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BUCHBESPRECHUNG/062: Gabriele Gast - Kundschafterin des Friedens (SB)


Gabriele Gast


Kundschafterin des Friedens



Als die DDR unterging und ihr Territorium allmählich vom sozialistischen Ausland zum Staatsgebiet der Bundesrepublik mutierte, veränderte sich für Gabriele Gast, Regierungsdirektorin beim Bundesnachrichtendienst (BND), weit mehr als für ihre Kollegen. Diese verloren vor allem ein großes Arbeitsfeld, da der Präsident des westdeutschen Auslandsgeheimdienstes mit der Machtübernahme der CDU in der DDR verordnet hatte, die Aufklärung dort zum 31. März 1990 einzustellen. Der zu dieser Zeit im Sowjetunion-Referat tätigen BND-Analytikerin ging jedoch die Wahlheimat und mit ihr der Schutz verloren, dessen sie sich stets sicher wähnte, sollte einmal ihre nachrichtendienstliche Tätigkeit für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR auffliegen.

Gabriele Gast war aus Überzeugung als "Kundschafterin des Friedens", so der Titel ihres im Eichborn-Verlag erschienen Werks, für die DDR tätig, das macht diesen Einblick in die Welt deutsch-deutscher Konfrontation auf der Ebene der Nachrichtendienste so lesenswert. Der Bericht über ihre Arbeit bei zwei deutschen Auslandsgeheimdiensten entbehrt gerade wegen der politischen Motivation jeder euphemistischen Verklärung eines der beiden Staaten zum Inbegriff von Freiheit und Gerechtigkeit. Während die DDR vor allem in Gestalt ihrer Auftraggeber bei der HVA in Erscheinung tritt, deren Freundschaft nach dem Ende des Arbeiter- und Bauernstaats nicht hält, was sie versprach, zeigt sich die Bundesrepublik als kalter Technokratenstaat mit unverhohlener Siegermentalität gegenüber den Gegnern von gestern.

Die zu den bedeutendsten Agenten, die die HVA jemals im Westen führte, zählende Ostexpertin macht aus ihrer Wut über den Verrat aus dem Innern der HVA sowie die mangelnde Unterstützung durch die Genossen von einst keinen Hehl, lastet dies jedoch ganz der menschlichen Unzulänglichkeit individuellen Überlebensstrebens an. Der DDR gibt Gabriele Gast bei allen Schwächen und Fehlern als einem auf die Schaffung menschenfreundlicherer Verhältnisse für alle Bürger ausgerichteten Staat nach wie vor den Zuschlag, sie enthält sich dabei jedoch aller programmatischen Parolen, was ihr Buch von den Produkten notorisch antikommunistischer Fürsprecher westlicher Nachrichtendienste angenehm unterscheidet.

"Kundschafterin des Friedens" schildert die Karriere einer zur 68er-Generation gehörigen Frau betont konservativen Zuschnitts, die über Besuche bei Verwandten in der DDR und die Liebe zu einem Mitglied der HVA eine vollkommen andere Sicht jenes Landes gewinnt, das für die meisten Westdeutschen Inbegriff grauer Konsumfeindlichkeit und politischer Gängelung war. Die Agententätigkeit der über CDU-Mitgliedschaft und ein Studium bei dem bekannten Politologen Klaus Mehnert in Aachen in den BND gelangten Frau auf den Begriff eines "Romeo-Opfers" zu bringen, wie es etwa der Spiegel tut, hieße, ihre politische Positionierung zu diskreditieren, und das ist offensichtlich auch der Grund, warum das boulevardeske Bild vom amourösen Motiv des Geheimnisverrats insbesondere bei Frauen so hartnäckig kolportiert wird. Tatsächlich gehört Gabriele Gast gerade nicht zur Riege der Bonner Vorzimmerdamen, die allein über die Ausnutzung ihrer Einsamkeit abgeschöpft wurden, denn die Liebesbeziehung zu ihrem Anwerber war bereits nach wenigen Jahren beendet. Ihre insgesamt 21 Jahre, davon 17 Jahre beim BND, währende Tätigkeit als Kundschafterin, wie die Autorin ihre eigene Tätigkeit und die aller anderen DDR-Auslandsagenten im Buch stets bezeichnet, erfolgte auch nicht aus pekuniären Gründen, da sie das in der DDR für sie auf ein Konto einbezahlte Gehalt von monatlich 800 DM lediglich als Startkapital für den Fall eines Rückzugs von der geheimen Front verstand und niemals erhielt.

Aus innerer Überzeugung handelnd, mit der Preisgabe von BND- Informationen zum friedensbewahrenden Ausgleich der Kräfte im Ost- West-Konflikt beizutragen, stellt sich die Frage der Moral des Verrats an keiner Stelle des Buchs. Gabriele Gast berichtet über die gegeneinandergerichteten Aktivitäten der deutschen Geheimdienste, denen sie angehörte, in der nüchternen Sprache des nachrichtendienstlichen Profis, dem die Absicht dieses Berufes, so viel wie möglich über den Gegner herauszufinden und dabei auch Mitglieder des feindlichen Sicherheitsapparats für sich einzuspannen, das Normalste der Welt ist. Im Falle der Frau, die 1968 als Doktorandin über die "Politische Rolle der Frau in der DDR" recherchierte und so begann, einen eigenen Eindruck vom Systemgegner zu erlangen, kann noch nicht einmal vom "Umdrehen" eines Geheimdienstlers gesprochen werden, da sie ihre Tätigkeit in Pullach erst aufnahm, als sie schon in Diensten der HVA stand. Um so verständlicher ist es, wenn Gabriele Gast in ihrem Buch hart mit jenen ins Gericht geht, die ihre Kenntnisse über Interna des DDR-Staatssicherheitsdienstes nach der Wende zulasten betroffener Agenten versilbert haben:

Für mich war jeder Mitarbeiter der HVA, der sich in diesen Tagen des Zerfalls der DDR-Nachrichtendienste dem BND, BfV oder den Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik anbot, ein Verräter übelster Sorte, ein Judas, der andere Menschen der Haft und dem existentiellen Ruin auslieferte, um selbst materiell gut gebettet zu bleiben. Hätten sie vor der Wende die Front gewechselt, hätte man es als ein schicksalhaftes Ereignis hinnehmen müssen. Doch nach der Wende gab es kein Überlaufen mehr, sondern nur noch schnöden Handel mit jenen Menschen, aufgrund deren Kooperationsbereitschaft sie zuvor eine nicht unbeträchtliche Karriere in ihrem Staat gemacht hatten. Daß Fettaugen auf jeder Suppe oben schwimmen, hatte sich schon nach der braunen Vergangenheit Deutschlands erwiesen. Der Zerfall der DDR-Staatsmacht war nicht dazu angetan, die Relevanz solcher physikalischen Gesetze für den politischen Bereich zu widerlegen.

Emphatische Stellungnahmen solcher Art sind in Gabriele Gasts Buch eher dünn gesät, das macht sie vor dem Hintergrund der sachlichen Schilderung eines Lebens als Geheimagentin jedoch um so authentischer. Die Geschichte ihrer Verhaftung im September 1990, die Erlebnisse während ihres dreieinhalbjährigen Aufenthalts in bayerischen Gefängnissen, dabei insbesondere die schweren psychischen Auswirkungen der 15monatigen Isolationshaft, der Schmerz über die dadurch verursachte Entfremdung von ihrem behinderten Adoptivsohn und die Abrechnung mit einem Gesetzgeber, der die Agenten der DDR kriminalisiert, während er die eigenen von jeder Strafverfolgung freistellt, tragen die Handschrift dieser persönlichen Betroffenheit und bieten einen Einblick in das Schicksal eines ausgesprochenen Opfer des Anschlusses der DDR. Während ihr Fall in den Medien der Bundesrepublik zum schweren Landesverrat aufgebauscht wurde, für den das Urteil von sechs Jahren und neun Monaten Gefängnis wohl noch zu gering war, bietet ihr Buch die Perspektive aus dem Bauch eines Wals, der selbst nach dem totalen Sieg über den Systemfeind keine Vergebung kennt.

Obwohl die DDR in der Bundesrepublik aufgegangen und das "mittels des Strafrechts geschützte Rechtsgut der äußeren Sicherheit der Alt-Bundesrepublik in Bezug auf die DDR weggefallen" war, wollte man von einer Verfolgung der Bundesbürger, die für den Osten spioniert haben, nicht absehen. Die in dem Buch angeführten Grundlagen dieser Ungleichbehandlung wie etwa das Urteil des Bundesgerichtshofes vom Juni 1991, das glauben machen will, die DDR-Aufklärung habe "offensive" Ziele verfolgt und der BND demgegenüber "defensive", oder das SED- Unrechtsbereinigungsgesetz, das von sachlichen Fehlern und ideologischen Werturteilen nur so strotzt, dokumentieren, daß der Kalte Krieg nicht etwa mit dem Verlöschen der DDR und dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion beendet war, sondern auch zehn Jahre später noch andauert.

Gabriele Gast hat sich nach ihrer Haftentlassung mit betroffenen Kollegen in einer Gruppe namens "Kundschafter des Friedens fordern Recht" zusammengetan und die Einstellung aller Strafverfolgung der DDR-Spionage, die Freilassung aller noch inhaftierten DDR-Kundschafter sowie Rehabilitierung und Entschädigung der Kundschafter, wie es Bonn für die eigenen Agenten und die des Westens verfügt hat, gefordert. Mit einer Eingabe an die europäische Menschenrechtskommission hat die Gruppe ihrem Wunsch Nachdruck verliehen, allerdings ist die Gleichstellung der DDR-Agenten bis heute ausgeblieben, was zeigt, daß es sich bei Gabriele Gasts Werk keinesfalls nur um eine Rückschau handelt.

Neben der Bilanzierung einer unverhohlenen Siegerjustiz, mit der die Kämpfer an jener Front gestraft werden, die wohl die heißeste der deutschen Zweistaatlichkeit war, bietet das Buch interessante Einblicke in das Innenleben des BND. Während Details über die HVA und insbesondere ihres zum Medienstar avancierten Chefs Markus Wolf eher von historischem Interesse sind, dokumentieren die Erlebnisse der Autorin im nach wie vor florierenden Auslandsgeheimdienst der Bundesrepublik grundsätzliche Mechanismen nachrichtendienstlicher Arbeit. Während derjenige, der Details aus der Aufklärungs- und Analysearbeit zwischen 1973 und 1990 erwartet, eher enttäuscht wird, kommen Leser, die sich für in bürokratische und administrative Dynamik übersetzte Machtverhältnisse interessieren, voll auf ihre Kosten.

Kontraproduktive Konkurrenzverhältnisse zwischen einzelnen Abteilungen des BND sowie zu anderen Diensten, existenzsichernde Darstellungszwänge gegenüber dem Kanzleramt, Behinderungen der Arbeit durch Beamtensturheit und Karriereambitionen, exemplarische Fehleinschätzungen aus Profilierungssucht und Mangel an konkreter Agententätigkeit vor Ort - Gabriele Gast greift in die ganze Fülle ihrer Erfahrungen und zeichnet das Bild einer Behörde, das jede Schlapphutromantik vergessen läßt. Dabei ist die Autorin allem Anschein nach eine passionierte Analytikerin, die sich ihrem Gegenstand voller Interesse widmet und es auch gegenüber dem westdeutschen Dienst nicht an Sorgfalt in der Arbeit mangeln ließ. Ihre Aufgabe bestand offensichtlich nicht im Plazieren von Desinformationen, obwohl sie auch zur Praxis, den Gegner mit Spielmaterial zu füttern und so zu kontrollieren, einiges zu sagen hat, sondern allein in der Übermittlung von geheimem Material per Kurier an die HVA. Dieser Teil ihrer Arbeit kommt vergleichsweise zu kurz, was unter anderem daran liegen mag, niemanden der noch im Dienst befindlichen BNDler zu kompromittieren oder sachdienliche Hinweise für die Verurteilung ehemaliger HVA-Mitglieder zu geben.

"Kundschafterin des Friedens" gehört sicherlich zu den wichtigen Quellen deutsch-deutscher Geheimdienstgeschichte, vor allem jedoch ist es ein Dokument der Wende und des Anschlusses der DDR aus einem ganz besonderen Blickwinkel. Das Fehlen einer von Korpsgeist und schwarz-weiß gezeichnetem Lagerdenken bestimmten Diktion, die Berichte aus dem Innenleben der intelligence community häufig zu schwer verdaulicher Kost macht und das in diesem Fall neben der politischen Herkunft der Autorin sicher nicht zuletzt ihrer Sonderstellung als Frau in einer klassischen Männerdomäne zu verdanken ist, hebt das Buch aus der Masse der Veröffentlichungen zu diesem Thema hervor. Dabei wird das politische Credo niemals mit der Totschlagwirkung platter Propaganda an den Leser gebracht, sondern vermittelt sich eher beiläufig durch die Analyse von Sachverhalten, die bei besonders krasser Willkür etwa der Justiz bisweilen in Fußnoten wie dieser resultieren:
Böse Zungen behaupten, der Begriff Rechtsstaat umschreibe weniger einen Zustand der Rechtssicherheit für den Bürger als vielmehr den Sachverhalt, daß der Staat immer recht habe. Zu solcher Meinung hat zweifellos die Erfahrung beigetragen, daß das Rechtswesen in erster Linie ein rechtsformalistisches Konstrukt ist, in dem das Gerechtigkeitsempfinden oftmals auf der Strecke bleibt.

Die "belastende Erfahrung der eigenen Ohnmacht", die die Autorin in der Konfrontation mit der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit gemacht und die das Buch entscheidend geprägt hat, scheint jedoch auch ihren Nutzen gehabt zu haben. Gabriele Gast hält es der "mitunter unglaublichen Rabulistik und Haarspalterei (...) juristischer Argumentation" zugute, daß sie in die Lage versetzt wurde, "mich ebenso leichthändig ihrer gewichtigsten Floskeln zu bedienen":

Allmählich verlor ich meinen Respekt vor einer Institution, der ich bislang einen herausragenden Stellenwert im Gefüge eines demokratischen Staates zugeordnet habe. Nun war ich auch innerlich frei.

Am deutlichsten wird das Anliegen persönlicher wie politischer Befreiung gegen Ende des Buches, kurz bevor die Autorin in einem dramatischen Finale die Konfrontation mit ihrem Verräter sucht und dieses Gespenst ihrer Vergangenheit auf höchst effiziente Weise seiner Macht beraubt:

Oft bin ich angesichts dieser persönlichen Bilanz meiner Kundschaftertätigkeit gefragt worden, ob sie das alles denn wert gewesen sei, da sie sich ja nicht einmal finanziell gelohnt habe. Doch immer mußte ich mit der Antwort enttäuschen, daß die Frage zwar menschlich verständlich, aber zugleich höchst unpolitisch sei. Gewiß, vordergründig und noch dazu aus der Retrospektive urteilend, haben sie Recht. Aber stets übersehen sie die konkrete zeitgeschichtliche Konstellation zum Zeitpunkt meines Handelns und daß diese nicht deshalb schon an Relevanz verliert, weil sie im Rückblick plötzlich unbedeutend scheint. Sie war vielmehr die Realität, in der sich wesentliche Jahre meines Lebens vollzogen und ich meinen politischen Standort fand. Ob dieser lediglich ein vermeintlich falscher war und gar ein unproduktiver gewesen ist, weil die DDR unterging, mag man an Stammtischen diskutieren. Die Geschichte wird es nicht kümmern. Sie verläuft nicht bloß in den Bahnen der Restauration. Sie kennt ebenso die Periode des Umbruchs und der revolutionären Erneuerung. Nichts bleibt, wie es ist. Dieses eherne Gesetz der Geschichte gilt auch für den neuen gesamtdeutschen Staat.

Rückschauen fragen stets nach der Bilanz, insbesondere in diesen Tagen des zehnjährigen Jubiläums der sogenannten deutschen Einigung. Gabriele Gast, deren Verhaftung und Verurteilung ein großes Ereignis für die deutschen Medien war, wurde zur Veröffentlichung ihrer Erinnerungen dementsprechend häufig vor das Mikrofon gebeten und mit besagter Frage konfrontiert. Wiewohl schwer zu verstehen ist, wie die Journalistin Heide Soltau vom Norddeutschen Rundfunk, die nämliches Buch gelesen hat, von dem hier die Rede ist, am Ende eines einstündigen Interviews fragen kann, ob Gabriele Gast "17 Jahre Arbeit für die Stasi peinlich" seien, zeugt die Antwort der ehemaligen Kundschafterin des Friedens davon, daß es keinen Grund gibt, sich dem Unterwerfungsgebot der Sieger zu beugen:

Nein, was soll mir denn daran peinlich sein. Da müßte mir ja der Ost-West-Konflikt peinlich sein, denn das stand ja im Hintergrund, und den habe ich nun wirklich nicht zu verantworten. Nein, ich habe vor dem Hintergrund eben eines bestimmten zeitgeschichtlichen Geschehens gehandelt, das war einfach so, das kann man nicht wegdiskutieren, auch wenn heute sich viele nicht mehr so recht daran erinnern, und vor dem Hintergrund hatte mein Handeln seine Logik, und da hat mir nichts peinlich zu sein.


Gabriele Gast
Kundschafterin des Friedens
Eichborn-Verlag