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REZENSION/220: Oberansmayr - Auf dem Weg zur Supermacht (EU) (SB)


Gerald Oberansmayr


Auf dem Weg zur Supermacht

Die Militarisierung der Europäischen Union



Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Militarisierung der Bundesrepublik Deutschland auf eine bis dato nicht gekannte Weise vorangeschritten. Zu gleicher Zeit befleißigt sich die Öffentlichkeit eines Vogel-Strauß-Verhaltens. Für die heutige Sichtweise ist der völkerrechtswidrige Angriff der NATO auf die Bundesrepublik Jugoslawien das beste Beispiel. Von den wenigsten Bundesbürgern wurde er als "echter" Krieg aufgefaßt, und auch daß deutsche Soldaten auf dem Balkan und in Afghanistan stationiert sind oder daß eine EU-Armee unter deutscher Beteiligung bereits einige Monate in der Demokratischen Republik Kongo zum Einsatz kam, wird nicht als kriegerische Handlung, sondern als friedenserhaltende Maßnahme gedeutet. Bereitwillig folgen insbesondere die Medien den Behauptungen Berlins und Brüssels, daß die europäischen Soldaten nicht als Besatzer, sondern als Befreier auftreten.

Zunehmend verwischen nicht nur die Grenzen zwischen Krieg und Alltag, sondern auch zwischen ziviler und militärischer Ausrichtung der mit der Produktion der Gewaltmittel befaßten Industrie. Wer denkt denn heute schon daran, wenn er einen Mercedes-Stern im Straßenverkehr sieht, daß es sich um das Produkt eines Unternehmens handelt, das ein wichtiges Standbein des führenden europäischen Rüstungskonzerns EADS ist? Die expansionistischen Ambitionen Deutschlands und EU-Europas werden weitgehend ausgeblendet. Das Bild, das sich die Bundesbürger von ihrem Staat machen, ist geschönt. Bundeskanzler Schröder gefällt sich in der Rolle des Mahners, der sich angeblich nicht auf "Abenteuer" einläßt, aber doch keine Bedenken hat, Bundeswehr- Tornados Bombenangriffe auf Belgrad fliegen und die KSK geheime Kampfmissionen in Afghanistan durchführen zu lassen.

Jeder Versuch, hinter die Kulisse aus staatlicher Propaganda und breit angelegter medialer Gefolgschaft zu blicken, wird zusätzlich dadurch verstellt, daß Deutschland nicht mehr als Nationalstaat agiert, der seine Nachbarn zwecks territorialen Zugewinns angreift, sondern in verschiedenen Konstellationen als Bündnispartner von anderen Nationalstaaten. So hat Deutschland seinen festen Platz innerhalb der NATO, darüber hinaus ist es am Eurokorps beteiligt und spielt sich als eine der Triebkräfte zur Einrichtung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU) auf, zu der im Kern eine europäische Interventionsarmee gehören soll. Zudem ist Deutschland sogar am "Abenteuer" Irakkrieg der Koalition der Willigen beteiligt, indem es den USA als Nachschubbasis dient und Bundeswehrsoldaten US-Kasernen bewachen läßt; und nicht zuletzt bilden deutsche Polizisten irakische Kollegen aus, damit sie Washingtons Vasallenregierung in Bagdad gegen den Volksaufstand schützen.

Ein weiterer Faktor, der dazu beiträgt, die Militarisierung Deutschlands innerhalb der europäischen sowie transatlantischen Bündnisstrukturen zu verschleiern, ist der generelle Trend zur Aufhebung von Innen- und Außenpolitik zugunsten einer Weltinnenpolitik. Ein Merkmal dieser Entwicklung ist die Entsendung von Polizeibeamten zu Aufgaben, die vormals allein Soldaten vorbehalten waren, und umgekehrt die Verpflichtung von Soldaten zu traditioneller Polizeiarbeit. Oder, um die vielzitierte Aussage Verteidigungsminister Peter Strucks ein weiteres Mal zu strapazieren: Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.

Die hier in groben Zügen angerissene Entwicklung der europäischen Sicherheitsadministration wird von dem österreichischen Autor Gerald Oberansmayr in seinem Buch "Auf dem Weg zur Supermacht. Die Militarisierung der Europäischen Union" historisch hergeleitet und im Detail beleuchtet. Dabei geht der Mitarbeiter der Friedenswerkstatt Linz und Redakteur der friedenspolitischen Zeitung "guernica" chronologisch vor, beginnend mit einem Kapitel zu den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Darin zeigt er auf, daß diese Periode von der Remilitarisierung Deutschlands geprägt war, das von den USA als Frontstaat gegen die Sowjetunion und als Gegengewicht zum gaullistischen Frankreich aufgebaut wurde.

Die siebziger und achtziger Jahren standen nach Oberansmayr unter dem Zeichen der Ausgestaltung wirtschaftlicher Strukturen Europas, wozu er insbesondere die "Revitalisierung eines Untoten" (S. 24f), der Westeuropäischen Union (WEU), zählt. Die neunziger Jahre wiederum wurden von wegweisenden EU-Verträgen, zunächst Maastricht (1992), dann Amsterdam (1997) bestimmt.

Während die Mainstream-Medien das Zusammengehen der europäischen Nationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Aufhebung vormaliger Grenzen und Überwindung des nationalen Chauvinismus preisen, legt Oberansmayr seinen Finger auf einen weitgehend tabuisierten Aspekt dieser Entwicklung, die Militarisierung der Europäischen Union. Der Weg von der EWG über die EG zum EU-Europa mit Supermachtambitionen war begleitet von ideologischer Scharfmacherei, militärischer Aufrüstung und politischer Weichenstellung zur Durchsetzung eines globalpolitischen Hegemonialanspruchs, der zunächst als zweite Stimme zu den USA, mittlerweile auch als Solopart (Mazedonien, DR Kongo) vorgetragen wird.

Oberansmayr legt das Schwergewicht seines Buchs auf die wenigen Jahre des beginnenden 21. Jahrhunderts. Das ist angesichts der rasanten Militarisierung der Europäischen Union innerhalb dieser kurzen Zeitspanne mehr als angemessen. Unter der Überschrift "Marsch nach Kerneuropa" (S. 69) macht der Autor darauf aufmerksam, daß das Gebot zu permanenter Aufrüstung und Beistandspflicht in der EU sogar Verfassungsrang erhalten soll. Das ist insofern äußerst brisant, als daß sich die Dominanz weniger großer über die Mehrheit der kleinen Staaten Schritt für Schritt in den Gesetzgebungsverfahren Brüssels durchsetzt und dadurch kleinere EU-Mitglieder gezwungen werden könnten, sich an Kriegen zu beteiligen, die sie eigentlich ablehnen.

Das monströse Staatenkonstrukt namens Europäische Union zeigt deutlich seine Zähne und Klauen, die es zwar von Anfang an besessen hat, aber die bis heute von der Bevölkerung kaum zur Kenntnis genommen werden. Hier sorgt Oberansmayr für die gebotene Aufklärung. Nach der Lektüre des vorliegenden Buchs wird niemand mehr den EU-Eliten das Wort "Frieden" abkaufen, ohne sofort an gewaltsame "Befriedung" zu denken, und er wird ihren Ruf nach mehr Stabilität in einer vermeintlichen Krisenregion als bloßen Anspruch entlarven, mit dem die eigenen räuberischen Absichten maskiert werden.

Indes sollte ungeachtet der nicht zu leugnenden Interessengegensätze zwischen den imperialen Mächten USA und EU nicht vergessen werden, daß beide im gleichen Stück spielen. Oberansmayr beschränkt sich in seinem 143 Seiten umfassenden Buch auf die europäische Militarisierung, was eingedenk der erwähnten Tabuisierung dieses Themas in der Öffentlichkeit ein nachvollziehbares Anliegen ist. Dadurch erweckt das Werk allerdings manchmal den Anschein, als sei die Europäische Union die treibende imperiale Macht auf dem Globus, und es droht in Vergessenheit zu geraten, daß die EU in militärischen Fragen nach wie vor der kleine Bruder der Vereinigten Staaten von Amerika ist.

Wenn der Autor ein Kapitel mit "USA: Militarisierung zum Kampf gegen den Abstieg" (S. 64) und das anschließende Kapitel mit "EU: Militarisierung zum Kampf um den Aufstieg" (S. 66) überschreibt, dann drückt sich in dieser Gegenüberstellung die Annahme aus, als ob die Europäische Union nicht von den gleichen Problemen betroffen wäre wie die USA. Deren Kriege sind Ausdruck der Krise des Kapitalismus, die sich in der EU etwa im expansiven Drang nach Osten ausdrückt. Hüben wie drüben des Atlantiks befindet sich dieses angeblich alternativlose Wirtschaftssystem in prinzipiell keiner anderen Not, und beide Machtblöcke exportieren sie in andere Länder, mal mit militärischer, mal mit ökonomischer Gewalt. Der Euro tritt zwar als Konkurrent zum Dollar in Erscheinung, wie Oberansmayr schreibt, aber nur vordergründig wäre dies als Beispiel für den Aufstieg des europäischen Wirtschaftsraums zu werten. Ein Kollaps des Dollars käme dem chaotischen Zusammenbruch der Weltwirtschaft gleich, und das kann auf keinen Fall das Interesse der Machteliten des EU-Raums sein.

Oberansmayr spricht im Unterschied zu Kapitalismuskritikern nicht von der Krisenhaftigkeit des Systems an sich, sondern für ihn steht Konkurrenz hinter dem "arbeitsteiligen Zusammenhang von Menschen", dem Kampf gesellschaftlicher Interessen "um den größten Anteil am Mehrwertkuchen" oder auch dem Ringen der "Staaten um die Weltmacht" (S. 61f) und ist letztlich Dreh- und Angelpunkt der gesellschaftlichen Hierarchisierung (oben/unten, Besitzer/Nicht-Besitzer) und Segmentierung (drinnen/draußen, Freund/Feind). Auch wenn der Autor in seinem Bemühen, die maßgeblichen Kräfte der gesellschaftlichen Entwicklung zu benennen, nicht so weit geht, bereits den Begriff der Gesellschaft als Voraussetzung der Spaltung der Menschen zu debattieren, bedeutet das nicht, daß sich aus seiner Gegenüberstellung USA versus EU nicht durchaus treffende Herleitungen ergäben. So verweist er auf das riesige Handelsbilanzdefizit der USA und erklärt dazu:

Die Dollars, die über den Warenimport hinauswandern, wandern über den Kapitalimport wieder herein oder werden als Transaktionsmittel für den internationalen Handel bzw. als Devisenreserven von anderen Ländern nachgefragt. Verlöre der Dollar diese Position, würden die USA rasch in die Zahlungsunfähigkeit schlittern. Da aber die superiore Position des Dollars nicht mehr auf einer überlegenen Produktivität der eigenen Wirtschaft beruht, muss die militärische Stärke als Wertbesicherung nachhelfen. Die Nuklearraketen, Flugzeugträger und Marschflugkörper schützen das Vertrauen der Finanzinvestoren. (S. 65)

Es sind solche analytischen Einwürfe in der Darstellung der Militarisierung der EU, die den Titel "Auf dem Weg zur Supermacht" erst rechtfertigen. Allein die Beschreibung der militärischen Stärke - das Aufzählen von Panzern, Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen oder die Benennung des Militärhaushalts - hätte nicht genügt, um die Leser zu überzeugen, daß sich die Europäische Union zu einer totalen Supermacht entwickeln will. Wirtschaft und Finanzkapital sind der notwendige Treibsatz für die Raketen, und die politische Administration stellt die Abschußrampen und das Bedienungspersonal zur Verfügung.

In einem Nachsatz unterstreicht Oberansmayr noch einmal in eindringlichen Worten sein politisches Selbstverständnis:

Der Kampf gegen die Herausbildung der militärischen Supermacht EU-Europa ist die größte Herausforderung für emanzipatorische Kräfte hierzulande. Aufgabe von Friedens- und anderen fortschrittlichen Bewegungen kann nie der Schulterschluss mit den eigenen Eliten gegen die der anderen Supermacht sein, sondern nur die konsequente Bekämpfung von Aufrüstung und Kriegsvorbereitung im eigenen Land sowie das Bündnis mit Friedens- und Befreiungskräften in anderen Ländern und Kontinenten, die dort in Opposition zu 'ihren' Kriegstreibern stehen. (S. 134f)

Mit diesem Resümee schlägt der Autor eine Brücke vom Widerstand in den hiesigen Metropolen gegen alle Formen von Unterdrückung zu den Befreiungsbewegungen in der sogenannten Dritten Welt. Das ist nur konsequent, weil die Zielvorrichtungen der Militärs letztlich nach innen gerichtet sind, in welchem Land auch immer.


Gerald Oberansmayr
Auf dem Weg zur Supermacht
Die Militarisierung der Europäischen Union
Promedia Verlag, Wien 2004
ISBN 3-85371-216-9