem Vortrag "In Limbo: Das soziale Leben kryokonservierter Frühembryonen" nahelegte, muß kaum noch geworben werden, sucht doch das forschende Gewerbe händeringend und mit immens großem industriellen Potential im Rücken lebenden Stoff für seine Laboratorien, um seine Visionen vom reproduzierbaren Gewebe bis hin zur synthetischen Organzüchtung weiter zu entwickeln. Eine Gesetzeslage, welche die Ziele und ethischen Fragen einer sogenannten Unfruchtbarkeitsbehandlung über etliche Jahre nur mangelhaft reguliert, könnte die Vermutung von beabsichtigter Zurückhaltung seitens des deutschen Gesetzgebers nahelegen. Denn im Schatten der Initiativlosigkeit, die möglicherweise durch die deutsche Vergangenheit geboten erscheint, blieb die rechtliche Lage ungeklärt, bis eine EU-Richtlinie zum Tragen kam. Statt eines von den Bundesländern geforderten Fortpflanzungsmedizingesetzes, das in Ergänzung zum Embryonenschutzgesetz die Erfordernisse der biotechnischen Anwendung regeln sollte, fallen Embryonen und Keimzellen demnach unter den Sachstand der Gewebe. Sie unterliegen somit seit 2007 dem Transplantationsgesetz und dessen nutzbringenden rechtlichen Möglichkeiten.

So verfügte das bislang maßgeblich zuständige Embryonenschutzgesetz (EschG) eine klare Einschränkung der Embryonenanzahl pro Reproduktion in vitro. 'Gewinnbringender' sind aber neue Verfahren, die eine Überzahl von Embryonen produzieren, wie z.B. das zur Zeit favorisierte eSET-Verfahren (elektive Single-Embryo-Transfer), in dem aus einer Reihe von Embryonen durch 'Elektion' nur einer für die Einpflanzung genutzt wird. Die übrigen bleiben zur weiteren Bestimmung frei. Die Begehrlichkeiten nach Verfügung über Humanstoffe seitens der Forschung sind dem Gesetzesgeber bekannt, und somit ist die Frage an dieser Stelle gestattet, inwieweit die Initiativlosigkeit hinsichtlich rechtlicher Regelung nicht diesen Interessen samt ihrer ökonomischen Implikationen zuarbeiten.

Michi Knechts Vortrag befasste sich auf einer überwiegend informellen Ebene mit dem Thema der assistierenden Reproduktion. In ihrer Darstellung sollten die Embryonen als 'common good' eine optimale Verwendung finden. Es sei sinnvoll, einen Ressourcennachschub an Zellgewebe für jene verbrauchsintensiven Forschungszweige wie die Stammzellenforschung mit den ihr angeschlossenen industriellen Verwertungspotentialen zu fördern. Der von Michi Knecht verwendete Begriff 'common goods' gibt also verkürzt das Interesse wieder, das eine Nutzung übrig gebliebener Embryonen als Allgemeingut dem Eigentumsrecht der Mutter vorgezogen sehen will. Grundsätzlich unterstellt die Rechtstradition den Nachwuchs, um den es sich bei der künstlichen Befruchtung zweifelsfrei handelt, dem Verfügungsrecht der Eltern. Die Entscheidung liegt bei ihnen, ob die im Reproduktionsvorgang entstandenen überzähligen Embryonen kryokonserviert einer möglichen Wiederholung des Embryotransfers zur Verfügung stehen oder vernichtet werden. Die Verwendung zu Forschungszwecken ist dabei ausgeschlossen.

Beginnend mit der ersten In-vitro-Fertilisation eines Menschen im Jahr 1968 und dem Hinweis, daß bereits in den 30er Jahren Zellteilungen in vitro, die da allerdings noch instabil waren, geglückt seien, bis zur aktuellen politischen Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID), gab Frau Knecht einen kurzen Einblick in das komplexe Umfeld der 'Frozen Angels-Thematik'. Das Vortragsformat im Rahmen des Kongresses ließ wenig Raum zum ausführlichen Gespräch, aber auch die fragmentierte Darstellung, eine gewisse Überforderung der Zuhörer, dem kulturanthropologischen Blick auf das gesellschaftlich brisante Thema zu folgen und nicht zuletzt die insgesamt weitgehend positionslose Deskription der Problematik mögen dazu beigetragen haben, daß dieser Vortrag bedauerlicherweise nicht zum diskursiven Austausch genutzt wurde.

Als Ethnologin in diesem Wissenschaftsbereich zuhause, erklärte Michi Knecht, die Ethnologie suche nach einschätzenden Kriterien, in welchem kulturwissenschaftlichen Kontext eine Technologie wie die der kryokonservierten Embryonen entsteht, da diese "ja nicht vom Himmel fällt". Dabei entstehe ihrer Meinung nach ein Bedarf zu thematisieren, ob die uns scheinbar klaren Grenzen tatsächlich so klar sind oder ob wir die Prozesse von Leben und Sterben eher künstlich unterscheiden. Wie in anderen Beiträgen des Kongresses bemühte sich die Referentin auch hier um eine Infragestellung gesellschaftlich traditioneller Parameter, die auf einen Wandel von Grundeinstellungen und Werten abzielt: Leben erhalten durch Wegnehmen von Leben wird in dieser Pseudologik zur scheinbar alternativlosen Realität erklärt. Dabei kann man den Eindruck gewinnen, das eindringliche und wiederholte Thematisieren dieses Widerspruchs solle letztendlich eine Akzeptanz dieser Unvereinbarkeit schaffen. In Folge wäre der Boden für die Nutzungsinteressen biologischer Verwertung bereitet, der zuvor mit Tabus versiegelt war.

Michi Knecht über 'Frozen Angels' - Hoffnungsträger nicht nur für Mütter - Foto: © 2011 by Schattenblick

'Frozen Angels' - Hoffnungsträger nicht nur für Mütter
Foto: © 2011 by Schattenblick

Nach Michi Knecht wird mit Lebensbeginn durch IVF (In-vitro-Fertilisation) eine Person geschaffen, die sinngemäß schon da ist, bevor sie selbst sozial in Aktion tritt. Der Begriff 'Frozen Angels' repräsentiert ein weitläufiges Beziehungsgeflecht beteiligter Angehöriger, Eltern, Geschwister, Großeltern, die bereits während des Vorgangs der Reproduktion durch Projektionen, Hoffnungen, Pläne und Erwartungen ein Verhältnis aufbauen. Insofern erzielt das 'unproduzierte' Wesen schon eine 'soziale' Wirkung, bevor ihm überhaupt der formalrechtliche Status einer Person zugesprochen wird. Mit Griff auf kulturanthropologische Deutungsmittel, die in komparativer Weise zur Veranschaulichung genutzt werden, knüpft Michi Knecht an den Begriff 'Limbo' des christlichen Mystikers Thomas von Aquin an. Im Limbus der mittelalterlichen Mystik sind es ebenfalls Wesen, die sich in einem alles entscheidendem Zustand aufhalten, der Tod wie Leben bedeuten kann, ein Ort, wo Säuglinge, die ohne kirchliche Segnung gestorben sind, in einem Schwebezustand bewahrt werden, ungewiß, ob sie zum Himmel aufsteigen oder dem Fegefeuer übergeben werden, 'unfertige' Wesen also, die nicht das Recht einer vollwertigen Existenz haben; vergleichbar dem Embryo im labortechnischen Reproduktionsablauf, über dessen Zukunft noch nicht entschieden ist. Es ist unsicher, ob er weiter existieren kann oder nicht. Der Begriff 'Person' im herkömmlichen Sinn wäre deshalb unangemessen, da dieser ein verfassungsrechtliches Subjektsein mit bürgerlichen Rechten bezeichnet. Eher scheint die passförmige Verwendung dieses Begriffs ein Zugeständnis an vertraute Reflexe sozialen Empfindens zu sein, eine faßbare Brücke zu dieser Technologie, die vielen Menschen Unbehagen bereitet, zu bauen. 'Person' suggeriert, man billige dem Wesen in vitro bzw. im embryonalen Stadium ein kleines Stück gesellschaftlichen Menschseins zu.

Sollte man angesichts des Vortragstitels nach einer Verbindung zur Kongreß-Thematik mit dem Problemkreis von Organentnahme bis Todesdefinition gefragt haben, drängt sich eine vorrangige Gemeinsamkeit bereits im oberflächlichen Ansatz auf: das Interesse an Nachschub lebendigen Menschenstoffs für Forschung und Praxis. Maßnahmen, die eine Ressourcenlage befördern, sind dabei nicht nur auf dem Weg von Gesetzesänderungen zu erreichen, sondern erfordern ebenso die Reorganisation gesellschaftlicher Tabus, damit dort, wo traditionell der 'eigene' Körper noch als natürliches Eigentum empfunden wird, der Umbruch zur individuellen Einsicht in die Verwertungsnotwendigkeit dessen, was man damit gemeint hat, reibungslos vonstatten gehen kann. Der geforderte Gemeinsinn, Zellgewebe zum 'common good' zu erklären, mag manche Frau erleichtern, keine Entscheidung mehr über das aus ihrem Körper generierte Entwicklungspotential treffen zu müssen. Jedoch werden gleichzeitig fundamentale Grundlagen gelegt, die der technologischen Nutzbarmachung des Körpers den Boden bereiten.

Die Verfügung über den lebenden Menschen zu Beginn und Ende seiner Existenz soll medizinischem Nutzen mit Perspektive auf körperliche Ersatzprodukte untergeordnet werden. Nützlichkeitsdenken, gepaart mit dem Rechenkalkül, ein Leben gegen das andere auszutauschen, soll eine Plausibilität eines vermeintlichen Fortschrittdenkens schaffen, das nahezu unausweichlich inakzeptable Folgen nach sich ziehen würde. Schnell befindet man sich dann inmitten einer Argumentation um wertvolleres Leben, das den definitiven Tod eines anderen Lebens rechtfertigen würde.

29. Juni 2011