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INTERVIEW/036: Kulturarchiv des Krieges - erschöpft, ermüdet, überlebt ...    Aleida Assmann im Gespräch (2) (SB)


Fragend und forschend neuen Katastrophen entgegentreten ...

Veranstaltung am 17. Februar 2016 im Kultur- und Kommunikationszentrum Die Pumpe in Kiel


"Den Enkeln gewidmet" - im Abspann der Zeitzeugendokumentation "Anfang aus dem Ende. Die Flakhelfergeneration" wurde noch einmal die Brücke in die Gegenwart geschlagen, die im Film bereits durch Begegnungen zwischen den Generationen zum Thema wurde. Das allmähliche Schwinden persönlicher Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg geht Hand in Hand mit dem Aufkommen von Kriegsgefahren, die als Bedrohung von letztlich unauslotbarem Eskalationspotential hierzulande kaum wahrgenommen wird. Solange die Betroffenheit selbsterlebter Kriegsrealität das Bewußtsein der Menschen prägte, war die Bereitschaft, sich auf neue Abenteuer dieser Art einzulassen, gering. Der Widerstand gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik in den 1950er Jahren trieb noch Millionen Menschen auf die Straße, und auch die akute Atomkriegsgefahr brachte zu Beginn der 1980er Jahre noch zahlreiche Kriegsgegnerinnen und -gegner auf die Beine. Das letzte Aufflackern des entschiedenen Willens, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen, daß Millionen Menschen einer mörderischen Militärmaschinerie zum Opfer fallen, waren die weltweiten Demonstrationen gegen die Eroberung des Iraks 2003. Wie begründet dieser auch in der Bundesrepublik starke Protest war, zeigen die katastrophalen Entwicklungen, die dieser Eingriff in die nahöstlichen Machtverhältnisse gezeitigt haben.

Nicht von der Hand zu weisen ist mithin die Möglichkeit, daß der Verlust authentischer Erinnerungen an kriegerische Zerstörung die damit auslaufende Nachkriegszeit in eine neue Vorkriegszeit umschlagen läßt. Die politischen Bedingungen dafür sind allemal gegeben, wie die Neufassung der deutschen Staatsräson, es sei an der Zeit, auch im Sinne angeblich notwendiger Kriegführung wieder "Verantwortung" zu übernehmen, zeigt. Um so wertvoller sind die verbliebenen Bemühungen, sich der persönlichen wie staatlichen Beteiligung an der Entstehung bewaffneter Auseinandersetzungen gewahr zu werden.

In der Diskussion nach der Vorführung des Filmes zeigte sich, wie stark das Interesse an den Berichten und Erzählungen der Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs ist. Moderiert von Mechthild Klingenburg-Vogel [1] stellte sich Aleida Assmann den Fragen des Publikums, das sich für die Hintergründe der Entstehung des Dokumentarfilms ebenso interessierte, wie es eigene Geschichten aus erster und zweiter Hand beisteuerte. Was im Dialog mit Eltern und Großeltern hervortrat, war für die einzelnen Personen häufig von dramatischem Erkenntniswert, so daß das persönliche Interesse an dieser Form von Erinnerungskultur die Debatte bestimmte.

Über die häufig heilsame Wirkung dieser innerfamiliären Dialoge hinaus sind die gesellschaftlichen Konsequenzen des Verhältnisses von Erinnern und Vergessen von eminenter Bedeutung nicht nur für die Vermeidung neuer Kriegsgefahren, sondern für einen Umgang mit anderen Menschen, der nicht von Sozialkonkurrenz und Rassismus geprägt ist. Da in der Bundesrepublik wieder Flüchtlingsheime brennen, selbsternannte Verteidiger des Abendlandes fremdenfeindliche Parolen skandieren und rechtspopulistische Politik massiv anwachsende Zustimmung erhält, tritt der einander verstärkende Zusammenhang von mangelndem zeitgeschichtlichen Bewußtsein und der Verschärfung sozialer Widersprüche um so deutlicher hervor. Geschichte wird immer auch im Kontext gesellschaftlicher Deutungsmacht geschrieben, was die korrigierende Intervention zweckdienlicher Auslegungen durch Zeitzeugen, die das schnelle, durch die Anforderungen der digitalisierten Arbeits- und Lebenswelt zusätzlich dynamisierte Vergessen durchbricht, um so unentbehrlicher macht.

Im zweiten Teil des Gesprächs [2] mit der Kulturwissenschaftlerin und Autorin zahlreicher Werke zu Fragen des kulturellen Gedächtnisses, Dr. Aleida Assmann, das anläßlich der Aufführung des Filmes "Anfang aus dem Ende. Die Flakhelfergeneration" in Kiel zustande kam, wird deutlich, wie wichtig die Wirkungsmacht historische Diskurse für politische Weichenstellungen im besonderen und die gesellschaftliche Entwicklung im allgemeinen ist. Es gibt also allen Anlaß, sich über Erinnern und Vergessen in der sogenannten Wissensgesellschaft Gedanken zu machen, die den Horizont alltäglicher Bewältigung überschreiten und damit existentielle Fragen menschlichen Daseins berühren.


Auf dem Podium der Diskussionsveranstaltung - Foto: © 2016 by Schattenblick

Aleida Assmann
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): In der Welt der Digitalisierung scheint sich eigentlich alles auf den Begriff der Information zu reduzieren, so daß man im Grunde genommen nicht mehr als dies benötigte, um die Wirklichkeit zu verstehen. Von einem zum Informationsbegriff abgegrenzten Wissen ist in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht mehr so sehr die Rede. Wie bewerten Sie die Auswirkungen der Totalität der Information auf den von Ihnen verwendeten Begriff des kulturellen Gedächtnisses?

Aleida Assmann (AA): Zu Wissen und Information will ich noch zwei weitere Begriffe hinzufügen, um diese Reihe aufzublättern. Ich fange mit Daten an. Daten stehen noch unterhalb der Information, denn eine Information ist bereits eine Verknüpfung von Daten. Das Wissen ist dann eine Form der Aneignung von Information oder der Einbau in einen Kontext. Es muß aber noch ein nächster Schritt folgen, damit man sich auch ein Wissen aneignen kann, das für die eigene Identität und Person wichtig ist. Die Frage ist doch, warum Wissen für mich erheblich und bedeutsam ist. Damit wären wir bei einer Kategorie, die wir im kulturellen Sinne Bildung oder Gedächtnis nennen. Hier beginnt die bewußte Aneignung von Informationen, die in Wissen übergegangen sind und zu einem Teil der Persönlichkeit werden, weil man sich mit diesem Wissen auseinandersetzt und daran wächst, also auch aufwächst in einem primären Sinne. Man lernt Dinge in der Schule, die einem wichtig sind, seien es Gedichte, Romane oder Theaterstücke, die man gesehen hat, es kann auch Musik sein, die man gehört hat, oder Bilder, die einem nachgehen. In diesen hochselektiven Prozessen eignet und erarbeitet man sich Wissen an, das dann die eigene Person ausmacht. Da hat jeder seinen eigenen Zugriff und Zusammenhalt. Daß man sich das in jeder Generation wieder neu zusammenstellen kann, setzt voraus, daß sich die Gesellschaft Institutionen leistet, die auch kostspielig sind, die diese Dinge vorhalten, obwohl sie keinen unmittelbaren Anwendungsnutzen haben.

Damit streifen wir die Frage nach dem Fortschritt. In unserer Gesellschaft gibt es nämlich eine Dimension, die weiterhin an einer völlig ungebrochenen Fortschrittslogik festhält: die Technik und im gewissen Sinne auch die Naturwissenschaft. Beide funktionieren noch in einer Form des permanenten Überholmanövers. Man spricht inzwischen auch von Produktgenerationen. Insbesondere die digitale Technologie geht dahin, daß jedes Smartphone durch eine nächste Generation überholt werden muß, damit die Wirtschaft weiter in Gang gehalten wird. Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sind eigentlich der heiße Motor, der uns antreibt und unsere Kultur immer gerichtet in Bewegung hält. Was wir nicht mehr brauchen, wird entsorgt und weggeworfen. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, die die Vergangenheit nicht braucht und nur damit ein Problem hat, wie man den Berg giftiger Rückstände ablagern und wieder loswerden kann. In dieser Sicht ist die Vergangenheit keine Ressource, auf die man angewiesen ist und mit der man weitermachen kann.

Das kulturelle Gedächtnis ist völlig anders, geradezu umgekehrt organisiert. Hier geht es um Institutionen der Bestandswahrung und den Erhalt dessen, was nicht unmittelbar in Nutzen zu übersetzen und optimierbar ist. Dazu gehören Museen, Archive, Bibliotheken, Theater und so weiter. Es sind Institutionen, die Dinge vorhalten, damit die nächste Generation noch die Chance hat, sich damit auseinanderzusetzen. An dieser Stelle würde ich das kulturelle Gedächtnis ansiedeln. Es ist nie auf einen kollektiven Verwertungs- oder Identitätszusammenhang ausgerichtet, sondern stellt immer eine in sich widersprüchliche Vielfalt dar, aus der sich dann die Individuen die Dinge herausziehen, mit denen sie umgehen wollen.

SB: Welche Auswirkungen hat es aus Ihrer Sicht, wenn diese Archive zusehends digitalisiert, teilweise sogar monopolisiert werden?

AA: Nehmen wir ein neues Instrument wie Wikipedia, mit dem wir alle Informationen, an die wir überhaupt denken können, immer in Sekundenschnelle erhalten und das uns jede Frage sofort beantworten kann. An diesem Punkt muß man sich jedoch auch überlegen, wie man an Fragen kommt, die nicht so schnell beantwortet werden können. Das ist eigentlich der nächste Schritt. Denn es führt auch zu einer Entwertung des Wissens, wenn alle gleichzeitig an alles herankommen, weil dann nichts mehr im engeren Sinne wissenswert ist. Das heißt, man muß über die verfügbaren Informationen hinaus etwas tun, was nicht verfügbar ist, damit dies wieder zum Gegenstand der Suche, des Findens, des Tastens, der Auseinandersetzung und des Dialogs wird. Man muß Fragezusammenhänge und Diskurse aufbauen, an denen man gemeinsam teilnehmen und die man nicht durch Knopfdruck beenden kann. Denn Suchen und Noch-nicht-gefunden-Haben sind für die intellektuelle Entwicklung eigentlich der wichtigste und auch produktivste Zustand.

Wenn ich sofort eine Antwort bekomme, ist das ja auch extrem unpädagogisch. Jeder Lehrer wird erst einmal eine Spannung aufbauen, damit das, was am Schluß herauskommt, die Leute auch befriedigt. Bis dahin müssen sie sich anstrengen. Das ist ja auch beim Erzählen so. Man kommt am Schluß an ein Ziel, aber das Ziel bedeutet nichts, wenn man nicht einen langen Weg dahin beschritten hat. Die Aufgabe besteht darin, solche Zusammenhänge aufzubauen und die geistige Aktivität auf Dinge umzuorientieren, die nicht sogleich erfüllbar und instantan zur Hand sind. Ansonsten werden wir erschlaffen, unsere Denkmuskeln werden atrophieren.

SB: Ihre Beschäftigung mit der Flakhelfergeneration ruft eine Erinnerung hervor, die manchen Menschen unangenehm ist. Nicht zufällig gab es in der Bundesrepublik einmal die sogenannte Schlußstrichdebatte. Halten Sie die Forderung, diese Dinge endlich einmal beiseitezulegen, um normale Verhältnisse herzustellen, für eine notwendige oder gar positive Entwicklung?

AA: Die Schlußstrichdebatte hat sehr gut zwischen 1945 und Mitte der 80er Jahre funktioniert. Kohl war noch ein Anhänger des Schlusstrichs im Adenauerischen Fahrwasser. Nicht nur Deutsche, auch Engländer haben diese Idee, daß wir das Vergangene abschließen müssen, damit wir eine neue Zukunft schaffen können, verfolgt. In seiner Rede vor der Studentenschaft der Universität Zürich hat zum Beispiel Churchill 1946 gesagt: Wir müssen diese Vergangenheit auf sich beruhen lassen, wenn wir das Haus Europa bauen wollen, sonst tragen wir ja nur Haß und Rache in die Zukunft hinein. Die Erinnerung - und da hat er völlig recht - kann auch negative Folgen haben, beispielsweise, daß man die ganze Zeit Rechnungen begleichen möchte und die Textur des sozialen Gewebes zerreisst. Natürlich war das unglaublich entlastend für die Gesellschaft, die alles vergessen oder besser gesagt in Klammern setzen wollte, denn natürlich kann man so etwas nicht vergessen. Aber man wollte das Thema in der Öffentlichkeit nicht traktieren und sich statt dessen gemeinsam - wie es Hermann Lübbe sagte - auf die große Aufgabe einstimmen, aus Parteigenossen Bundesbürger einer neuen Demokratie zu machen. Diese große Transformation war, wie er es ausdrückte, nur im Kokon eines kommunikativen Schweigens möglich. Inzwischen hat man ihm recht gegeben, daß es vielleicht eine solche Phase geben mußte, damit diese Verwandlung passieren konnte, an der übrigens die Flakhelfer - deswegen auch mein Interesse an ihnen - einen besonderen Anteil hatten.

Die Flakhelfer waren bei Kriegsende ungefähr 18 Jahre alt. In dem Alter fängt man normalerweise zu studieren an, aber meistens mußten sie noch zwei, drei Schuljahre nachholen, ehe sie ins Studium gehen konnten. Im Gegensatz dazu hatte die Kriegs-Generation der Väter bereits ihre Schriften verfaßt, ihre geistigem Karrieren und berufliche Existenzen in der NS-Zeit aufgebaut und konnte also nicht so schnell umschalten wie die Flakhelfergeneration, die einfacher den Schalter umstellen konnte, obwohl sie in ihrer gesamten Sozialisation durch und durch indoktriniert war. Von daher hatte das kommunikative Schweigen vielleicht die Demokratisierung Deutschlands ermöglicht, aber mit dem einen ganz großen Nachteil, den Lübbe nicht erwähnt, nämlich daß die Opfer und Verfolgten keine Stimme hatten. Auch sie mußten schweigen.

Das hat zu sehr schlimmen Verhältnissen geführt. Erst als sie verspätet Zeugnis ablegen konnten, hat sich das umgedreht, und dann ist auch eine neue Begrifflichkeit entstanden. Ich drücke das für mich so aus: Auf den Schlußstrich ist der Trennungsstrich gefolgt. Das klingt oberflächlich betrachtet vollkommen gleich, aber im Grunde kann man an diesen beiden Begriffen die umfassende Veränderung unseres Verhältnisses zur Vergangenheit sehr klar aufzeigen. Der Schlußstrich bedeutet, wir machen hier einen Strich und vergessen, was vorher war, und kümmern uns um das, was jetzt kommt. Der Trennungstrich bedeutet, wir ziehen eine ganz klare Linie zwischen uns und damals, aber damit wir diese Linie im Auge behalten können und auch wissen, daß wir uns wirklich davon wegbewegt haben - was wir nicht wissen, wenn wir den Schlußstrich ziehen -, müssen wir uns erinnern, was vorher war. Das ist ein reflektiertes Verhältnis zu dieser Schwelle. In diesem Fall heißt das, man muß erinnern, um sich davon zu distanzieren.

SB: Giorgio Agamben hat in seinem Buch "Was von Auschwitz bleibt" die authentische Zeugenschaft auf bestimmte Personen begrenzt: die sogenannten Muselmänner, die schon in der Lagersituation ausgegrenzt wurden, weil sie des Todes waren. Agamben warf die Frage auf, inwiefern das historische Zeugnis und ein Erinnern in Authentizität überhaupt möglich sein kann, wenn man nicht absolut betroffen ist. Könnten Sie diese These aus Ihrer Sicht kommentieren?

AA: Man kann diese These sogar noch verschärfen. Claude Lanzmann und auch viele Überlebende sind der Ansicht, daß die eigentlichen Zeugen die Toten selber sind, also die, die gar nicht mehr reden können. Das Wort Zeuge leitet sich vom griechischen martys ab, der als Märtyrer für seinen Glauben stirbt. Aber er brauchte bereits einen Zeugen, der dieses Martyrium weitererzählte. Der Zeuge, wie wir ihn heute verstehen, ist sowohl Opfer als auch jemand, der etwas gesehen hat. Der Überlebende wurde so zum sekundären Zeugen für die toten Opfer der Gewalt. Die sekundären Zeugen haben also eine ganz wichtige Mission als Zeugen für diese Zeugen. Agamben dagegen hat hier eine Grenze gezogen. Für ihn zählt nur das das Limenale, die letzte Schwelle vor dem Tod, alles andere hat demgegenüber keine Gültigkeit. Das ist eine intellektuelle Strategie der Dramatisierung.

Ich habe mich lange mit Geoffrey Hartman über diese These unterhalten, der seit den frühen 80er Jahren das Projekt der Fortunoff Archives in Yale leitet, wo Überlebende in Videozeugnissen zur Rede kommen. Spielberg hat das gleiche in den 90er Jahren nach einem klaren Fragebogen gemacht, was viel schematischer war. Die Yale-Zeugnisse sind ein großartiger Beginn dieses ganzen Projekts. Hartman ging es darum, so viel wie möglich zu erfassen. In der Sicht von Agamben würden diese Überlebenden, die Zeugnis abgelegt haben, den Namen Zeuge gar nicht verdienen. Warum muß diese Ausschließlichkeit sein? Mir scheint, dahinter steckt auch ein intellektueller Narzissmus. Wer die steilste These aufstellt, kriegt mehr Aufmerksamkeit.

Ein junger Israeli arbeitet im Moment über den Zustand derer, die in den Konzentrationslagern zur Arbeit gezwungen wurden und zum Teil überlebten. Warum sollte man das schwerste Los dieser Menschen entwerten, indem man sagt, nur der Muselmann zählt? Das würde die Aufmerksamkeit abwenden von dieser Minimalexistenz eines Überlebens im Regime des Todes. Zur Ökonomie in den Konzentrationslagern gehörte zum Beispiel die Kleidung und die Tasche darin. Von der Frage, ob man eine Tasche hatte, in die man etwas stecken konnte, hing manchmal das Überleben ab. Jedes kleinste Detail war von Wichtigkeit. Das sind durchaus wichtige Untersuchungen zur Ethnographie des Überlebens in den Todeslagern. All das könnte man gar nicht machen, wenn man eine solche These aufstellt.

Die letzte Generation der überlebenden Zeugen sind die Kinder. Ruth Klüger ist kürzlich im Bundestag aufgetreten, man könnte noch Dov Kulka hinzufügen, der ebenfalls als Kind Auschwitz überlebt hat, aber das hört jetzt sehr bald auf. Die Flakhelfer sind Überlebende einer anderen Art, sie sind Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs. Natürlich kommt dann auch die Frage auf, ob man ihnen überhaupt zuhören soll. Schließlich gibt es eine Hierarchie der Opfer, und vielleicht sind sie auch Täter, also wie halten wir es damit? Möglicherweise war es auch ein Grund, warum sie so lange geschwiegen haben, weil sie sich fragten, wie steht mein Zeugnis neben dem Zeugnis der überlebenden Opfer? Ich denke, es ist an uns, auch diejenigen, die sich aus solchen Gründen zurückhalten, zu Wort kommen zu lassen. Auch wir haben ein Recht auf ihre Erinnerungen, denn an diesem Krieg, der die deutschen Familien mit einbezogen hat, hängen auch noch die Kinder und Kindeskinder. Wir müssen auch diese Welt und diese Erfahrungen kennen, um unsere eigene Geschichte zu verstehen.

SB: Frau Assmann, vielen Dank für das lange Gespräch.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Moderatorin Mechthild Klingenburg-Vogel und Aleida Assmann bei der Diskussion
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] INTERVIEW/032: Krieg um die Köpfe - Frieden schaffen ohne Waffen ...    Mechthild Klingenburg-Vogel im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/sozial/report/sori0032.html

[2] INTERVIEW/035: Kulturarchiv des Krieges - erschöpft, ermüdet, überlebt ...    Aleida Assmann im Gespräch (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/report/bkri0035.html

19. März 2016


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