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INTERVIEW/025: Suchmaschine - Ein Recht auf Revision ...    Prof. Dr. Johannes Caspar im Gespräch (SB)


Digitale Schattenwürfe

SUMA-EV-Kongreß am 11. Februar 2015 in Hamburg


Der Jurist Prof. Dr. Johannes Caspar ist seit dem Jahr 2009 der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit. Zuvor war er seit 2002 Stellvertretender Leiter des Wissenschaftlichen Dienstes im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Auf dem Kongreß zum Thema "Das Internet im Zeitalter von Überwachung und Manipulation - Der Offene Web-Index und andere Gegenmittel", den der SUMA-EV und die Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW), Department Information, am 11. Februar durchführten, referierte Caspar in der zweiten Keynote über "Vergessen im Maschinenzeitalter? Regulierung des Internets vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zu Google-Spain".


Johannes Caspar vor Projektion mit Vortragstitel - Foto: © 2015 by Schattenblick

Foto: © 2015 by Schattenblick

In einem Rechtsstreit zwischen der spanischen Datenschutzbehörde auf der einen und Google-Spain sowie Google Inc. auf der anderen Seite fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 11. Mai 2014 ein Urteil, das nach den Worten des Referenten als ein Paukenschlag für die Rechte Betroffener im Internet zu bezeichnen ist. Ausgangspunkt war eine 1998 geschaltete Anzeige in einer spanischen Tageszeitung, in der unter dem Namen des Beschwerdeführers auf die Versteigerung seines Grundstücks infolge nicht gezahlter Sozialversicherungsbeiträge hingewiesen wurde. Wann immer man den Namen des Betroffenen in die Suchmaschine eingab, war er über diese Veröffentlichung auffindbar. Da ihn das störte, wandte er sich zunächst an die spanische Datenschutzbehörde, um gegen die Zeitung selbst vorzugehen, was jedoch erfolglos blieb. Daraufhin nahm er Google-Spain und Google Inc. juristisch in Anspruch, dem stattgegeben wurde. Google ging vor die Verwaltungsgerichte, die wiederum eine Vorlage an den EuGH machten, der schließlich zu dieser Frage entschied: Google hat die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um personenbezogene Daten aus dem Index zu entfernen und den Zugang zu diesen Daten in Zukunft zu verhindern. Weder Google noch der Rest der Internetbranche hatte ein Urteil von derart weitreichenden Konsequenzen erwartet.

In der Vergangenheit konnten sich Betroffene nur direkt an die Quelle wenden, die die ursprüngliche Information ins Netz gestellt hatte. Der Anspruch war jedoch aus verschiedenen Gründen schwer durchsetzbar, da die Quelle oftmals nicht auffindbar oder aber nicht bereit war zu löschen, wofür es wiederum gute Gründe geben mochte. Häufig wurde die Presse- und Meinungsfreiheit ins Feld geführt, und der Betroffene mußte zudem nachweisen, daß falsche Tatsachenbehauptungen gemacht oder beeinträchtigende Werturteile abgegeben worden waren. Auch mußte er den zivilrechtlichen Weg beschreiten, was mit Anwaltskosten verbunden war. Google als Intermediär zog sich auf die Erklärung zurück, für die betreffende Information nicht verantwortlich zu sein. Nur in Fällen wie Urheberrechtsverletzung, Volksverhetzung oder Kinderpornographie löschte der Suchmaschinenbetreiber, ansonsten war ein entsprechender Antrag so gut wie aussichtslos. Das EuGH-Urteil eröffnet hingegen den Weg, direkt gegen den Intermediär vorzugehen, ohne dies wie beim Anspruch gegen die Quelle inhaltlich begründen zu müssen.

Das Urteil des EuGH ersetzt die Gnade des Vergessens durch ein Recht auf Vergessenwerden, das aus schwerwiegenden, nicht selten aber auch trivialeren Gründen in Anspruch genommen wird. Entgegen der offenbar weit verbreiteten Annahme, dadurch würden Inhalte verändert, geht es ausschließlich um die Löschung der Verlinkung des eigenen Namens mit einem bestimmten Bericht. Nach einer gewissen Frist von vielleicht zehn oder fünfzehn Jahren soll bei der Namenseingabe nicht mehr automatisch der Bericht als Suchergebnis auftauchen. Daß der Bericht als solcher weiter im Internet bleibt und irgendwo verlinkt wird, kann man damit nicht verhindern.

Da sich der Hamburger Datenschutz deutschlandweit mit Google und Facebook befaßt ist, laufen dort die Löschanträge für Google ein. Google hat in Deutschland eine Marktdurchdringung von etwa 90 Prozent und damit mehr als in den USA. Demgegenüber nimmt sich die Zahl der Löschanträge recht moderat aus. Bislang wurden nach Angaben des Referenten in Europa 214.000 Anträge gestellt, die sich auf 772.000 URLs bezogen, und in Deutschland 36.000 Anträge für 135.000 URLs, die entfernt werden sollen. Die Erfolgsquote liegt in Europa bei 40,3 Prozent und in Deutschland bei 50 Prozent. Nur jede 70. Ablehnung durch Google wird bei den Datenschützern in Hamburg beklagt. Dort liegen mittlerweile 270 Eingaben vor, von denen der weitaus größte Teil aus Gründen der zu dünnen Personaldecke noch nicht bearbeitet ist.

Da es gilt, zwischen Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der einen und Informationsfreiheit auf der anderen Seite sowie bei Google dem Recht auf wirtschaftliche Freiheit abzuwägen, scheint man es mit sehr allgemeinen Kriterien zu tun zu haben, die sich schwer auf konkrete Fälle anwenden lassen. Caspar zufolge ist es jedoch gelungen, Abwägungskriterien aus dem EuGH-Urteil herauszudestillieren und in Diskussionen weiterzuentwickeln, die die Vorgehensweise konkretisieren. Als ein wesentliches Kriterium gilt der zeitliche Abstand, da nach gut zehn Jahren das öffentliche Informationsinteresse kaum noch höher als die informationelle Selbstbestimmung gewertet werden dürfte. Ein weiteres Kriterium ist die Stellung des Betroffenen im öffentlichen Leben, da es zwischen Berichten etwa über Politiker und solchen über normale Bürger aufgrund des ganz unterschiedlichen öffentlichen Informationsinteresses zu differenzieren gilt.

Wesentlich ist zudem die Art und Schwere der Betroffenheit, da es einen Unterschied macht, ob beispielsweise ein Arzt wegen eines Behandlungsfehlers oder aber in seiner Privatsphäre betroffen ist. Anhaltspunkte liefert auch die Wertung im positiven Recht, das nach einer gewissen Frist die Löschung von Vorstrafen im Bundeszentralregister bei Führungszeugnissen vorsieht. Findet man die Vorstrafe jedoch weiterhin bei Google, ist dieser Rechtsanspruch praktisch aufgehoben. Unumstritten dürfte zudem sein, daß Minderjährige mitunter Einträge vornehmen, von denen sie sich einige Jahre später nur zu gern lösen möchten. Diese von den Datenschützern entwickelten Fallgruppen sind ihres Erachtens tragfähig und im übrigen auch in hohem Maße mit Google abgestimmt, so daß sie in der Regel entsprechend umgesetzt werden können, so der Referent.

Ein Löschantrag wird beim Suchmaschinenbetreiber gestellt, worauf im Falle einer Ablehnung entweder die mit Kosten verbundene Klage vor einem Zivilgericht oder eine kostenlose Beschwerde bei der Datenschutzbehörde möglich ist. Weist diese die Beschwerde ab, kann der Betreffende sein Recht immer noch vor Gericht suchen. Wird der Antrag angenommen, hören die Datenschützer den Suchmaschinenbetreiber an. Erkennt dieser die Einwände nicht an, wird in einem Verwaltungsverfahren eine Anordnung erlassen, der widersprochen werden kann. Es handelt sich also um ein recht kompliziertes Verfahren, doch sei es in den meisten Fällen gelungen, Google zu überzeugen, so Caspar.

Problematisch sei indessen die Weitergabe des Löschbegehrens von Google an den Content Provider, der die betreffende Person oftmals aus dem Kontext des Antrags ermitteln und seinerseits outen kann. Die Betroffenen werden also in die Öffentlichkeit gezogen, was ihren Löschantrag konterkariert, einen Abschreckungseffekt hat und datenschutzrechtlich nicht vertretbar ist.

Unzulänglich ist aus Sicht der Datenschützer insbesondere die Auffassung Googles, das Urteil beziehe sich nur auf EU-Domains wie google.de oder google.fr, doch sei google.com davon nicht betroffen. Damit schneidet der Konzern den Betroffenen das Recht ab, weltweit nicht gefunden zu werden. Google hat vor einiger Zeit einen Beirat eingesetzt, in dessen kürzlich vorgelegtem Abschlußbericht die Mehrheitsauffassung der Mitglieder wiedergegeben wird, das EuGH-Urteil müsse nicht auf google.com umgesetzt werden. In diesem Beirat saß die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich für die Ausdehnung auf google.com aussprach, aber auch der Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales, der das EuGH-Urteil als solches für falsch hielt, weil es seines Erachtens die Meinungsfreiheit unterbinde. Die europäischen Datenschutzbehörden halten die Umsetzung des Urteils durch Google für defizitär und behalten sich weitere Schritte vor.

Der Zensurvorwurf gegen das Urteil gipfelte in einem Vergleich mit einer Bücherverbrennung, der unangemessen ist, weil es gerade nicht um die Löschung von Inhalten, sondern lediglich die Verlinkung mit dem Namen geht. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist nicht beeinträchtigt, die Informationsfreiheit nur insofern, als sie nicht absolut gilt, sondern einer Abwägung mit der informationellen Selbstbestimmung unterliegt, hebt Caspar hervor. Das Bundesinnenministerium will Google nicht die Sorge um den öffentlichen Informationszugang übertragen und schlägt deshalb eine Schlichtungsstelle vor. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte fragt sich jedoch skeptisch, ob dem Betroffenen dann der Weg zu seiner Behörde und damit ein Rechtsanspruch verwehrt wäre.

Caspar schätzt das EuGH-Urteil als rechtshistorisch ein, da es zeige, daß das Primat des Rechts im Maschinenzeitalter nicht dem Algorithmus gegenüber wehrlos ist. Algorithmen müßten vor der soziokulturellen Bedingtheit menschlicher Gesellschaft Bestand haben, aber eben nur soweit, wie diese es nach ihrem Rechtsmodell und dem Empfinden dessen, was rechtlich und ethisch zulässig ist, als gefordert ansieht. Am Ende sei die Entscheidung des einzelnen, sein Recht gegenüber einem Suchmaschinenbetreiber geltend zu machen, das entscheidende Kriterium. Es sei ein Paradebeispiel für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, darüber zu befinden, ob die digitalen Schatten, die uns im Internet durchs Leben begleiten, tatsächlich die Zeit überdauern oder nicht.

Im Anschluß an seinen Vortrag beantwortete Prof. Dr. Caspar dem Schattenblick einige Fragen zu den Visionen der Google-Gründer, dem Recht auf Vergessen und der Zusammenarbeit von IT-Konzernen mit den Geheimdiensten.


Im Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Johannes Caspar
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Caspar, der Traum der Google-Gründer war es, den Menschen eines Tages alle verfügbaren Informationen zugänglich zu machen. Muss diese Perspektive für Sie als Datenschützer nicht der reinste Alptraum sein?

Johannes Caspar (JC): Ein solcher Traum mündet am Ende in eine Welt, in der niemand mehr etwas zu verbergen haben darf. Der Roman von Dave Eggers, The Circle, zeigt dies eindrücklich: Wenn jeder alles über den anderen weiß, dann gibt es kein privates Leben mehr, dann dreht sich alles nur noch um die permanente und unbegrenzte Forderung nach individueller Transparenz. Der Druck auf den Einzelnen, sein Leben wie ein offenes Buch zu führen, nimmt am Ende totalitäre Züge an. Wissen ist letztlich immer auch eine Domäne des Einzelnen. Was der Einzelne über sich mit anderen teilen will, das muss er selbst bestimmen können. Das darf nicht von globalen Konzernen entschieden werden. Es ist daher paradox, dass uns die großen Internetunternehmen zu absoluter digitaler Freizügigkeit anhalten und gleichzeitig jegliche Transparenz bezogen auf ihre eigenen Geschäftspraktiken massiv abblocken.

SB: Google besitzt auf dem Feld der Informationen eine monopolartige Stellung und begründet dies sogar mit dem Argument, dass eine gute Suchmaschine anders gar nicht funktionieren würde. Was sagen Sie dazu?

JC: Das Gegenteil ist richtig. Nur in einer Situation des funktionierenden Wettbewerbs bleibt Raum für neue und innovative Angebote, die gerade auch den Ansprüchen Betroffener gerecht werden. Eine Öffnung von Märkten hin zu mehr Diversität kann eben auch dazu führen, dass der Datenschutz einen viel stärkeren Stellenwert bekommt. Das sieht man gerade auch bei den sozialen Netzwerken. Wenn ein Anbieter wie Facebook große Bereiche des Marktes abdeckt, dann bleibt dem Einzelnen keine andere Wahl: Entweder er akzeptiert die neuen Datenschutzbestimmungen, die einen Austausch von Nutzerdaten zwischen den konzerneigenen Unternehmen wie Instagram oder WhatsApp ermöglichen, oder er muss seine Mitgliedschaft beenden und verliert damit seine sozialen Kontakte. Das ist keine wirkliche Alternative, die eine freie Entscheidung ermöglicht. Die meisten Nutzer werden natürlich bleiben. Das weiß auch der Anbieter. Solange es nicht gelingt, die Struktur "Datenmacht schafft Marktmacht und Marktmacht stärkt Datenmacht" zu durchbrechen, werden Unternehmen belohnt, die den Datenschutz konsequent missachten. Am Ende haben sie nicht nur das größte Stück des Kuchens, sondern sie tragen die ganze Torte allein weg.

SB: Die Gründer von Google haben in Interviews gesagt, dass sie, wenn sie alle Informationen über die Bürger haben, im Grunde genommen jedem Menschen Tipps vorgeben könnten, was sie, angeblich in ihrem eigenen Interesse, als nächstes tun sollen. Wäre das nicht eine Perfektion an Bevormundung und Manipulation?

JC: Google ist nicht nur eine Suchmaschine, sondern bietet eine Vielzahl von Internetdiensten an. Durch die diensteübergreifende Kombination von Daten der einzelnen Nutzer wird es ermöglicht, nahezu alles über den Einzelnen in Erfahrung zu bringen. Eine derartige fürsorgliche Umarmung der Nutzer kann sehr schnell zur digitalen Entmündigung führen. Das Filtern des persönlichen Erlebens durch die Brille eines ökonomischen Interessen verpflichteten Internetanbieters legt einen Schleier über die Wahrnehmung der Wirklichkeit. Auch wenn der einzelne Nutzer am Anfang mehr als die Summe der unter seine Nutzer ID gespeicherten Datenmenge ist - mit zunehmender Zeit verwandelt er sich immer mehr in die Person, für die ihn das System hält. Dagegen hilft es, sich zu fragen, "brauche ich den Dienst wirklich?", oder einfach verschiedene Anbieter zu wählen. So bleibt man weniger berechenbar und kann verhindern, am Ende den Vorgaben zu folgen, die das System einem zuweist.

SB: Sie hatten in Ihrem Vortrag auch vom Recht auf Vergessen im Internet gesprochen. Droht nicht durch die Entwicklungen, wie sie Google eingeleitet hat, eine ganze Reihe von gesellschaftlichen Werten einfach ignoriert zu werden?

JC: Eine Gesellschaft, die letztlich nur dem Algorithmus als eine unhintergehbare Wahrheit huldigt, wäre unmenschlich. Wenn es so etwas wie Vergessen in menschlichen Bezügen nicht mehr gibt, werden wir zu einer Beanstandungsgemeinschaft. Ein jeder bleibt im Maschinengedächtnis verhaftet und wird die digitalen Schatten seiner Vergangenheit ein Leben lang nicht mehr los. Das Prinzip der informationellen Selbstbestimmung sichert den Vorrang des Rechts vor der technischen Faktizität von Algorithmen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Freiheit der Andersartigkeit erhalten bleibt.

SB: Sie verteidigen als Datenschützer die informationelle Selbstbestimmung der Bürger und arbeiten in Hamburg unter anderem eng mit Google zusammen. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht, arbeitet Google umgekehrt auch mit Ihnen transparent zusammen?

JC: Man muss in diesem Zusammenhang erwähnen, dass das Urteil des EuGH zu Google-Spain gerade mit Blick auf die Suchmaschinen erst einmal Schockwellen durch den Konzern gejagt hat. Das hat aber keineswegs zu einer Verweigerungshaltung geführt, sondern zu einer durchaus pragmatischen und auch zielgerichteten Reaktion. Google hat die Voraussetzungen geschaffen, um das Recht, das die Betroffenen durch das EuGH-Urteil bekommen haben, zeitnah umzusetzen. Auch wenn es für ein Unternehmen von dieser Größe sicherlich keine besondere Schwierigkeit darstellt, so hat man doch zügig personelle Kapazitäten geschaffen, um die mehr als 200 000 Eingaben aus Europa abzuarbeiten. Insbesondere in einem zentralen Punkt sehen wir das aber nach wie vor durchaus kritisch: Die Umsetzung des Urteils unter Ausklammerung der Domain google.com konterkariert einen umfassenden Schutz Betroffener. Insoweit fordert das Urteil eine Löschung auch der jeweiligen Links im Bereich der amerikanischen Version der Suchmaschine. Auch wenn 95 % aller aufgerufenen Anfragen in Europa sich auf lokale Suchmaschinen beziehen, wie Google einwendet, bedeutet das nicht, dass gerade die restlichen 5 % nicht gerade jene Personen betreffen, die ein Recht auf Vergessenwerden geltend machen. Meine Kollegen in der EU sehen das Ergebnis ebenso. Am Ende muss und wird es hier eine Klärung geben.

SB: Google arbeitet, ob nun gezwungenermaßen oder freiwillig sei einmal dahingestellt, offensichtlich mit Geheimdiensten zusammen. Besteht nicht die Gefahr, dass ganz allgemein über einen Anbieter Daten von Bürgern in die Hände solcher Dienste fallen?

JC: Ja, die Dokumentation von Edward Snowden hat uns gezeigt, dass die großen Internetfirmen unter dem Programm PRISM die gesamten Nutzerdaten vorhalten und an die NSA herausgeben werden müssen. Wir wissen im einzelnen nicht, ob es einen direkten Zugang gibt oder nicht. Unter dem Federal Intelligence Surveillance Act haben die Unternehmen jedenfalls keine Wahl. Sie sind verpflichtet, den Zugriff zu ermöglichen. Dafür, so auch die Erkenntnisse Snowdens, erhalten sie jedoch finanzielle Entschädigungen durch die US-Administration. Das Problem der Überwachung ist, dass sie sowohl über die Glasfasernetze die aktuelle Kommunikation als auch die gespeicherten Informationen über die Nutzer und deren Vergangenheit umfasst. Das Zusammenführen der Datenmengen von staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen durch die Geheimdienste ist wohl derzeit das größte Problem im Bereich des Datenschutzes und verwischt am Ende alle Grenzen. Die Überwachungsmaschinerie ist allgegenwärtig und lückenlos. Derzeit wird diskutiert, inwieweit etwa die Entscheidung zu Safe Harbor, die den Datenfluss von Europa in die USA erst erlaubt, da sie dort hilft, einen angemessenen Datenschutz zu etablieren, noch eine tragfähige Grundlage für die Übermittlung personenbezogener Daten sein kann. Von den Datenschutzaufsichtsbehörden wird dies zum großen Teil verneint. Auch das EU-Parlament forderte eine Aussetzung dieses Abkommens.

SB: Ihr ehemaliger Kollege Peter Schaar hat in der Einlassung im NSA-Ausschuss bitter beklagt, dass sein Angebot, bei der Aufklärung zusammenzuarbeiten, seitens der Bundesregierung, aber auch Telekom und BND entweder zurückgewiesen oder gar nicht beantwortet wurde, und er daher keine Möglichkeit hatte, überhaupt an Informationen heranzukommen. Ist das die allgemeine Situation des Datenschutzes, dass er in entscheidenden Punkten blockiert wird?

JC: Das ist jedenfalls in diesem Bereich nicht von der Hand zu weisen: Hier geht es um die brisante Frage der Geheimdienstzusammenarbeit nationaler mit ausländischen Diensten. Wenn wir uns die Aktivitäten des BND ansehen, die ja dokumentiert sind, dann ist erkennbar, dass in der Vergangenheit immense Datenmengen an die NSA weitergegeben wurden. Das wirft Fragen auf, die geklärt werden müssen. Derzeit versucht der NSA-Untersuchungsausschuss im Bundestag, Licht in die Affäre zu bringen. Dass am Ende nur Transparenz weiterhilft und die digitalen Grundrechte wieder zu ihrer Geltung bringen kann, ist eine Erkenntnis, der sich eigentlich niemand verschließen kann. In einem demokratischen Verfassungsstaat muss die Kontrolle über Regierungshandeln beim Parlament und bei der Öffentlichkeit liegen. Dabei geht es nicht nur um die Aufklärung der Rolle insbesondere des BND, sondern auch darum, bekannte und auch von namhaften Verfassungsrechtlern kritisierte rechtsstaatswidrige Praktiken bei der strategischen Ausland-zu-Ausland-Überwachung zu korrigieren. Dass dies auch nach einer derartigen Diskussion unterbleibt, hätte ich zuvor nicht für möglich gehalten. Derzeit fehlt ein Kontrollmandat der Datenschutzbehörden für die Telekommunikationsüberwachung. Die Datenschutzbeauftragten haben gefordert, künftig mit entsprechenden Prüfbefugnissen ausgestattet zu werden und damit neben die parlamentarische Kontrolle zu treten. Die Bereitschaft ist da, das Bedürfnis nach mehr Aufklärung eher nicht.

SB: Die Geheimdienste argumentieren damit, dass geheime Informationen ihrer Natur nach nicht weitergegeben werden dürfen. Das würde ja bedeuten, dass sie einen Apparat außerhalb der parlamentarischen Kontrolle reklamieren.

JC: Die Transparenz hat in diesem Bereich sicherlich ihre Grenzen, aber es geht hier nicht darum, operatives Wissen von Geheimdiensten zum Beispiel über V-Leute oder verdeckte Ermittler abzuschöpfen. Vielmehr müssen Strukturen der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit aufgeklärt und auch rechtliche Grenzen der Tätigkeit von Nachrichtendiensten überprüfbar bleiben. Es gilt letztlich, Kontrollstrukturen der nachrichtendienstlichen Tätigkeiten kritisch zu hinterfragen. Hierzu bedarf es gerade auch der öffentlichen Diskussion. Andernfalls kommt man nicht an die Ursache des Problems heran. Die besteht darin, dass sich der gesamte Bereich der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mehr oder weniger verselbständigt hat und ein Eigenleben führt. Ohne demokratische Kontrolle wird man sich wohl oder übel von den digitalen Grundrechten verabschieden müssen. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

SB: Wie schätzen Sie Ihre Möglichkeiten als Datenschützer ein, darauf Einfluss zu nehmen?

JC: Sie reichen beileibe nicht so weit, wie wir sie gerne hätten. Mit Blick auf unsere Tätigkeit ist die Grundvoraussetzung eine angemessene Ausstattung. An dieser fehlt es schon längere Zeit. Wir hatten im Jahr 2002 mehr Personal in unserem Stellenplan als gegenwärtig. Ohne die zeitlich begrenzte Finanzierung von Stellen aus behördeninternen Mitteln wäre der Dienstbetrieb nicht mehr aufrechtzuerhalten. Es ist zudem einfach ärgerlich, wenn man Dienstreisen innerhalb der EU nicht antreten kann, weil es an der finanziellen Ausstattung fehlt. Die zunehmende Ökonomisierung von Daten, aber auch die stetige Ausdehnung von sicherheitsbehördlichen Maßnahmen machen starke Aufsichtsbehörden erforderlich. Datenschutz ist Grundrechtsschutz. Das bedeutet, dass hier auch investiert werden muss. Dennoch wird der Datenschutz häufig nur als Kostenfaktor betrachtet und möglichst kleingerechnet. Wir sehen ganz besonders an solchen Verfahren, wie jetzt bei der Regulierung der Suchmaschine von Google, dass wir im Moment nicht in der Lage sind, den Ansturm von Eingaben zeitnah zu bewältigen. Ich finde es gerade mit Blick auf das wegweisende Urteil äußerst traurig, dass es nicht gelingt, die Umsetzung für die Recht suchenden Bürgerinnen und Bürger zügig zu realisieren.

SB: Sie sprachen eben von der finanziellen Ausstattung. Gibt es darüber hinaus auch rechtliche Mittel, die Sie geltend machen könnten, wenn zum Beispiel Informationen, die Sie einfordern, nicht gegeben werden?

JC: Ja natürlich. Wir sind ja auch Informationsfreiheitsbeauftragte, und insofern haben wir zwei Spielfelder. Die moderne Datenschutzbehörde, die gleichzeitig auch für Informationsfreiheit und die Transparenz staatlichen Handelns zu sorgen hat, ist eigentlich in der Situation eines modernen Informationsmanagers. Informationen sind das Treibmittel der modernen Informationsgesellschaft, und als solche ist die Funktion der Zuteilung von Informationen eine ganz wesentliche Aufgabe. Insofern ist unser Job im Moment sehr vielschichtig. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

SB: Herr Caspar, vielen Dank für dieses Gespräch.


Zum SUMA-EV-Kongreß in Hamburg sind bisher im Pool
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27. Februar 2015


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