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BUCHBESPRECHUNG/143: Kirsten Metternich von Wolff - Die Diabetes-Journal-Nährwert-Tabelle (SB)


Kirsten Metternich von Wolff


Die Diabetes-Journal-Nährwert-Tabelle

BE, KE und Kalorien auf einen Blick


Dem ersten Eindruck nach verspricht die registerbewährte "Diabetes-Journal-Nährwert-Tabelle" im praktischen Oktavheftformat (DIN A6) ihrem Untertitel gerecht zu werden und die für Diabetiker wichtigen Nährwerte "auf einen Blick", d.h. unaufwendig und schnell zur Verfügung zu stellen. Für diesen Personenkreis kann dies entscheidend sein, um notwendige Bolusgaben (Mahlzeiten-Insulin- Dosierung) kurzfristig berechnen und zügig verabreichen zu können. Im Unterschied zu den meist sperrigen Listen und Ernährungsratgebern, mit denen an Diabetes Erkrankte von der pharmazeutischen Industrie bzw. durch die ärztliche Fachberatung in der Regel zu Beginn der Diagnose bereits hinreichend ausgestattet werden, könnte das pragmatische Büchlein des Kirchheim-Verlags einen Zugewinn an Lebensqualität für all jene bedeuten, die ihre Mahlzeiten häufiger in Kantinen, Restaurants oder Bistros zu sich nehmen möchten und sich daher nicht an den inzwischen auf allen Lebensmittelverpackungen aufgedruckten Nährwert- und Inhaltstoffübersichten direkt orientieren können. Auch für diejenigen, die während der Mittagspause auf die Bereitschaft von Smartphones, Tablets, PCs oder Laptops verzichten, mit deren Hilfe sich jede Frage an mögliche Kohlenhydrat- oder BE-Verkonsumierung umgehend und ausreichend begoogeln läßt, könnte die handliche Tabelle mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen, sofern die im Folgenden beschriebenen kleinen Dinge berücksichtigt werden. Unweigerlich erhöht sich damit aber der logistische Aufwand für die Kohlenhydratberechnung.


Nur mit Waage...

Die versprochenen Küchenmaße, mit deren Angabe in der Tabelle das Abschätzen der aufgenommenen Mengen von 1000 Lebensmitteln ohne weitere Hilfsmittel erleichtert werden soll, fehlen bei vielen Einträgen, so daß man nur selten ganz ohne Waage auskommt, um die jeweils für eine BE (Broteinheit) vorgegebenen Portionen von 20, 15, 12 oder 13 Gramm (z.B. bei Frühstückscerealien von Kellogg's) am Frühstücksbüfett oder sonstwo korrekt einzuschätzen. Die selteneren "Küchenmaße", etwa eine Scheibe, eine Ecke, eine Tafel, ein Teelöffel oder Eßlöffel sind hingegen "massenspezifisch" so ungenau und gefühlsmäßig beweglich wie das frei nach Loriot geschätzt-genaue Viereinhalbminuten-Ei". Wem bitte gelingt es denn schon auf Anhieb eine Scheibe von exakt 50 Gramm Gewicht freihändig von einem Laib Brot zu schneiden? Abweichungen von 35 Gramm mehr oder weniger sind völlig normal, können aber die berechneten Boluswerte komplett sabotieren und im schlimmsten Fall eine Unterzuckerung herbeiführen.

Ein Pluspunkt für die Tabelle sind die unter den Küchenmaßen zusätzlichen Angaben für 100 Gramm des gleichen Lebensmittels, so daß der Nutzer seine eigenen Küchenmaße zumindest tarieren kann. Diese zusätzlichen Zeilen blähen allerdings die Tabelle auf, so daß die nur 1000 Lebensmittel auf 105 Seiten á 9 bis 10 Einträgen gesucht werden müssen und das Büchlein umfassender erscheint, als es wirklich ist. Damit kommen wir zum zweiten Verzögerungsfaktor für das schnelle Auffinden von Werten:


Nur mit Thesaurus ...

Das Verständnis der in der Tabelle verwendeten Lebensmittelterminologie ist eine weitere unabdingbare Voraussetzung, denn eine Übersetzungshilfe gibt es nicht. Der Nutzer muß somit einfach wissen was ein Malz-Mehrkornbrot von einem Roggenmischbrot oder einem Bauernbrot unterscheidet. Die Begriffe, Rezepturen und Nährwerte für die rund 3.200 allein in Deutschland bekannten Brotsorten können von Bundesland zu Bundesland, aber auch von Bäcker zu Bäcker variieren.

Für einige bundesweit gebräuchliche Ausdrücke für verbreitete Lebensmittel wie "Schwarzbrot" oder "Apfelschnitte" bzw. "gedeckter Apfelkuchen" wird man hingegen viel Zeit beim Durchstöbern von Registern und Zeilen verwenden, ohne fündig zu werden. Denn der verzweifelt Suchende wird nach dem Register Brot, vermutlich auch noch das Register Getreide und vielleicht Fertiggerichte durchforsten. Darauf, daß Kuchen unter dem Register "Süßes" gelistet ist, wird ein Nutzer der Tabelle vermutlich schnell kommen, sicher aber nicht darauf, daß man den Eintrag "Wellness-Konfitüre, ohne Zuckerzusatz", der tatsächlich existiert, unter dem Register "Zucker" findet. In der gleichen Rubrik wird auch Fruchtgelee, Marmelade und Nuss-Nougat-Creme gelistet. Wer sucht, wird schon finden, doch nur wer weiß, was er ungefähr wo in der Tabelle suchen muß, wird sie "auf einen Blick" nutzen können.

Während das Nachschlagewerk möglicherweise aus Platzersparnis schlecht sortiert ist, wie diese Beispiele zeigen, scheint andererseits seitenweise Platz durch Auflistung von Fertigprodukten verschwendet, katalogisiert nach Lebensmittelherstellern, mit produktgenauen Angaben z.B. unterschiedlichster Frühstückscerealien, die sich in Mengen und BE-Zahlen so ähnlich sind, daß sie sich auch ohne Schleichwerbung unter einfachen Oberbegriffen zusammenfassen ließen. Denn welche Nutzer sollten mit bloßem Auge unterscheiden können, ob sie es mit Choco Krispies von Kellogs oder Chokellas oder Cini-Minis von Nestlé zu tun haben, wenn die Originalverpackungen hinter der Selbstbedienungstheke des Frühstücksbistros bleiben. Im anderen Fall ließe sich der gesuchte Kalorien- oder Kohlenhydratwert aber bereits leicht auf Karton, Tüte oder Dose finden und dies gemeinsam mit Fett- und Proteingehalten, für die in der Nährwert-Tabelle des Diabetes-Journals gar kein Platz vorgesehen wurde. Letztere sind aber in einigen speziellen Formen der Diabetes-Erkrankung ebenfalls von Bedeutung.

Kurzum, selbst der Vintage-Charme des nicht mehr ganz zeitgemäßen Hilfsmittels verflüchtigt sich angesichts des ganz offensichtlichen Versuchs, jeden potentiellen Sponsor künftiger Print-Projekte namentlich zu erwähnen. Von dem eingangs erwähnten Versprechen eines unaufwendigen und effektiven Gebrauchs kann bei diesem ansonsten wirklich gut leserlichen, hübsch illustrierten und aufbereiteten Gesamtwerk keine Rede sein, zumal es auch in vielen weiteren, nicht erwähnten Fällen der Nährwert- und Bolusberechnung mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Natürlich lassen sich all diese Fragen sehr schnell mittels der in PCs, Tablets, Labtops oder Smartphones verfügbaren Internetanwendungen beantworten, doch - Hand aufs Herz - wozu bitte braucht man dann noch eine Tabelle?

Die Diabetes-Journal-Nährwert-Tabelle
2. Auflage
Verlag: Kirchheim, Mainz
Seitenzahl: 105
Erscheinungsdatum: Mai 2016
ISBN-13: 9783874096201
ISBN-10: 3874096203


23. April 2020


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