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BUCHBESPRECHUNG/108: "Das Gefühl der Welt - Über die Macht von Stimmungen" von Heinz Bude (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Heinz Bude Das Gefühl der Welt - Über die Macht von Stimmungen

von Klaus Ludwig Helf, Juni 2016


"Stimmung" ist kein eingeführter soziologischer Begriff, aber es gibt sie dennoch, nicht nur als Täuschungsbegriff oder als Meinungsmache und Manipulation, sondern - so der Soziologe Heinz Bude - als ein Mittel zur Zentrierung des Weltverhältnisses im Sinne Martin Heideggers, dass jede Erkenntnis gestimmte Erkenntnis sei; man könne auf theoretischer Ebene keinen Weltzugang postulieren, der nicht gestimmt sei. Stimmungen können daher darüber entscheiden, wie wir die Welt wahrnehmen; deshalb ist es auch den politisch Verantwortlichen so wichtig, die Stimmung "ihres Volkes" und in Demokratien ihrer Wählerinnen und Wähler zu kennen. Stimmungen in Gesellschaft und Politik sind meist diffus, vage, flüchtig und oft unberechenbar, sind aber oft entscheidender als Argumente. In seinem neuesten soziologischen Band geht Bude der Macht von Stimmungen nach, wie sie generiert und beeinflusst werden, wie sie Einfluss und Macht über Menschen übernehmen und wie sie kippen können.

Heinz Bude (*1954) leitete 1997 bis 2015 den Bereich "Die Gesellschaft der Bundesrepublik" am Hamburger Institut für Sozialforschung, seit 2000 Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel; er ist Spezialist für Zeitgeistthemen wie "Bildungspanik" (2011) oder "Gesellschaft der Angst".

Nach einem knappen Vorwort spürt Bude in acht Kapiteln den aktuellen gesellschaftlichen Stimmungen essayistisch nach: Wie es uns ist und wird / Stimmung für "Stimmung" / Ansteckungskreise und Schweigespiralen / Enttäuschung und Engagement / Das Verhältnis der Generationen / Etablierte und Außenseiter / Das Gefühl des Geschlechts / Die Zukünftigen. Während die meisten Sprachen die subjektive und objektive Komponente der "Stimmung" mit zwei Wörtern bezeichnen (z.B. im Englischen "mood" und "atmosphere"), fasst der deutsche Begriff beides, sowohl die persönliche Laune wie auch die gesellschaftliche Atmosphäre oder Gestimmtheit. Historisch betrachtet habe es schon immer gesellschaftliche Stimmungsumschwünge gegeben. Bude erinnert z. B. an Willy Brandts Losung "Wir wollen mehr Demokratie wagen", die als eine verdichtete Formel die angestauten Miss-Stimmungen gegenüber dem volksfernen, autoritären Mief der Adenauer-Ära zum Ausdruck und Ausbruch gebracht habe. Auch die aktuelle Willkommenskultur für Flüchtlinge zählt er zu den positiven Stimmungsbildern, die sich bereits bei der WM 2006 in Deutschland entwickelt habe. Die aktuelle gesellschaftliche Stimmung im Informationszeitalter, so Budes These, sei weltweit schwankender geworden, weil die Individuen offenbar anfälliger für Stimmungen geworden seien; es herrsche eine polarisierte Stimmung einer grundsätzlichen Gereiztheit, ein kollektives Unbehagen am Kapitalismus in seiner modernen neoliberalen Ausprägung. Stimmung sei kein Opium fürs Volk, sondern eine "Realität eigener Art" (S. 9) - so Bude. Stimmungen seien " Arten und Weisen des Daseins in der Welt" sie beruhten nicht auf "elaborierten Weltdeutungen, sondern seien Haltungen zur Welt, denen eine bestimmte Stimmung in der Welt entspreche" (S. 21). Eine Soziologie der Stimmung sei daher so grundlegend wie die Stimmung selbst und habe mit dem gesellschaftlichen Sein zu tun, das unser Bewusstsein bestimme:

Der Mensch orientiert sich eben nicht nur mit Hilfe seines Verstandes, seiner Kategorien, Theorien und Wertüberzeugungen in der Welt, sondern genauso mit seinen Empfindungen, seinen Ahnungen, seinen Emotionen und seinen Grundbefindlichkeiten. Die einen gegen die andere auszuspielen, halbiert den menschlichen Weltbezug. (S. 33) 

Die Stimmung sei der Grund für die das Entstehen und für die Existenz der zwei gegensätzlichen Sozialfiguren, des "heimatlosen Antikapitalisten" und des "entspannten Systemfatalisten". Erstere definiert Bude wie folgt: "Die antikapitalistische Querfront aus Ultraliberalen und Restkommunisten, aus enttäuschten Sozialdemokraten und verstummten Christdemokraten, aus antideutschen Globalisten und biodeutschen Territorialisten ist für die Demokratie und das Volk, aber gegen Banken, Medien und Parteipolitiker." (S. 16) Diesen stünden die "entspannten Systemfatalisten" gegenüber; diese

... geben sich überhaupt zivilisierter, geschmeidiger, klüger als die mit ihrer Wut kämpfenden, von ihrem Groll beherrschten und nach Anerkennung gierenden heimatlosen Antikapitalisten. Die entspannten Fatalisten beobachten die Dinge lieber, als sich dauernd darüber aufzuregen, dass sie nicht so laufen, wie man sich das wünschen würde. Weil alles anders sein könnte ... kann ich fast nichts ändern ... Was den Kapitalismus betrifft, wollen sie schon aus Gründen der Lebensdienlichkeit nicht so schwarzsehen. (S. 17-19) 

Beide Positionen verfügten nicht über eine elaborierte, tiefgründige Weltdeutung, daher könne man sie kaum kritisch fassen oder ihnen mit Gegenargumenten, Sachverhaltskorrekturen oder Inkonsistenznachweisen beikommen. Trotz aller Kontroversen jedoch eine generelle

Stimmung einer grundsätzlichen Gereiztheit, die zwischen Weltverneinung und Weltbejahung oder zwischen Weltflucht oder Weltbezogenheit schwankt ... Beide Positionen sind derartig ineinander verkantet, dass ein Gespräch über das Wesen der Politik, über die Herstellungsweisen von Öffentlichkeit oder über den Sinn von Wahrheit kaum möglich erscheint ... Die Glasperlenspiele der abgeklärten Beobachtungsvirtuosen provozieren den Engagementwillen der aufgebrachten Weltenretter. Man schließt sich sodann gegeneinander ab und jede Seite zieht sich in ihre Blase der Selbstähnlichkeit zurück." (S. 24) 

In der Stimmung der Gereiztheit sei man jederzeit bereit, aufeinander loszugehen. Die Ursache dafür liege - so Bude - in der "Verbautheit von Zukunft"; in Anlehnung an Terry Eagletons letztes Buch "Hope without Optimism" müsse man wieder zu einer Struktur des Versprechens kommen. Er sieht die Chance für einen epochalen Stimmungsumschwung darin, die momentane Gereiztheit zu überwinden und die Verbitterten in die Gesellschaft zurückzuholen:

Die Zukünftigen sind weder die blökenden Lämmer eines mörderischen Kapitalismus noch die kecken Däumlinge eines digitalen Zeitalters. Die Zukünftigen suchen mit sortierter Skepsis und wacher Verhaltenheit nach Wegen in einer Welt des schwindenden Raums und der vergehenden Zeit ... Man will einen Beginn wagen, Resonanz bei anderen spüren und ganz bewusst die Kleinteiligkeit wählen. Es geht offenbar um ein dichtes Leben nach dünnen Prinzipien. Große Absichten, die keine Erfahrungen von Selbstwirksamkeit bringen, sind genauso verpönt wie das Arrangement mit einem falschen Leben, das die Idee des wahren Lebens aufgegeben hat. (S. 128/129) 

Bude hat kein soziologisches Grundlagenwerk zum Thema "Stimmungen" geschrieben, aber einen anregenden Essay mit fein- und scharfsinnigen Beobachtungen und klugen Analysen; es sind archäologische Tiefenbohrungen in das Stimmungsgebirge der Gesellschaft.

Heinz Bude
Das Gefühl der Welt -
Über die Macht von Stimmungen
München, Hanser Verlag, 2016
160 Seiten
18,90 Euro

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Quelle:
© 2016 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2016

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