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REZENSION/100: Frank Borsch - Alien Earth, Phase 1 (SB)


Frank Borsch


Alien Earth

Phase 1



Wie wird die Erde in nicht allzu ferner Zukunft aussehen? Frank Borsch entwirft dazu in dem vorliegenden Science-fiction-Roman "Alien Earth Phase 1" ein von der Grundstimmung her bedrückendes Bild, das an aktuelle politische, gesellschaftliche und natürliche Entwicklungen anknüpft. Zehn Milliarden Menschen überdehnen die Tragfähigkeit der Erde des Jahres 2065 bei weitem. Die Gesellschaft hat sich angesichts des wachsenden Überlebensdrucks auf die Mehrheit der Menschen nicht zusammengeschlossen, sondern noch tiefer gespalten, als sie es heute schon ist. Wenige einflußreiche Personen oder Institutionen an der im Nebel liegenden Spitze der Pyramide ziehen die Fäden, während am unteren Ende eine riesige Masse an zur Vernutzung freigegebenen "Überschussmenschen" haust, die sich um die wenige Nahrung, warmen Plätze und selbst miesesten Jobs gegenseitig die Köpfe einschlagen, also ein rund um die Uhr vom Existenzkampf beherrschtes Dasein fristen.

Die "Überschussmenschen" vegetieren in bestimmten Zonen beziehungsweise werden umgekehrt von privilegierten Regionen ferngehalten. Zwischen dem oberen und dem unteren Ende der Hierarchie sind mehrere gesellschaftliche Schichten angesiedelt, deren Unterschiede sich am jeweiligen Beruf und dessen Anerkennung bemessen lassen. Zusammengehalten wird dieses System durch einen repressiven Sicherheitsapparat sowie gegenüber ihren Artgenossen rücksichtslos räuberisch agierenden Interessengruppen.

Der Klimawandel hat dazu geführt, was Experten schon heute prognostizieren: Der Meeresspiegel steigt. Das hat zum periodischen Überfluten südpazifischer Inseln wie Funafuti geführt. Zwischen den USA, die mit Arabien einen Staat bilden (USAA), und China herrscht Krieg. Die Wissenschaft ist so weit fortgeschritten, daß sie verschiedenste Klontiere erzeugen kann. Wobei es zwar verboten ist, Xeno- mit Humanmaterial zu hybridisieren, aber wie nicht anders zu erwarten, wird das Gesetz unterlaufen. Summa summarum bleibt festzustellen, daß Frank Borsch ein nachvollziehbares Szenario vom Leben der übernächsten Generation gezeichnet hat.

Das ist natürlich nicht alles. Plötzlich war das Fremde in die Welt und damit in die Weltbilder der Menschen eingebrochen. Seit sieben Jahren befindet sich ein außerirdisches Raumschiff im Erdorbit, und niemand weiß, was die Außerirdischen vorhaben. Kommunikationsversuche sind gescheitert. Von Anfang bis Ende dieses ersten Bands aus dem Zyklus "Alien Earth" bleibt die Frage offen, ob die Außerirdischen für die Menschheit Segen oder Fluch sind. In drei parallelen, sich gegen Schluß aufeinander zubewegenden und teils überschneidenden Handlungsverläufen schildert der Autor die Erlebnisse von Personen höchst unterschiedlicher Herkunft.

Wieselflink ist ein "Überschussmensch", der einst zu wohlhabenderen Kreisen zählte und sich dank seines ausgeprägten Überlebensinstinkts, der ihm immer rechtzeitig zu raten scheint, wann er sich auf die Seite des Stärkeren zu schlagen hat, bis zum Schluß eine vorteilhafte Position erwirtschaftet und Zeuge, wenn nicht gar Beteiligter einer großen historischen Entwicklung wird. Bei aller Not kann sich Wieselflink noch glücklich schätzen, denn seine elektronische Halskrause, über die den Trägern normalerweise bei Nichterfüllung einer Arbeitsaufgabe Schmerzen zugefügt wird oder die ihnen sogar den Tod bringen kann, weist aus unerfindlichen Gründen eine Fehlfunktion auf.

Ekin ist eine Alien-Hunter. Sie arbeitet für die Regierung und spürt Außerirdische auf. Diese werden entweder gefangen genommen oder zur Strecke gebracht. Die Aliens sieht man nicht, sie manifestieren sich klammheimlich in den Menschen und übernehmen diese unmerklich, ein Vorgang, der als immateriell beschrieben wird. Wandelt sich ein Mensch zum Alien, ändert sich sein Verhalten, allerdings nicht besonders auffällig. Die Aliens führen das Leben der übernommenen Menschen weiter. Deshalb müssen die Hunter über eine gute Beobachtungsgabe verfügen.

Der junge Rudi hat sich für den anerkannten Beruf des Flyboys entschieden und einem schrulligen Team von Artefaktjägern angeschlossen. Das arbeitet für die Company und fliegt noch immer mit einem in die Jahre gekommenen Flugzeug. Immer wenn von dem Alien- Raumschiff im Erdorbit in einer bestimmten Zone des Pazifiks ein Artefakt herunterfällt, stürzen die zahlreichen miteinander konkurrierenden Flyboy-Teams heran, um es als erste zu erreichen und zu bergen. Die Artefakte sind wertvoll, man erhofft sich von ihnen Informationen über die geheimnisvollen Fremden, deren Raumschiff wächst und wächst und die das Sonnensystem vollständig zu sondieren scheinen.

Zwischen den 39 Kapiteln des Romans werden kurze, maximal zwei Seiten umfassende und grau hinterlegte Informationen im Stil von Newsgroup- Infos eingefügt. Auf diese Weise liefert Borsch ein breites Spektrum an Informationen, die den Leserinnen und Lesern helfen, sich nach und nach ein Bild von der zukünftigen Gesellschaft zu machen, in erster Linie hinsichtlich ihres Umgangs mit dem Außerirdischen. Gleichzeitig erspart sich Borsch auf diese Weise eine Überfrachtung der eigentlichen Romanhandlung mit allzu gewollt wirkenden Informationshäppchen, denen man ansonsten anmerken könnte, daß sie noch irgendwie untergebracht werden mußten.

Borschs "Alien Earth" bedarf keiner Weltraumschlachten und keiner Hightech-Raumschiffe, um für Unterhaltung zu sorgen. Eine nicht mehr niet- und nagelfeste Propellermaschine im Sturzflug auf den Pazifik sorgt nicht minder für Spannung als es ein wurmlochgenerierender Schlachtkreuzer aus der fernsten Dimension des Multiversums vermocht hätte. Die Stärken des Romans liegen eher in dem großen gesellschaftlichen Entwurf, vor dessen Hintergrund die Hauptfiguren Schritt für Schritt Kontur gewinnen.

Extrem klischeeverdächtig wirkte hingegen anfänglich die von Ablehnung und Zuneigung geprägte Ambivalenz der lesbischen Alien- Jägerin Ekin ausgerechnet in Bezug auf ihren unerträglich coolen Partner Paul, der immer alles besser weiß und vor Selbstbewußtsein aus allen Nähten zu platzen scheint. Erst im weiteren Verlauf der Handlung könnte man dem Autor zubilligen, daß er eine Erklärung bemüht, warum Ekins Gedanken häufig zu dem Macho eilen und sich mit ihm beschäftigen. Denn Paul hat Größeres vor, und dabei spielt Ekin eine wichtige Rolle.

In der Science-fiction, aber noch mehr in der Fantasy sind schnitzeljagdartige Plots ein weit verbreitetes Stilmittel, um sich durch die Handlung zu hangeln. Dabei geht es im Prinzip darum, daß die Heldin oder der Held einen Schlüssel finden muß, mit dem ein Schloß geöffnet werden soll, wodurch dann die Welt (wahlweise: das Universum, ein Staat, eine Gemeinschaft) gerettet wird. Nun werden den Figuren vom Schicksal oder vom Gegner Steine in den Weg gelegt, so daß erst ein anderer Schlüssel für ein anderes Schloß gefunden werden muß, um zum eigentlichen Schlüssel zu gelangen, und so weiter. Solcherlei Abschreiten eines Parcours taucht in diesen Genres in zahllosen Variationen auf.

In "Alien Earth" sucht Ekin mit ihrer Freundin Trixie nach Paul und begibt sich dabei auf recht verschlungene Pfade. Das nimmt viel Raum ein, ist aber glücklicherweise nur ein Handlungsstrang von mehreren. Eine womöglich reizvollere Form der Schnitzeljagd könnte darin bestehen, daß den Lesern aufgrund versteckt eingestreuter Anhaltspunkte die Chance geboten wird, sich die vom Autor angepeilte Lösung selbst zu erschließen. Und wenn ihnen dies nicht gelingt, sie zumindest nachträglich wissen, an welcher Stelle des Romans sie bestimmte Zeichen überlesen haben. In diesem Fall wirkt die Suche nach Paul etwas zu kompliziert, auch wenn zugestanden werden muß, daß Ekins Vorgehen unbedingt klandestin zu bleiben hat.

Indessen ist Borschs Roman so breit angelegt, daß man ihm keinesfalls mit der generellen Bezeichnung "Schnitzeljagd" gerecht wird. Das Gesamtszenario entfaltet sich, ohne daß den Lesern alles vorgekaut wird, und auch am Ende bleiben noch zahlreiche Fäden unverknüpft, die in den folgenden Bänden geklärt werden dürften. Ungeachtet dessen spitzt sich der Roman auf einen Höhepunkt zu. Man erfährt, warum die Aliens die Erde angeflogen haben, was sie vorhaben, und daß der Autor anscheinend ein Faible für Züge, insbesondere für den Frankfurter Hauptbahnhof hat ...

Um die Spannung nicht vorwegzunehmen, sei hier lediglich kryptisch angedeutet, daß am Ende die Perspektive einer nahezu paradigmatisch anderen Handlungsebene eröffnet wird, die Erwartungen weckt, wie es wohl weitergeht. Sicherlich kann man sagen, daß Frank Borsch, der unter anderem für die Science-fiction-Serie "Perry Rhodan" schreibt, mit "Alien Earth Phase 1" einen Roman vorgelegt hat, der sich durchaus von der großen Menge an austauschbar wirkenden Science- fiction-Romanen abhebt. Wenngleich es ebenfalls festzustellen gilt, daß er nicht die Aussagekraft klassischer Vorbilder erreicht, in denen gesellschaftliche Widersprüche nicht nur reflektiert werden, sondern in denen über den Kunstgriff der Beschreibung einer zukünftigen Welt Kritik an den bestehenden Verhältnissen und den ihnen zugrundeliegenden Wertvorstellungen geübt wird.

20. Februar 2007


Frank Borsch
Alien Earth Phase 1
Wilhelm Heyne Verlag, München 2007
494 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-453-52230-5