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VERLAG/086: Berufsleser und Projektmanager (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 1 - 2007

Berufsleser und Projektmanager

Von Walter Hömberg


Viele Kommunikationsberufe - Journalist, PR-Experte oder Pressesprecher - sind mittlerweile empirisch gut untersucht. Eine neue Studie widmet sich einem bisher kaum bekannten Berufsbild: dem Lektor im Buchverlag.


Als ich den Beruf ergriff, stellte ich mir vor, dass der Lektor ein Leser ist, der aus seiner Leidenschaft zu lesen einen Beruf gemacht hat. Einige Zeit später definierte ich das anders, da sagte ich etwa: Der Lektor ist ein professioneller Leser, der andere Leser davor bewahrt, ihre Lust am Lesen zu verlieren. Dann kam eine dritte Phase, in der ich begriff, dass es der besondere Reiz dieses Berufes ist, am Entstehungsprozess von Büchern teilzunehmen."

Mit diesen Sätzen umreißt Dieter Wellershoff, der von 1959 bis 1981 als Lektor bei Kiepenheuer & Witsch in Köln tätig war, die Problematik eines Berufsbildes, das aus schemenhaften Vorstellungen und überkommenen Klischees besteht. Wie manche seiner Vorgänger ist Wellershoff erst als Autor bekannt geworden - Lektoren bleiben nach wie vor weitgehend anonym. Kaum jemand von ihnen ist in der Öffentlichkeit bekannt. "Die Autoren sind es, die, wenn es gutgeht, im Lichte stehen. Und die Lektoren bleiben, was immer auch geschieht, im Dunkel", so resümierte im vergangenen Jahr Marcel Reich-Ranicki in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Die weitgehende Anonymität führt zu diffusen Auffassungen von diesem Beruf. Lektor heißt zu Deutsch Leser. Doch wer glaubt, der Verlagslektor verbringe den ganzen Tag mit erbaulicher Lektüre und bekomme auch noch ordentlich Geld dafür, der irrt. Ein Lektor muss heute ein wenig Verleger und ein wenig Autor sein, ein wenig Förderer und ein wenig Marketingprofi und - selbstverständlich - ein Hellseher. Als Projekt- und Produktmanager ist er ein Mädchen für alles geworden. Dennoch halten sich beharrlich die Gerüchte vom professionellen Bücherwurm, der an einem mit Papier übersäten Schreibtisch sitzt und bei der Durchsicht der eingesandten Manuskripte neue literarische Schätze entdeckt. Das Spitzweg-Stereotyp vom im stillen Kämmerlein sinnierenden Dauerleser ist auf den Lektor wohl nie zugetroffen. Aber welches Bild charakterisiert ihn dann?

Antworten darauf gibt eine Studie, die seit 2005 am Lehrstuhl für Journalistik I der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt wird. Die Untersuchung umfasst drei Erhebungsphasen: a) eine schriftlich- postalische Umfrage bei deutschen Buchverlagen (N = 1344; Rücklauf: 488 = 36,3 Prozent); b) eine mündlich-telefonische Befragung von fest angestellten Lektoren (N = 311; CATI-System); c) mündliche Intensivinterviews (Leitfadengespräche) mit ausgewählten Lektoren aus verschiedenen Verlagstypen (N = 16).

Anlage, Durchführung und Ergebnisse der Studie werden im Detail erläutert und dokumentiert in einer ausführlichen Buchveröffentlichung, die im kommenden Jahr erscheinen soll. Im Folgenden werden einige ausgewählte Ergebnisse aus der telefonischen Befragung der Lektoren mitgeteilt.

Viele Lektoren sind Quereinsteiger: 55 Prozent der Befragten gaben an, vor ihrer jetzigen Tätigkeit bereits über ein Jahr in einem anderen Beruf gearbeitet zu haben - vorzugsweise in anderen Bereichen der Medienbranche (Journalismus, Werbung, Buchhandel), aber auch im medizinisch-naturwissenschaftlichen Bereich oder im Bereich der Bildung (Universität, Schule). Eine weitere große Gruppe hat ihre berufliche Laufbahn direkt im Verlag begonnen und ist nach ihrer Ausbildung oder Tätigkeiten im administrativen oder herstellerischen Bereich ins Lektorat gewechselt.

Auffällig ist, dass der Beruf des Lektors ein Frauenberuf ist. Fast zwei Drittel der Befragten sind weiblichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter liegt bei Anfang vierzig. Das formale Bildungsniveau ist sehr hoch: 70 Prozent haben ein abgeschlossenes Hochschulstudium, jeder Fünfte hat promoviert. Dabei überwiegen deutlich die sprach- und literaturwissenschaftlichen Fächer, allen voran die Germanistik. Daneben werden Studienabschlüsse in Kunst- und Kulturwissenschaft, in der Geschichtswissenschaft, aber auch im Bereich Naturwissenschaft und Technik genannt. Absolventen der Kommunikationswissenschaft, der Medienwissenschaft und der Publizistik sind unter den Lektoren ebenfalls zu finden. Ein einschlägiges Studium der Buchwissenschaft, der Verlagswirtschaft oder der Bibliothekswissenschaft haben nur wenige absolviert.

Die Qualifikationen für den Lektorenberuf haben sich 45 Prozent der Befragten unter anderem in einem Praktikum oder einer Hospitanz erworben. Gut ein Drittel hat ein Verlagsvolontariat durchlaufen. Eine berufliche Ausbildung in Verlag, Buchhandel oder Bibliothek ging nur bei jedem Fünften der Arbeit im Lektorat voraus. Einschlägige Lektorenkurse haben 37 Prozent besucht. Somit zeichnet sich bezüglich des Berufszugangs kein einheitliches Bild ab. Doch ist der Anteil der Lektoren, die ein berufliches Qualifizierungsangebot in Anspruch genommen haben, recht groß.

Vier von fünf der befragten Lektoren arbeiten in Vollzeit in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Im Schnitt haben sie rund zehn Jahre einschlägige Berufserfahrung. Analog zu den Ergebnissen der Verlagsbefragung, wonach die Branche von Sach- und Fachbuchverlagen sowie wissenschaftlichen Buchverlagen dominiert wird, herrschen auch bei den Tätigkeitsgebieten der Lektoren diese Bereiche vor. Etwa zwei Drittel der Befragten gaben an, häufig bzw. sehr häufig in einem dieser Gebiete tätig zu sein. Für die Belletristik sind nur rund 20 Prozent der Lektoren häufig oder sehr häufig zuständig.

Bei den Editionsformen, die in die Zuständigkeit der befragten Lektoren fallen, ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Verlagsbefragung hatte bereits gezeigt, dass die noch jungen Produktionsverfahren des Publishing-on-Demand und der elektronischen Speichermedien bisher nur einen geringen Anteil am gesamten Verlagswesen einnehmen. Daher verwundert es wenig, dass knapp die Hälfte der Befragten angaben, nie Produkte im Bereich der elektronischen Medien zu betreuen, und drei Viertel mitteilten, nie für Publishing-on-Demand-Projekte zuständig zu sein. Die Lektoren leisten ihre Arbeit nach wie vor überwiegend im Bereich der Hard- und Softcovertitel.

Die reale Arbeitszeit der Lektoren liegt deutlich über der 40-Stunden- Woche. Betrachtet man nur die in Vollzeit beschäftigten Lektoren, so kommt man im Schnitt auf gut 45 Stunden, wobei einzelne Respondenten bis zu 90 Wochenstunden angeben. Die in Teilzeit beschäftigten Lektoren arbeiten durchschnittlich etwa 25 Stunden in der Woche. Dabei werden von den Lektoren insgesamt im Schnitt 21 Manuskripte pro Jahr zur Druckreife gebracht. Nur ein kleiner Teil der tatsächlich veröffentlichten Texte wurde zuvor unverlangt eingesandt (circa 15 Prozent) - wobei bereits innerhalb eines Monats bei vielen Verlagen mehr unverlangte Manuskripte eingehen, als von einem Lektor im Laufe eines Jahres druckreif gemacht werden (rund 24 unverlangt eingesandte Manuskripte pro Monat). Die Befragung bestätigt somit die Angaben in der einschlägigen Literatur, wonach nur ein geringer Bruchteil dieser Manuskripte eine Chance hat, veröffentlicht zu werden.

Welche Aufgaben bilden heute den Kernbereich der ausgeübten Tätigkeiten? Trotz aller Unkenrufe, der Verlagslektor werde immer mehr zum Produktmanager: Die klassischen Lektoratsaufgaben sind auf einer Rangliste der am häufigsten ausgeübten Tätigkeiten noch immer ganz vorn zu finden. Am meisten genannt wird die Betreuung der Autoren: 96 Prozent der Befragten gaben an, dies "häufig" zu tun. Platz zwei belegt die Arbeit am Manuskript (Prüfen von Textaufbau und Stil) nur 91 Prozent. Auf den Plätzen drei und vier folgen fast gleichauf das Verfassen von Informationstexten (86 Prozent) und die Prüfung von Manuskripten auf ihre Tauglichkeit für das Verlagsprogramm. Die Tätigkeit, die den fünften Platz der Rangliste einnimmt, bringt man sicherlich wenig mit dem Klischee des Lektors als Bücherwurm in Verbindung: Erstellen und Überwachen von Zeitplänen (81 Prozent). Es folgen die Entwicklung neuer Buchideen, die (Rechtschreib-) Korrektur und die Kostenkalkulation. Bei der Lektoratsarbeit muss also die Erfüllung klassischer Aufgaben mit arbeitsökonomischem Handeln verbunden werden. Auf den hinteren Plätzen liegen Tätigkeitsfelder, die bei größeren Verlagen eigenen Abteilungen zugeordnet sind (Layout, Marketing, Herstellung).

Worum geht es den Lektoren bei ihrer Arbeit? Und lassen sich ihre Ziele im beruflichen Alltag verwirklichen? Um das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit zu überprüfen, das unter anderem als Messinstrument für die berufliche Zufriedenheit dient, wurden den Befragten zehn Aussagen vorgegeben, die die unterschiedlichsten Positionen von eher materialistischen bis eher altruistischen Haltungen umfassen. Die Antworten zeigen, dass sich die Lektoren überwiegend als Diener der Interessen ihres Verlags sehen. 53 Prozent stimmten dieser Aussage "voll und ganz" zu, 41 Prozent "überwiegend". Daneben wollen Lektoren mit ihrer Arbeit die Bildung und die Aufklärung befördern. 42 Prozent stimmten dieser Aussage "voll und ganz", 31 Prozent "überwiegend" zu. An dritter Stelle stehen die Interessen der Autoren. Ihnen fühlen sich 32 Prozent der Lektoren bei ihrer Arbeit "voll und ganz" und 45 Prozent "überwiegend" verpflichtet. Damit wird das vielfach beschriebene janusköpfige Wesen des Lektors deutlich: Er hat den Anspruch, den oft gegensätzlichen Interessen von Verlag und Autoren zu entsprechen und beiden fast gleichermaßen gerecht zu werden.

Ein Blick auf die weiteren Rangplätze (Tabelle) zeigt, dass sich nach den eher dienenden Haltungen im Mittelfeld das Streben nach hohen Auflagen- und Verkaufszahlen, die Vermittlung neuer Ideen und die Selbstverwirklichung zu finden sind. Auf den hinteren Plätzen steht der Wunsch, die Literatur zu fördern, den Leser zu unterhalten und zu entspannen, ihm Orientierung und Lebenshilfe zu geben. Ganz zuletzt verfolgen Lektoren das Ziel, mit ihrer Arbeit viel Geld zu verdienen.

Betrachtet man, inwiefern die angestrebten Ziele erreicht werden können, so scheint es überwiegend leicht, sowohl den Vorstellungen des Verlags als auch den Erwartungen des Autors zu entsprechen. So gaben jeweils zwischen 86 und 92 Prozent der Befragten, die diese Ziele zumindest "überwiegend " verfolgen, an, dass sie diese in der Regel auch erreichen. Hohe Auflagen- und Verkaufszahlen sind hingegen schwer erreichbar. Nur 26 Prozent der Befragten, die dieses Ziel verfolgen, gelingt es, diesen Anspruch zu verwirklichen. Am schwierigsten lassen sich Anspruch und Wirklichkeit jedoch für jene Lektoren in Einklang bringen, die mit ihrer Arbeit viel Geld verdienen wollen. Nur jedem fünften Lektor, der nach materiellem Wohlstand strebt, gelingt dies auch. Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen eines ganztags beschäftigten Lektors liegt bei 2000 Euro. Lektoren verdienen somit weniger als andere Kommunikationsberufe wie etwa Journalisten oder Pressesprecher.

Dennoch zeigte sich in Bezug auf die Berufszufriedenheit, dass die Lektoren nur wenig zu kritisieren haben. Besonders das Verhältnis zu den Arbeitskollegen wird sehr geschätzt. 95 Prozent der Befragten gaben an, damit eher bis sehr zufrieden zu sein. Auch die Möglichkeit, die Arbeit selbst einzuteilen, wird von den Lektoren als positiv bewertet. Darüber hinaus herrscht eine große Zufriedenheit mit den eigenen beruflichen Qualifikationen, wenngleich die Möglichkeit, sich beruflich weiterzubilden, nur für die Hälfte der Befragten ausreichend ist. Die Sicherheit, die der Beruf bietet, wird durchschnittlich bewertet. Die Höhe der Bezahlung, die Aufstiegsmöglichkeiten, die Zeit für die Kernaufgaben und die Arbeitsbelastung werden hingegen als weniger zufriedenstellend empfunden.

An der insgesamt hohen Berufszufriedenheit ändert auch die Erwartung der befragten Lektoren nichts, dass in Zukunft das Verlagswesen und die Arbeit in den Lektoraten immer mehr von ökonomischem Handeln bestimmt sein wird. Lektoren werden, so die Einschätzung der Befragten, verstärkt wirtschaftliche Interessen ihres Verlages vertreten, mehr Zeit mit Planen, Koordinieren und Delegieren verbringen, mehr technische Kompetenzen beherrschen und betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben müssen. Dennoch gehen sie davon aus, dass die klassischen Kerntätigkeiten wie Betreuen der Autoren und Arbeiten am Manuskript auch weiterhin zu ihren Aufgaben gehören und nicht dem Outsourcing anheimfallen werden. Einen Kompetenzverlust an externe Dienstleister wie zum Beispiel literarische Agenten und freie Lektoren scheinen die Verlagslektoren nicht zu befürchten.

Die drei Erhebungsphasen haben eine Fülle von Informationen über die Organisationsstruktur von Buchverlagen sowie über Berufsbild, Anforderungsprofile und Arbeitsweisen der dort tätigen Lektoren erbracht. Damit gewinnt ein bisher weitgehend unbekannter Kommunikationsberuf an Konturen.

(Prof. Dr. Walter Hömberg hat seit 1988 an der KU den Lehrstuhl für Journalistik I inne. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören die journalistische Berufsforschung, Medien- und Kommunikationsgeschichte sowie Kulturkommunikation. Am Lektoren-Projekt wer Susanne Pypke als wiss. Mitarbeiterin beteiligt.)

Wichtigkeit beruflicher Ziele
Anspruch


voll und
ganz*

überwie-
gend

teils/
teils

überwie-
gend
nicht
über-
haupt
nicht
Rang


Interessen des Verlags
Bildung und Aufklärung
Interessen der Autoren
Auflage und Verkaufszahlen
neue Ideen vermitteln
Selbstverwirklichung
Literatur fördern
Unterhaltung / Entspannung
Orientierung / Lebenshilfe
viel Geld verdienen
53,2
41,9
31,6
36,1
24,2
19,0
18,4
18,1
15,4
6,5
41,3
31,3
44,5
32,3
35,8
31,2
15,7
16,5
14,1
9,7
4,5
17,1
19,7
21,0
24,4
33,8
21,3
16,8
19,6
27,5
0,6
6,5
2,6
9,0
10,6
10,6
20,7
20,3
23,2
40,5
0,3
3,2
1,6
1,6
4,8
5,5
23,9
28,4
27,7
15,9
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10

* Alle Angaben in Prozent (N = 311)


*


Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
23.Jahrgang, Ausgabe 1/2007, Seite 23-25
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität,
Prof. Dr. Ruprecht Wimmer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2007