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BUCHBESPRECHUNG/072: "Krieg der Generationen" von Michael Opoczynski (Klaus Ludwig Helf)


Michael Opoczynski: "Krieg der Generationen. Und warum unsere Jugend ihn bald verloren hat."

von Klaus Ludwig Helf, 10. April 2015


Um es gleich vorweg zu nehmen: als einer dieser 68er-Generation (Endmoräne, *50) bin ich begeistert von diesem Band; der haut mal richtig drauf - auch auf die eigene Generation. Der Autor Michael Opoczynski (*1948) ist ein deutscher Fernsehjournalist und Moderator (ZDF-Wirtschaftsmagazin WISO u.a.), der mit pointierten und knappen Sätzen eines TV-Journalisten die anstehenden und zukünftigen gesellschaftlichen Probleme kritisch und plastisch aufs Korn nimmt: die Entwicklung einer gnadenlosen, entsolidarisierten Bildungs- und Arbeitswelt und einer ungerechten Altersversorgung, krasse Umweltschäden oder die Gefährdung des sozialen Friedens und der Menschenrechte in Europa:

Einbildungen. Schimären. Sind sie aber nicht. Das kann man sehen. Hinter dem Wohlstand in Deutschland und der allgemeinen kanzlerinnengesteuerten Selbstzufriedenheit warten Zeitbomben ... Irgendwann lösen Zeitzünder aus. Dann ist es zu spät. Das können wir nicht wollen: Keiner von uns. [S.150]

Er wählt das Bild vom Generationenkrieg, ohne selbst Kriegstreiber sein zu wollen, weil er aufrütteln will:

Der Generationenkrieg ist dabei, unser Land zu zerstören. Weil manche Alten das Leben in vollen Zügen genießen, während die Jungen noch gar nicht wissen, dass sie dafür jetzt schon zahlen und dass sie in Zukunft noch viel mehr zahlen werden. Die meisten Jungen sehen nicht, dass sie es demnächst wenig komfortabel haben werden. [S.152]

In der modernen Arbeitswelt seien jetzt wirklich harte und unangenehme Zeiten gerade für die Jungen angebrochen:

Das Paradies ist geschlossen. Wer drin ist, hat es gut. Wer draußen ist, bleibt draußen. Es gibt sie nicht mehr, diese narrensicheren Beschäftigungsverhältnisse ... Im Krieg der Generationen haben wir zugelassen, dass wir unser Schäfchen ins Trockene bringen konnten. Und die Jungen haben wir außen vorgelassen. [S.85]

Gefordert sind zunächst die Älteren, die er in die Verantwortung nimmt:

Wir können uns nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Organisation der aktuellen Arbeits- und Warenwelt ist unser Werk. Wir Älteren haben ... so lange an scheinbaren Verbesserungsvorschlägen mitgearbeitet, bis aus selbstbewussten und organisierten Arbeitnehmern vereinzelte Jobber wurden ... Das alles haben wir so gesteuert. Heute blicken wir in den Spiegel und sehen uns selbst - Täter, die zu Opfern wurden. Denn gerade die älteren Arbeitnehmer werden weggelobt oder ignoriert. [S.113/114]

Die einst aufbegehrende Generation habe die gemeinsame Lektüre der Marx-Engels-Werke stillschweigend beendet und zugesehen, wie auch Sozialismus, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung an Bedeutung verloren; es zucke zwar noch gelegentlich im linken Lager: "Aber eigentlich fehlt der überzeugende Gegenentwurf. Es ist ja kein Zufall, dass die Sozialdemokratie an Boden verloren hat. Da ist kein Programm sichtbar, für das man eine Fahne schwenken möchte" (S.117).

Der einst bekämpfte Kapitalismus habe sich mit "unserer Billigung und unter unserer tatkräftigen Mitarbeit kräftig weiterentwickelt" zu einem weltumspannenden Netz von Multis; das damals bekämpfte kapitalistische System sei aus heutiger Sicht ein Ponyhof im Vergleich zum jetzigen weltbeherrschenden Raubtierkapitalismus mit "mörderisch langen Zähnen": Das haben wir zugelassen. Und unsere Jugend wird diesen Weltherrschern ausgeliefert" (S.124).

Die meisten Alten - so die provozierende These von Opoczynski - hätten sich im Wohlstands-Konsum selbstgefällig und fett eingeigelt und abgeschottet und statt kritisch-aufbauend nachzudenken und zu handeln, beschäftigten sie sich mit Status- und Konsum-Problemen wie Antarktis Reise auf ehemaligem Forschungsschiff ab 6.000 EURO oder darf 's ein Cluburlaub oder eine Kreuzfahrt oder ein SUV sein? Bewachtes Wohnen in (gated areas mit doorman):

Bewusst? Unbewusst? Jedenfalls schaffen sich viele von uns geschützte Räume, spezielle Vergnügungen, distanzierendes Eigentum, um uns abzuheben von den anderen, im Zweifel den Jüngeren, die es sich nicht leisten können. Die werden sich das niemals leisten können, auch dann nicht, wenn sie unser Alter kommen. [S.135]

Kritisch-sarkastisch rückt der Autor einem Teil seiner eigenen Generation auf die Pelle und fordert sie zu gesellschaftlich produktivem statt konsumtivem Handeln auf: "Alte müssen nicht zwanghaft ihr Geld verjubeln für teure Urlaube oder exklusive Autos. Sie müssen sich nicht verschanzen in beschützten Wohnanlagen. Sie können sich und ihre Leistungsfähigkeit in Projekte einbringen, die Nähe herstellen zwischen Alt und Jung" (S.132).

Opoczynski will lästig sein und provozieren, um eine Debatte auszulösen und zum generationenübergreifenden Handeln aufzurufen:

Ich wünsche mir mehr Fairness unter den Generationen. Allerdings kann das keine einseitige Aktion sein. Ich verlange von der alten Generation (meiner Generation!), dass sie einlenkt. Ich verlange Umkehr ... Wir Alten sollten erkennen. Manches haben wir uns verdient, aber einiges auch nicht. Vieles haben wir beschädigt. Manches haben wir versäumt ... Ihr Jungen sollt Zeichen dieser Einsicht aufnehmen und Eurerseits in Aktivität ummünzen. [S.158]

Er kritisiert die brave, passive, verständnis- und antriebslose Haltung und Ignoranz der Generation gegenüber kritischen gesellschaftlichen Entwicklungen, will sie aber deswegen nicht anklagen, sondern ermuntern zur Zusammenarbeit. Michael hat ein wunderbares, flüssig zu lesendes, kritisches Buch geschrieben über den notwendigen Schulterschluss der Generationen, angereichert mit vielen Beispielen aus dem alltäglichen Wahnsinn in unserer Gesellschaft und in Europa; er geißelt das weitverbreitete selbstgerechte Mantra ("Das haben wir uns verdient") der Altvorderen im Krieg der Generationen: "Was wir wollten, steht auf der Kippe ... Wir sind wohlhabend geworden und ängstlich abweisend. Wir sind auf dem falschen Weg. Die Jugend kann das ändern" (S.148). Opoczynski fordert einen generationsübergreifenden Schulterschluss, damit es auch eine gute Zukunft für alle geben kann.

Michael Opoczynski
Krieg der Generationen. Und warum unsere Jugend ihn bald verloren hat.
Gütersloher Verlagshaus, 2015
Gebunden
160 Seiten
Euro 12,99

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Quelle:
© 2015 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2015

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