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BUCHBESPRECHUNG/136: Michael Streissguth - Johnny Cash At Folsom Prison (Musik) (SB)


Michael Streissguth - Johnny Cash At Folsom Prison


Die Geschichte eines Meisterwerks



Am 26. Februar 2012 hätte Johnny Cash seinen 80. Geburtstag gefeiert. Dieses Datum nimmt der Verlag Rogner & Bernhard zum Anlaß, das Sachbuch "Johnny Cash At Folsom Prison - Die Geschichte eines Meisterwerks" erneut herauszubringen. Im Zentrum dieses Buchs von Cash-Biograph Michael Streissguth steht hier nicht die Person Johnny Cash, sondern das Meisterwerk: die Aufzeichnung seines Konzert im Gefängnis von Folsom.

Sie spiegelt viele Dinge wider: Dazu gehört zum einen natürlich der musikalische Werdegang Johnny Cashs, der in seiner Militärzeit in Landsberg (1953) erstmals über den Film "Inside the Walls of Folsom Prison" mit dem Gefängnis von Folsom in Berührung kam. Der Streifen inspirierte ihn, dem Song "Folsom Prison Blues" (1955) zu schreiben und sich damit, wie auch in anderen späteren Liedern, das Image eines Bösewichts zuzulegen. Später dann, als er in den frühen 60er Jahren schon ein Star ist, macht er durch seine Drogenexzesse - wenn auch nur zur Ausnüchterung - selbst Bekanntschaft mit Gefängnissen von innen. Hierdurch entsteht sein Ruf, er hätte selbst gesessen, der seinen Liedern mehr Authentizität verleiht und ihn für die Gefängnisinsassen zur Kultfigur macht. Sie schreiben ihm Briefe, die Cash nicht nur beantwortet, sondern er engagiert sich für mehr Rechte von Gefangenen und solidarisiert sich mit ihnen. Dies spiegelt sich auch in dem Titelbild, für das sich der "Man in Black" wie bei einem "Verbrecherfoto" mit Nummerntafel vor der Brust vor die Kamera gesetzt hat.

Ein anderer Aspekt, der für die Aufzeichnung dieses Konzerts (von 1968) wichtig ist, ist die Umgebung des Gefängnisses. Um sich hier besser hineinversetzen zu können, beschreibt Michael Streissguth im Vorfeld die Geschichte von Folsom, die besonders harten Verhältnisse dort, die Lage sowie die nicht vorhandenen Rechte der Gefangenen. Für die auftretenden Künstler bedeutete das zum Beispiel, daß, wenn es zu Übergriffen von Seiten der Gefangenen gekommen wäre, es keine Verhandlungen mit den Geiselnehmern und keine Rücksicht auf die Geiseln - in diesem Fall also die Künstler - gegeben hätte. Doch dazu kommt es nicht. Die Insassen warten gespannt auf den Auftritt ihres Helden, lauschen auf seine Worte, lachen über seine Witze und applaudieren begeistert in den Pausen.

In den Kapiteln, die auf die detaillierte Schilderung des Konzerts folgen, wird dann zum einen beschrieben, was notwendig war, das Album publik zu machen, denn das Plattenlabel führte es zuerst nur unter ferner liefen. Erst als man es in den Underground-Radiosendern spielte, wurde es mehr und mehr bekannt, und erregte schließlich auch die Aufmerksamkeit der Fachpresse. In Cashs Karriere war und blieb es das wichtigste Album, kein Country-Album hat es je so weit in die Pop-Charts geschafft und auch die Country-Musik kam durch dieses Album mehr aus ihrem Schattendasein heraus.

Aber nicht nur die Karriere Johnny Cashs wird im folgenden weiter beleuchtet, sondern auch sein Engagement in der Gefangenen-Bewegung. Er war der Überzeugung, daß, wenn man ihnen nur ein bißchen menschliches Mitgefühl spendete, sie wieder in die normale Gesellschaft eingegliedert werden könnten. Ein Beispiel ist der in Folsom einsitzende Glenn Sherley, den er nach dessen Entlassung in sein Team aufnahm. Leider kam er mit dem Leben in Freiheit nicht mehr zurecht und nahm sich schließlich das Leben. Auch der im Kapitel über Folsoms Verhältnisse erwähnte Millard Dedmon schaffte es über die Musik, das Gefängnis zu verlassen und sich zu etablieren.

Nach der Lektüre dieses Buches kommt die Besonderheit des Konzerts auch beim aufmerksamen Hören der LP/CD rüber, denn man spürt, daß Johnny Cash dieses Konzert nur für die Leute vor sich singt, sich an sie richtet, nur für sie da ist, alles gibt, bis seine Stimme fast schon versagt. Genau aus diesem Grunde ist dieses Album ein Meisterwerk. Auch wenn es aufnahme- und gesangstechnisch nicht ohne Makel ist, ist es in seiner Aussagekraft, seiner Positionierung anderen Alben aus der Zeit, wie zum Beispiel Sgt. Pepper von den Beatles und anderen, die künstlerisch und stilistisch innovativer waren, um Längen voraus, weil es davon zeugt, daß ein Mensch mit seinem Lied eine Geschichte für einen anderen Menschen erzählt und damit sein Herz erreicht.

Dieses Buch von Michael Streissguth regt nicht nur dazu an, sich dieses Album überhaupt anzuhören, wenn man es noch nicht kennt oder es sich genauer anzuhören, wenn man es schon kennt. Sondern es ist auch für denjenigen, der das Album bereits kennt und schätzt, wertvolles Hintergrundmaterial. Im Zentrum dieses Buches steht die Beschreibung des Konzertes selbst. Hier sind zahlreiche Bilder eingefügt, so daß man sich auch einen optischen Eindruck vom Konzert, seiner Atmosphäre sowie den Verhältnissen im Gefängnis machen kann. Da es keinen Filmmitschnitt gab, sind sie die einzigen optischen Belege.

Was das Buch leider nicht aufzeigt, ist, wie sich die Verhältnisse in den Gefängnissen und die Proteste für mehr Rechte von Gefangenen weiterentwickelt haben. Die Situation hat sich leider nicht verbessert - Stichworte seien hier nur Guantanamo, Gefängnisindustrie und Waterboarding. Doch dies alles aufzuzeigen würde die Ausrichtung und das Konzept des Buches sprengen. Aber immerhin kann es auch ein Anstoß sein, sich hiermit zu beschäftigen. Und dies ist neben dem Geburtstag von Johnny Cash vielleicht ja auch ein weiterer Anlaß des Verlages gewesen, das Buch wiederaufzulegen.

Zum Lesen dieses Buches wäre darüber hinaus noch anzumerken, daß an einigen Stellen die Fakten - Personen, Orte, Labels, Lokalitäten - etwas zu nüchtern hintereinander aufgelistet werden und der Lesefluß durch den manchmal nicht ausgemerzten amerikanischen Satzbau gehemmt wird. Zudem kommt noch hinzu, daß, obwohl es vom Layout nicht notwendig gewesen wäre, eine sehr kondensierte Schrifttype verwendet wurde, die das Lesen erschwert.

Nichtsdestotrotz ist dies ein zu empfehlendes Buch, das einem zum einen die Ohren für dieses Konzert im Besonderen öffnet und auch auf die Machart und Verwendung von Musik im allgemeinen aufmerksam macht. Zum anderen macht es Lust, sich mehr mit der Biographie Johnny Cashs sowie seiner Musik zu befassen. Es regt auch dazu an, sich darüber Gedanken zu machen, wie ein Gefängnisalltag aussieht, welche sozialen Strukturen dort vorherrschen, welchen Einfluß der Freiheitsentzug auf das Wesen eines Menschen hat und daß Freiheitsentzug eben nicht nur heißt, daß man nicht frei draußen rumlaufen kann, sondern daß die Einschränkungen sehr viel weiter gehen.

Michael Streissguth
Johnny Cash At Folsom Prison
Die Geschichte eines Meisterwerks
Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel
Johnny Cash at Folsom prison,
The Making of a Masterpiece
by Da Capo Press
Aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider
Rogner & Bernhard, Berlin 2012
Vertrieb zweitausendeins,
Reihe HarcoverPlus und E-Book in einem
224 Seiten, 110 Abb., Klappenbroschur
Euro 14,95
ISBN 978-3-8077-1086-0


26. März 2012