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BERICHT/032: Gebührenboykott - Strafen und Exempel (SB)


Kreativer Protest für das Recht auf Bildung und die Freiheit der Kunst


Zeichnung mit Aufschrift '750 Euro pro Semester kann ich mir nicht leisten' - Foto: © 2007 by Ray Juster

Künstlerischer Protest gegen Studiengebühren in der HfbK 2007
Foto: © 2007 by Ray Juster

Als in Hamburg der damalige CDU-Senat im Jahr 2007 Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester einführte, waren es allen voran Studierende der Hochschule für bildende Künste (HfbK), die eine Boykottkampagne ins Leben riefen. Daß diese Form praktizierten Protests damals an der HfbK von 60 Prozent der Studierenden unterstützt wurde und eine kleinere Gruppe Betroffener ihren Widerstand bis heute durchgetragen hat, ist bemerkenswert in einer vom Bologna-Prozeß zugerichteten und entpolitisierten Hochschullandschaft. Warum ausgerechnet angehende Künstlerinnen und Künstler an vorderster Front Flagge zeigen, mag nicht zuletzt mit ihrer sozialen Lage im Studium und der Perspektive im späteren Berufsleben zusammenhängen. Zum einen sind sie finanziell besonders belastet, weil sie in der Ausbildung viel Geld für Arbeitsmaterialien ausgeben, zum anderen können sie nach dem Examen nur selten einen gutbezahlten Job erwarten. So belegen Statistiken der Künstlersozialkasse, daß Angehörige dieser Berufsgruppe nach Ablauf einer dreijährigen Berufsanfängerzeit im Schnitt lediglich 10.510 Euro pro Jahr verdienen. [1]

Der sozial wie auch politisch begründete Boykott gegen die Studiengebühren wurde angesichts seiner Hartnäckigkeit und Dauerhaftigkeit zur Zielscheibe heftiger Angriffe seitens der hanseatischen Bürokratie in Hochschule und Verwaltung. Zumindest drängt sich der Verdacht auf, daß das überdimensionierte Kaliber der Sanktionen und die rabiate Eintreibung der Forderungen auch nach Abschaffung der Studiengebühren zum Wintersemester 2012/13 keineswegs nur nüchternem ökonomischen Kalkül geschuldet sind, sondern darüber hinaus ein Exempel statuieren sollen.

Redner neben Projektion 'Studiengebühren verletzen das Menschenrecht auf Bildung' - Foto: © 2008 by Ray Juster

Protestaktion bei einer Rede des HfbK-Präsidenten im Februar 2008
Foto: © 2008 by Ray Juster

So war die HfbK die erste deutsche Hochschule, die auf den Boykott mit Exmatrikulationen reagierte. Sie schloß zeitweise nicht weniger als 269 Studierende aus und schnitt sich dabei so tief ins eigene Fleisch, daß der Deutsche Kulturrat energisch intervenierte. Damit nehme man in Kauf, daß angehende Künstler und Designer der Stadt den Rücken kehren. Hochschulpräsident Martin Köttering, der die Exmatrikulationen verschickt hatte, bezeichnete dieses Vorgehen als "gravierenden Einschnitt, dessen Folgen sowohl den künstlerischen Nachwuchs für die Metropolregion Hamburg als auch Studium und Lehre an der HfbK über Jahre maßgeblich beeinträchtigen" würden. Das Hochschulgesetz zwinge ihn zu diesem Schritt.

Die damals regierende CDU zeigte sich jedoch unerbittlich, und so gab die Behörde von Wissenschaftssenator Jörg Dräger die Devise aus: Wer nicht zahlt, der fliegt. Der Hochschulexperte Wolfgang Beuß erklärte: "Die verbleibende Möglichkeit, die Studiengebühren in Hamburg wieder abzuschaffen, wird es mit der CDU nicht geben." Längst sind die erfolgreich angefochtene Exmatrikulation, der CDU-Senat und selbst die Studiengebühren Schnee von gestern, was jedoch nicht bedeutet, daß man die Boykotteure ungeschoren davonkommen ließe. Es zeichnet sich vielmehr eine Kontinuität der administrativen Räson über Parteigrenzen hinweg ab.

"Studiengebühren sind sozial ungerecht und in Deutschland mittlerweile zum Auslaufmodell geworden." Dieser Aussage der Hamburger Wissenschaftssenatorin Dr. Dorothee Stapelfeldt (SPD) wäre nichts hinzuzufügen, versuchten nicht die Hochschule für bildende Künste (HfbK) und andere Hochschulen nach wie vor, von ihren Studierenden und ehemaligen Studierenden die nicht bezahlten Studiengebühren und auch die gestundeten Gebühren, die zwischen 2007 und 2012 erhoben wurden, einzutreiben. Dabei schreckt insbesondere die HfbK nicht vor Vollstreckungsmaßnahmen oder deren Androhung zurück. In Vertretung all jener aktuellen oder ehemaligen Studierenden, die die Studiengebühren boykottiert haben, schickten die Anwälte des AStA der HfbK im Februar einen Antrag auf Niederschlagung aller Nachforderungen an die zweite Bürgermeisterin Stapelfeldt, der Ende Februar jedoch lapidar abgelehnt wurde. Nun hat der AStA der HfbK erneut einen offenen Brief an Stapelfeldt verfaßt. [2] Die Partei Die Linke unterstützt dieses Anliegen mit einem Antrag auf ein Mediationsverfahren und die Aussetzung der Vollstreckungsmaßnahmen bis Ende 2014, der am 10. April 2014 in der Bürgerschaft eingereicht wird.

Daß Vollstreckungsmaßnahmen zum Einzug von Bildungsgebühren ein äußerst fragwürdiges Mittel sind, liegt auf der Hand. Sie stellen insbesondere bei finanziell schlecht gestellten Studierenden eine unbillige Härte dar, und das betrifft die überwiegende Mehrzahl der Absolventen der HfbK. Viele von ihnen werden dennoch durch Mahnschreiben und Besuche des Gerichtsvollziehers unter Druck gesetzt. Zudem wurden bereits mehrfach Kontenpfändungen und Schufaeinträge veranlaßt. Selbst wenn die Unpfändbarkeit der Forderungen festgestellt wird, kann die Eintragung ins Schuldnerverzeichnis zu Konten- und Kreditkündigungen führen, wie auch der Zwang, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, mit dem Ende der Geschäftsfähigkeit auch mögliche Zukunftschancen entsorgt.

Daß Politik und Verwaltung gar nicht anders handeln können, weil sie an geltende Gesetze gebunden sind, ist eine Schutzbehauptung, die offenbar die zugrundeliegende Interessenlage verschleiern soll. So heißt es in § 4 Absatz 2 der Studiengebührenverordnung, daß die Forderung früher niedergeschlagen werden kann, "wenn feststeht, dass die Einziehung keinen Erfolg haben wird, oder wenn die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen (...)". Das ließe zumindest Spielraum für einen Schlußstrich unter die Altlasten, wenn er denn politisch gewollt wäre. Auch fällt auf, daß im Falle der HfbK im Unterschied zur Universität Hamburg noch nicht abgelehnte Widersprüche augenscheinlich keine aufschiebende Wirkung haben.

Transparente '2007-2013 Boykott: 540.000 Euro offen' und 'Wir zahlen es nicht' - Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de

Gegen die Nachforderung bei der Jahresausstellung der HfbK 2013
Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de

Achterbahnfahrt der Bundesländer bei den Studiengebühren

Ob Studiengebühren vom Grundsatz her überhaupt internationalen und nationalen Richtlinien entsprechen, ist eine Frage, die noch einer endgültigen rechtlichen Klärung harrt. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den auch Deutschland unterzeichnet hat, fordert im Sinne des Rechts auf Bildung, daß "der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muß" (Art. 13.2.c). Das Hochschulrahmengesetz (HRG) des Bundes schloß allgemeine Studiengebühren aus. Gegen dieses im Jahr 2002 novellierte Gesetz klagten die unionsgeführten Bundesländer, die darin einen unzulässigen Eingriff des Bundes in die Gesetzgebungskompetenz der Länder im Kultusbereich sahen. Das Bundesverfassungsgericht gab den klagenden Ländern am 26. Januar 2005 dahingehend Recht, daß ihnen der Bund nicht verbieten kann, Studiengebühren zu erheben.

Nach der Urteilsverkündung wurden in sieben Bundesländern Gesetze zur Einführung allgemeiner Studiengebühren verabschiedet. Da diese Gebühren jedoch heftige Proteste der betroffenen Studierenden auslösten und der Opposition ein willkommenes Angriffsziel bei Landtagswahlen boten, bröckelte die Front der Befürworter binnen weniger Jahre. Vorreiter der Umkehr war Hessen, wo die Gebühren mit Wirkung vom 1. Juli 2008 wieder abgeschafft wurden. Nach diesem Dammbruch in der bundesweit ohnehin nie geschlossenen Front folgte ein Rückzieher nach dem anderen, bis schließlich auch Bayern die allgemeinen Studiengebühren zum Wintersemester 2013/2014 abschaffte und als letztes Bundesland Niedersachsen entschied, ab dem Wintersemester 2014/2015 ebenfalls einen Schlußstrich zu ziehen.

In Hamburg, das im Gegensatz zu Schleswig-Holstein Studiengebühren einführte, forderte man diese bereits im Sommersemester 2004 von Studierenden ein, die nicht in der Region Hamburg wohnten oder die Regelstudienzeit deutlich überschritten hatten. Diese umstrittene Regelung wurde im Frühjahr 2005 nach einer Klage vorübergehend ausgesetzt. Die vom CDU-geführten Senat beschlossene Einführung eines allgemeinen Beitrags von 500 Euro pro Semester für alle Studierenden war ursprünglich für das Sommersemester 2006 geplant, trat aber erst zum Sommersemester 2007 in Kraft.

Im Juli 2007 kam es zu dem bereits genannten Eklat, als an der HfbK die Hochschulleitung auf Druck von Wissenschaftssenator Jörg Dräger mehr als die Hälfte der angehenden Künstlerinnen und Künstler exmatrikulierte, weil diese sich am Boykott beteiligten. Im April 2008 kündigten die beiden künftigen Regierungsparteien CDU und Grün-Alternative Liste an, ein neues Studienbeitragsmodell ab dem Wintersemester 2008/09 einzuführen, nach dem die Studierenden künftig nur noch 375 Euro zahlen müßten und die Zahlung erst ab einem Jahresgehalt von 30.000 Euro, also in der Regel nach dem Studium, erfolgt.

Im April 2011 entschied die allein regierende SPD, die Studiengebühren zum Wintersemester 2012/2013 abzuschaffen. Die fehlenden Einnahmen wurden vollständig kompensiert. Als Begründung für die Abschaffung der Studiengebühren wurde insbesondere der Nachteilsausgleich von sozial schwächeren Bewerbern genannt.

Bilder und Artefakte in Rosa - Foto: © 2008 by Ray Juster

PINK-Boykottinstallation in der HfbK 2008
Foto: © 2008 by Ray Juster

Wie der offenkundige Wankelmut der Länderregierungen in Sachen Studiengebühren dokumentiert, war deren Abschaffung dem opportunistischen Kalkül geschuldet, im Zank um Wählerstimmen die Gezeiten der öffentlichen Meinung erfolgreich zu bedienen. Insbesondere aber galt es, dem zeitweise hohe Wogen schlagenden Protest gegen diese sozial unerträgliche Demontage des im Munde geführten Bildungsanspruchs Zügel anzulegen, bevor er sich politisierte und die vom Bologna-Prozeß zwangsdiktierte Bildungspolitik als solche aufs Korn nahm. Der Verzicht auf Studiengebühren ist daher nicht mit einem grundsätzlichen Sinneswandel zu verwechseln, der die soziale Frage der Studierenden, das Recht auf Bildung für alle oder gar ein emanzipatorisches Lehren und Lernen auf die Tagesordnung setzte. Im mit aberwitzigen Großprojekten für die gesellschaftlichen Eliten ohnehin überfrachteten Haushalt der Hansestadt nimmt sich die nicht länger in Anspruch genommene Campusmaut wie ein Bauernopfer aus, das man zur Befriedung des Unmuts den pseudokritischen Medien in den Rachen wirft, auf daß sie vorverdaute Meinungsbildung aussondern.

Die Befürworter des Gebührenboykotts an der HfbK nutzten kreativ ihre Neigung und die Werkzeuge ihres Metiers, um den Protest mit künstlerischen Mitteln an die Öffentlichkeit zu tragen. Sie gestalteten Aktionen an der Hochschule und in der Innenstadt, die weithin wahrgenommen wurden und sich zeitweise bundesweiter Aufmerksamkeit erfreuten. Das mag den Ingrimm erklären, mit dem die Hochschulleitung unter massivem Druck des Hamburger Senats die administrative Zwangsjacke für die Boykotteure schnürte. Diese sahen sich zudem diversen Spaltungsversuchen ausgesetzt, die mittels Senkung oder Stundung der Gebühr vorgaukelten, das Ärgernis sei damit aus der Welt geschafft.

Wie wohl immer bei solchen Protestkampagnen stehen deren entschiedenste Protagonisten vor dem Problem, daß die anfängliche Entrüstung vieler Unterstützer auf die Dauer nicht allzu weit trägt und sich vor allem am Abwenden individueller Nachteile bemißt. Zudem droht der lange Atem der Administration die kürzere Taktfolge studentischer Ausbildungsetappen zu übervorteilen, da die Mühlen der Verwaltung im Bedarfsfall langsam, aber unerbittlich mahlen, während das Feuer des Aufbegehrens längst erloschen ist. Daß der Boykott allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz dennoch seit sieben Jahren von einer kleinen, aber entschiedenen Gruppe ehemaliger oder aktueller Studierender vor allem der HfbK durchgetragen wird, sollte zu denken geben. Dies erinnert daran, daß die Zwangsvollstreckungen nicht vom Tisch sind. Es zeugt von einem Widerstandsgeist, den selbst der durchregulierte Hochschulbetrieb nicht endgültig ausgemerzt hat. Und nicht zuletzt bestreitet dieses Beispiel die Notwendigkeit, das Hauen und Stechen des universitären Selektionsregimes wie auch den Dampfkessel unausgesetzter Zeitnot und verschulter Überforderung mit Wissenserwerb und Menschenbildung zu verwechseln.

Grafitti 'Nur zur Erinnerung' - Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de

Mahnung an der Wand des Präsidentenbüros
Foto: © 2013 by LL - Schattenblick.de


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/gebuehrenboykott-deutscher-kulturrat-kritisiert-rauswurf-der-kunststudenten-a-494355.html

[2] http://www.hfbk.de/


Bisherige Beiträge zum Thema Boykott der Studiengebühren im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → TICKER:

CAMPUS/001: Offener Brief - versprochen, gebrochen ... 1 (AStA HfbK, GEW Hamburg, Kanzlei 49)
CAMPUS/002: Offener Brief - versprochen, gebrochen ... 2 (AStA HfbK)

7. April 2014