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REZENSION/017: Marinaccio - ... von Star Trek gelernt (Lebenshilfe) (SB)


Dave Marinaccio


Alles, was ich im Leben wirklich brauche, habe ich von Star Trek gelernt



Schon der ungewöhnliche Titel verrät, worum es in diesem Buch an erster Stelle geht: ein tiefgreifendes Bekenntnis zu der Science- fiction-Serie "Star Trek". Anhand einer Vielzahl von Beispielen beschreibt der vierzigjährige Autor, der ansonsten in der Werbebranche arbeitet, welche guten Ratschläge er in seinem Leben aus der TV-Serie angenommen hat. Mit einer Art von Selbstverständis, wie man sie zumeist nur aus den USA kennt, gibt er unumwunden zu, daß sein großes Vorbild auch heute noch ein Fernsehheld ist: Captain James T. Kirk vom Raumschiff Enterprise. Auf entwaffnend einfache Weise erklärt er, daß es schließlich schlechtere Vorbilder gäbe, nach denen sich der Mensch richten könne.

Keine Frage, Marinaccio ist ein Kind seiner Zeit. In den sechziger Jahren mit der ersten Generation von Raumschiff Enterprise aufgewachsen, hat er die Serie auch in ihren beiden folgenden Generationen mit großem Interesse verfolgt, auch wenn für ihn Captain Kirk, der Vulkanier Spock, Doc "Pille" McCoy, der bärbeißige Schiffsingenieur Scotty und eine Handvoll weiterer Helden vom Raumschiff Enterprise der ersten Generation immer im Mittelpunkt gestanden haben.

High school, Popcorn und Eiscreme, TV-Serien, Rockmusik sowie Werbungsrituale ums andere Geschlecht - all das, was uns Hollywood-Produktionen tagtäglich als amerikanischen Alltag ins Wohnzimmer schicken, ist keine Phantasie, es ist "the real American way of life". Der Junggeselle Marinaccio hat diese Werte fraglos genauso angenommen wie die Mehrheit seiner Generation. Mit dem Bekenntnis zu einer Fernsehserie als Vorbild stellt er in dem Amerika von heute keineswegs einen Exzentriker dar. Während die deutschen Medien noch immer unfähig sind, unverkrampft und ohne den vergeblichen Versuch, witzig zu sein, über Star-Trek- Fans und ihre Leidenschaft zu berichten, wird man jenseits des großen Teichs genau so gelassen auf dieses Buch reagieren, wie es der Autor erwartet: warum nicht Captain Kirk als Vorbild? Es gibt schlechtere!

Marinaccio braucht nicht zu fürchten, mit seinem Bekenntnis ins gesellschaftliche Abseits zu geraten, denn im Grunde sind es die heutigen Werte der amerikanischen Gesellschaft, die er über das Vehikel "Star Trek" seiner Leserschaft präsentiert. Seine guten Ratschläge unterscheiden sich nicht von denen, die man am Tresen irgendeines gottverlassenen Interstate-Drive-Ins von seinem redseligen Nachbarn über sich ergehen lassen muß. Hier ein kurzer Auszug seiner sicherlich nicht zufällig an den Anfang gestellten Positionsbestimmung:

* Jede Person oder Spezies, egal wie fremd sie ist, hat ein Recht darauf, so zu leben, wie es ihr gefällt (solange sie nicht die Galaxis zu erobern versucht, Artgenossen verspeist oder auf ähnliche Weise frevelt).
* Ein jeder hat in seinem Leben eine Rolle auszufüllen. Sulu ist Steuermann. Uhura ist Kommunikationsoffizierin. Wer seine Arbeit gut macht, trägt zum Gelingen des gemeinsamen Unternehmens bei.
* Enge Freunde wachsen zu einer Familie zusammen, und die Familie ist der wahre Mittelpunkt des Universums.
* Schließe jede Episode mit einem Lächeln ab.

In der ein oder anderen Variation trifft der Leser immer wieder auf jenen Konservatismus, der keineswegs star-trek-spezifisch ist, sondern schlicht allgemeingültige amerikanische Moralvorstellungen reflektiert. Die Familie steht nach wie vor im Zentrum. Mag die Scheidungsrate amerikanischer Ehen steigen, wie sie will, die Menschen setzen mehr denn je auf offensichtlich nicht erfüllbare Idealvorstellungen von trautem Heim und Glück in der Familie. Das Lächeln am Ende jeder Episode gefriert im wirklichen Leben zu einem Ritual des sozialen Rühr-mich-nicht- ans, denn nur im Film gibt es einen Aus-Schalter. Im Unterschied zu einer TV-Serie, in der die Helden nach einer Woche Abstand für schlappe 45 Minuten miteinander auskommen müssen und jede Unattraktivität ihres durch lange Reiseperioden eigentlich öden Weltraumlebens mit einem kurzen Schnitt ausgeblendet wird, sitzt einem nach Abschluß jeder "Episode" des wirklichen Lebens der Partner weiterhin gegenüber. Ob nach einem Streit oder nach einem genußvollen Konsumereignis, der Familienalltag holt einen unweigerlich ein. Wie leicht ist es da, sich aus den Highlights von Kirks Abenteuern Verhaltensregeln abzuleiten, wo doch der Zuschauer mit die Unattraktivität des All-Tags gar nicht erst konfrontiert wird.

An welcher Stelle auch immer der Autor einen Anknüpfungspunkt in der TV-Serie findet, der zutiefst seine Vorstellung darüber bestätigt, wie man sein Leben zu führen habe, nimmt er dies als Beispiel, um den Lesern Ratschläge zur richtigen Lebensführung zu erteilen. Daß sich diese oftmals kaum von frommen Kalenderweisheiten unterscheiden, liegt wohl weniger an Star Trek, als vielmehr an seiner katholischen Erziehung durch Elternhaus und Schule: "Verhalte dich so, wie du es von anderen erwartest" ist eine seiner vermeintlichen Weisheiten. Oder auf eines der vielen Beispiele aus dem Berufsalltag des Autors gebracht:

Ein Personalchef, der unterschiedlichste Charaktere unter einen Hut zu bringen hat, tut gut daran, wie Captain Kirk zu verfahren. Er sollte versuchen, seine Angestellten kennenzulernen, ihre Stärken und Schwächen in Erfahrung zu bringen, denn nur diese lassen sich managen. Gelingt es ihm, kann er sich eine andere Aufgabe vornehmen: die Mitarbeiter so zu behandeln, wie er von ihnen behandelt werden möchte. (S. 69)

Freundschaft und Familie, Respekt und Toleranz - die Frage, ob er diese Werte nun aus "Star Trek" übernommen oder ob die Serie nicht einfach gesellschaftliche Werte aufbereitet und konsumgerecht auf den Bildschirm gebracht hat, ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Es ist müßig, darüber zu philosophieren, was zuerst da war. Unverkennbar bleibt indes, daß es Marinaccio um die Bestätigung seiner Weltanschauung geht, die sich nicht von der Millionen anderer Amerikaner unterscheidet. So wird die gesellschaftliche Paßförmigkeit als hehres Ziel erkoren: "Jeder hat seine Rolle zu spielen", und im Rahmen dieser Rolle vertritt man dann als Durchschnittsamerikaner seine vermeintlich individuelle Ansichten. So weist der Autor daraufhin, daß man auf der Enterprise weder Hunde noch Katzen hatte, und spekuliert dazu, daß die Crew wahrscheinlich ähnliche Vorbehalte gegen Haustiere habe wie er.

Sollte man denken, daß Fragen, ob Haustier oder nicht, eigentlich nicht buchfüllend sein könnten, so sieht man sich bei Marinaccio eines Besseren belehrt. Ständig streift er für ein, zwei Seiten eine bestimmte Episode aus Star Trek oder seinem Leben, um dem Leser mitzuteilen, wie gelungen sie war - natürlich sowohl in der Serie wie auch in seinem Leben.

Von solch oberflächlichen Bestätigungen quillt das Buch schier über, und manchmal bleibt dabei sogar der Geist von Star Trek auf der Strecke. Jeder echte Fan von Lt. Commander Data, einer der Protagonisten aus der zweiten Star-Trek-Generation, müßte es Marinaccio übelnehmen, was er über die Figur geschrieben hat. Bekanntlich hat diese eine Katze in ihrer Obhut auf dem Raumschiff Enterprise. Um nun seine Ansicht dennoch bestätigt zu sehen, erklärt Marinaccio, daß Data schließlich kein "Mensch" sei und somit die Aussage stimme, daß kein Mensch ein Haustier auf der Enterprise habe. Welch Frevel für einen eingefleischten "Trekker"! Hätte er sich doch die ausgezeichnete Episode 34 "Wem gehört Data?" genauer angesehen, denn dort stand jene Frage im Mittelpunkt. Data wurde nicht einfach als eine Maschine angesehen, die man nach Belieben an- und abschalten darf, er war eigenverantwortliches Mitglied der Sternenflotte und Offizier auf dem Raumschiff Enterprise.

Zugegeben, Data ist ein Androide, aber hat die Serie nicht gezeigt, daß er in vielen Situationen menschlicher war als seine Mitstreiter? Und wichtiger noch: War es nicht Gene Roddenberry selbst, der mit seinem Konzept der Unterschiedslosigkeit zwischen den Rassen die Star-Trek-Vision einer zukünftigen Menschheitsentwicklung fundamental bestimmt hat? Eine Vision, die sicherlich die Grenzen einer gewöhnlichen TV-Serie weit hinter sich gelassen und auf die gesamte Science-fiction-Literatur Einfluß genommen hat.

Aber genug von Katzen auf Raumschiffen. Dies ist nicht die einzige Stelle, in der Marinaccios Wunschvorstellung Vater des Gedankens war. Auch bei der Freundschaft zwischen Captain Kirk und Spock scheint er die unter "Trekkern" längst bekannten Fakten ignorieren zu wollen. Die Freundschaft zwischen Kirk und Spock sei für ihn das Star-Trek-Feeling schlechthin, erklärt der Autor. Aber, so fragt er im weiteren Verlauf, kann es sein, daß die beiden ihre Freundschaft nur schauspielern? Als ausgewiesener Star-Trek-Fan müßte er um deren Konkurrenzverhältnis eigentlich wissen. William Shatner schrieb in seinen "Star Trek Erinnerungen" (Heyne, München, 1994):

Nach zwei Monaten war Captain Kirk noch immer die wichtigste Gestalt, aber Spocks Popularität stieg exponentiell mit jeder verstreichenden Woche. Ich mußte mich plötzlich der Erkenntnis stellen, nicht mehr allein im Zentrum von STAR TREK zu stehen. Ich will auch weiterhin ehrlich bleiben: Es ärgerte mich. (S. 256)

Und dies ist noch eine harmlose Textstelle, aus der das Konkurrenzverhältnis zwischen Spock (Leonard Nimoy) und Kirk (William Shatner) eine deutliche Sprache spricht. Doch das paßt natürlich nicht in das schöne heile Bild, das sich der Autor von der Serie gemacht hat, und vor allem eignet sich dieses Beispiel wohl kaum als Vorbild für seine Leserschaft.

Genausowenig indes die vielen anderen Psychologismen und Klischees, die in mehr oder weniger heiter verpackter Manier zum besten gegeben werden. "Bekenne dich zu deinem wahren Selbst", "Besitztümer zählen nicht, wenn es um die Summe unseres Lebens geht" oder "für den, der anderen etwas Gutes tut, springt selber eine Menge dabei heraus" - mit diesen Allerweltssprüchen sind seine Geschichtchen versetzt, als wirklicher Ratgeber ist das Buch untauglich. Wenn es diesen Anspruch nicht hätte, dann könnte man sagen, daß es zumindest für Star-Trek-Fans unterhaltsam ist, diesen Versuch einer Lebensbegründung aus ihrer Lieblingsserie zu lesen; schließlich haben Trekkies schon immer gewußt, daß in der Serie mehr als kurzlebiger Konsumgenuß steckt, sonst wären sie ja keine Trekkies geworden.

Im übrigen hat das vorliegende Buch auch für Nicht-Trekkies einen Nutzen, denn es verschafft dem Leser einen tieferen Einblick in die Vorstellungswelt und Denkweise seines eigenen Kulturkreises, der sich bekanntlich von dem amerikanischen nur unwesentlich unterscheidet. Auch wenn das so offenherzige Bekenntnis zu einer TV-Serie hier noch teilweise mit dem Anspruch kollidiert, daß Fernsehen nicht alles sein sollte, was der Mensch vom Leben erwartet, so ist der Anspruch in weiten Teilen längst von den vielen Helden aus Fernsehen und Öffenltichkeit hinweggeschwemmt worden. "Bum Bum" Becker oder "unsere" Steffi, Klinsi oder Schumi, Michael Jackson oder Prinz, sie machen uns vor, daß wir alles, was wir im Leben wirklich brauchen, von ihnen übernehmen können. Längst sind großer Bekanntheitsgrad und finanzieller Erfolg zur Lebensphilosophie geronnen. Nur wer gesellschaftlich angesehen ist, hat etwas zu sagen. Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, ob solche Helden nur in der mattscheibenflachen Fiktivwelt ihren Auftritt haben oder auf der öffentlichen Bühne.

"Alles, was ich im Leben wirklich brauche, habe ich von Star Trek gelernt". Dieser Titel ist ein typisches Produkt der Werbeindustrie. Der Titel sticht ins Auge, aber der Inhalt ist so banal und durchschnittlich wie so oft bei neuen Verpackungen.

Dave Marinaccio
Alles, was ich im Leben wirklich brauche,
habe ich von Star Trek gelernt
Heyne, München, 1995
160 Seiten, DM 9,90
ISBN: 3-453-08898-0