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REZENSION/113: Imperialistische und anti-imperialistische Kämpfe (SB)


RotFuchs und Offensiv


Imperialistische und anti-imperialistische Kämpfe im 21. Jahrhundert

Protokollband der gleichnamigen Konferenz



Wer im Jahre Zwölf der neuen BRD politische Betrachtungen aus der Sicht des Marxismus-Leninismus präsentiert, verfügt schon einmal über den Bonus ausgesprochener Exklusivität. Heute wird die Staatsdoktrin der DDR in ihrem revolutionären kommunistischen Verständnis auch in Ostdeutschland nur noch von sehr wenigen Linken vertreten, wie der Niedergang der PDS zur sozialdemokratischen Reformpartei zeigt. Der geringe Verbreitungsgrad einer durch den vermeintlich totalen Sieg der kapitalistischen Weltordnung geschröpften Weltanschauung steht jedoch im umgekehrten Verhältnis zu ihrer politischen Relevanz, wie sich auch demjenigen Leser zeigt, der die vorliegende Mitschrift einer Konferenz zum Thema Imperialismus aus der Sicht einer aufgeschlossenen Bürgerlichkeit studiert.

Denn der Gegenstand der Referate und der Diskussionbeiträge geht jeden an, der die Arroganz und Anmaßung herrschender Kräfte nicht einfach hinnehmen will und der die Gewalt und Zerstörung, die ihre Fabriken und Armeen anrichten, aus tiefstem Herzen ablehnt. Gerade der von der bürgerlichen Politikwissenschaft als verwerflicher ideologischer Terminus vollends ausgesparte und von der antifaschistischen Linken als unzeitgemäß, sektiererisch und bisweilen antisemitisch diffamierte Imperialismusbegriff stellt eine der schärfsten Waffen im Arsenal einer Opposition dar, die sich nicht von Beschwichtigungsstrategien blenden und auf halbe Schritte einlassen will. Die ihn betreffende Theoriebildung gehört zum interessantesten und relevantesten, was die internationale Linke im Widerstand gegen den alles bestimmenden Einfluß kapitalistischer Interessen und die Definitionsgewalt ihrer intellektuellen Agenturen ins Feld zu führen hat.

Die Qualität der Redebeiträge, die die Referenten und Disputanten zu der in Berlin abgehaltenen, von der in Hannover ansässigen Zeitschrift "offensiv" und dem in Berlin herausgegebenen "RotFuchs" organisierten Veranstaltung beisteuerten, zeigt sich schon daran, daß sie nichts von ihrer Aktualität verloren haben, obwohl sie den Entwicklungsstand vor anderthalb Jahren wiedergeben und die Folgen des 11. September dementsprechend nicht berücksichtigen. Dies bestätigen die Analysen und Prognosen vieler Beiträge und belegen damit die relative Trittsicherheit eines auf der Leninschen Imperialismustheorie beruhenden Verständnisses kapitalistischer Entwicklungslogik. Zumindest läßt sich konstatieren, daß sie auf dem Gebiet der in der Linken verhandelten Konzepte wohl die optimale Ausgangsbasis streitbarer und fruchtbarer Diskussionen darstellt, wie der Vortrag von Michael Opperskalski erkennen läßt, der "Einige Thesen zur sogenannten 'Neuen Weltordnung'" vorstellt.

Der Redakteur der sehr empfehlenswerten Zeitschrift "Geheim" bemüht sich um eine deutliche Abgrenzung zu den florierenden Theorieansätzen, die im Neoliberalismus eine Weiterentwicklung des Kapitalismus zu erkennen meinen, als deren spezifisches Charakteristikum die schwindenden Bedeutung der Nationalstaaten durch die Internationalisierung des Kapitals in Form von transnationalen Konzernen diagnostiziert wird. Opperskalski hält den Vertretern dieser Anschauung vor allem vor, den "prinzipiell kriegerischen und räuberischen Charakter des Imperialismus zu relativieren und die wachsende Kriegsgefahr, insbesondere heute im Rahmen der sogenannten 'Neuen Weltordnung', nicht sehen zu können oder zu wollen."

Dieser Vorwurf hat sich gerade in jüngster Zeit auf dramatische Weise bewahrheitet, denn heute gehen nicht wenige Kritiker des Neoliberalismus damit konform, daß es sich beim sogenannten Terrorismus um ein Übel handle, welches ohne weitere Sicht auf die Hintergründe von gewalttätigen Anschlägen und Erhebungen mit polizeilichen oder auch militärischen Mitteln niederzuschlagen sei. Dabei wird der immanente Gewaltcharakter imperialistischer Strategien völlig ausgeblendet und einer Ordnung zugebilligt, an der bestenfalls kosmetische Korrekturen vorzunehmen wäre, wie sie sich etwa in Pauschalforderungen nach einer Bekämpfung der Armut ankündigen. Daß damit eine Institutionalisierung des Elends bei aufrechterhaltenem Nord-Süd- Gefälle wie durchhierarchisierten Sozialstrukturen in den Industriestaaten gemeint ist, wird von den Protagonisten einer reinen Neoliberalismuskritik ebenso selten aufgegriffen, wie sie sich ersparen, die Gründe für den Krieg gegen Jugoslawien in der systemischen Konkurrenz anzusiedeln, die mit der nach wie vor sozialistisch geprägten Bundesrepublik Jugoslawien aufrechterhalten wurde.

Opperskalski hält der Auffassung, eine sich international konsolidierende Kapitalkonzentration reiße die Macht über die Welt allein aufgrund ihres Zugriffs auf gigantische Geldmengen an sich und derangiere damit den Einfluß staatlicher Institutionen, die Aktualität der Leninschen Imperialismustheorie gegenüber und wendet sich damit gegen die auch innerhalb der radikalen Linken häufig vertretene Ansicht, diese sei überholt, da sie sich mit den Bedingungen der Globalisierung nicht mehr in Deckung bringen lasse. Zum besseren Verständnis der Grundlagen, auf denen die Teilnehmer der Konferenz debattierten, sei hier ein längerer Auszug aus dem Vortrag Opperskalskis präsentiert, der mit einem Zitat Lenins zu den fünf grundlegenden Merkmalen des Imperialismus beginnt:

"'1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses Finanzkapitals; 3. Kapitalexport zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter den kapitalistischen Großmächten ist beendet. Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch internationale Trusts begonnen hat und die Verteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.'* Damit ist Lenins Imperialismustheorie eine direkte Fortsetzung und Weiterentwicklung der von Karl Marx in seinem historischen, dreibändigen Werk 'Das Kapital' entwickelten Kapitalismusanalyse unter den sich seit Ende des vergangenen Jahrhunderts vollzogenen ökonomischen Veränderungen des Kapitalismus. Die Konsequenzen des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus liegen für Lenin auf der Hand. Eine Grundeigenschaft des Imperialismus ist seine Aggressivität, sind Annexion und Krieg, die ihre unmittelbare und allgemeine ökonomische Ursache im Streben der Monopole nach Absatzmärkten, Einflußsphären, Kapitalanlagemöglichkeiten, Rohstoffquellen etc. haben. Damit bedeutet der Imperialismus politische Reaktion auf der ganzen Linie: das Streben nach Beseitigung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten, insbesondere auch nach Unterdrückung der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen mit der Option, offen reaktionäre bis terroristische Herrschaftsformen zu errichten.
Ein weiterer grundlegender Aspekt des imperialistischen Stadiums des Kapitalismus ist die Tatsache der immer stärkeren Konzentration der Produktion und des Kapitals in Form der Entwicklung zum monopolistischen (und später staatsmonopolistischen) Kapitalismus. Gleichzeitig verschärft der Imperialismus jedoch alle Widersprüche im Kapitalismus: 'Wie sehr der monopolistische Kapitalismus alle Widersprüche des Kapitalismus verschärft hat, ist allgemein bekannt. Es genügt, auf die Teuerung und den Druck der Kartelle hinzuweisen. Diese Verschärfung der Gegensätze ist die mächtigste Triebkraft der geschichtlichen Übergangsperiode, die mit dem endgültigen Sieg des Finanzkapitals ihren Anfang genommen hat.
Monopole, Oligarchie, das Streben nach Herrschaft statt nach Freiheit, die Ausbeutung einer immer größeren Zahl kleiner oder schwacher Nationen - all das erzeugt jene Merkmale des Imperialismus, die uns veranlassen, ihn als parasitären oder in Fäulnis begriffenen Kapitalismus kennzeichnen zu lassen.'* Dies alles schafft die objektiven Voraussetzungen für den Übergang zum Sozialismus, mehr noch, sie machen ihn objektiv notwendig."
(* zitiert aus W.I. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Ausgewählte Werke, Bd. II, Frankfurt/Main 1970)

Dieser programmatische Grundtenor durchzieht alle Vorträge des Bandes, wobei durchaus unterschiedliche Auffassungen zur aktuellen Lage der internationalen Linken, der Bewertung einzelner kommunistischer Parteien und bestimmter Entwicklungen kapitalistischer Produktivität zutage treten. Während Opperskalski des weiteren mit einer umfassenden, durch die ausführliche Dokumentation relevanter Quellen gestützte Analyse der US-Globalstrategie glänzt, klärt der ehemalige Auslandskorrespondent des Neuen Deutschland, Dr. Klaus Steininger, über die "Sozialdemokratische Konterrevolution am Beispiel Portugals" und ermöglicht dabei einen besonders instruktiven Blick auf die Art und Weise, wie gründlich westeuropäische Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung das Projekt einer Befreiung der Arbeiter und Menschen von Ausbeutung und Unterjochung hintertrieben haben. Man muß mit den Methoden einer leninistisch organisierten Partei nicht unbedingt übereinstimmen, um dem Ziel einer Emanzipation vom ewigen Opfer aggressiver Raubinteressen voll und ganz zustimmen zu können.

Von besonderem Interesse ist daher auch der Vortrag des ehemaligen Generalmajors des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Gerhard Niebling, "Zur Strategie der verdeckten Diversion des Imperialismus gegen sozialistische Staaten". Läßt man die Ereignisse, die zum Anschluß der DDR an die BRD geführt haben, aus der Sicht eines davon zutiefst Betroffenen Revue passieren, so stellt sich der Niedergang des sozialistischen Deutschland gerade vor dem Hintergrund der seitdem erfolgten Entwicklungen als Verlust dar, der mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand nicht etwa geringer, sondern größer wird. Es gab mehr Gründe als die eines Raubzugs des BRD-Kapitals, der Erweiterung der hegemonialen Machtbasis Westdeutschlands und der Schwächung der Sowjetunion, die DDR so schnell wie möglich zu demontieren und der BRD einzuverleiben. Vor allem sollte das in ihrer Bevölkerung vorhandene Potential, eine erfolgreiche und überzeugende Alternative zum kapitalistischen Herrschaftssystem zu entwickeln, vernichtet werden.

Ebenfalls von großem Interesse sind die Beiträge der Vertreter kommunistischer Parteien aus diversen europäischen Ländern wie dem Trikont. Sie vermitteln einen Eindruck politischer Entwicklungen in ihren Heimatländern, der so frappant von dem abweicht, was man den bürgerlichen Medien etwa über die Situation in Zentralafrika entnehmen kann, daß bereits diese Differenz Beleg für die Übermacht imperialistischer Politik ist. Nicht nur einmal wird darauf verwiesen, daß sich eine glaubwürdige sozialrevolutionäre Position nach wie vor auf die Seite der Menschen in den Ländern des Südens und Ostens, wo die Not am größten ist und der Raub am unverhülltesten praktiziert wird, zu stellen hat. Die Darstellung und Analyse der Strömungen in der europäischen Linken, mit denen antiimperialistische Positionen negiert werden sollen, nimmt einen dementsprechend großen Raum in den diversen Vorträgen ein und klärt Außenstehende über die Konflikte auf, die die Restlinke nach wie vor bestimmen.

Auch wenn es sich bei dem vorliegenden Band weniger um ein Sachbuch denn einen Konferenzbericht handelt, ist er um vieles lesenswerter als die vielen politischen Werke, deren Rezensionen die Feuilletons dominieren und die Auslagen der Buchläden füllen. Wo der Ton ungebrochen revolutionär und die Position eindeutig gekennzeichnet ist, kann man es sich wahrhaftig leisten, Opportunismus und Sozialchauvinismus zu verurteilen, denn die Teilhaberschaft am großen Raubzug und das Leben zulasten des anderen kann in ihrer Bindekraft gar nicht ernst genug genommen werden. Die gängige Meinung, der Kommunismus sei mit dem Niedergang der Sowjetunion und der DDR endgültig überwunden, verkennt demgemäß, daß er noch nie vollständig verwirklicht wurde und sein systemüberwindendes Potential dementsprechend von den Sachwaltern des Kapitals notorisch unterschätzt wird.


RotFuchs und Offensiv
Imperialistische und anti-imperialistische Kämpfe
im 21. Jahrhundert
Protokollband der gleichnamigen Konferenz
am 28./29. Oktober 2000 in Berlin
Verlag Offensiv, Hannover 2001