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BUCHBESPRECHUNG/136: "Das Geheimnis der Gravitationswellen" von Günter Spanner (Sachbuch) (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 4/2016

Im Dunkel des Universums

von Helmut Hornung


Günter Spanner, Das Geheimnis der Gravitationswellen, Einsteins Vision wird Wirklichkeit
288 Seiten, Kosmos Verlag, Stuttgart 2016, 19,99 Euro

Montag, 14. September 2015. Es ist ziemlich genau 11.51 Uhr, als Marco Drago am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover das Signal als Erster sieht. Für etwa eine Viertelsekunde ist eine Gravitationswelle durch zwei Detektoren namens Advanced LIGO geschwappt. Die Anlagen stehen Tausende Kilometer entfernt in den USA, eine in Hanford (Bundesstaat Washington), die andere in Livingston (Louisiana).

Drago glaubt zunächst an ein absichtlich eingestreutes Signal, um die Reaktion der Wissenschaftler zu testen. Das ist in der Vergangenheit immer wieder einmal vorgekommen. Doch Advanced LIGO läuft noch gar nicht im regulären Betrieb. So informiert Drago seinen Kollegen Andy Lundgren. Beide sind sich einig: Die Kurve sieht perfekt aus, das Signal scheint echt zu sein. Die Max-Planck-Forscher ahnen, dass sie eben Zeugen eines historischen Augenblicks geworden sind. Die Entdeckung von Gravitationswellen ist eine Sensation, Medien rund um den Globus berichten von dem Fund, der am 11. Februar 2016 verkündet wird.

Ein Dreivierteljahr später legt Günter Spanner eine konzise Zusammenfassung des Themas vor. Der Physiker war an der Entwicklung der Laserdetektoren, welche die Wellen letztlich nachgewiesen haben, selbst beteiligt. Diese Tatsache ist Fluch und Segen zugleich: Als Insider weiß Spanner genau, wovon er schreibt, die Darstellung ist fachlich stets korrekt. Aber als Insider setzt Spanner auch ein Vorwissen voraus, das den Laienleser hie und da überfordert. Kurz: Das Niveau des Buchs ist fast durchgängig zu hoch, etwa der Abschnitt über Quadrupolstrahlung. "Gravitationswellen entstehen, wenn eine Massenverteilung ein zeitlich verändertes Multipolmoment von mindestens Quadrupolcharakter besitzt", heißt es da beispielsweise zur Erklärung. Harte Kost.

In acht Kapiteln bietet das Buch alles, was man über das Thema wissen muss. Am Anfang steht folgerichtig eine Zusammenfassung der allgemeinen Relativitätstheorie, die durch die Entdeckung 100 Jahre später mit Bravour ihren letzten Test bestanden hat - obwohl Albert Einstein die Gravitationswellen 1916 zwar vorhersagte, zwei Jahrzehnte später daran aber zweifelte. Spanner berichtet aus der Geschichte der Forschung, über die massiven Aluminiumzylinder von Joseph Weber und die ersten Laser-Interferometer, die auch in der Anlage Advanced LIGO stecken.

Der Leser erfährt dann vieles über Simulationen in Supercomputern, die Voraussetzung sind für das Aufspüren und Einordnen von Signalen aus den Weiten des Weltraums. Ausführlich schildert der Autor, was es mit der Entdeckung im September 2015 auf sich hatte - die Verschmelzung zweier schwarzer Löcher mit 29 und 36 Sonnenmassen in 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Spanner wirft zudem einen Blick auf die bestehenden und künftigen Detektoren, bevor er am Schluss die Folgen für die Kosmologie schildert. Denn die Messungen stoßen ein neues Beobachtungsfenster auf, liegen doch nahezu 99 Prozent des Universums im Dunkeln, senden also keine elektromagnetische Strahlung aus. Mit Gravitationswellen hingegen lassen sich kosmische Objekte wie schwarze Löcher erstmals im Detail untersuchen. Und selbst bis fast zum Urknall zurück werden die Forscher in Zukunft "hören" können. Fazit: Das Buch ist eine erschöpfende Darstellung der Gravitationswellen-Astronomie. Wer Vorkenntnisse mitbringt und sich auf den Text einlässt, wird es mit Gewinn lesen.

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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 4/2016, Seite 86
Herausgeber: Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Redaktionsanschrift: Hofgartenstraße 8, 80539 München
Telefon: 089/2108-1719 /-1276, Fax: 089/2108-1405
E-Mail: mpf@gv.mpg.de
Das Heft als PDF: www.mpg.de/mpforschung
 
Das Heft erscheint in deutscher und englischer Sprache
(MaxPlanckResearch) jeweils mit vier Ausgaben pro Jahr.
Der Bezug des Wissenschaftsmagazins ist kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2017

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