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REZENSION/187: Horchler - Die Kriege der Präsidenten (US-Geschichte) (SB)


Andreas Horchler


Die Kriege der Präsidenten

Der lange Weg von Pearl Harbor nach Bagdad



Seit dem Amtsantritt des Texaners George W. Bush als US-Präsident vor drei Jahren muß die Menschheit mit Schrecken mit ansehen, wie die Supermacht USA in den Händen einer verschworenen Gruppe Militaristen, der sogenannten Neokonservativen um Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dessen Vize Paul Wolfowitz und Pentagon-Berater Richard Perle, die jahrzehntelangen Bemühungen um multilaterale Konfliktlösungen über Bord wirft und das "nationale Interesse" Amerikas zum Maß aller Dinge erhebt. Nach dem Austritt aus dem Kyoto-Protokoll und dem ABM-Vertrag mit Rußland, der illegalen Inhaftierung sogenannter "Terroristen" auf Guantánamo Bay und dem fadenscheinig begründeten "Präventivkrieg" im Irak ist eine schnelle Rückkehr Washingtons zu den bisherigen diplomatischen Gepflogenheiten und zum Völkerrecht nicht zu erwarten. Auf die Frage eines Journalisten, ob sich Amerika überhaupt noch irgendwelchen internationalen Regeln verpflichtet sehe, antwortete Pentagonchef Rumsfeld vor wenigen Tagen auf der Münchener Sicherheitskonferenz: "Ich glaube ehrlich, daß jedes Land tun sollte, was es für richtig hält ... Entweder ist es anschließend noch stolzer auf sich, oder es ist weniger stolz auf sich." Mit "jedem Land" meinte Rumsfeld natürlich nur die USA, nach deren Vorstellungen sich alle anderen Nationen richten sollten.

Angesichts eines Wehretats, der den aller anderen Nationen auf der Erde zusammen praktisch übertrifft, verwundert die selbstherrliche Einstellung der Bush-Regierung nicht. Nach der neuen Sicherheitsdoktrin der USA strebt Washington eine dauerhafte Vorherrschaft unter den Nationen an. Wer sich diesen Plänen widersetzt oder sich nicht vorschreiben lassen will, welche Art von Waffen er besitzen darf oder nicht - wie die Regierungen in Syrien, dem Iran oder Nordkorea - lebt gefährlich, wie das Beispiel Saddam Husseins zeigt. Nicht umsonst propagiert Richard Perle in seinem gerade in den USA erschienenen Manifest "An End to Evil: How to Win the War On Terror", das er zusammen mit dem einstigen Bush- Redenschreiber David Frum ("Achse des Bösen") verfaßt hat, den totalen "Antiterrorkrieg", bis alles Böse in der Welt besiegt sei - ein Programm, das in sich reichlich Konfliktstoff birgt.

Wie sehr die Geschichte Amerikas seit seinem Aufstieg zur größten Macht auf Erden von militärischen Auseinandersetzungen in Übersee bestimmt wird, schildert Andreas Horchler in seinem recht kurzweiligen Hörbuch "Die Kriege der Präsidenten - der lange Weg von Pearl Harbor nach Bagdad". Auf zwei CDs präsentiert der Autor ein recht eindrückliches Bild der Konflikte, an denen sich die USA seit dem 7. Dezember 1941 bis heute beteiligt haben, sowie von dem Ausmaß, in dem der Krieg die Amtszeit der Präsidenten Franklin D. Roosevelt, Harry Truman, Dwight Eisenhower, John Kennedy, Lyndon B. Johnson, Richard Nixon, Gerald Ford, Jimmy Carter, Ronald Reagan, George H. W. Bush, Bill Clinton und George W. Bush geprägt hat.

Wesentliches Element des Hörbuchs sind die Grundsatzreden der diversen US-Präsidenten. Immer wieder läßt Horchler die früheren, wie auch den heutigen Machthaber im Weißen Haus zu Wort kommen, wenn sie dem eigenen Volk und der restlichen Welt ihre Politik erklären, diese rechtfertigen und um Zustimmung dafür werben. Nach Horchler dient als Vorbild im Sinne der Rhetorik und auch einer originären amerikanischen Missionsidee von "Freiheit" die berühmte Gettysburg- Rede von Präsident Abraham Lincoln vom 19. November 1863. Damals sollte Lincoln gegenüber der amerikanischen Bevölkerung die Worte finden, welche nicht nur den verheerenden Verlusten der Kämpfe um Gettysburg im Sommer desselben Jahres - 23.000 auf Seiten der Union, 25.000 auf der der Konföderation -, sondern überhaupt den bereits drei Jahren andauernden Bürgerkrieg einen Sinn gaben. Mit seiner These, die Opfer des großen Gemetzels seien für die Idee einer Regierung "von dem Volk, durch das Volk und für das Volk" gefallen, hat Lincoln nach herrschender Meinung diese schwierige Aufgabe gemeistert.

Nicht minder pathetisch fallen die Worte von Lincolns Nachfolgern im 20. Jahrhundert aus, wenn es darum geht, die von ihnen im industriellen Maßstab mitverursachte Vernichtung menschlichen Lebens zu rechtfertigen, sie gar als notwendiges Opfer auf dem Weg zu einer vermeintlich besseren Welt zu verklären. In diesem Zusammenhang spielt das manichäische Weltbild, demzufolge die Amerikaner immer "die Guten" sind beziehungsweise die Vereinigten Staaten einen geschichtlichen Auftrag Gottes erfüllen, eine unerläßliche Rolle. So gesehen ist George W. Bushs angsteinflößende Formulierung vom Antiterrorkrieg als "monumentalem Kampf zwischen Gut und Böse" lediglich die Zuspitzung bereits lange gebräuchlicher Klischees.

Der Titel von Horchlers Hörbuch, nämlich "Die Kriege der Präsidenten", weist auf einen wichtigen, im Ausland viel zu wenig beachteten Aspekt der amerikanischen Politik der letzten Jahrzehnte hin. Seit längerem kritisieren rechte und linke Kommentatoren in den USA vom Schlage Patrick Buchanans respektive Noam Chomskys die Tatsache, daß formell gesehen der Kongreß seit 1945 keinen Krieg mehr erklärt hat, sondern daß es immer der Mann im Weißen Haus, der Oberkommandierende der Streitkräfte, war, der sich entgegen dem Wortlaut der US-Verfassung diese Befugnis angemaßt und nach eigenem Gutdünken seine Untergebenen in die Schlacht geschickt hat. Vor diesem Hintergrund hat Horchler vollkommen recht, wenn er von "Kriegen der Exekutive" spricht.

Das vorliegende Hörbuch bietet allerlei Interessantes und Markantes aus über sechs Jahrzehnten US-Geschichte. Wichtige Meilensteine stellen hierbei der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, der Koreakrieg, die Kubakrise, der Vietnamkrieg, die Ölkrise, das Geiseldrama im Iran, die Grenada-Invasion, die Iran-Contra-Affäre, der Golfkrieg 1991, der Balkankrieg, die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001, der Afghanistankrieg und der letztjährige Anti-Saddam- Feldzug im Irak dar. Immer wieder weist Horchler auf die innenpolitischen Motive und Auswirkungen des jeweiligen Auslandsabenteuers hin. So zum Beispiel ist der Watergate-Skandal, in dessen Folge Richard Nixon 1974 als erster US-Präsident in der Geschichte zurücktreten mußte, ohne die damalige Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg nicht zu erklären.

Bemerkenswert ist auch, daß Horchler in der Behandlung des Iran- Contra-Skandals auf dessen eigentlichen, viel zu häufig ausgeblendeten Ursprung eingeht. Zwar streiten es die Republikaner bis heute ab, doch es spricht alles dafür, daß sie 1980 nur deshalb die Präsidentschaftswahl gegen den demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter gewannen, weil Ronald Reagans Leute einen geheimen Deal mit den ihnen verhaßten Mullahs in Teheran abschlossen. Demnach durften die Geiseln aus der amerikanischen Botschaft erst nach der Wahl in den USA freigelassen werden. Folgerichtig kamen dann auch die US- Botschaftsangehörigen am Tag der Amtseinführung Reagans als Präsident am 20. Januar 1981 frei.

Doch es sind nicht nur die historischen Stellungnahmen der Führer im Weißen Haus, die im Hörbuch ausschnittsweise wiedergegeben werden, sondern auch die zahlreicher Oppositioneller wie des Friedensnobelpreisträgers Dr. Martin Luther King, des Schwarzenführers Malcolm X, der Schriftstellerin Susan Sonntag, der Sängerin Joan Baez und des Schauspielers Martin Sheen. Gleichwohl sind fast alle mit dem Amt des US-Präsidenten verbundenen, wichtigen Soundbytes der letzten Jahrzehnte in diesem Hörbuch im Original wie auch in der deutschen Übersetzung zu hören. Hierzu gehören JFKs "Frage nicht, was Dein Land für Dich tun kann, sondern was Du für Dein Land tun kannst" wie auch sein "Ich bin ein Berliner", Johnsons Traum von einer "Great Society", Reagans Bezeichnung des Warschauer Paktes als "Reich des Bösen" und vieles mehr.

Bei allem Lob für Horchler ist jedoch zu bedauern, daß er zwei der berühmtesten Äußerungen von US-Präsidenten nicht in seinem Hörbuch gebracht hat; nämlich die Stelle in der Abschiedsrede Dwight D. Eisenhowers, in der dieser seine Landsleute eindringlich vor einer Überhandnahme des "militärisch-industriellen Komplexes" warnte, und Richard Nixons kämpferische, jedoch wenig überzeugende Beteuerung "Ich bin kein Gauner". Gerade diese beiden Zitate hätten womöglich zu einem noch besseren Verständnis der aktuellen Lage in Washington beigetragen. Nichtsdestotrotz ist dieses Hörbuch jedem zu empfehlen, der in zwei Stunden die wichtigsten Aspekte der modernen amerikanischen Außenpolitik Revue passieren lassen möchte.

12. Februar 2004


Andreas Horchler
Die Kriege der Präsidenten - der lange Weg von Pearl Harbor
nach Bagdad
Deutsche Grammophon Literatur, Berlin, 2003
Redaktion Dorothee Meyer-Kahrweg, Sprecher Siemen Rühaak,
Produktion Hessischer Rundfunk,
2 CDs, Gesamtlaufzeit 120 Minuten, 18 Euro.