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REZENSION/009: Gustav Langenscheidt - Reisetagebuch (1849 - 1850) (SB)


Gustav Langenscheidt


Reisetagebuch

Promenaden durch Nord, Süd und West 1849 - 1850



Die Ereignisse, die der Gründung des Langenscheidt-Verlags vor genau 150 Jahren vorausgingen, waren sprichwörtlich äußerst bewegt: Der 17jährige Gustav Langenscheidt hatte sich in den Jahren 1849 und 1850 zu einer monatelangen Fußreise von Berlin aus kreuz und quer durch Europa entschlossen. Dabei bekam er es beinahe vor seiner eigenen Haustür, also noch inmitten des deutschen Sprachraums, mit einem fundamentalen Problem vieler Reisender zu tun: Er verstand kaum ein Wort von dem, was ihm die Einheimischen erklärten. Langenscheidt trug dazu in sein Reisetagebuch ein:

Hamburg war vorläufig mein Ziel. Mein Ränzel war leicht und drückte nicht. Denn was ich sonst noch an Effekten mitnahm, hatte ich der Post übergeben. Bei Warnow betrat ich die Mecklenburgische Grenze. Ich konnte kein Wörtchen der Landleute dieser Gegend verstehen. Sie sprechen ein schauerliches Plattdeutsch.

Ganz zu schweigen von den Engländern, zu denen ihn seine Reise später führen sollte! Es sei ein "wahrhaft peinliches Gefühl, unter Menschen nicht Mensch sein und seine Gedanken austauschen zu können", notierte Langenscheidt nach seinem Besuch in einer im doppelten Sinne ziemlich anrüchigen Unterkunft in London.

Von seiner angeblich zu Fuß absolvierten, womöglich bei Gelegenheit auch per Postkutsche oder Bahn beschleunigten Reise hatte Gustav Langenscheidt ein Tagebuch angelegt. Das wurde nun in gekürzter Fassung von dem Langenscheidt-Verlag zu seinem 150. Jubiläum als Hörbuch auf CD herausgegeben. Die Stimme des Sprechers liefert der Hörfunkjournalist Dieter Mayer-Simeth, die des jungen Langenscheidt der Schauspieler Paul Herwig.

Sprachliche Hürden während der Wanderschaft könnten Gustav Langenscheidt mit dazu bewogen haben, "zusammen mit seinem Französischlehrer Charles Toussaint die erste praktikable Lautschrift" zu erfinden und "1856 mit dem 'Brieflichen Sprach- und Sprechunterricht für das Selbststudium der französischen Sprache' einen eigenen Verlag" zu gründen, wird in einem inwendigen Begleitkommentar zur CD angemerkt.

Hatte sich der siebzehnjährige Gustav Langenscheidt schon einiges vorgenommen, wenn er viele Dutzend Städte und Orte in den Ländern Deutschland, Belgien, Schweiz, Frankreich, England, Italien und Österreich-Ungarn innerhalb von rund sechs Monaten besuchen wollte, so steht ihm der Verlag mit dem Hörbuch an Tempo kaum nach. Auch darin wird ein Ort nach dem anderen abgeklappert, so daß die Hörerinnen und Hörer den Eindruck gewinnen, der junge Mann eile durch die Welt und habe keine Muße, Land und Leute kennenzulernen. Deshalb ist es ein wenig schade, daß die Reisetagebücher auch noch gekürzt wurden. Zumal es durchaus interessant ist, aus dem Blickwinkel jenes Reisenden im nebenbei über die politischen Verhältnisse im kriegszerrütteten Europa und von den Problemen der Bevölkerung zu erfahren. Es handelt sich hier um persönliche Eindrücke, die durch keine trockenen Geschichtsbücher vermittelt werden können.

Die Intention Gustav Langenscheidts, ein Tagebuch zu führen, und die Sichtweise eines Siebzehnjährigen unterscheiden sich selbstverständlich von denen anderer Reisender aus früheren Epochen, die durch halb Europa gezogen sind und mit ihren Schilderungen tiefe literarische Spuren hinterlassen haben. Im vorliegenden Hörbuch werden namentlich Johann Wolfgang von Goethes Reisen nach Italien (zwischen 1786 und 1790) und Johann Gottfried Seumes "Spaziergang nach Syrakus" (1803) erwähnt.

Wenn somit Gustav Langenscheidts Hinterlassenschaft auf dem Feld der Reisebeschreibungen als weniger beeindruckend bezeichnet werden darf als die jener beiden Größen der deutschen Literatur, so sind seine Spuren auf einem anderen Gebiet gewiß sehr viel tiefer und breiter angelegt, selbst um von den Fußstapfen der besagten beiden Größen gefüllt werden zu können, handelt es sich doch hier um seine populär gewordenen Wörterbücher, die zu den meist gelesenen Printprodukten zählen, in welchen je von einem suchenden Finger geblättert oder von einem nach Aufklärung verlangenden Auge gestöbert wurde.

05.10.2006


Gustav Langenscheidt
Reisetagebuch
Promenaden durch Nord, Süd und West 1849 - 1850
Länge: 69'47 Minuten
Sprecher: Dieter Mayer-Simeth und Paul Herwig
Ton: Ron Behrendt, Plan1, München
http://www.langenscheidt.de/150 Jahre/