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REZENSION/103: Andreas Brandhorst - Feuervögel (SB)


Andreas Brandhorst


Feuervögel



Der sogenannte aufgeklärte Mensch wähnt sich recht selbstbewußt als Krone der Schöpfung, als Gipfel einer jahrmilliardenalten evolutionären Entwicklung, von den primitiven Archäen bis zum Primus unter den Primaten. Er bildet sich ein, daß die Entwicklung nur dem einen Zweck diente, ihn hervorzubringen, den Homo sapiens. Ein gänzlich anderes Bild des Menschen und seiner Stellung in der Welt wird dagegen in den Mythen beschrieben. In ihnen wurde der Mensch meist durch eine höhere Wesenheit geschaffen, und der Schöpfer seinerseits war Teil eines größeren Pantheons mit widerstreitenden Interessen, die den Menschen als bloßen Spielball betrachteten. Interessanterweise bedient sich ausgerechnet die Science-fiction mit ihren Zukunftsentwürfen am reichhaltigen Mythen- und Legendenschatz der Vergangenheit und hält dadurch die Erinnerung an Zeiten wach, von denen der Mensch glaubt, sie hinter sich zurückgelassen zu haben.

Einer der urtümlichen Mythen handelt davon, daß der Mensch natürlicherseits etwas besitzt, was die Begehrlichkeit einiger ihm weit überlegenen Wesenheiten weckt - in der christlichen Religion erfüllt die um menschliche Seelen feilschende Figur des Teufels diese Funktion. Der Mensch erscheint nicht als das Endprodukt der Schöpfung, das sich über die Mitwelt erhebt, sondern als Teil der Nahrungskette, als Beute oder, noch nüchterner, als bloßer Nährwert.

Der Autor Andreas Brandhorst greift in seinem Roman "Feuervögel" jene uralte Furcht des Menschen, anderen als Nahrung zu dienen, auf; und er verlegt das bedrückende Szenario in die Zukunft seines von früheren Romanen her bekannten Kantaki-Universums. Die außerirdische Spezies der Graken, von denen niemand weiß, woher sie stammen, breitet sich seit über tausend Jahren auf immer mehr besiedelten Welten der Milchstraße aus und zehrt auf mentaler Ebene von der menschlichen Lebenskraft, die Amarisk genannt wird. Dabei werden die Kontaminierten sozusagen in die Grakenträume eingewoben - man könnte auch sagen mental gemästet - und ausgesogen. Wer kontaminiert ist, wird unweigerlich sterben, und das um so rascher, sollte er aus dem Einflußbereich des Graken herausgebracht werden. Zwischen Normalmenschen und Kontaminierten gibt es eine schmale Grauzone, in der die Berührten anzusiedeln sind. Sie wurden vom Einfluß der Graken gestreift, konnten aber aus welchen Gründen auch immer dem Zugriff rechtzeitig entkommen, bevor sie endgültig verseucht wurden.

Als die ersten Graken auftauchten, wurden sie bereits von den extrem regenerationsfähigen Kriegern der Kronn, den Wissenschaftlern der Chtai und den Kustoden der Geeta begleitet. Alle zusammen bilden eine Art Raubgemeinschaft, biologisch würde man von einer Symbiose sprechen. Waffentechnisch haben die Menschen und anderen Völker der Milchstraße, die sich trotz unterschiedlicher Interessen gemeinsam dem Feind entgegenstellen, den mentalen Parasiten, die in der Lage sind, Sonnenkoronen als Portale für ihre Raumschiffe zu nutzen, nur wenig entgegenzusetzen. Letztlich sind die Völker laufend in Rückzugsgefechte verwickelt.

Einen gewissen Schutz dagegen, von den Graken geträumt zu werden, bieten sogenannte Gegenträumer, die eine Art mentalen Schutzschirm erzeugen. Auch eine operativ herbeigeführte Lobotomie verhindert in gewissem Maß die Übernahme, und nicht zuletzt erfüllen Bione diese Aufgabe. Hierbei handelt es sich um labortechnisch gezüchtete biologische Helfer, die im unteren Halsbereich angebracht werden, sich mit nanofeinen Fäden im Organismus ihres Trägers verankern und seine mentale Ausstrahlung dämpfen. Eine weitere Schutzmöglichkeit besitzen die Mitglieder des Schwesternordens Tal-Telassi, die zehn Stufen der psionischen Fertigkeit kennen - und über die Existenz einer elften Stufe mutmaßen. Die erfahrenen Mitglieder der Schwesternschaft vermögen ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten und sich telepathisch zu verständigen. Auch können sie teleportieren oder Materie qua ihres Geistes bewegen und ähnliche paranormale Fähigkeiten mehr.

Das ganze Universum wird von Tal-Telas durchzogen, einer Kraft, die dem Sein an sich innewohnt und von den begabten Tal-Telassi genutzt wird. Brandhorst hat mit seinem Kantaki-Universum eine sehr komplexe Kosmologie entworfen, die durchaus einen Vergleich mit Frank Herberts SF-Klassiker "Der Wüstenplanet" nicht zu scheuen braucht, wenngleich jene Serie durch ihre philosophisch-soziologischen Ein- und Auslassungen noch eine Klasse für sich bildet. Brandhorst setzt weder auf tiefgründige Erkenntnisse noch hält er der heutigen Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen einen Spiegel vor. Er spielt dagegen mit der Spannung, die sich sowohl aus der unmittelbaren Auseinandersetzung mit den monströsen Graken ergibt als auch aus dem übergreifenden, von vielen Rätseln gestützten Handlungsbogen, der gegen Ende dieses ersten von insgesamt drei Bänden rund um die "Feuervögel" sogar noch an Dynamik zulegt.

Tako Karides, ein Soldat bei den Streitkräften der Allianz Freier Welten, rettet auf dem Planeten Kabäa den außergewöhnlich begabten Jungen Dominik vor dem Zugriff der Graken. Die geheimnisvollen Tal-Telassi besitzen jedoch ein starkes Interesse an dem Kind und nehmen es unter ihre Fittiche. Tako hingegen fällt den Intrigen der Schwesternschaft zum Opfer - zumindest beinahe. Zu seinem Glück sind sich die Tal-Telassi uneins, und eine ihrer Fraktionen hält eine schützende Hand über ihn, so daß er dem sicher geglaubten Tod knapp entkommen kann. Dabei verliert er allerdings für lange Zeit den Kontakt zu Dominik.

Dieser ist der einzige Junge, der violette Fingerkuppen, das Zeichen der Tal-Telassi, trägt. Allen Versuchen seiner Lehrerinnen, die ihn in den nächsten Jahren zur Aufgabe seiner Emotionen bewegen und zu einem gehorsamen Schüler machen wollen, widersteht er problemlos. Statt in der Arrestzelle zu schmoren, schafft er sich eine eigene Traumwelt, die durchaus real ist und in die er andere mitnehmen kann. So auch die junge Schülerin Loana. Die beiden haben sich ineinander verliebt und halten sich, der Konvention zum Trotz, die Treue.

In den vielen Jahren, die der Handlungsbogen überspannt, wird Tako Karides, der seine Suche nach Dominik nie aufgegeben hat, vom Rang eines "Keils" zu dem einer "Lanze" befördert; schließlich obliegt ihm die Aufgabe, einen Exodus der Menschheit in die Nachbargalaxis Andromeda vorzubereiten. Zu dem Zeitpunkt wurde er bereits oft und teils so schwer verletzt, daß er weniger ein Mensch als vielmehr ein Cyborg ist, der dank eines exquisiten Exoskeletts über hervorragende Fähigkeiten verfügt ... vielleicht ist das der Grund, warum er eine kameradschaftliche Beziehung zum Megatron namens Elisa, der Künstlichen Intelligenz seines Raumschiffs "Akonda", pflegt.

Der Roman "Feuervögel" ist mit 555 Handlungsseiten ziemlich lang, er hat deshalb aber keine Längen. Eine der Stärken Brandhorsts besteht darin, daß er große kosmische Ereignisse mit sehr persönlichen menschlichen Problemen verwebt und die Leserinnen und Leser stets auf dem Kenntnisstand der Hauptfiguren Tako Karides und Dominik hält, so daß sie daran teilhaben, wie die Helden ein Geheimnis nach dem nächsten lüften. Zugleich wird die Handlung in eine fiktive, mystische Historie eingebettet - ein Konzept, das auch die bekannte deutsche Science-fiction-Serie "Perry Rhodan", zu der Brandhorst ebenfalls beigesteuert hat, erfolgreich einsetzt.

Ein Glossar der wichtigsten Begriffe sowie eine Chronologie, die bis an den Einsatz Takos auf Kabäa im Jahr 1114 ÄdeF (Ära des Feuers) - was dem Jahr 9964 irdischer Zeitrechnung entspricht - heranreicht, sowie eine Sternenkarte und eine Raumschiffrißzeichnung von dem Illustrator Georg Joergens runden das Werk ab. Ein bißchen "Romeo und Julia", hin und wieder Raumgefechte und vor allem reichlich starke Planeteneinsätze - "Feuervögel" von Andreas Brandhorst bietet solide Science-fiction-Abenteuer vor dem Hintergrund eines differenziert ausgearbeiteten Universums.

26. Juni 2007


Andreas Brandhorst
Feuervögel
Wilhelm Heyne Verlag, München 2006
ISBN-13: 978-3-453-52206-0
574 Seiten
8,95 Euro