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REZENSION/381: F. William Engdahl - Mit der Ölwaffe zur Weltmacht (SB)


F. William Engdahl


Mit der Ölwaffe zur Weltmacht

Der Weg zur neuen Weltordnung



Als eines der größten Rätsel in Verbindung mit dem angloamerikanischen Einmarsch in den Irak im März 2003 gilt die Frage, warum sich der Sozialdemokrat Tony Blair überhaupt auf die Seite des erzkonservativen Republikaners und US-Präsidenten George W. Bush gestellt und dessen abenteuerlichen Kriegskurs unterstützt hat. In der Bevölkerung Großbritanniens fand sich - und findet sich bis heute - keine Mehrheit für das fadenscheinig begründete Unternehmen. Am 15. Februar, wenige Wochen vor Beginn der Invasion, brachten rund zwei Millionen Kriegsgegner in London die größte politische Demonstration, die es jemals in der Geschichte Großbritanniens gegeben hat, zustande. Innerhalb des Geheimdienstes, des Militärs, der regierenden Labour-Partei und selbst des Blair-Kabinetts waren diejenigen, die dem gewaltsamen Sturz Saddam Husseins skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden, in der Mehrzahl.

Die britische Generalität befürchtete, wegen der Teilnahme an einem völkerrechtlich illegalen Krieg unter internationale Anklage gestellt zu werden. Daß diese Befürchtung mehr als begründet war, zeigt die Tatsache, daß sich Blair bis heute weigert, diejenige Expertise seines Justizministers Lord Goldsmith von Anfang 2003 zu veröffentlichen, welche die Legalität der Irakinvasion belegen sollte. Beim Geheimdienst machte man sich wegen der Begründung für den Einmarsch - Bagdads vermeintliche Massenvernichtungswaffen und Verbindungen zum Al-Kaida-"Netzwerk" Osama Bin Ladens -, des zu erwartenden Chaos nach der Zerschlagung des Machtapparats der Baath-Regierung und der Auswirkungen auf die Region Sorgen. Dr. David Kelly, der einst ranghöchste britische UN-Waffeninspekteur im Irak, der diese Sorgen im Frühsommer 2003 in einem Interview mit der BBC allzu öffentlich machte, starb wenige Wochen später in einem Waldstück in der Nähe seiner Wohnung in Südengland unter höchst mysteriösen Umständen.

Für eine Teilnahme Londons am Irak-Abenteuer der Bush-Regierung machten sich in Großbritannien diejenigen stark, denen die "special relationship" ihres Landes zu den Vereinigten Staaten von Amerika über alles geht. Hierzu gehörten entsprechende Kreise beim Geheimdienst und Militär, die oppositionellen, konservativen Tories im Parlament, die Redaktionen der Tageszeitung Times und des Massenblattes Sun, die beide dem, den US-Neokonservativen nahestehenden, australo-amerikanischen Medienzar Rupert Murdoch gehören, sowie dezent im Hintergrund die Londoner City, deren Banken und finanzielle Dienstleistungsunternehmen seit langem zu den größten Profiteuren der sogenannten Globalisierung gehören. Die überragende Stellung Londons im internationalen Finanzgeschäft erklärt, warum die britische Regierung bis heute am Pfund Sterling festhält und einer Übernahme des Euro als Landeswährung feindlich gegenübersteht.

Wer das umstrittene Verhalten Blairs in der Irak-Frage verstehen und mehr über den geschichtlichen Hintergrund der scheinbar unerschütterlichen Allianz zwischen Großbritannien und den USA erfahren will, dürfte an F. William Engdahls "Mit der Ölwaffe zur Weltmacht - Der Weg zur neuen Weltordnung" seine Freude haben. Der in Deutschland lebende US-Ökonom, der an den Universitäten von Princeton und Stockholm studierte, schreibt seit mehr als 30 Jahren Bücher und veröffentlicht in diversen Politzeitschriften und Wirtschaftspublikationen wie Asia Times Online, Business Banker International, European Banker, Foresight, Global Research, Grant's Investor und Nihon Keizai regelmäßig Analysen der aktuellen Lage, die an Informationsdichte, Nüchternheit und Verständlichkeit ihresgleichen suchen. Vor einigen Tagen war Engdahl in einer Dokumentation des deutschen Informationssenders Phoenix über die Ölkriege der USA als Kommentator zu sehen.

Im vorliegenden Buch, das mit der katastrophalen Hungersnot in Irland Mitte des 19. Jahrhunderts infolge der britischen Getreidegesetze und einer gleichzeitig einsetzenden Kartoffelplage beginnt, beschreibt Engdahl recht dezidiert, wie die USA im Verlauf der beiden Weltkriege und mit Hilfe von Gewährsleuten wie Winston Churchill das British Empire beerbten und wie London und Washington praktisch seit 1945 gemeinsam der restlichen Welt ihre Politik und ihre Vorstellungen von der Makroökonomie mehr oder weniger aufgezwungen haben. Es geht hier um die inzestuöse Zusammenarbeit zwischen Weißem Haus und Downing Street, CIA und MI6, Pentagon und Ministry of Defence (MoD), State Department und Foreign Office, New Yorker Wall Street und City of London, Washingtoner Finanzministerium und dem britischen Schatzamt, dem Federal Reserve und der Bank of England, dem Council on Foreign Relations (CFR) und dem Royal Institute of International Affairs (RIIA) mit Sitz im Chatham House u. v. a. Wer hilft James Bond immer wieder aus der Patsche, wenn nicht sein alter amerikanischer Kumpel Felix Leiter?

Wie die Seemacht England über die Jahrhunderte die europäischen Großmächte gegeneinander ausspielte, damit keine von ihnen zu stark wurde, bemühen sich die USA seit einigen Jahren gemäß den strategischen Überlegungen der Neoimperialisten vom Schlage Zbigniew Brzezinskis und Paul Wolfowitz' darum, daß in Eurasien kein Machtblock entsteht, welcher den globalen Führungsanspruch Washingtons in Frage stellen könnte. Diese Ansicht vertritt nicht nur Engdahl, sondern sie wird auch von zahlreichen weiteren namhaften Historikern und Wirtschaftsexperten aus den USA wie Noam Chomsky, Michael Hudson, Chalmers Johnston und Gabriel Kolko geteilt. Das Pentagon verfügt inzwischen über mehr als 700 Militärstützpunkte in rund 130 Ländern - etwa um diese vor feindlicher Aggression von außen oder innenpolitischen Unruhen zu schützen? Mitnichten. Man beachte die bündige Erklärung von Mackubin Thomas Owens, Professor am Naval War College in Newport, Rhode Island, der am 24. April in einem Artikel der in Boston erscheinenden Tageszeitung Christian Science Monitor zum Thema der geplanten Umdisponierung der in Europa stationierten US-Streitkräfte wie folgt zitiert wurde: "Der Hauptgrund, die Truppen in Europa zu halten, besteht darin, uns am Kopfende des Tisches zu halten."

Mit der Anspielung auf die erste Plazierung am Eßtisch liefert Owens die Bestätigung für die These Engdahls, wonach man es in der internationalen Politik in allererster Linie mit der Frage der Ressourcenaufteilung zu tun hat. Daß sich der Kampf um die für das Überleben des einzelnen wie auch der Industriegesellschaften notwendigen Ressourcen in Zeiten zur Neige gehender, fossiler Energiereserven und des Klimawandels verschärft, versteht sich von selbst und läßt die Handlungsweise der derzeitigen US-Regierung wenn nicht weniger aggressiv, so zumindest doch nachvollziehbar erscheinen. Mit dem historischen Bogen, den Engdahl im vorliegenden Buch schlägt, zeigt er gleichzeitig, daß der Unilateralismus der Truppe um Bush jun. keine Anomalie, sondern lediglich die fast zwangsläufig zugespitzte Ausformung schon länger vorhandener, imperialistischer Tendenzen in der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik darstellt.

Die wichtigsten Säulen der "informellen", angloamerikanischen Weltherrschaft sieht Engdahl in der militärischen Überlegenheit und in den einseitig ausgelegten Regeln für internationale Finanz- und Handelsangelegenheiten. Hierzu gehören beispielsweise die technologische Apartheid zwischen Atommächten und Nicht-Atommächten, die Rolle des Dollars als Leitwährung und das Streben nach militärischer Kontrolle über die wichtigsten Seestraßen und diejenigen Länder, in denen Öl und Gas in großen Mengen gefördert wird.

Aus der Perspektive Engdahls vom Öl als strategischer Waffe läßt sich vieles erklären, was in der Vergangenheit geschehen ist, wie zum Beispiel die Spannungen zwischen den USA und Japan in den dreißiger Jahren, die Errichtung des Bretton-Woods-Systems nach dem Zweiten Weltkrieg, das mit der Abkehr Nixons vom Goldstandard 1971 sein Ende fand, der Ölschock zwei Jahre später und die anschließende Bedeutung des Petrodollars, die Schuldenknechtschaft der Dritten Welt, der Krieg der NATO gegen das allzu eigenständige Jugoslawien in den neunziger Jahren sowie der Versuch Londons, Washingtons, der Weltbank und des IWF nach der Auflösung der Sowjetunion Rußland langfristig zu einem deindustrialisierten Rohstofflieferanten zu degradieren. Ähnlich verhilft Engdahl dem Leser zu einem besseren Verständnis des heutigen Argwohns, mit dem die USA das wirtschaftliche Erstarken Chinas, Indiens, der EU und Rußlands beobachten und dieses jeweils entweder zu blockieren oder in ihrem Sinne zu steuern versuchen. Daher der "Krieg gegen Terrorismus", mit dem als Vorwand die USA und ihre Verbündeten ihre Militärpräsenz in Afrika, im Nahen Osten und in Zentralasien kräftig ausbauen.

Wie man jedoch weiß, steht das angloamerikanische System derzeit auf sehr wackeligen Füßen. Die desaströse Besetzung des Iraks hat dem moralischen Führungsanspruch Washingtons schwer geschadet und Armee und Marineinfanterie der USA an die Grenze ihre Leistungskapazität gebracht. Die astronomischen Militärausgaben der Bush-Regierung und ihre Steuererleichterungen für die Unternehmen und Reichen haben die USA in die Schuldenfalle geführt. Darüber hinaus haben ausbleibende Investitionen in Infrastruktur und Industrie aus der einst mächtigsten Wirtschaftsmacht der Welt einen Sanierungsfall gemacht. Inzwischen haben die gigantischen Staatsschulden der USA und eine vor kurzem dort geplatzte Immobilienblase eine Dollarflucht an den internationalen Börsen ausgelöst, die sich täglich verschärft und noch jede Menge politischer Verwerfungen mit sich bringen wird. Es könnte sein, daß das Weiße Haus das Heil in der Flucht nach vorn sucht und Raketen und Bomben auf den Iran regnen läßt. Doch ob ein solches Hasardeurstück den gewünschten "Regimewechsel" in Teheran herbeiführt, der den USA die Kontrolle über die Öl- und Gasreserven des früheren Persiens und eines Teils des Kaspischen Meeres und damit letztlich die überragende Position des Dollars als internationaler Reservewährung sichert, steht in den Sternen. Eine solche Aktion könnte auch einen Dritten Weltkrieg auslösen.

Alles in allem bietet Engdahl einen lehrreichen und daher empfehlswerten Einstieg in die Geopolitik, indem er diese auf ihre wesentlichen Elemente - Finanz- und Ressourcenkontrolle sowie Herrschaftssicherung - reduziert. Abträglich für das ganze sind lediglich einige Unachtsamkeiten des Lektorats, zum Beispiel die mißverständliche Übersetzung von "out of area" in Bezug auf die NATO als "nicht mehr am Ort" (S. 344), sowie des Autors, der bei der Aufarbeitung einer früheren Version des Buchs für die aktuelle Ausgabe einen Satz wie "LaLonde ist heute Mitterands Umweltminister" (S. 194) stehenläßt. Engdahls Auffassung von den modernen Umwelt- und Anti-Atombewegungen als trojanische Pferde wachstumsfeindlicher "Neo-Malthusianer" im Dunstkreis der Trilateral Commission und der Bilderberg-Gruppe muß man nicht unbedingt teilen, um aus seiner Analyse wertvolle Anregungen gewinnen zu können.

25. April 2007


F. William Engdahl
Mit der Ölwaffe zur Weltmacht
Der Weg zur neuen Weltordnung
Englischer Originaltitel: A Century of War - Anglo-American Oil
Politics and the New World Order
Jochen Kopp Verlag, Rottenburg, 2006
430 Seiten
ISBN: 3-938516-19-4