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REZENSION/604: Claudia Langer - Die Generation "Man müsste mal" - Eine Streitschrift (SB)


Claudia Langer


Die Generation "Man müsste mal"

Eine Streitschrift



Hunger, Armut, Rohstoffmangel, Artensterben, Wirtschaftskrise, Klimawandel und demgegenüber politische Entscheidungsträger, die nur an ihre Karriere denken und nicht in der gebotenen Konsequenz die Verantwortung übernehmen, um diese Krisen mitsamt ihren destruktiven Folgen für die Gesellschaft zu stoppen. Und dann auch noch die vielen anderen Angepaßten (S. 87), Gutmenschen (S. 64) und Angsthasen (S. 85) um einen herum, die vermeintlich wissen, wie die Welt tickt, aber ihren Allerwertesten nicht aus dem Sessel bekommen, um wirklich etwas anderes zu machen als das, was sie sowieso schon immer gemacht haben, nämlich ihren Vorteil fest im Blick das Fähnchen in den Wind zu drehen, ohne an die Konsequenzen ihres Tuns für die nächste Generation zu denken ...

Menschlich gesehen ist es nachvollziehbar, wenn in der heutigen Zeit jemanden das Gefühl überkommt, dem Geschehen um ihn herum nicht mehr tatenlos zusehen und etwas dagegen unternehmen zu wollen. So jemand ist Claudia Langer, aus der Werbebranche stammend, Unternehmerin, Mutter dreier Kinder und Gründerin der Internetplattform utopia.de, auf der ein nachhaltiger Konsumstil propagiert wird. Nun hat die Münchnerin ihrem Frust und ihrer Lust zu streiten in einem Buch Luft verschafft und eine "Streitschrift" wider "die Generation Man-müsste-mal" vorgelegt.

Darin schreibt sie über sich und ihresgleichen, also über Menschen, die zumindest so wohlhabend sind, daß sie über ein Aktienportfolio verfügen, mit dem Flieger um die Welt jetten können, ein Auto besitzen und regelmäßig Fleisch auf ihrem Speiseplan haben. Denn nur solche Personen können die Ratschläge der Autorin befolgen und ihr Aktienportfolio Nachhaltigkeitskriterien unterziehen, auf den Flieger verzichten, ihr Auto in der Garage stehen lassen und statt dessen mit dem Fahrrad fahren und beim Verzehr von Ökowurzeln und Biobrot auch mal aufs Fleisch verzichten.

Das Buch gliedert sich in vier Teile und ein abschließendes, aus zehn Paragraphen bestehendes "Generationen-Manifest". Darin fordert die Autorin verschiedene gesellschaftliche Gruppen (Eltern, Großeltern, Jugend, Eliten, Konsumenten, Manager, Investoren, Politiker, Wissenschaftler und allgemein die "Man-müsste-mal"-Generation) auf, Verantwortung zu übernehmen. Das hält der Verlag wohl für so wichtig, daß er das Manifest zusätzlich auf den Innenseiten des Einbands abgedruckt hat.

Im ersten Teil klagt Langer jede und jeden an, daß sie bzw. er zur Generation "Man müsste mal" gehört. Die habe schon zu oft gesagt, "was sie tun könnte, um diesen Planeten und unser Leben nachhaltig zu verbessern", habe es aber "nicht in ausreichendem Maß" getan. Langers Argumentationsniveau bleibt hier wie so oft moralisch: "Ich klage mich an, noch immer mit meiner eigenen Konsumlust zu kämpfen, noch immer zu viel zu fliegen und noch immer weniger zu tun, als möglich ist." (S. 11) Und etwas weiter: "Ich klage Sie als Konsument an. Ich klage Sie an, dass Sie ein Heuchler sind. Dass Sie behaupten, nachhaltig zu leben, weil Sie für sich und Ihre Familie Biolebensmittel kaufen und doch den Rest der Welt vergessen, weil sie bei ihren Konsumimpulsen gern wichtige Themen wie Kinderarbeit, Umwelt und Soziales ausblenden." (S. 12)

"Die Welt hat einen Burnout" titelt die Autorin den zweiten Teil der Streitschrift, in der sie ihre Sichtweise, daß die "physische Kraft unseres Planeten und jedes Einzelnen" erschöpft ist, darlegt: "Wir kommen nicht mehr klar. Leben zu schnell. Sinnlos. Verfallen dem Stress. Rasen unserem Leben hinterher. Bis der Kollaps kommt und wir zusammenbrechen. Es ist das Phänomen unserer Zeit. Im Kleinen wie im Großen." Krisen wie der Klimawandel oder die Finanzkrise, aber auch neue Konzepte wie das der Globalisierung hätten jeden Einzelnen "an den Rand der Belastbarkeit" gebracht: "Die Psyche unserer Weltgemeinschaft hat keine Kraft mehr. Wir sind verroht. Mitgefühl, Verantwortung, Empathie? Fehlanzeige." (S. 35)

Des weiteren handelt Langer Themen wie Unterernährung, Hunger, Landnahme, Klimapolitik, Konsumrausch, Autos ("Ein Porsche Cayenne ist asozial.", S. 63), das Bildungssystem, die Bankenrettung ("Und so geht das Gezocke fröhlich weiter ...", S. 75), Schulden und Renten in kurzen, mehrseitigen Kapiteln ab.

Im dritten Teil beschreibt die Autorin einzelne Gruppen der Generation "Man müsste mal", an die sie sich am Ende auch in ihrem Manifest wendet. Den vierten Teil widmet sie der Hoffnung und fordert die Leserinnen und Leser auf, einen Anfang im Leben zu machen. Welcher das sei, sei zweitrangig: "Vielleicht werden Sie seit Jahren das erste Mal wieder auf die Straße gehen oder das erste Mal in Ihrem Leben eine Demonstration organisieren. Vielleicht werden Sie zu Ökostrom wechseln und Ihren Freunden davon erzählen. Vielleicht werden Sie eine Kampagne organisieren. Vielleicht werden Sie ein Unternehmen überzeugen, nachhaltig zu wirtschaften. Ihr eigenes Unternehmen oder das, für das Sie arbeiten. Vielleicht werden Sie anders auf die Werbung für einen Flachbildschirmfernseher sehen - und ihn nicht kaufen. Nicht heute und auch nicht in Zukunft. Vielleicht werden Sie sich das erste Mal Gedanken über die Lehrinhalte in der Schule Ihrer Kinder machen - und sich für eine Projektgruppe engagieren. Vielleicht werden Sie zweimal überlegen, ob Sie das Stück Fleisch oder Wurst wirklich essen wollen ..." (S. 106)

Neu sind solche Reflektionen sicherlich nicht. Der Klimawandel stellt für die Autorin einen Weckruf dar, der "uns" den Weg zeigt. Jetzt gehe es darum, Position zu beziehen und sich als einzelner, wichtiger Teil des Ganzen zu begreifen. Denn: "Sie, ja genau Sie machen den Unterschied. Sie sind der Unterschied. Fühlt sich das nicht wunderbar an?" (S. 106)

Langer spricht die Leser immer wieder direkt an. Darin zeigt sich die starke Emotionalität, mit der die Autorin ihre Streitschrift verfaßt hat. Gleichzeitig hat es etwas Missionarisches. Hier werden Konzepte und Vorstellungen zu Nachhaltigkeit und Lebensführung, wie sie von Kreisen innerhalb der Umweltbewegung propagiert werden, mit den christlichen Tugenden Enthaltsamkeit und Genügsamkeit sowie mit Versatzstücken aus der Therapiebewegung ("Wir dürfen uns jetzt Utopia ausmalen. Wir sind frei von allem, um uns auf den Weg ins Ungewisse zu machen." S. 107) zu einem (vermeintlich) neuen Menschentyp verrührt: "Meine Hoffnung, dass wir als Bürger unseren Platz in der Gesellschaft einnehmen. Heute leben wir als Gesellschaft ohne gemeinsamen Nenner. 'Wir' könnten endlich wieder ihr gemeinsamer Nenner werden." (S. 107)

Man nennt die in der Streitschrift adressierte Konsumentengruppe "Lohas". Das Akronym stammt von Lifestyle of Health and Sustainability, also Lebensstil auf der Basis von Gesundheit und Nachhaltigkeit. Wer sich allerdings Sorgen um seinen Lebensstil macht, dürfte zu dem privilegierteren Teil dieser Gesellschaft zählen. Denn selbst in der relativ wohlhabenden Bundesrepublik Deutschland leben viele Millionen Menschen, für die Nachhaltigkeit deshalb kein Thema ist, weil sie darauf angewiesen sind, das zu kaufen, was im Supermarkt gerade billig angeboten wird. Diese Menschen dürfte die Autorin nicht gemeint haben, wenn sie von "wir", "uns" und der "Generation Man-müsste-mal" spricht.

Die Autorin äußert sich auch zur Finanzkrise, genauer gesagt zum Schuldenmachen. Mit dem Wirtschaftssystem an sich scheint sie kein Problem zu haben, nur mit einer bestimmten Erscheinungsform: "Das System wird durch die Staaten pervertiert, die fortlaufend neue Schulden machen, ohne jemals alte Schulden zurückgezahlt zu haben. Wobei die Nicht-Rückzahlung offensichtlich von Anfang an eingeplant ist.
Und diese Schulden machen uns zu Getriebenen." (S. 79)

Hier unterliegt die Autorin einem Irrtum. Wir, also die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Bundesrepublik Deutschland, werden nicht von Schulden getrieben, sondern von den Schuldherren. Das ist kein unbedeutender Unterschied, denn die Autorin fordert als Antwort auf das Verschuldungsproblem einen "absoluten Schuldenstopp" (S. 79) und nicht, um nur eine von vielen anderen Alternativen zu nennen, die Abschaffung der Schuldherren. Ein solcher Standpunkt mag utopisch klingen - aber für die Gründerin der Website utopia.de sollte so etwas doch kein Ausschlußkriterium sein.

Es könne nicht sein, daß wir unser Leben auf Kosten unserer Kinder führen. Das sei "unredlich" (S. 79), schreibt Langer. Die ehemalige Eventmanagerin und Werbeunternehmerin, die mit beiden Beinen fest im Wirtschaftsgeschehen und dabei ihre Frau gestanden hat, überrascht mit dieser oberflächlich emotionalen Analyse des Schuldenproblems schon ein wenig. Denn wenn die Regierung augenblicklich jede Neuverschuldung beendete, ginge das zu Lasten der sozialen Einrichtungen, der Bildung, der öffentlichen Infrastruktur, des Gesundheits- und des Rentensystems. Es bleibt daher frommes Wunschdenken, wenn die Autorin solche Widersprüche zu vereinen versucht: "Auch wenn ich leidenschaftlich für Investitionen in alle kommenden Generationen plädiere und Investitionen in Bildung, in den Kampf gegen den Klimawandel und für soziale Gerechtigkeit für absolut notwendig halte: Sie dürfen keine Ausrede sein für weitere Schuldenberge. Mit Schulden muss Schluss sein. Jetzt!" (S. 79)

Aber wie gesagt, es handelt sich hier um ein Buch aus der gesellschaftlichen Schicht der Lohas über Probleme der Lohas für eine Lohas-Leserschaft, nicht für jene, die beispielsweise heute schon unter den "Mit-Schulden-muss-Schluss-sein"-Austeritätsprogrammen der Europäischen Union zu leiden haben. Noch geht es den meisten Deutschen relativ gut, doch haben die Schuldherren und, um in diesem Bild zu bleiben, ihre Knechte an Griechenland bereits ein Exempel statuiert. Die Voraussetzung dafür, daß einige Menschen Entscheidungen treffen, die andere in die Armut und Obdachlosigkeit, immer häufiger auch in den Suizid treiben, ist ausgerechnet jene gesellschaftliche Klammer, für die Langer einen gemeinsamen Nenner anstrebt. Der ist durch die Vergesellschaftung des Menschen bereits gegeben und muß nicht eigens hergestellt werden; sein deutlichstes Kennzeichen ist der Unterschied oder, wie es schon vor mehr als einem Jahrhundert formuliert wurde, der Klassenwiderspruch.

Auch wenn sich die Autorin an die Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler wendet und von ihnen entschiedenere Maßnahmen gegen den Klimawandel und für eine nachhaltigere Lebensweise verlangt, legt sie das Schwergewicht ihrer Appelle und Forderungen auf individuelle Einsichten und Verhaltensänderungen. Dabei kursieren in der Umweltdebatte viele solcher Ideen: Wenn nur jeder Mensch in seinem Lebensumfeld anfinge, etwas zum Klimaschutz beizutragen, und beispielsweise morgens die Brötchen nicht mit dem Auto holte (was voraussetzt, daß sich die Person allmorgendlich Brötchen und generell den Unterhalt eines Autos leisten kann), entstünde daraus nach und nach eine Massenbewegung, die so viel Gewicht erhielte, daß sie von der Politik nicht ignoriert werden könnte.

Es wäre sicherlich äußerst angenehm, wenn sich auf diese Weise fundamentale Veränderungen im menschlichen Zusammenleben und im Umgang des Menschen mit der von ihm mit dem Begriff Natur versehenen Um- und Mitwelt erreichen ließe. Leider verfügen die Gegenkräfte, die so etwas zu verhindern wüßten, über die ungleich wirkungsvolleren und die Wirklichkeit bestimmenden Mittel.

So gelten zwar Windräder und Solaranlagen als nachhaltige Energiesysteme, aber der Energieverbrauch zu ihrer Produktion und zur Bereitstellung der gesamten, zwingend notwendigen industriellen Infrastruktur wird dabei nicht in die Bilanz eingerechnet. Zudem unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen in einer Fabrik für Windradgeneratoren oder Solarmodule nicht nennenswert von denen in einer Fabrik, in der beispielsweise der Porsche Cayenne zusammengebaut wird. Ein nachhaltiger, grüner Kapitalismus ist und bleibt ein Kapitalismus, und der sieht vor, daß Unternehmen profitorientiert arbeiten.

So weit scheint der Zorn der Verfasserin dieser Streitschrift nicht zu tragen, daß sie die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse in Frage stellte. Sie bleibt nach wie vor dem marktwirtschaftlichen Wirtschaftsmodell verbunden, was sich auch in einem der den einzelnen Kapiteln vorangestellten Zitate widerspiegelt. An einer Stelle gibt sie die Aussage des US-Präsidenten Barack Obama wieder: "Das Land, das zum Leitmarkt für nachhaltige Mobilität und Energieversorgung wird, wird zur tonangebenden Volkswirtschaft der Welt werden." (S. 62)

Obama, der im Unterschied zu seinem Vorgänger George W. Bush weniger der Erdöl-, denn vielmehr der Agrospritindustrie verbunden ist, hebt hier klar und deutlich auf ein hegemoniales Anliegen ab. Wenn ein Staat den Ton angibt, dann wird es logischerweise auch Staaten geben, die den Ton empfangen und Folge leisten müssen. Staatenkonkurrenz, Streben nach Vorherrschaft, überhaupt nach Herrschaft sind anscheinend kein Themenfeld, das Langer betreten möchte. Da hier und nicht in irgendwelchen Konsumtempeln die wichtigeren Kämpfe ausgetragen werden, die das Weltgeschehen bestimmen, kratzt die Autorin mit ihrer Streitschrift bestenfalls an der Oberfläche der angesprochenen Probleme.

31. Dezember 2012


Claudia Langer
Die Generation "Man müsste mal"
Eine Streitschrift
Droemer Verlag, München 2012
ISBN 978-3-426-27576-4
192 Seiten, 18,00 Euro