Schattenblick → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT


INTERVIEW/033: Nachspiel Studiengebühren - die Mühlen der Justiz ...    Marion Meyer und Joachim Schaller im Gespräch (SB)


Hoffnungen auf dem Prüfstand

Prozeß gegen Studiengebühren vor dem Verwaltungsgericht Hamburg am 9. Februar 2016


Staatliche Mühlen mahlen bekanntlich langsam. Behörden, Gerichte, Dienststellen aller Art sind vom Diktat der Effizienzsteigerung und Kostenminimierung nicht ausgenommen, was zumeist zu Lasten der Menschen erfolgt, die sich gezwungen sehen, Unterstützungs- oder sonstige staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen und dafür, siehe Hartz IV, eine ins Bizarre gesteigerte Offenlegung nicht nur ihrer finanziellen Lage, sondern ihrer vollständigen persönlichen Lebensführung erbringen müssen. Das sensible Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zum Staat und seinen vermeintlich zum Zwecke der gegenseitigen demokratischen Kontrolle geteilten Gewalten erfährt häufig eine keineswegs zufällige Zuspitzung, wenn sich Betroffene, die gegen administrative Windmühlen ankämpfen und dabei auf Granit stoßen, an die zuständigen Verwaltungsgerichte wenden.

So geschehen beispielsweise im Nachklang der bundesweiten Proteste und Boykotte gegen die ab 2005 in den Bundesländern erhobenen, inzwischen wieder abgeschafften Studiengebühren, die dem bildungspolitischen Versprechen, durch Bafög und weitere Maßnahmen die ungleichen Bildungschancen, die vielfach als monokausal für die so ungleichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse angesehen werden, wenn schon nicht vollständig aufzuheben, so ihnen doch deutlich entgegenzuwirken, Hohn sprechen. Die Initiatoren in Bund und Ländern hatten allerdings nicht mit dem massiven Widerstand der Studierenden gerechnet, deren Boykottbewegung bundesweit so großes Aufsehen erregte, daß, nicht zuletzt mit Blick auf bevorstehende Landtags- und Bürgerschaftswahlen oder, um Schlimmeres wie eine grundsätzliche Ablehnung des neoliberalen Umbaus im Hochschulbereich durch das Bachelor-Master-System zu verhindern, zurückgerudert wurde.

Vorbei und vergessen, könnte mensch meinen, wäre da nicht die von vielen ehemaligen Aktivistinnen und Aktivisten geteilte Befürchtung, daß finanzielle Zusatzbelastungen der Studierenden durch die eine oder andere Hintertür auch wieder eingeführt werden könnten, und, last but not least, das Vorgehen beteiligter Behörden, die finanziellen Forderungen gegen Studierende, die sich am Gebührenboykott beteiligt haben oder auch aus anderen Gründen nicht zahlen konnten, auch nach so vielen Jahren noch einzutreiben. Obwohl es sich bei den Betroffenen häufig um Menschen handelt, die auch nach Abschluß ihres Studiums über eher gering zu nennende finanzielle Mittel verfügen, zeigen sich die zuständigen Stellen von ihrer unerbittlichsten Seite, was nicht wenige Beteiligte zu der Auffassung brachte, hier solle wohl ein Exempel statuiert werden, um künftigen Massenprotesten von vornherein den Boden zu entziehen.

Vor dem Hamburger Verwaltungsgericht fand am 9. Februar eine öffentliche Verhandlung in Sachen Studiengebühren statt, ausgelöst durch die Klage einer ehemaligen Studierenden der Hochschule für bildende Künste. [1] Im Anschluß daran hatte der Schattenblick Gelegenheit, mit Marion Meyer und Joachim Schaller, ihrem Rechtsanwalt, ein die juristische Lage erhellendes, aber auch den Boykott selbst sowie die allgemeine Entwicklung an den Hochschulen berührendes Gespräch zu führen.


Gerichtliches Nachspiel

Schattenblick (SB): Wie war euer Eindruck von der Verhandlung? Habt ihr eine Einschätzung, wie es heute gelaufen ist?

Joachim Schaller (JS): Da die Richterin inhaltlich keinen einzigen Beitrag über eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage gegeben hat, gehe ich davon aus, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit die Klage abgewiesen werden wird.

SB: Ist es eigentlich üblich, daß das Gericht keinerlei Einlassungen macht zu seiner eigenen Einschätzung oder ist das eher die Ausnahme?

JS: Nein, das ist nicht üblich. Das muß man ganz deutlich feststellen nach meiner Erfahrung als Anwalt. Die meisten Gerichte geben mindestens eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage und geben entsprechende Hinweise. Aber es gibt einige Richterinnen und Richter, die der Auffassung sind, daß ein Rechtsgespräch nicht erforderlich sei und die die Parteien im Endeffekt ins Leere laufen lassen. Da kann man nur versuchen, dann über Beweisanträge gegebenenfalls irgendetwas herauszukitzeln, was aber im Einzelfall sehr, sehr schwierig ist.

SB: Der Prozeßverlauf ist, glaube ich, im Sommer 2015 angelaufen. Wie hat sich das dann weiterentwickelt bis heute?

JS: Wir haben gestritten über Studiengebühren für das Sommersemester 2009, das Wintersemester 2009/2010 und das Sommersemester 2010. Die Hochschule hat über die Widersprüche, die damals erhoben worden sind, jahrelang nicht entschieden, so daß erst einmal der Eindruck entstanden ist, daß es in diesem Fall akzeptiert wird, daß keine Studiengebühren zu zahlen sind. Dann hat die Hochschule aber doch irgendwann Widerspruchsbescheide gemacht, so daß dann auch Klage erhoben werden mußte. Daß das Verfahren sich beim Gericht wiederum so lange hinausgezögert hat, liegt einmal natürlich an der leider bekannten Arbeitsüberlastung der Gerichte und zum zweiten daran, daß in dem ersten Termin, den wir hatten, die Sachakten unvollständig waren. Die lagen dem Gericht zum Teil gar nicht vor. Das war bereits der Grund, warum das vertagt werden mußte, denn die Sachakten müssen ja Gegenstand des Verfahrens sein.

SB: Es standen heute mehrere Punkte an, die in der Klage angeführt wurden. Welche waren das?

JS: Der erste Punkt ist die Frage des Vertrauensschutzes, nämlich daß bei Einführung der Studiengebühren die Klägerin befreit worden ist aufgrund chronischer Erkrankung. Dann ist 2008 das Änderungsgesetz gekommen, das vorgesehen hat, daß chronische Erkrankung kein Befreiungsgrund mehr ist, sondern lediglich ein Grund, die sogenannte Stundungsregelung zu verlängern. Da stellt sich einfach die Frage, ob eine solche Bestimmung ohne Übergangsregelung für die Studierenden, die sich darauf eingestellt hatten, aufgrund chronischer Erkrankung ohne Studiengebühren studieren zu können, in Ordnung ist.

Der zweite Punkt ist dann die Tätigkeit im AStA, im Studierendenparlament und anderen Gremien der studentischen und akademischen Selbstverwaltung, sprich die Frage, ob es zulässig ist, dies unberücksichtigt zu lassen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Entscheidung zu Baden-Württemberg entschieden, daß in solchen Fällen ein Erlaß erforderlich ist, während das hamburgische Gesetz lediglich vorsieht, daß eine Verlängerung des Stundungsanspruchs in solchen Fällen erfolgt, womit aus meiner Sicht die Benachteiligung, die durch die längere Studienzeit eh schon vorliegt, nicht ausreichend kompensiert wird.

Der dritte Punkt betrifft die Frage der Stundungserklärung, also daß die Frist für die Abgabe der Stundungserklärung entweder zu kurz oder aber schon zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides bereits abgelaufen war, so daß es gar nicht möglich war, die Stundungserklärung rechtzeitig abzugeben. Wir haben gefordert, daß diese Frist verlängert wird, so daß, wenn die ersten beiden Punkte nicht durchschlagen, es zumindest möglich ist, diese Stundungserklärung jetzt noch abzugeben.

SB: Könntest du erläutern, was es mit der Stundung auf sich hat und ob sie auch beinhaltet, die eigentlich strittige Forderung anzuerkennen?

JS: Eine Stundung besagt nach dem Gesetz, das die CDU mit den Grünen 2008 gemacht hat, daß die Studiengebühr von 375 Euro während der Dauer des Studiums entsprechend der Regelstudienzeit plus gegebenenfalls weiterer Semester nicht sofort fällig ist, sondern erst nach Abschluß des Studiums zurückgezahlt werden muß und dann auch erst, wenn das Einkommen oberhalb eines Betrages von 30.000 Euro im Jahr liegt. Die Abgabe der Stundungserklärung stellt natürlich eine indirekte Anerkennung der Gebührenpflicht dar. Deswegen ist sie bisher auch nicht abgegeben worden, weil man sich auch gegen die Gebührenpflicht als solches gewandt hat. Aber hilfsweise kommt das natürlich in Betracht.


Abschreckende Wirkungen

Politisch gesehen sind diese nachgelagerten Studiengebühren zwar natürlich eine Verbesserung gegenüber dem vorherigen Zustand gewesen, haben aber trotzdem ebenfalls eine Abschreckungswirkung für Leute, die ein Studium aufgenommen haben oder sich dies überlegen, weil auch diese 375 Euro pro Semester eine zusätzliche Belastung sind. Wenn man sich die Situation anguckt in anderen Ländern wie Großbritannien oder den USA, ist es doch so, daß dort im Laufe der Zeit die Studiengebühren in der Regel immer weiter erhöht worden sind und sich die Menschen, die sie zahlen müssen, in die Verschuldung begeben.

Eine Einkommensgrenze von 30.000 Euro ist - gemessen sowohl an dem bundesweiten durchschnittlichen Einkommen von Akademikerinnen und Akademikern als auch dem Durchschnittseinkommen insgesamt der Bevölkerung - ein recht geringer Betrag. Auch der Umstand, daß gerade Künstler oft mit ihrem Einkommen darunter liegen, ist jetzt aus meiner Sicht kein Grund zu sagen: Das ist politisch gesehen in Ordnung, aber das ist jetzt meine politische Einschätzung dazu. Es ist sozusagen ein Trostpflästerchen gewesen, das die Grünen in den Verhandlungen damals mit der CDU erreicht haben, was aber nichts daran geändert hat, daß die Proteste gegen die Studiengebühren auch in der Zeit danach angehalten haben und gerade die Studierenden an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg dadurch, daß sich sehr viele an dem Studiengebührenboykott beteiligt haben, mit dazu beigetragen haben, daß die Studiengebühren dann nach der Wahl, als die SPD die Mehrheit bekommen hat, auch wieder abgeschafft worden sind in Hamburg wie auch in allen anderen Bundesländern. Selbst in Bayern ist das inzwischen erfolgt, und es gibt nur noch in einigen Bundesländern sogenannte Langzeitstudiengebühren.


Wiederbelebung der Boykottbewegung?

SB: Inwieweit ist der Prozeß, den ihr jetzt führt, auch so etwas wie eine Wiederbelebung der Kampagne gegen die Studiengebühren?

JS: Erst einmal ist so ein Prozeß natürlich immer ein Einzelfall. Es kann immer nur über diesen einen Fall entschieden werden, und über mehr wird das Gericht auch nicht entscheiden. Nichtsdestotrotz ist der Umstand, daß darüber jetzt nach so vielen Jahren entschieden werden muß, natürlich auch ein Zeichen dafür, daß es weiterhin Unzufriedenheit mit den Studiengebühren gibt. Ich glaube, es ist auch wichtig, deutlich zu machen, daß Studierende damit nicht einverstanden sind, weil die Gefahr natürlich weiterhin besteht, daß es bei anderen politischen Mehrheitsverhältnissen oder auch bei insgesamt veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen durchaus möglich ist, daß Studiengebühren wieder eingeführt werden. Es ist durchaus so, daß es insbesondere im Kreis der Hochschulpräsidenten viele gibt, die weiterhin der Meinung sind, daß Studiengebühren richtig sind und wieder eingeführt gehörten.

SB: Wie ist denn der aktuelle Stand in anderen Fällen? Werden immer noch ausstehende Studiengebühren weiter eingetrieben?

JS: Es werden aktuell einerseits von den Hochschulen und andererseits von der Investitions- und Förderbank der früheren Wohnungsbaukreditanstalt in Hamburg Studiengebührenforderungen weiterhin eingetrieben.

SB: Wißt ihr, in welcher Größenordnung noch Gelder ausstehen, bei denen die Eintreibung versucht wird?

JS: Es gab dazu Anfragen in der Bürgerschaft. Dazu muß man aber sagen, daß diese Anfragen teilweise von den Hochschulen beziehungsweise vom Senat unzutreffend beantwortet worden sind. So ist zum Beispiel behauptet worden, daß bei der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg keine Studiengebühren mehr offen seien, was eindeutig falsch ist. Es gibt auch noch frühere oder aktive Studierende der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg, die noch Studiengebührenforderungen ausgesetzt sind.

SB: Habt ihr Kenntnis davon, ob in einigen Hamburger Unis Möglichkeiten der Exmatrikulation geschaffen wurden für Studierende, die die Studiengebühren nicht bezahlt haben?

JS: Es gibt eine Regelung im hamburgischen Hochschulgesetz, die besagt, daß nach Mahnung und Fristsetzung Studierende exmatrikuliert werden können, wenn sie fällige Beiträge oder Gebühren nicht zahlen. Von dieser Regelung haben einige Hochschulen auch Gebrauch gemacht. Die Hochschule für bildende Künste hat davon bisher keinen Gebrauch gemacht. Wieviele Studierende auf diese Art und Weise im Endeffekt ihren Studienplatz verloren haben, läßt sich allerdings nicht genau sagen, da die Hochschulen erklären, sie würden keine Statistiken darüber führen, aus welchen Gründen Studierende exmatrikuliert worden sind.

Marion Meyer (MM): Ich kann dazu auch noch sagen, daß man zum Beispiel an der Uni Hamburg bei dem Studieninformationssystem STiNE, wo man sich für Veranstaltungen online im Intranet anmelden muß, geblockt wird, wenn man den Semesterbeitrag nicht bezahlt hat. Das ist ein Verwaltungskostenbeitrag, der auch so eine Art Studiengebühr darstellt. Wenn man den nicht oder zu spät bezahlt, dann wird man geblockt, kann sich nicht anmelden und keine Veranstaltung besuchen. Dadurch verlängert sich das Studium auf jeden Fall um meistens zwei Semester, weil durch dieses Bachelor-Master-System alles immer so getaktet ist, daß man nur alle zwei Semester wieder ein Seminar oder eine Vorlesung besuchen kann. Man muß sich über dieses Intranet anmelden und kann nicht persönlich hingehen und einfach mitmachen. Deswegen ist das eine klare Restriktion, wenn man nicht oder nicht rechtzeitig bezahlt hat.


Am Ende eines langen Weges vor Gericht

SB: Was hat dich denn dazu bewogen, gegen die HfbK zu klagen? Wie ist dieser Entscheidungsprozeß vonstatten gegangen?

MM: Gegen den Gebührenbescheid der HfbK habe ich 2007 Widerspruch eingelegt. Emotional gesehen ist das nicht unbedingt eine Klage gegen die HfbK, sondern gegen dieses Gesetz, wobei die HfbK das natürlich am Anfang auch restriktiv durchsetzen wollte und im ersten Jahr sehr viele Studierende, die boykottiert hatten, exmatrikuliert hat, nämlich all die, die damals keinen Widerspruch eingelegt hatten. Die wurden später - das hat auch Joachim durchgesetzt - wieder immatrikuliert, weil es rechtswidrig war, daß sie aufgrund eines Formfehlers exmatrikuliert wurden. Ich bin damals nicht exmatrikuliert worden, weil ich pro forma rechtzeitig Widerspruch eingelegt hatte. Der Widerspruch richtet sich allgemein gegen das Studiengebührenfinanzierungsgesetz, was ja damals mit Krediten bei Banken verbunden war. Natürlich richtete sich der Boykott auch aus politischen Gründen allgemein gegen Studiengebühren.

Deswegen habe ich vorhin auch noch einmal aus meinem Widerspruch vorgelesen, weil es für mich keinen Unterschied macht, ob die jetzt sofort bezahlt werden müssen oder nachgelagert nach dem Studium. Ob ich dafür einen Kredit bei der Bank beantrage oder bei der KfW, macht für mich persönlich jetzt nicht so einen Riesenunterschied. Das Problem ist: Wenn die Zahlung erst einmal fällig wird und man diese 30.000 Euro brutto einmal verdient hat, fällt die Zahlung an und wird dann eben auch verzinst. Wenn ich das dann nicht mache und nicht auf einen Schlag alles zurückzahle, dann fallen eben auch noch Zinsen an und die sind nicht so gering. Es ist eben nicht so das Rieseneinkommen vorhanden, vor allen Dingen nicht, wenn man noch Bafög zurückzahlen muß oder auch noch andere Schulden hat, weil man vielleicht Studienkredite zur Finanzierung des Studiums aufgenommen hat. Dann ist man schnell am Existenzminimum angelangt und hat ewig, obwohl man vielleicht Vollzeit arbeitet, kein oder nur sehr wenig Geld. Das finde ich ungerecht.

Die Motivation, da Widerspruch einzulegen, war natürlich, daß wir gehofft hatten, daß noch rechtzeitig gerichtlich anerkannt wird, daß das gegen die sogenannte Chancengleichheit verstößt. Natürlich werden sozial Benachteiligte noch stärker benachteiligt, als sie es eh schon sind. Für mich hat es hauptsächlich soziale Gründe gehabt, weil ich selber kein Geld hatte damals, meine Eltern Hartz IV bekommen haben, als ich angefangen habe zu studieren, und ich auf Bafög angewiesen war, was im Grunde auch nicht existenzsichernd ist. Es ist sehr viel weniger als Hartz IV. Das heißt, man muß eigentlich sowieso arbeiten, und dann hat man weniger Zeit zum Studieren, braucht sowieso länger und kommt in diese ganzen Prozeduren rein, auch daß man nach einer Weile kein Bafög mehr bekommt. Aktuell ist es so, daß man bei dem Bachelor-Master-System für den Master nicht unbedingt Bafög erhält. Da ist auch noch einmal ein Zweiklassensystem aufgebaut worden mit Studierenden, die sich das leisten können und welchen, die das eben nicht können.


Solidarität mit den Betroffenen

SB: Muß jeder Betroffene das alleine durchfechten, oder gibt es da unter euch noch etwas, das übriggeblieben ist aus der Zeit des Boykotts und der solidarischen Bewegung gegen Studiengebühren? Wie sieht das heute aus?

MM: Das war, glaube ich, das Kalkül der Hochschulen, daß sie die Leute vereinzeln, indem sie das immer so aufgeschoben haben dadurch, daß sie die Widersprüche nicht abgelehnt und die wenigen Verfahren, die es gab, hinausgezögert haben. Ich habe 2007 Widerspruch eingelegt und dann auch noch in allen Folgejahren. Wir haben jetzt 2016, um über ein Semester von 2008/2009 zu sprechen. Da sieht man schon, daß die versucht haben, das zu verzögern und immer 'mal eine Mahnung geschickt haben, damit sie das später noch durchziehen und einen darauf verpflichten können, das zu bezahlen. Das Problem mit den Leuten, die boykottiert haben - das waren ungefähr Zweidrittel der Hochschule, auch an der Uni fast Zweidrittel und an den anderen Hochschulen auch recht viele, ungefähr in dem Bereich - ist ja, daß sie durch die ganzen Verzögerungstaktiken der Hochschulen vereinzelt wurden. Sie hören irgendwann auf zu studieren, sind eventuell in irgendwelchen anderen Bundesländern, und so kann man sich eigentlich gar nicht mehr vernetzen. Deswegen ist es schon so, daß jeder einzelne das mehr oder weniger allein durchfechten und sich damit auseinandersetzen muß. Es wurden aber auch Leute gepfändet zum Beispiel an der HfbK. Ich kenne jemanden, der war damit dann auch allein und mußte das über sich ergehen lassen, weil er das Geld nicht hatte. Das ist natürlich sehr unschön.

SB: Wie hast du diese Entwicklung erlebt? Es gab damals an der HfbK die große Boykottkampagne, an der sehr viele Leute beteiligt waren. Wenn das über die Jahre immer weniger wird, ist das wahrscheinlich auch ziemlich problematisch.

MM: Am Anfang war schon ein großer Zusammenhalt da. Es gab viele Treffen, Vollversammlungen, Plenen, wo viel Austausch stattfand. Es gab auch viele Proteste inklusive künstlerischer Aktionen direkt in der Hochschule und auch außerhalb in der Innenstadt, das war schon sehr gut. Dieses Auseinanderdriften ist eigentlich eher nach der Abschaffung der Studiengebühren eingetreten.

JS: Auch weil die neueren Studierenden den Druck nicht haben, die sehen das als historisches Ereignis.

MM: Die meisten, die den Boykott mitgemacht haben, sind inzwischen weg von der Hochschule. Nicht alle, einige studieren noch.

JS: Die meisten sind mit dem Studium fertig, dementsprechend ist das eine andere Lebensphase. Teilweise ist es dann auch möglich, Nachzahlungen zu leisten. Aber ich glaube, wichtig ist trotzdem, daß dieser Studiengebührenboykott gerade an der Hochschule für bildende Künste gemacht worden ist und ganz entscheidend als kollektiver Protest dazu beigetragen hat, daß im Endeffekt die Studiengebühren in Hamburg abgeschafft worden sind. Das ist aus meiner Sicht ein Erfolg, den man nicht geringschätzen sollte.

SB: Wir haben damals auch diskutiert, daß die Studiengebühren eigentlich nur ein Unterthema unter der ganzen Entwicklung im Bologna-Prozeß sind. Das Thema Studiengebühren an sich ist eigentlich für die meisten Leute Schnee von gestern. Wäre es da nicht notwendig, noch einmal eine Einbindung in andere hochschulpolitische Themen herzustellen?

MM: Ein Problem, das immer noch besteht, möchte ich noch ergänzen, denn es gibt Klauseln, daß Gebühren erhoben werden können für besondere Leistungen der Hochschulen. An der Universität Hamburg gibt es einen Masterstudiengang, der heißt "Performance Studies", der noch bis letztes Jahr etwas gekostet hat, das wurde erst kürzlich abgeschafft. Grundsätzlich ist so etwas möglich, von daher ist das Thema nicht so ganz weg. Ansonsten ist natürlich richtig, daß andere Themen behandelt werden, besonders dieses Bachelor-Master-System und, was ich vorhin schon erwähnte, daß man teilweise kein Bafög bekommt für den Master.

SB: Vor zwei Jahren sprachen wir auch darüber, daß im Lehrkörper noch einige Leute waren, die gerade so mitten im Abschied steckten, aber die früheren Verhältnisse noch kannten. Die sind inzwischen wahrscheinlich auch alle weg. Wie hat sich das weiterentwickelt? Gibt es nur noch Generationen im Lehrkörper und auch unter den Studierenden, die die früheren Verhältnisse gar nicht mehr kennen?

MM: Es ist auf jeden Fall ein Problem, daß viele Studierende, die mit dem Bachelor anfangen, nicht wissen, wie man vorher studieren konnte, also daß alles ein bißchen freier war. Es ist auch auffällig, zum Beispiel an der HfbK, daß viele Studierende, die neu anfangen, sehr jung sind und sehr schnell fertig werden, was früher nicht der Fall war. Die kommen meistens direkt aus der Schule. Es war eher üblich, daß da auch ältere Studierende angefangen haben, die vorher vielleicht eine Ausbildung gemacht und gearbeitet haben oder auch viel gereist sind und dann noch einmal studiert haben. Es ist auffällig, daß sie heute sehr schnell studieren und sich einfach diesen Gegebenheiten anpassen, weil sie es auch aus der Schule nicht anders kennen. Der Leistungsdruck steigt da insgesamt, sogar in der Kita wird von den Kindern schon viel Leistung verlangt. Das macht sich einfach bemerkbar. Man sieht, daß die Studierenden auch irgendwie nicht so die Zeit haben, nach links und rechts zu gucken. Ich würde jetzt nicht sagen, daß sie nicht politisch sind oder sich keine Gedanken machen, aber sie werden einfach in ein System gepreßt, das ihnen wenig Möglichkeiten läßt, etwas zu machen, weil sie so unter Druck stehen.


Nach dem Studium

SB: Du hast dein Studium mit einem Diplom abgeschlossen hast. Wie ist jetzt deine berufliche Situation? Wenn du nach deinem Studium nun ein Resümee ziehst, was bleibt da unterm Strich übrig?

MM: Eigentlich müßte man mit einem Diplom theoretisch ein gutes Einkommen haben, es ist ja eine künstlerisch-wissenschaftliche Hochschule. Aber das ist eine Utopie. Die meisten, die fertig sind, und dazu gehöre ich auch, sind freiberuflich tätig oder machen Kneipenjobs auf 450-Euro-Basis, geben hier und da einen Volkshochschulkurs, arbeiten als Statisten fürs Fernsehen, schreiben Artikel für wenig Geld oder machen sonst irgendetwas, um ein bißchen Geld zu verdienen. Die Situation ist nicht so toll mit einem Abschluß an der Kunsthochschule, aber das wußte ich natürlich vorher schon. Allerdings ist es auch so, daß viele Studierende aus anderen akademischen Bereichen - Politikwissenschaft, Sozialwissenschaft, Philosophie zum Beispiel - auch schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, besonders wenn sie länger studiert haben. Viele sind einfach arbeitslos und auf Hartz IV angewiesen, das ist so die Realität. Ich habe auch erst einmal Hartz IV beantragt. Momentan habe ich ein nicht existenzsicherndes, prekäres Beschäftigungsverhältnis.

SB: Hast du noch Kontakte mit den Leuten, mit denen du vor zwei Jahren in der Boykottzeit zusammen warst?

MM: Auf jeden Fall. Hier sitzen ja welche. Einige konnten heute natürlich nicht kommen, weil es mitten am Tag ist und sie arbeiten müssen oder anderweitig verhindert sind wegen Kindererziehung oder sonstwas. Aber wir haben auf jeden Fall noch Kontakt, vor allem mit dem Kern der Aktiven, die den Boykott organisiert haben, mit den Leuten, die damals im AStA und im Boykottkreis waren oder auch im Filmbereich studiert haben, weil der zu der Zeit auch sehr politisch war.


Resonanz in Hamburg

SB: Als wir vor zwei Jahren miteinander gesprochen haben, stand in der Bürgerschaft gerade der Antrag der Linkspartei an, der dann aber abgebügelt wurde. Wie ist heute die Resonanz der Parteien in der Bürgerschaft? Gibt es da noch welche, die man für diese Fragen noch einmal interessieren könnte?

JS: Die Bürgerschaft hat mit ihrer Mehrheit diesen Antrag der Linkspartei abgelehnt. Ich gehe nicht davon aus, daß es im Moment politische Mehrheiten gibt, die dafür sorgen, daß die restlichen Studiengebührenforderungen den aktuellen oder früheren Studierenden, die davon betroffen sind, erlassen werden, sondern da ist die allgemeine Auffassung nach meinem Eindruck, daß die Verwaltung das Geld eintreiben soll.

SB: Wie ist es denn mit anderen Gruppen oder Organisationen in Hamburg, die außerparlamentarisch unterwegs sind? Hat es da zur Zeit des Streiks Crossovers gegeben, daß man sich gegenseitig unterstützt hat, oder habt ihr auch Kontakt gesucht, um sozusagen anlaßübergreifend vielleicht auch etwas grundsätzlicher politische Fragen zu stellen?

MM: Am Anfang hat man Kontakt zu Gewerkschaften gesucht, vor allem auch wegen der Unterstützung von Prozessen. Die waren am Anfang nicht so begeistert davon und haben es erst einmal abgelehnt, aber die GEW zum Beispiel hat später immer die Pressemitteilungen unterstützt, was sehr gut war. Dann haben uns natürlich andere Asten oder hochschulpolitisch aktive Kreise unterstützt zu Zeiten des Boykotts. Gerade als 2007 der Streik war, gab es auch diese Fabrikbesetzung, die hieß Streik-Bike. Da gab es auf jeden Fall Kontakte. Der AStA der HfbK zum Beispiel hat auch Fahrräder gekauft, um die zu unterstützen. Und natürlich war es so, daß viele Leute gerade aus dem harten Kern, die den Boykott mitorganisiert haben, auch in anderen politischen Feldern aktiv sind.


Gerichtliche Entscheidung

SB: Wie wird es mit dem Prozeß jetzt weitergehen? Ist schon absehbar, wann oder in welchem Zeitraum die Entscheidung des Gerichts kommt?

JS: Die Entscheidung wird an Verkündung statt zugestellt werden. Das bedeutet, daß die Richterin jetzt das Urteil schreiben muß. Wann das genau kommen wird, kann ich jetzt nicht sagen. Nach den Regelungen in der Verwaltungsgerichtsordnung sind fünf Monate längstens Zeit dafür, daß das Urteil mit den Gründen auf der Geschäftsstelle des Gerichts spätestens sein muß, weil danach würde davon ausgegangen werden, daß man sich an den Verlauf der Verhandlung nicht mehr ausreichend erinnern kann. Ich rechne aber damit, daß die Entscheidung in den nächsten Wochen zugestellt wird. Dann wird man, je nachdem, wie sie aussieht, überlegen müssen, ob man sie akzeptiert oder ob man noch versucht, beim Oberverwaltungsgericht dagegen vorzugehen.

SB: Es gäbe dann also noch die Möglichkeit, eine Instanz höher zu gehen, falls die Entscheidung negativ ausfällt?

JS: Es gibt die Möglichkeit, einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen. Die Anforderungen an dieses Rechtsmittel sind aber sehr, sehr hoch, so daß man sich genau überlegen muß, ob man das dann tut, zumal damit natürlich ein weiteres Kostenrisiko verbunden ist, gerade vor dem Hintergrund, daß die Hochschule sich anwaltlich vertreten läßt.

SB: Würde Ver.di das gegebenenfalls auch noch unterstützen, oder läßt sich das nicht voraussagen?

JS: Das kann man vorab nicht sagen, weil für jede Rechtsschutzgewährung durch die Gewerkschaft natürlich Voraussetzung ist, daß hinreichende Erfolgsaussichten bejaht werden, und das ist immer eine Einzelfallentscheidung, die dann im konkreten Fall durch die Gewerkschaft getroffen wird. Das ist ähnlich wie bei der Prozeßkostenhilfe, auch da sind hinreichende Erfolgsaussichten notwendig. Unsinnige Prozesse werden nicht finanziert.

SB: Gäbe es denn seitens des Hamburger Senats die Möglichkeit, der HfbK zu sagen, nun laßt 'mal gut sein, oder wie ist es da Ihrer Einschätzung nach um die Unabhängigkeit der Hochschule bestellt?

JS: Die Hochschulen verfügen über einen Globalhaushalt, der ihnen von der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg zur Verfügung gestellt wird. Im Rahmen dieses Haushalts steht es ihnen frei, wie sie die Mittel vergeben. Dementsprechend sind die Hochschulen natürlich auch frei, wie sie ihre Einnahmen, die sie über den staatlichen Zuschuß hinaus bekommen, realisieren. Allerdings sind die Hochschulen an die Vorschriften der Landeshaushaltsordnung gebunden, das heißt, sie müssen beitreibbare Forderungen auch realisieren, und dementsprechend ist es immer eine Frage des Einzelfalls, wie weit eine Stundung erfolgt.

Es ist allerdings schon so, daß die Hochschulen teilweise Stundungen ausgesprochen haben. Das ist immer eine Frage der konkreten individuellen Umstände. Vor dem Hintergrund, daß es im vorliegenden Verfahren auch darum geht, ob ein Anspruch auf Abgabe der Stundungserklärung mit der Investitions- und Förderbank noch besteht, schätze ich das so ein, daß die Hochschule ohne gerichtliche Entscheidung einen Erlaß der Forderung nicht vornehmen wird, sondern sagen wird, gegebenenfalls komme in Betracht, daß diese Stundung noch in Anspruch genommen werden kann. Ob das aber erfolgt ist unklar, weil der Prozeßvertreter der Hochschule sich geweigert hat, hierzu in der Verhandlung eine klare Aussage zu treffen.


Warum diese Hartnäckigkeit?

SB: Die alte Frage war ja immer, was treibt die Leute an, mit dieser Hartnäckigkeit Gebühren einzutreiben, die sie möglicherweise gar nicht mehr eintreiben können, weil einfach die finanziellen Voraussetzungen nicht vorhanden sind. Werden da Prinzipien durchgesetzt? Ist das so etwas wie ein Rachezug, weil damals der Boykott so erfolgreich war, oder wie könnte man das einschätzen?

JS: Ich glaube, daß da das Prinzip der Verwaltung eine Rolle spielt, nämlich daß Einnahmen, soweit möglich, auch zu erzielen sind und ein Verzicht auf Einnahmen haushaltsrechtlich problematisch ist. Im Einzelfall ist das natürlich möglich, aber die Hochschulen wollen sich da nicht in die Karten gucken lassen, und im Zweifel machen sie mit einem erheblichen Personalaufwand dann auch Beitreibungsmaßnahmen bis hin zu Pfändungen. Wenn man sich anguckt, um welche Summen es dabei geht, steht natürlich der Aufwand, der dafür betrieben wird, aus meiner Sicht teilweise in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem möglichen Ertrag. Andererseits wird dann halt immer argumentiert: Wir dürfen diejenigen, die boykottiert oder aus anderen Gründen nicht gezahlt haben, nicht besser behandeln als diejenigen, die damals die Studiengebühren gleich bezahlt haben. Dementsprechend ist das eine schwierige Situation, in der jeder Einzelfall anders ausgehen kann.

MM: Ich habe schon das Gefühl, daß die HfbK vielleicht auch politisches Engagement abstrafen will, gerade bei mir. Die kennen mich genau und haben beim letzten Prozeßtag behauptet, es gäbe keine Beweise, daß ich hochschulpolitisch aktiv war. Das ist natürlich lächerlich, so etwas zu behaupten. Sie sind mir in keiner Weise entgegenkommen, nicht einmal mit einer Stundung. Ich will ja, daß ich das nicht bezahlen muß.

SB: Vielen Dank, euch beiden, für das Gespräch.


Fußnote:

[1] Siehe den Bericht zu der Verhandlung in Hamburg im Schattenblick:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:
BERICHT/040: Nachspiel Studiengebühren - Realitätsabgleich ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkrb0040.html

Redaktionelle Beiträge aus dem Jahr 2014 zum Boykott der Studiengebühren im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BILDUNG UND KULTUR → REPORT:

BERICHT/032: Gebührenboykott - Strafen und Exempel ... (SB)
INTERVIEW/013: Gebührenboykott - parteiverdrossen, kampfentschlossen ...    Marion Meyer und Martin Klingner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Gebührenboykott - Bildungswert hat keine Münzen ...    Dora Heyenn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Gebührenboykott - am gleichen Strang ...    Maximilian Bierbaum im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Gebührenboykott - Erst kommt das Fressen ...    Ray Juster und Valentin Gagarin im Gespräch (SB)

23. Februar 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang