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BIBLIOTHEK/427: Forschungsprojekt - Einfluß und die Bedeutung der Fürstenbibliothek Arolsen (idw)


Technische Universität Berlin - 06.05.2010

TU Berlin: Wo Wilhelm von Humboldt ins Schwärmen geriet

DFG-Forschungsprojekt untersucht den Einfluß und die Bedeutung der Fürstenbibliothek Arolsen


Als Wilhelm von Humboldt 1788 nach Arolsen kam, in die Residenzstadt der Grafen und Fürsten von Waldeck-Pyrmont, war er voll des Lobes. Angetan von Bildungsliebe und Wissensdurst des Fürstenhauses, vom prächtigen Barockschloss und vor allem der außerordentlichen Bibliothek schwärmte er in seinem Reisetagebuch: "Ueberall hiengen schöne Gemählde, und man kann es in der Arolsischen fürstlichen Häusern nirgends verkennen, daß der Fürst und die Fürstin die Künste und die Wissenschaften lieben [...]."

Fürst Carl August Friedrich von Waldeck und Pyrmont und seine Gattin Fürstin Christiane regierten zwar nur ein kleines Fürstentum, ihre gesellschaftlichen Verbindungen jedoch reichten hinauf bis zum Kaiser, ihre Kontakte zur intellektuellen Elite waren zahlreich. So unterhielt man etwa enge Beziehungen zu Sir und Lady Hamilton in Neapel, zum österreichischen Staatsmann Fürst Kaunitz, zu dem berühmten Göttinger Professor Christian Gottlob Heyne und dem Leipziger Philosophen und Dichter Christian F. Gellert. Darüber hinaus weilten am Arolser Hof berühmte Künstler wie der Musiker André Danican Philidor, der im Dienste Ludwig XIV. stand; andere wie die Brüder Tischbein, Jacob Philipp Hackert und Alexander Trippel wurden vom Fürstenhaus beauftragt - und Johann Wolfgang von Goethe zählte den Sohn der Fürstenfamilie, Prinz Christian, zu seinen engsten Freunden.

Diese weit verzweigten Verbindungen und intellektuellen Interessen spiegelten und spiegeln sich noch immer in der "vorzüglich wichtigen" Bibliothek,die Humboldt zum Staunen brachte und die nun im Zentrum eines außergewöhnlichen DFG-Forschungsprojektes steht. Zunächst auf drei Jahre angelegt und mit etwa 500.000 Euro gefördert wird seit Juli 2009 "Die Fürstenbibliothek Arolsen als Kultur- und Wissensraum vom 16. bis zum frühen 19. Jahrhundert und ihre Einflüsse auf Genese, Formung und Identität des Fürstenstaates" untersucht. Die Germanistik-Professoren Dr. Claudia Brinker-von der Heyde von der Universität Kassel und Prof. Dr. Jürgen Wolf von der TU Berlin haben das Projekt initiiert und sind federführend. Die Verwaltung liegt bei der Kasseler Universität.

Die wissenschaftliche Aufarbeitung der Bibliothek ist ein ambitioniertes Projekt und ein Glücksfall für die Forschung. Nur wenige Bibliotheken haben ihre Bestände derart zusammen halten können. Insgesamt 35.000 Werke von herausragender Qualität und Bedeutung umfasst die Bibliothek noch heute. Darunter finden sich geschichtliche und philosophische Werke, Bücher zur Aufklärung, zur Pädagogik, zu Gesetzgebung und Recht, Militaria, Kartenwerke, Zeitschriften, wichtige Klassikerausgaben, umfängliche Reiseliteratur und - in Fragmenten - die mittelhochdeutsche Klassik.


Das Bildungsniveau zu heben war das Ziel der Fürstin und ihrer Söhne

Ziel des Forschungsprojektes ist die komplette Aufarbeitung, Sicherung, Digitalisierung und Erschließung dieser Bestände. Darüber hinaus geht es den Wissenschaftlern um Fragen von kulturhistorischer Bedeutung: Welche intellektuellen Tendenzen wurden in die Bibliothek aufgenommen und welche strahlten aus ihr heraus? Wie ist Wissen gesammelt und weitergegeben worden? Inwiefern kann man diese Hofbibliothek als einen Kulturraum verstehen, in dem das Wissen der Welt gespeichert und für die Nutzung am Hof, aber auch im Fürstentum, in der Stadt und im Privaten aufbereitet wurde? Und vielleicht die interessanteste Frage: Lässt sich Arolsen im Spiegel seiner Bibliothek als ein "Europa im Kleinen" betrachten?

Fest steht: Die Fürstenbibliothek Arolsen war mit ihren spezifischen Sammlungsschwerpunkten Antike, Reise, Weltwissen prototypisch für ihre Zeit und dennoch besonders, weil sie sich den außergewöhnlichen Interessen der "sehr gebildeten" Fürstin Christiane (Wilhelm von Humboldt) und ihren drei Söhnen verdankte. Die Bibliotheksgeschichte geht zwar zurück bis ins Mittelalter, doch ihre Blütezeit erlebte sie zur Zeit der Aufklärung unter der Fürstin und ihren Söhnen Christian August, Friedrich Carl August und Georg zu Waldeck und Pyrmont. "Die Fürsten hatten den Anspruch, mit ihrer Bibliothek die éWelt als Ganzes' abzubilden und sie in ihr kleines Fürstentum hineinzuholen", so Prof. Dr. Jürgen Wolf. Und sie wollten, dass diese Welt in ihr Land hinausstrahlt. Das Bildungsniveau zu heben, war erklärtes Ziel. So machten sie die Bibliothek bereits 1794 öffentlich zugänglich. Wertvolle Quellen wie Ausleihlisten und Bibliothekskataloge, die nun erstmals vollständig ausgewertet werden, sowie zahllose Benutzerspuren in einzelnen Werken, geben berechtigte Hoffnung, den Einfluss der Bibliothek auf Staatsform und Bildungswesen sowie auf das öffentliche Leben "ablesen" zu können.

Damit reiht sich das DFG-Forschungsprojekt, das erst am Anfang steht, ein in die vielfältigen Projekte der TU Berlin, die den Anfängen der so genannten Wissensgesellschaft auf den Spur sind. Mit der Erforschung der Arolser Fürstenbibliothek lässt sich Prozessen wie der Kulturwahrnehmung, des Wissenstransfers und der Wissensspeicherung auf die Spur kommen. Nicht zuletzt die fruchtbare Zusammenarbeit der Universität Kassel und der TU Berlin mit Institutionen und Fachleuten aus dem In- und Ausland, beispielsweise mit dem Staatsarchiv Marburg und dem Bildarchiv Foto Marburg, dem CENSUS of Antique Works of Art and Architecture (Humboldt-Universität zu Berlin) sowie der Universitätsbibliothek Heidelberg, ermöglicht, das Fürstentum als Ganzes in den Blick zu bekommen und zu untersuchen, wie "Wissen entsteht und sich verbreitet". Je mehr der Bibliotheksschatz gehoben wird, desto mehr offenbart sich tatsächlich ein "Europa im Kleinen". Kein Wunder, dass Wilhelm von Humboldt ins Schwärmen geriet. Die Wissenschaftler von heute tun es ihm gerade nach.

Eva Hepper


Weitere Informationen unter: http://www.pressestelle.tu-berlin.de/?id=4608 http://www.pressestelle.tu-berlin.de/medieninformationen/

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Berlin, Dr. Kristina R. Zerges, 06.05.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2010