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REZENSION/051: H. Nolthenius - Wenn der Wolf den Wolf frißt (Krimi) (SB)


H. Nolthenius


Wenn der Wolf den Wolf frißt



Die Geschichte von Helene Nolthenius spielt in der Toscana im Herbst des Jahres 1352. Hauptperson ist, wie auch schon in einem anderen ihrer Bücher, der Franziskanermönch Lapo Mosca. Mit ihm hat die Autorin einen gewitzten und allzumal menschlichen Charakter geschaffen, der schon in den ersten Zeilen die Sympathien auf sich zieht und sie bis zuletzt behält.

Um einen Eindruck zu bekommen hier eine kleine Episode aus dem ersten Teil des Buches:

Er jätete gerade Unkraut im Küchengarten, eine Tätigkeit, die er als Strafe für seine Sünden betrachtet, und zwar nicht nur deshalb, weil er unruhig wird, wenn er lange in seinem Kloster bleiben muß. Unkraut ist ein Sammelbegriff, vergleichbar mit Gesindel. Lapo kennt Dutzende sehr netter Taugenichtse, sowohl unter den Menschen als auch unter den Gewächsen. Unkraut bekam keine andere Aufgabe mit als: Unkraut sein. Wohl mag es braven Bohnen und Kürbissen im Wege stehen, aber ebensogut sind Unkräuter mit all ihren Stengeln, Blättern, Halmen und Staubfäden auf ihre Art bemüht, ihren Schöpfer zu loben, so laut, daß jemand wie Lapo Mosca es hören kann. Sooft er den Auftrag bekommt, blühende, lebensfrohe Pflanzen auszureißen, muß er gleich an die Ermordung der unschuldigen Kinder von Bethlehem denken - obwohl das auch wieder einfältig ist. (S. 25/26)

Lapo Mosca erhält von seinem Bischof den Auftrag, bei einem Pfarrer in einem Chianti-Dorf vorbeizuschauen. Obgleich dieser Geistliche in dem Ruf steht, selbst gut im Beschwören von Geistern zu sein, fühlt er sich dem, was sich zur Zeit auf seinem eigenen Dachboden abspielt, nicht mehr gewachsen. Er vermutet, daß dort Teufel einer unbekannten Sorte ihr Unwesen treiben und Lapo Mosca, der über gewisses kriminalistisches Gespür verfügt, soll hier einmal nach dem Rechten sehen.

Ganz langsam kristallisiert sich bei den Wanderungen des Mönchs durch die Chiantigegend und seinen Begegnungen mit Bauern und Bürgern der toscanischen Dörfer ein mittelalterlich anmutender Kriminalfall heraus. Auf den Rentmeister der Gegend, Benedetto degli Strozzi, wird ein Anschlag ausgeübt. Der mißlingt, doch schließlich wird er, ausgerechnet mit Lapo Moscas Dolch in der Brust, tot aufgefunden.

Die Spur führt den Mönch - und mit ihm den Leser - in die Fehden zwischen einer einflußreichen welfischen Familie aus San Gimignano und deren erklärten Kontrahenten, den Ghibellinen. Der Ermordete hat sich wahrscheinlich der falschen Seite gegenüber loyal gezeigt ...

In Anbetracht des heute sonst üblichen Tempos bei Thrillern oder Kriminalgeschichten sowie dem großen Gewicht auf 'action', wirkt der Mord in dieser Geschichte fast nebensächlich. Er scheint eher der Aufhänger für einen Ausflug in ein anderes Jahrhundert zu sein - so wie es damals gewesen sein könnte - als unbedingt einen spannungsgeladenen Selbstzweck zu verfolgen.

Beiläufig und unaufdringlich flicht die Autorin historische Ereignisse aus der Toscana zur Zeit der Stadtstadten in die Handlung ein. Sie erzählt von der Konkurrenz zwischen den einflußreichen Städten Florenz und Siena, den dominierenden Herrschergeschlechtern der Ricásoli, Strozzi und Donati oder auch der teilweise sehr weltlichen Rolle der Kirche dieser Epoche.

In die Gedanken und Ansichten des Mönchs gekleidet finden dabei kritische Themen Raum in der Geschichte. Sie sind hauptsächlich in Form von Gesprächen angelegt, die Lapo Mosca mit einer anderen Hauptfigur des Romans führt: dem aufwieglerischen Spielmann Angelo Moronti, der bezeichnender Weise den Beinamen "Giftengel" trägt. Bei den Streitgesprächen zwischen ihm und dem Franziskanermönch bilden Recherchen der Autorin über die Lebensbedingungen der toscanischen Bauern den Hintergrund, die sie zum Beispiel den Pachtverträgen mit den Stadtherren oder den ortsansässigen Abteien und Klöstern entnommen hat.

dazu ein Zitat, S. 47/48:

"Bei schlechten Ernten, wie in den letzten zehn Jahren, beschränkt sich die abzugebende Hälfte auf ein Minimum, und die Besitzer, die an einer hohen Rendite interessiert sind, kommen in der Regel für Saatgut und Pflugochsen auf. So verständnisvoll sind sie in der Abtei nicht. Ernte oder nicht, was sie da an fester Miete verlangen, hat mit christlicher Nächstenliebe nichts zu tun. Was du nicht aufbringen kannst, buchen sie dir auf die Rechnung vom darauffolgenden Jahr, und das Ende vom Lied ist, daß sie deinen Krempel verkaufen und dich außerdem noch ins Gefängnis werfen, wenn die Schuld nicht abgelöst ist.
(Mosca:) "Ins Gefängnis? In der Abtei?"
(Angelo:) "Ach nein, Bruder. Ins Gefängnis von Florenz. Wir haben hier Bürgerrechte, wir Glückspilze! Wir dürfen Stadtsteuern bezahlen und vors Stadtgericht kommen. Und da verlieren wir natürlich. Wir haben sowieso nichts."
Darauf kann Lapo nichts erwidern. Die Gerichte in Florenz arbeiten redlich, solange es um Verhandlungen zwischen Arm und Arm oder zwischen Reich und Reich geht. Er kann sich nicht daran erinnern, daß ein Kläger oder Beklagter jemals gegen einen starken Machthaber gewonnen hätte. Die Abtei von Coltibuono ist unermeßlich reich".

Berichte aus dieser Zeit, die sich mit dem normalen Leben der Menschen befassen, könnten sicher sehr grausam geschildert werden. Diese Art wählt die Autorin nicht. Nichts wirkt dreckig oder gewollt blutrünstig, obwohl sie bei ihrer Art der Erzählung nichts an Deutlichkeit fehlen läßt, was beispielsweise die Selbstverständlichkeit angeht, mit der damals auf der einen Seite wahrscheinlich getötet, vergewaltigt und gebrandschatzt worden ist, und mit der auf der anderen Seite die Menschen ihr vermeintliches Schicksal mit geradezu fatalistischer Ergebenheit ertragen haben.

Auch die Sprichworte, die über jedes Kapitel als eine Art Motto gesetzt sind, lassen genug Raum, kritisch interpretiert zu werden. Da heißt es beispielsweise:

"Wo Herren sich bekriegen, krepieren die Knechte" oder "Die Armen kommen als erste an den Galgen und als letzte zu Tisch", Sprichworte, die nach toscanischen Originalen übersetzt sind.

Neben den politisch ausgerichteten Gesprächen ziehen sich durch das ganze Buch auch Überlegungen zu den religiösen Vorstellungen der Menschen des 14. Jahrhunderts und runden so den Eindruck eines breiten, nachvollziehbaren und zugegeben auch etwas belustigenden Panoramas ab. Die Spuk- und Hexengeschichten der Menschen wirken so selbstverständlich und aus dem damaligen Leben gegriffen, daß sie für uns heute eine weitläufige Vorstellung dessen vermitteln, was vielleicht einmal statt der foyeuristischen Inquisitionsgeschichten anderer Beschreibungen zumindest in einer bestimmten Gegend der Toscana geglaubt worden sein könnte.

Insgesamt betrachtet besticht das Buch durch seine amüsante und bis zur letzten Seite durchgehaltene toscanische Beschaulichkeit, mit der realistische und sogar grausame Zusammenhänge geschildert werden.

Da wir alle nicht dabeigewesen sind, sind wir von der Bewertung entlastet, ob die Zeit wirklich korrekt beschrieben ist oder nicht. Alles wirkt in sich geschlossen und plausibel, und an keiner Stelle wird der Eindruck hervorgerufen, als sei der Geschichte eine gewollte Stellungnahme unserer Zeit aufgenötigt. Genau so könnte es gewesen sein. Die Recherrechen der Autorin sprechen dafür. Und selbst wenn es vielleicht ganz anders war, bliebe das Buch davon unbeeindruckt, da die Autorin die einmal gewählte Form der skizierten Zeit konsequent beibehält. Die Handlung wirkt rund miteinander zusammengefügt, und ich würde mich freuen, Lapo Mosca in einer anderen Geschichte wiederzutreffen.


Helene Nolthenius
Wenn der Wolf den Wolf frißt
Kriminalroman aus dem Mittelalter
Original 1989, Amsterdam
Arche Verlag AG, Zürich und Hamburg 1995
265 Seiten
ISBN 3-7160-2198-9