Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → MEINUNGEN


BUCHBESPRECHUNG/165: Thilo Bode, Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Thilo Bode

Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören

Klaus Ludwig Helf, Januar 2019


Der ehemalige Greenpeace- und Foodwatch-Chef Thilo Bode hat ein neues Buch vorgelegt über global agierende Unternehmen, die die Demokratie gefährden oder gar zerstören können. Bode umtreibt die Frage, warum die Mehrheit der Politiker in Deutschland (und auch in der EU) seiner Meinung nach zu oft Entscheidungen gegen das Gemeinwohl und zugunsten der Industrie treffen. Seine Kernthese ist, dass seit dem Fall der Mauer eine neue Qualität des Lobbyismus entstanden sei. Die Markt- und Finanzmacht der Konzerne habe sich dramatisch gesteigert und zu einer politischen Macht transformiert: "Es hat sich ein industriell-politischer Komplex herausgebildet, in dem Konzerne und Politik zum gegenseitigen Nutzen eine Zweckgemeinschaft bilden, die keine Entscheidungen mehr gegen Konzerne trifft. Das hat verheerende Auswirkungen auf die Demokratie und verursacht gewaltige Schäden" (S. 8). Es sei eine "Tragödie für die Menschheit", dass Konzerne ihr gewaltiges technologisches Potenzial nicht zum Wohl der Allgemeinheit, sondern zu ihrem Schaden einsetzten:

"Ich möchte Alarm schlagen: schleichend, aber unter unser aller Augen verschieben sich die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft in einem Ausmaß, dass die Demokratie, die Marktwirtschaft, unsere Selbstbestimmtheit und unsere Freiheit gefährdet. Wir Bürger müssen uns wehren." (S. 10) 

Der vorliegende Band hat insgesamt vier Kapitel. Nach einem Vorwort werden in zwei Kapiteln die Hintergründe und Mechanismen eines neu entstandenen politisch-industriellen Komplexes analysiert. Im dritten Kapitel wird dieser exemplarisch und detailliert veranschaulicht. Im vierten Kapitel stellt Thilo Bode einige - wie er meint - wirksame Gegenmaßnahmen vor, z.B. im Haftungsrecht. Es folgt ein sehr detaillierter und umfangreicher Anmerkungsapparat (50 Seiten), in dem alle im Band angeführten Beispiele belegt werden. Ein zusätzliches Personenregister wäre sicher sehr hilfreich bei der Verwendung des Bandes als Arbeits- und Handbuch in der politischen Aufklärungsarbeit. Bode gelingt es sehr anschaulich und beispielhaft, diesen Prozess der politischen Machtbeeinflussung durch globale Konzerne in den vier Wirtschaftssektoren Energie und Automobil, Banken, Nahrungsmittelindustrie und Digitalkonzerne exemplarisch und faktenreich zu analysieren. Dabei wird erschreckend deutlich, wie in der neuen Lobby-Welt Wirtschaft und Politik aufs engste zu einem industriell-politischen Komplex verflochten, oft eins geworden sind in ein- und derselben Person, die nur die Seiten gewechselt hat ("Drehtürmechanismus zwischen Politik und Wirtschaft"). So werden post-politische Karrieren parteiübergreifend aufgezeigt wie z.B. auf Bundesebene von Dirk Niebel (Ex-Entwicklungsminister), Franz Josef Jung (Ex-Verteidigungsminister) oder von noch bekannteren Ex-Politikern wie Matthias Wissmann, Sigmar Gabriel oder Gerhard Schröder. Die Lobby-Elite sei - so Bode - mit der politischen Elite in einem Ausmaß verschmolzen, dass Wirtschaftsinteressen informell mitregierten und die Interessens-Gegensätze von Industrie und Politik zu einer Interessens-Koalition mutierten. Die vom Bürger an Abgeordnete delegierte Macht werde öffentlich und ohne vehemente Kritik sukzessive an Konzerne und marktbeherrschende Interessengruppen abgetreten wie z.B. bei der "Diesel-Affäre", beim Fall Monsanto-Bayer-Glykosphat, bei der Bankenkrise oder im Umgang mit den Digitalkraken Amazon, Google und Co.

Bode zeigt anschaulich, wie global agierende Konzerne alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche strategisch und aggressiv durchdringen und dafür sorgen, dass keine politischen Entscheidungen gegen die Interessen der Konzerne getroffen werden können: "Wir müssen konstatieren: es herrscht eine Diktatur der Konzerne, in der die Demokratie leise verschwindet" (S. 183). Die politische Debatte in Deutschland habe bisher diese neue Macht der Konzerne und ihre grundsätzliche Bedeutung für Gesellschaft und Demokratie nicht wirklich im Fokus. Das müsse sich ändern, zumal man zunächst mit einfachen Maßnahmen wirksam gegensteuern könne. Bode weist zu Recht darauf hin, dass diese Konzerne nur so agieren könnten, weil sie keine Haftung für die von ihnen verursachten Schäden zu fürchten hätten und ihre zerstörerischen Geschäftsmodelle in der Regel legal seien.

Folgerichtig fordert Bode als Konsequenz der "Dieselaffäre" ein scharfes Unternehmensstrafrecht, um Konzerne auch dann bestrafen zu können, wenn kein persönliches Fehlverhalten von Managern nachweisbar sei. Wie in den USA solle auch ein Klagerecht von Kunden gegen den Staat möglich sein, um diesen zum Handeln zu zwingen, damit bereits bestehende Gesetze auch angewendet werden. Auch die Geschäftsmodelle von Facebook & Co als "Medienkonzerne" sollten auf den Prüfstand. Die Einführung neuer Technologien müsste generell einer Zulassungspflicht unterliegen vergleichbar der Zulassung von Chemikalien.

Insgesamt sieht Bothe als einzige erfolgreiche Chance des Widerstands gegen den politisch-industriellen Komplex im Aufbau einer Gegenmacht über Parteigrenzen hinweg, die durch gewaltfreien zivilen Widerstand die Machtfrage stelle, eine mächtige Allianz derjenigen, die einen Staat wollen, der die Regulierungshoheit habe: "Wir brauchen einen starken Staat, der sich nicht der Industrie andient und nach der Pfeife der Konzerne tanzt" (S. 185/186).

Thilo Bode hat ein faktengesättigtes, präzise recherchiertes Buch und eine aufrüttelnde, leidenschaftliche Streitschrift geschrieben über den demokratiegefährdenden Einfluss großer Konzerne und über die Entstehung eines politisch-industriellen Komplexes, der aufgedeckt und bekämpft werden muss. Es ist ein Plädoyer gegen die Ideologie des Neo-Liberalismus und für die Wiederherstellung einer gemeinschaftsstiftenden politischen Erzählung. Gerade die demokratischen Parteien und ihre Mitglieder sind aufgefordert, ihre aktuellen und zukünftigen Mandatsträger entsprechend zu verpflichten.

Thilo Bode
Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören.
S. Fischer Verlag Frankfurt/ Main 2018
Paperback
240 Seiten
EUR 18,00
E-Book EUR 16,99

*

Quelle:
© 2019 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang