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REZENSION/435: Biermann, Klönne - Agenda Bertelsmann (SB)


Werner Biermann, Arno Klönne


Agenda Bertelsmann

Ein Konzern stiftet Politik



Wenn der Terminus der vierten Gewalt im Staate nicht bereits für die Presse vergeben wäre, müßte er den Think Tanks zugesprochen werden. Während die Vertreter der erstgenannten Branche nicht selten in Überhöhung der eigenen Bedeutung ihre vermeintliche Einflußnahme auf Staatsangelegenheiten gern herausstreichen, halten letztere damit eher hinterm Berg. Man zieht es vor, im stillen zu agieren, und erweist sich dabei als um so wirksamer. Der führende Think Tank Deutschlands und Europas ist die Bertelsmann-Stiftung. Unauffällig erteilt sie seit Jahren folgenschwere Anstöße zur Durchsetzung neoliberaler Politik.

Unternehmenschef Reinhard Mohn übertrug 1993 der Stiftung die Majorität des Grundkapitals der Bertelsmann AG, sicherte damit den Zusammenhalt des Konzerns und spart durch diesen "Geniestreich" (S. 39) Steuern, wie Werner Biermann und Arno Klönne in dem Band "Agenda Bertelsmann. Ein Konzern stiftet Politik" berichten. Das sozialwissenschaftliche Autorenduo von der Universität Paderborn beleuchtet und analysiert, welche verheerenden Konsequenzen die Machenschaften dieses Riesen unter den zahllosen Think Tanks und Lobbyorganisationen rund um die Machtzentren in Berlin und Brüssel für viele Menschen in Deutschland und darüber hinaus haben.

Einführung von Studiengebühren an Hochschulen, Durchsetzung der Rechtschreibreform gegen den Willen einer Mehrheit der schreibenden Zunft, Entuferung von "Rankings" für Bildungseinrichtungen und "Reformen" im Sozial- und Arbeitsbereich - Stichwort Hartz IV - sind nur einige Beispiele für gesellschaftliche Einflußnahmen, die auf dem Mist dieser kapitalstarken Stiftung gewachsen sind. Zudem werden Parlamentarier mit vollständig ausgearbeiteten Konzepten versorgt, die diese kaum verändert in die politischen Entscheidungsstrukturen schleusen und ihnen zur Umsetzung verhelfen. Für all diese Aufgaben steht der Bertelsmann-Stiftung, die rund 300 Mitarbeiter in 100 Projekten beschäftigt, ein Jahresetat von circa 60 Mio. Euro zur Verfügung (S. 42). Unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit greift sie mit Hilfe ihres millionenschweren Stiftungskapitals aus dem Hinterstübchen heraus nach gesellschaftlicher Macht.

Generell setzt sich die Bertelsmann-Stiftung dafür ein, daß die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse so umgestaltet werden, daß die Kapitaleigner mehr Profit abschöpfen können. Die sich daraus ergebende materielle Verarmung einer breiten Schicht von Bundesbürgern bis in den Mittelstand hinein bildet das logische Äquivalent zur Bereicherung von einigen wenigen "Kriegsgewinnlern" dieses Sozialkonflikts, das heißt von Unternehmern, Finanzjongleuren und politischen Funktionären, die von der Umverteilung des gesellschaftlichen Eigentums von unten nach oben auf besondere Weise begünstigt werden.

Zudem ist die neoliberale Agenda des Medienmoguls aus Gütersloh mit einem kräftigen Schuß nationaler Selbstbehauptung versehen. Die Bertelsmann-Stiftung arbeitet daran, daß Deutschland seine wirtschaftliche Vorrangstellung innerhalb Europas in eine politische Führungsposition ummünzt und daß wiederum Europa auf der Weltbühne mindestens einen gleichwertigen Gegenentwurf zu den USA bildet. Das breit gestreute Engagement der Stiftung in Asien, Afrika und Lateinamerika zeigt, daß man auch dort geopolitische Entwicklungen im Auge behält.

Es läßt sich leicht ausmalen, daß der gesellschaftliche Umbau für die weitreichenden Ziele der Bertelsmann-Stiftung auf zahlreichen Ebenen ansetzt. Ihr Erfolg gründet nicht nur auf direkter politischer Gestaltung, also beispielsweise in der Vorlage eines Gesetzentwurfs und seiner nur unbedeutend veränderten Umsetzung, wie es am Beispiel des EU-Reformvertrags vorexerziert wurde, sondern auch in einer ungeheuren Menge an indirekt wirksamen Techniken der Einflußnahme. Zu diesen zählen, um nur eine kleine Auswahl zu nennen:

die Organisation von Seminaren, Diskussionsrunden und Tagungen, zu denen Redner eingeladen werden, deren Wertgefüge meist fest in die marktwirtschaftliche Ideologie eingebettet ist - dabei werden konträre Positionen keineswegs gescheut, solange die eigene Position an ihnen abgearbeitet werden kann;
  
die Lancierung von Aufsätzen über gesellschaftspolitische Themen in großen Zeitungen und Magazinen;
  
die Initiierung von Kampagnen wie "Du bist Deutschland", mit denen der soziale Unfrieden, der unvermeidlich als Folge des wachsenden Heers an verarmten Existenzen heranreift, durch nationalstolze Gefühlsduselei kanalisiert und instrumentalisiert werden soll.

Zu den einflußreichsten Aktivposten der Bertelsmann-Stiftung zählt das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), das am bildungspolitischen Kurswechsel der Bundesrepublik Deutschland einen "überragenden Anteil" hat, wie Klönne und Biermann konstatieren:

"Wissenschaftliche Qualifizierung wurde nicht mehr überwiegend als Fundament für die technologische Innovation und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und als Element des wissenschaftlichen Fortschritts und der demokratischen Teilhabe und der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft verstanden, sondern als eine private Investition in das persönliche 'Humankapital', die später durch ein höheres berufliches Einkommen eine individuelle Rendite abwirft."
(S. 64)

Was das CHE im Bildungsbereich, ist das CAP (Centrum für Angewandte Politikforschung) der Bertelsmann-Stiftung auf dem Gebiet der EU-Integration und der europäischen Einflußerweiterung im globalen Maßstab. Der EU-Reformvertrag, der von der Merkel-Regierung am Volk vorbei als Ersatz für die in Frankreich und den Niederlanden per Referendum abgeschmetterte Verfassung der Europäischen Union fungiert, wurde maßgeblich von den Politikberatern der Bertelsmann-Stiftung formuliert.

In dem Vertragswerk steht zum Beispiel im Unterschied zum Grundgesetz, daß die Wirtschaftsverfassung marktwirtschaftlich sein muß oder daß sich die EU-Mitgliedsstaaten zur schrittweisen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten verpflichten. "Was Europa braucht, ist eine Streitmacht, die an jedem beliebigen Punkt der Erde angreifen, kämpfen, essen, bleiben kann", zitieren Klönne und Biermann aus einer Verlautbarung der Bertelsmann-Stiftung (Kasten S. 100). Und einige CAP-Autoren schrieben bereits am 29.9.2003 in der "Frankfurter Rundschau", daß "die neuen geostrategischen Herausforderungen" nur mit Hilfe der "Vereinigten Streitkräfte von Europa" zu bewältigen sind (S. 109).

Bertelsmann expandiert in zahllose Richtungen und ist neben vielen europäischen Staaten auch in den USA, Indien und China präsent. Über Spanien wiederum soll der lateinamerikanische Absatzmarkt erschlossen werden, und mit dem Tochterunternehmen Arvato AG werden sogar öffentliche Verwaltungsaufgaben übernommen. Die britische Stadt East Riding in der Grafschaft Yorkshire war die erste, die einen erheblichen Teil ihrer administrativen Aufgaben in die Hand des Privatunternehmens gegeben hat. In Deutschland hat Würzburg die Vorreiterrolle eingenommen.

In ihrem unermüdlichen Streben nach gesellschaftlicher Hegemonie bedient sich die Stiftung der Strategie, ihre Kritiker nicht durch mediale Anprangerung und Ausgrenzung aufzuwerten, sondern sie zu kooptieren oder sogar auf die eigene Seite zu ziehen. Das kann allerdings nur gelingen, wenn die Betreffenden entsprechende Angriffsflächen bieten und ihre Kritik oberflächlich bleibt. Biermann und Klönne hingegen arbeiten kurz und präzise heraus, daß nur ein geringer Teil der Gesellschaft von der "Agenda Bertelsmann" profitiert, während die Mehrheit auf die Qualifizierung ihrer Verwertbarkeit zugerichtet werden soll. Das Buch führt dem Leser vor Augen, daß die Deutschen gut beraten wären, wenn sie sich weniger Sorgen über einen Medienmogul wie Berlusconi in Italien machten, als vielmehr über die vielen "Bertelsmänner" im kaum zu durchschauenden Geflecht politischer und zivilgesellschaftlicher Institutionen hierzulande.

23. April 2008


Werner Biermann, Arno Klönne
Agenda Bertelsmann - Ein Konzern stiftet Politik
Neue Kleine Bibliothek 123
PapyRossa Verlag, Köln 2007
140 Seiten, 11,90 Euro
ISBN 978-3-89438-372-5