Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → SPRACHEN

ENGLISCH/735: Britain today (42) Wilfing - What was I looking for (SB)


Wilfing - Ein neuer Begriff im Sprachgebrauch


verschleiert die Suchtgefahr mit vermeintlichem Lifestyle



What was I looking for? - Was wollte ich denn eigentlich hier noch? Diese Frage ist jedem streßgeplagten, mehr oder weniger berufstätigen Mitteleuropäer ein Begriff, auch wenn er noch nicht die Altersgrenze überschritten hat, in der man Gedächtnisaussetzer und Konzentrationsschwächen unbedingt erwartet. Denn jeder Mensch wird in seinem normalen Umfeld, ob im Beruf oder zu Hause, durch derart viele Störungen in seiner Konzentration unterbrochen, daß er sich nicht wundern muß, wenn er in den Keller oder in die Küche geht, um eine einfache Routinearbeit auszuführen, und plötzlich nicht mehr weiß, was er dort wollte. Auch eigene Gedanken und Überlegungen können diese Störfunktion nach sich ziehen.

Doch obgleich solche Konzentrationsstolperer gang und gäbe sind, werden sie gemeinhin als ausgesprochen unangenehm empfunden, so daß man sie eher verdrängen würde, als noch ein eigenes Wort dafür zu erfinden. Anders ist es bei den Briten. Die haben jetzt extra ein neues Verb geprägt, das allerdings nicht, wie es die wörtliche Übersetzung nahelegt, das plötzliche Stutzen und die verzweifelte Suche nach dem ursprünglichen Anliegen beschreibt, sondern etwas ganz anderes. "To wilf" oder "wilfing" ((what) was I looking for) beschreibt den Vorgang, der dazu führt, daß man durch unzählige Möglichkeiten und interessante Ablenkungen gewissermaßen vom Hundertsten ins Tausendste kommt und schließlich nicht mehr weiß, was man eigentlich wollte. Für das ungezielte, sinnlose umherflippen im "worldwide web", bei dem laut einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung des AFP britische Internet-Kunden ganze Tage vergeuden, gibt es eigentlich schon einen Begriff, der für die erfolgreiche wie erfolglose Suche im Internet steht: "surfen".

Vor allem Männer seien dem Wilfing verfallen, heißt es in einer Studie, die im Auftrag der Insider-Homepage moneysupermarket.com erstellt und am 10. April veröffentlicht wurde:

Demnach gestanden zwei Drittel der Befragten ein, daß sie sich gelegentlich bei der Trend-Beschäftigung "wilfing" ertappen, dem sinnlosen Surfen im Internet, das anschließend kaum Spuren im Gedächtnis hinterlässt. Diese Zeit summiert sich auf durchschnittlich zwei Tage im Monat. Die Studie wurde vom Institut YouGov erstellt und berücksichtigt Antworten von 2400 Erwachsenen.
(AFP, 10. April 2007)

Tatsächlich sagt die Studie aber auch etwas über die scheinbar so gewinnbringende und hochgelobte Möglichkeit aus, von jeder Stelle und aus jeder Situation heraus direkt und spontan im Internet zu recherchieren. Die erwartete Abkürzung, um an Informationen zu gelangen, die sonst oft durch Barrieren und Hemmschwellen wie förmliche Anschreiben oder Telefonate besetzt waren, erweist sich letztlich als verführungsintensiver, trödeliger Umweg und in den meisten Fällen sogar als Flop:

Ein Viertel der Befragten gab an, ein Drittel oder mehr der gesamten Internet-Surfzeit ohne jeden benennbaren Erkenntnisgewinn zu verbringen. "Das Internet wurde entwickelt, um den Menschen den Zugang zu Informationen zu erleichtern", sagte Studienleiter Jason Lloyd. "Unsere Studie zeigt indes, dass die Leute sich mit einem bestimmten Ziel ins Netz einklinken, angesichts der vielfachen Ablenkungen aber völlig vergessen, wonach sie eigentlich suchten und stundenlang mit wilfing beschäftigt sind."
(AFP, 10. April 2007)

Ein Drittel der Männer gab an, daß durch den vermeintlichen Zugewinn an Lebensqualität ihre Partnerschaft beeinträchtigt worden sei - vermutlich auch deswegen, weil ein Fünftel der Befragten zugaben, sich von Sex- und Porno-Websites berieseln zu lassen. Das alles erinnert zunehmend an Science fiction-Szenarien wie in der Serie Perry Rhodan beispielhaft beschrieben, in denen Menschen mittels künstlich erzeugter Träume und virtueller Welten im sogenannten "Simu-sense- Netz" ruhiggestellt werden, um jedweden potentiellen Widerstand gegen tatsächliche Vorgänge und Gegebenheiten der Realität schon im Keim zu ersticken. In diesem Sinne kann man auch nur verstehen, daß die Begriffsprägung "wilfing", die als Lifestyle- oder Trendbegriff in eine Reihe mit positiv besetzten Begriffen wie "surfing", "podcasting" oder "emoticons" gestellt wird, nur dazu dient, das ungezielte Abhängen im weltweiten Datennetz noch zu fördern, als es kritisch zu hinterfragen. Die Briten sind hier offensichtlich nur die Vorreiter für eine weltweite "wilfing"-Bewegung, die überall glückliche Menschen zurückläßt, mit der gleichgültig zufriedenen Lebenshaltung: "Was wollt ich denn? - Wollt ich überhaupt was? - Nö nix!".


14. Mai 2007