Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → ROMANE

REZENSION/036: Brian N. Ball - Erstarrt in der Zeit (Science Fiction) (SB)


Brian N. Ball


Erstarrt in der Zeit



Das Thema `Zeit' spielt in Science Fiction-Romanen vielfach eine große Rolle. Spekulationen über Zeitanomalien, Reisen in die Vergangenheit oder Zukunft, Zeitschleifen oder andere Zeitphänomene werden hier mit großer Begeisterung ausgesponnen. Auch in diesem Roman hat sich der Autor dieses Thema vorgenommen, diesmal mit einer außergewöhnlichen Variante, die dazu verführt, sich weitere Gedanken dazu zu machen: Ein ganzes Raumschiff ist mitsamt seiner Besatzung in eine Zeitstarre verfallen ...


Geriet die `Altair Star' in einen mysteriösen Zeittunnel?

Die Story spielt in ferner Zukunft, in der die Menschheit sich die Technik bereits soweit zunutze gemacht hat, daß sie mittels robotgesteuerter Raumschiffe den Weltraum erkundet. Menschen haben auf solchen Flügen zwar das Kommando, aber die Roboter beherrschen autark das Feld. Falls es aber doch einmal soweit kommen sollte, daß ein Raumschiff in `Raumnot' gerät, können diese Maschinenwesen sogar selbständig das Schiff übernehmen und den Kommandanten seines Amtes entheben.

Und so ist es auch mit der Altair Star gewesen. Drei Jahre ist es bereits her, und Kommandant Buchanan hadert immer noch mit seinem Schicksal, daß er als Kapitän dieses große Linien-Passagierschiff die gesamte Besatzung im entscheidenden Moment im Stich gelassen hat. Er haßt die Roboter, auch wenn er sich immer wieder sagt: `Das sind doch bloß Maschinen'. Denn diese Maschinen sind es gewesen, die einfach den Befehl gegeben haben, ihn, der sich derzeit als einziger auf der Brücke befand, vom übrigen Raumschiff abzusprengen. So konnte er zwar als einziger gerettet werden, aber er trägt die schwere Last der Verantwortung für die übrige Crew auf seinen Schultern.

Für Ihn gibt es auch kein Zögern, als sich die Möglichkeit bietet, sich mit einer kleinen Crew und einem Forschungsschiff auf die Suche nach den Überresten der Altair Star zu machen. Buchanan ist diese Expedition so wichtig, daß er dafür sogar seine Verlobung mit Liz Deffant löst. Für ihn hat die Forschungsexpedition zur Jansky-Singularität, jenem Gebiet, in dem dieses furchtbare Unglück geschah, oberste Priorität.

Liz beschließt daraufhin, mit dem nächsten Schiff nach Messier 16 zu fliegen, um dort wieder ihrem Beruf nachzugehen. Zwar ist es ein Gefangenentransportschiff, auf dem sich Relegierte befinden, aber sie interessiert sich in erster Linie dafür, möglichst schnell und billig zu ihrem Ziel zu gelangen.


Maran - ein genialer Wissenschaftler oder ein Wahnsinniger?

Für Liz verläuft die Fahrt zurück nach Messier 16 bislang ohne größere Zwischenfälle. Tub, einer aus der Mannschaft, bietet ihr an, sich die Gefangenen, die in den Zellen künstlich in einem tiefen, komaähnlichen Schlaf gehalten werden, anzusehen. Liz willigt ein. Sie ist fasziniert von der Geschichte, die um die Gefangenen rankt: Es handelt sich um Maran, einen genialen Kybernetiker, und sein Wissenschaftsteam. Sie arbeiteten an einem Projekt zur Erforschung des menschlichen Geistes.

Sie beschritten völlig neue Wege der Forschung und machten dabei auch Menschenversuche. Mit leeren Versprechungen und einer ungewöhnlich starken Ausstrahlung gelang es Maran, Leute dazu zu bringen, sich für seine Experimente zur Verfügung zu stellen. Was sie aber nicht wußten: Maran war bereit, den Tod seiner `Versuchskaninchen' für die Ergebnisse in Kauf zu nehmen. Für seine Greueltaten, die in der ganzen Galaxis von sich reden machten, sollte Maran am Zielort zur Rechenschaft gezogen werden.

Liz blickt durch den gläsernen Aufbewahrungsbehälter direkt in das Gesicht Marans - und bekommt einen furchtbaren Schrecken: Maran sieht ihr in die Augen. Liz kann es nicht fassen und vergewissert sich bei ihrem Begleiter, dem Wärter. Erneut riskiert sie einen Blick, und plötzlich geschieht das Unglaubliche: Anstatt in Marans Gesicht im Aufbewahrungsbehälter zu sehen, erblickt Sie nun die gebrochenen Augen des Wärters in jenem Tank. Und Maran ist frei! Sie weiß nicht, wie es geschehen konnte, aber ehe sie sich versieht, hört sie bereits das greuliche Bersten zerbrochener Knochen - auch der zweite Wärter ist brutal von Maran ermordet worden. Liz erstarrt zur Salzsäule. Maran ignoriert sie. Er begibt sich zu den Bedienungselementen und programmiert die Roboter so um, daß sie ausschließlich auf sein Kommando hören.

Maran geht über Leichen. Jeder, der sich ihm in den Weg zu stellen wagt, wird getötet. Aber bei zweien ist ihm sein mörderisches Werk nicht vollkommen gelungen: Rosario und Jack. Liz findet die beiden und kann Rosario in einer Rettungskapsel in den Weltraum befördern. Und nicht nur das: Sie hat es geschafft, die Rettungskapsel mit einem Notruf zu programmieren, der sich jetzt in der gesamten Galaxis ausbreitet. Sie selbst bleibt an Bord. Sie hat den Entschluß gefaßt, diesen Verbrecher Maran eiskalt umzulegen. Dafür baut sie sich aus erreichbaren Mitteln eine altertümliche Muskete zusammen. Sie richtet ihre merkwürdig anmutende Waffe auf diese Bestie und drückt ab ...

Es ist ihr nicht gelungen, Maran zu treffen, und zu ihrer Überraschung muß sie feststellen, daß dieser Mann gar nicht so irre ist, wie es den Anschein hat. Zunächst einmal drückt er ihr gegenüber seine Bewunderung aus. Er ist fasziniert von ihrem Mut.


Das große Showdown am Rande der Jansky-Singularität ...

Um herauszufinden, was aus der Besatzung geworden ist, müssen sich Buchanan und seine Crew an den Rand der Singularität begeben. Hier wüten zahlreiche Sternenbeben, in die sie möglicherweise sogar hineinfliegen müssen. Buchanan erfährt, daß sich Liz auf dem Gefangenentransportschiff aufhält und möglicherweise von dem gefährlichen Wissenschaftler Maran als Geisel gehalten wird.

Maran ist ein gerissener Bursche, und so ist es nicht weiter verwunderlich, daß er die Fäden in der Hand behält. Er weiß um das Verhältnis zwischen Liz und Buchanan und vermag es auch geschickt einzusetzen. Und so gelingt es ihm, sein Ziel zu erreichen, gemeinsam mit Buchanan die in einer Zeitstarre befindliche Altair Star zu betreten. Die Mannschaft steht dort, jeder in seiner Bewegung erstarrt, tot und doch auch wieder nicht. Buchanan ist erschüttert über diesen Anblick der Menschen, die ihm einst als Crew so nahestanden.

Maran ist mit Leib und Seele Wissenschaftler. Wie er zuvor skrupellos Menschenleben für seine Forschung opferte, so zeigt er jetzt, daß für ihn die Forschung oberste Priorität hat: Er bleibt in der Singularität. Nicht nur das, er begibt sich mit der Altair Star direkt in das Schwarze Loch hinein. Für ihn ist es eine Reise ins Ungewisse. Möglicherweise führt sie ihn in ein anderes Universum, vielleicht aber auch auf direktestem Weg in den Tod.


Gefangen in der Gegenwart

Man weiß, daß die Altair Star in die Jansky-Singularität geriet, wo es zahlreiche Zeit-Diskontinuitäten gibt. Zeittunnel gehören zu diesem naturwissenschaftlich noch nicht erklärbaren Phänomen, das von der Singularität erschaffen wird. Hält sich ein Raumschiff dort auf, so kann es sein, daß die Besatzung einfach in einem Augenblick der Zeit erstarrt. Ähnlich wie bei einem Foto im Vergleich zu einem Film wird ein Moment festgehalten. Jeder der Crew hält in seinen Bewegungen inne, so, als würde er sie in der nächsten Sekunde fortsetzen. Aber die nächste Sekunde, die Zukunft, kommt für ihn nicht.

Die Besatzung ist offenbar gefangen in der Gegenwart, für sie gibt es weder morgen noch gestern. Was bedeutet das? Laut Lexikon bedeutet Gegenwart "... im engsten Sinne das `Jetzt', der jeweilige Augenblick, die ausdehnungslose Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft" (dtv-Lexikon Band 7, S. 145) - also ein Handlungsspielraum ohne Ausdehnung, der real nicht vorhanden ist. `Spielraum' und `ohne Ausdehnung' sind ein Widerspruch in sich! Denn wie könnte man ein Brot backen, ohne den vorherigen Plan (vorher) und das fertige Endprodukt (nachher). Übrig bliebe Handlung ohne Perspektive und ohne Rückbezug auf Vergangenes. Aber, um noch einmal bei dem Brot zu bleiben, man könnte nicht backen, ohne die Kenntnisse, die man sich darüber in der Vergangenheit angeeignet hat und ohne sich die Zutaten in Aussicht auf das spätere fertige Produkt besorgt zu haben. Keine Empfindung, kein Gedanke wäre möglich, denn sie beinhalten das Reflektieren über Gewesenes. So gesehen ist Gegenwart eine fiktive Größe, die nicht existiert, man befindet sich offensichtlich in einem Niemandsland.


Zeit und Bewegung

Eine Zeitstarre ebenso wie ein Zeitfluß läßt sich nur mittels Bewegung veranschaulichen und verstehen. Man kann den Begriff `Zeit' auch weglassen und die Aussage bleibt die gleiche. Dann wäre ein Zeittunnel einfach nur ein Tunnel, in dem man sich bewegt, eine Zeitreise eine Reise in eine unbekannte Umgebung, und `Erstarrt in der Zeit' bedeutete einfach nur `erstarrt' in seinen Bewegungen. Zeit ist eine abstrakte Größe, greifbar dagegen ist Bewegung, die man immer räumlich definiert. Auch das Zeitmeßgerät `Uhr' beschreibt einen räumlichen Vorgang: Die Masse eines Zeigers überbrückt einen bestimmten Raum über dem Zifferblatt.

Bei solch nüchterner Betrachtungsweise geht die Faszination über das Thema jedoch leider verloren.


Brian N. Ball
Erstarrt in der Zeit
Originaltitel: Singularity Station
Xenos Verlagsgesellschaft, Hamburg 1973