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REZENSION/090: Michael Kohtes - Boxen · Eine Faustschrift (Sport) (SB)


Michael Kohtes


Boxen · Eine Faustschrift



Was sucht der Dichter am Boxring?

Keine andere Sportart habe Dichter und Künstler, Schriftsteller und Mythensammler so fasziniert, inspiriert und manche gar zur Nachahmung animiert wie das Boxen, schreibt Michael Kohtes im einleitenden Kapitel seines Buchs "Boxen - Eine Faustschrift". Woher rührt diese Anziehungskraft, fragt der Autor und verspricht, nach Ursachen zu forschen und Zusammenhänge zu erhellen.

Wer sich von dieser Aussicht angeregt ins Lesevergnügen stürzt, merkt bald, daß er wohl einem Mißverständnis aufgesessen ist. Michael Kohtes schürft nicht nach bislang ungehobenen Schätzen aufschlußreicher Quellen oder verknüpft die maßgeblichen Aspekte und Einflußgrößen zu einem überzeugenden Strang der Argumentation, vielmehr schlendert er müßig durch das Werk jener Autoren, die sich der eingangs aufgeworfenen Frage mit Begeisterung und Hingabe angenommen haben, und wirft uns manchen herausgeklaubten Brocken vor. Wer nie entsprechendes gelesen hat und mit leichtfüßiger Unterhaltung gut bedient ist, mag dies wohl amüsant finden, rutscht doch der Autor im Bemühen, die karge Kost mit gefälligen Sprachwendungen zu kaschieren, nicht selten in gekünstelte Formulierungen und leider auch krudeste Klischees ab, in denen sich der Konsument bestätigt finden wird.

Liegt einem indessen der Boxsport am Herzen, so wird man schon bei den anerkannten Klassikern literarischer Kontaktnahme mit diesem Metier zwischen dichterischem Pathos und distanzierter Verklärung nur mit gehörigem Bauchgrimmen dem Ringen mit Worten und Deutungen folgen können. Wenn also schon die Verarbeitung aus zweiter Hand zu Zweifeln Anlaß gibt, kann eine aus Versatzstücken dieser Betrachtungsweise gewonnene Nachlese wohl nur eine spärliche Ernte einfahren.

Was könnte der Literat in seiner Eigenschaft als Dichter oder Wissenschaftler dazu beisteuern, den Faustkampf zu würdigen und seinen Kontext zu umreißen? Er muß ja in seinem Überschwang nicht der Verwechslung zum Opfer fallen, er sei selber ein Boxer, wenngleich diese Behauptung in Kreisen Ungeübter stets eine gehörige Portion Bewunderung einbringen mag. Die Beispiele von Schriftstellern oder Schauspielern, die plötzlich im Ring sich und aller Welt beweisen wollten, wie unerschütterlich sie ihren Mann stehen, haben uns Peinlichkeiten genug beschert. Wäre es nicht angemessen und mit größerer Achtung vor dem harten Brot der boxenden Zunft verbunden, sich zunächst der eigenen Profession zu befleißigen?

Über den Boxsport und seine Geschichte ist so viel geschrieben worden, daß der Mainstream vorgefaßter Deutungsmuster längst zu einem gleichsam unabänderlichen Strom steter Wiederholung angeschwollen ist. Ein weiteres Mal die Hand in diese trübe Fluten zu tauchen und Tropfen sattsam bekannter Anekdoten zu versprühen, sollte doch eigentlich des Aufwands nicht wert sein. Dabei könnte man hier aus dem Vollem schöpfen und allein durch eine gründliche und fundierte Zusammenschau immerhin ein kleines Kompendium schaffen, das dem Laien über lange Strecken angeregte Unterhaltung beschert und dem Fachmann ein Nachschlagewerk an die Hand gibt. Wen solche Sammelwut jedoch allzu trocken anmutet, der könnte sich ans sicher lohnendere Werk machen, die Spuren verschütteter Widersprüche auszugraben und gegenläufigen Thesen und Tendenzen nachzugehen, die in den Wirren turbulenter Jahre wohlweislich verschüttet wurden. Und wer sich gar zum kritischen Geist berufen fühlt, könnte sich frischen Muts mit der Kollegenschaft weit über das Lager der Literaten hinaus anlegen und sich weder der Schwüle psychoanalytischer Tiefbohrungen anheimgeben noch in das hohe Lied des klassischen Altertums mit seinen boxenden Götter- und Heldengestalten einstimmen.

Kurzum, der schreibende Mensch hätte auf seinem vertrauten Feld genug zu tun, was der Würdigung des Boxsports zugute käme. Und sollte ihn dabei der Wunsch überkommen, sich mit der Praxis seines Themas zu befassen, stünden ihm Wege offen, dies in aller Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit zu tun, ohne dies gleich der eigenen Vermarktung anzudienen.

Leider hat der Autor vom Spektrum dieser angedeuteten Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht und weder durch fundierte Recherche, unkonventionelle Thesen oder gar gegenläufige Begründungszusammenhänge eine Bresche geschlagen, noch durch erzählerische Dichte ein fesselndes Szenario entworfen. Auch wenn er sich in der vermeintlich engen Verwandtschaft von Faustkampf und Dichtkunst gefällt, so gelingt es ihm weder, diese schlüssig nachzuweisen, noch eine Lanze für den Boxsport zu brechen, um deretwillen man ihm vieles nachsehen würde.

Wenn Dichter und Boxer zum Siegen geboren und zum Scheitern verdammt sind, wie Michael Kohtes kolportiert, so macht sie das doch nicht gleich. Von allen sonstigen Ungereimtheiten einer solchen schicksalsbeschwörenden These einmal abgesehen, teilen die beiden Metiers das Los des Scheiterns doch mit zahllosen anderen Sparten. Da hilft es nicht weiter, das tragische Ende professioneller Boxer neben den lebensgeschichtlichen Absturz mancher Dichter zu stellen, als belege diese Assoziation eine tiefe Seelenverwandtschaft.

Beide, Poet wie Pugilist, stehen außerhalb der sozialen Ordnung. Sei es im Kostüm des Narren oder in der Rolle des Heroen. Ihr jeweiliger Ruf ist Berufung. Sie folgt keinen pragmatischen Zwecken, sondern existenziellen Bedürfnissen und subjektiven Notwendigkeiten. Schreiben und Boxen sind Formen des Lebens, deren Analogie jene Alles-oder-Nichts- Mentalität ist, die die Bereitschaft impliziert, vor dem (eigenen) Tod nicht haltzumachen. (S. 97)

In ihrem grandiosen Pathos setzt sich diese Aussage über jede auch nur halbwegs überprüfte und insofern nüchterne Analyse hinweg, womit auf der Hand liegt, was den Dichter am Boxen fasziniert. Er spiegelt sich im Glanz einer Verklärung, die er selbst produziert hat, was durchaus nahelegt, daß es ihm natürlich nicht um den Faustkampf, sondern nur um die eigene Nabelschau geht, der ein Bad im Heldentum gut zu Gesicht steht.

Im Lichte solchen schreibenden Strebens nehmen selbst banale Sachverhalte bedeutungsschwere Züge an. Wenn zwei Menschen einen Streit körperlich austragen, ohne sich Waffen zu bedienen, liegt es aufgrund ihrer physischen Voraussetzungen nahe, daß sie dabei die Hände und eben auch die Fäuste einsetzen. Wie kann man also außerordentlich bemerkenswert finden, daß der Boxkampf eine jahrtausendealte Tradition habe, und darin eine geradezu mythische Dimension erkennen? Ebenso gut könnte man als Entdeckung feiern, daß Menschen von jeher gegessen und getrunken haben, und dies als ewiges Streben nach höchsten Zielen und Tugenden feiern.

Wie die schreibende Zunft in ihrem Anliegen, sich des Boxens zu bemächtigen, einer enormen Verbrämung und Verschleierung anheimfiel, welche die eigene Interessenlage nur um so unverhüllter offenbarte, kann auch der Autor des uns vorliegenden Buches mit seinem flüchtigen Bad in den Schlaglichtern prominenter Namen und geschichtsträchtiger Ereignisse doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Abglanz aus dritter Hand die Zusammenhänge noch weniger erhellen kann als die kolportierten Vorbilder.


Michael Kohtes
Boxen - Eine Faustschrift
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999
suhrkamp taschenbuch 3014