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REZENSION/439: Wernicke, Bultmann (Hg.) - Netzwerk der Macht (SB)


Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.)


Netzwerk der Macht - Bertelsmann

Der medial-politische Komplex aus Gütersloh



Der Bertelsmann-Konzern und die als sein Mehrheitseigner fungierende Bertelsmann-Stiftung treten der Gesellschaft mit einer Janusköpfigkeit gegenüber, in der sich die sozialen Widerspruchslagen abbilden, von denen ein Medienkonzern lebt und die er dementsprechend erhält. Auf der einen Seite treibt der Konzern mit der RTL-Gruppe eine Boulevardisierung und Verrohung des Fernsehens voran, die die Kritiker der kapitalistischen Kulturindustrie in ihren Befürchtungen vollauf bestätigen. Auf der anderen Seite präsentiert sich die Stiftung als Moderator gesellschaftlicher Konflikte, die zugunsten jener Kohäsion befriedet werden sollten, die mit Sozialneid und Existenzangst schürenden TV-Formaten unterminiert wird. Auf der einen Seite frönt der Konzern eigennütziger Gewinnmaximierung, auf der anderen Seite suggeriert die Arbeit der Stiftung ein übergeordnetes Interesse an gesellschaftlichem Fortschritt.

Mit dieser Ambivalenz wird dem Kapitalverhältnis das Mäntelchen einer Legitimation umgehängt, das sofort durchsichtig wird, wenn man der unterstellten ethischen Orientierung der Unternehmenspolitik auf den Zahn fühlt. Im Fall des Gütersloher Medienkonzerns, dessen beschauliche westfälische Heimat kaum ahnen läßt, daß es sich bei Bertelsmann um einen Konzern mit globaler Reichweite und großem Einfluß auf die internationale Kulturproduktion handelt, hat man die Notwendigkeit des Legitimationsbedarfs zur Tugend politischer Einflußnahme erhoben und mit der Gründung einer operativen Programmstiftung innovative Wege in der Politikberatung beschritten.

Die Bertelsmann-Stiftung stellt heute einen politischen und gesellschaftlichen Einflußfaktor ersten Ranges dar, und das zu den privilegierten Bedingungen einer angeblichen Gemeinnützigkeit, die durch die Förderung den eigenen Interessen dienlicher gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen das Wohl Bertelsmanns zu Lasten all derjenigen mehrt, denen die neoliberale Programmatik der Stiftung auf die Füße fällt. Als Medienkonzern wird Bertelsmann gleich auf doppelte Weise wirksam, er kann seinen Einfluß über die redaktionelle Linie seiner Sender und Zeitungen geltend machen, und er knüpft mit der Stiftung ein dichtes Netzwerk aus Sachwaltern der eigenen Reformpolitik, das nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch auf EU-Ebene an der Formulierung politischer Leitlinien beteiligt ist.

Wie dies im einzelnen vonstatten geht, erfährt das interessierte Publikum in dem bereits in der zweiten, erweiterten Auflage vorliegenden Buch "Netzwerk der Macht - Bertelsmann", das im Verlag des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) zu einem sozialverträglichen Preis herausgegeben wird. Aufklärung tut allemal not, wenn man dem diese Gesellschaft beherrschenden Block nicht ausgeliefert sein will, und das gilt in besonderer Weise für den großen Komplex seiner sinnstiftenden und legitimationsheischenden Aktivitäten. Dieses Feld wird von einer Vielzahl von Think Tanks und PR-Agenturen, von Beratern und Vordenkern bestellt, die von ihrer Arbeit meist recht gut leben, weil die Interessen, die sie vertreten, allein die des Kapitals und nicht etwa auch der sozial Deklassierten sind.

Wie im vorliegenden Band ausführlich und im Detail analysiert bedient sich die Bertelsmann-Stiftung zu diesem Zweck der gesamten Klaviatur moderner sozialwissenschaftlicher Methoden, die stets der Bevorzugung einer im Grundsatz zwar staatsfernen, den Staat jedoch gleichzeitig dort, wo er den eigenen Zielen dient, in die Pflicht nehmenden Programmatik zuarbeiten. Die in Anspruch genommenen Disziplinen der statistischen Erfassung und Evaluierung wie die dem betriebswirtschaftlichen Management entlehnten Methoden des Controlling und Benchmarking, des Ranking und der Best Practice suggerieren eine Objektivität der Beurteilung, die sich bei genauer Betrachtung als ein einseitig der neoliberalen Ideologie der Effizienzsteigerung unterworfenes Bewertungssystem erweist.

Der große Gewinn der Lektüre des Buchs besteht darin, daß die Autoren des Sammelbands mit der Expertise ihrer jeweiligen Arbeitsfelder nachweisen, daß die Bertelsmann-Stiftung gezielt und systematisch einen neoliberalen Strukturwandel vorantreibt, der mit den bekannten Ideologemen Eigenverantwortung, Privatisierung und Wettbewerb allen Bürgern, die eine sozial solidarische, basisdemokratische und kapitalismuskritische Politik favorisieren, den Rang abläuft. Bei Bertelsmann hält man sich nicht damit auf, auf konventionelle Weise um Zustimmung zu werben, sondern greift von vornherein in die gesellschaftlichen Steuerungsfunktionen ein. Das erfolgt mit Hilfe eines breiten Spektrums von Stiftungsaktivitäten, die sich von der theoretischen Ideologieproduktion und ihrer Verallgemeinerung mittels massenmedialer PR-Kampagnen über die Durchsetzung administrativer Leistungskriterien auf jeder Ebene zwischen kommunaler und suprastaatlicher Verwaltungstätigkeit bis hin zur Einflußnahme auf die konkreten Verfahrensweisen und Zieldefinitionen der Bildungs-, Gesundheits-, Arbeits- und Sozialpolitik erstrecken. Insbesondere auf diesen Politikfeldern konvergieren die Maßgaben ökonomischer Verwertung mit einer reaktionären Anthropologie zur Negation jeglicher Subjektivität und Autonomie, die dem Entwurf des total vergesellschafteten Menschen, dem die Anpassung an die ihm eingetrichterten Funktionsprinzipien ein und alles ist, im Weg stehen.

Zusätzlich zur kritischen Referierung der Stiftungsaktivitäten auf diesen Feldern analysiert "Netzwerk der Macht" den größeren Zusammenhang zwischen privatwirtschaftlichen Akteuren der Politikberatung und staatlicher Administration, es umreißt die Geschichte des Konzerns bis zurück in die NS-Zeit, weist anhand der finanziellen Bemittelung der Stiftung den antidemokratischen Charakter partikulärer Einflußnahme nach und widmet sich dem durchaus erfolgreichen Versuch Bertelsmanns, die Leitlinien der Politik der Europäischen Union zu beeinflussen. Daß die Stiftung zudem ein wichtiger Akteur auf dem Gebiet deutscher wie EU-europäischer Außenpolitik ist, kommt ebenfalls nicht zu kurz, der Schwerpunkt des Buches liegt allerdings auf Analyse und Kritik ihrer gesellschaftspolitischen Einflußnahme.

Von besonderem Interesse, da über die unmittelbare Thematik hinausweisend, ist die Inanspruchnahme sozialwissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Praktiken zur Sicherung der Hegemonie des kapitalistischen Gesellschaftsmodells. Hier wird mit öffentlich geförderten Lehrinhalten einer sozialtechnokratischen Elitenbildung zugearbeitet, die hinsichtlich ihrer sozialdarwinistischen und malthusianischen Selektivität von zukunftsweisendem Charakter ist. Hinter der Glorifizierung einer Effizienzsteigerung um fast jeden Preis nimmt ein Sozialrassismus Gestalt an, der in einer Zeit zunehmender Ressourcenverknappung für all diejenigen, die sich nicht für einen Platz unter der Sonne der Leistungsgerechtigkeit qualifizieren, durchaus existenzbedrohende Qualität annehmen kann. Die Beteiligung der Bertelsmann-Stiftung am Zustandekommen des Arbeits- und Sozialregimes Hartz IV und die Propagierung einer nach den Gesichtspunkten ökonomischer Verwertbarkeit organisierten Zuwanderungspolitik sind unmißverständliche Signale für die Konstitution einer Gesellschaftsordnung, in der das Lebensrecht des einzelnen vollends dem Nutzungsinteresse des größeren Ganzen, sprich der herrschenden Eliten, nachgeordnet wird.

Dem Buch ist allemal eine breite Leserschaft zu wünschen, weil die am Beispiel Bertelsmann dargestellte Gesellschaftspolitik nicht nur Ausdruck der spezifischen Interessenslage dieses Konzerns ist, sondern ohne die große Bereitschaft der Funktionseliten und Kapitaleigner, eine zusehends autoritär und doktrinär durchgesetzte Vertikale der Macht zu etablieren, niemals hegemonial werden könnte.

30. Mai 2008


Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.)
Netzwerk der Macht - Bertelsmann
Der medial-politische Komplex aus Gütersloh
BdWi-Verlag, Marburg, Oktober 2007, erw. Auflage,
488 Seiten, 17,00 Euro
ISBN: 978-3-939864-02-8