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REZENSION/660: Linsey McGoey - The Gates Foundation and the Price of Philanthropy (SB)


Linsey McGoey


No Such Thing As A Free Lunch

The Gates Foundation and the Price of Philanthropy



Die Frage, wem gemeinnützige Stiftungen eigentlich am meisten dienen, der Allgemeinheit, wie ihr Name suggeriert, oder doch den Gründern und Betreibern, was viele vermuten, steht zwar schon länger im Raum, gewinnt dieser Tage jedoch durch die Kontroverse um die Clinton Foundation an Aktualität. Hillary Clinton, die sich anschickt, im kommenden November zur ersten Präsidentin der USA gewählt zu werden, wird von Vorwürfen verfolgt, sie und ihr Gatte Bill Clinton hätten die nach dessen Ausscheiden aus dem Präsidentenamt 2001 gegründete Stiftung genutzt, um sich und ihre Amigos zu bereichern und politisch-gesellschaftlichen Einfluß zu gewinnen.

Hillary Clinton steht im Verdacht, sie habe als Außenministerin Barack Obamas lukrative Geschäfte genehmigt bzw. eingefädelt, deren Nutznießer im Gegenzug der Clinton-Stiftung Spendenbeiträge in Millionenhöhe zukommen ließen. Zur "Pay-to-play"-Kontroverse um die Clinton Foundation gehören unter anderem die Vergabe von Mobiltelefonlizenzen an den irischen Medienmogul Dennis O'Brien in der Karibik im allgemeinen und Haiti im besonderen sowie der Export gigantischer Mengen amerikanischer Waffen und Munition an das königliche "Regime" Saudi-Arabiens. Es sieht alles danach aus, als habe Clinton in den vier Jahren als US-Chefdiplomatin entgegen allen Vorschriften aus dem Grund ihren gesamten beruflichen und privaten Email-Verkehr über einen Server im Keller des eigenen Privathauses in New York abgewickelt, das zwielichtige Treiben zu vertuschen. In der komplizierten und politisch brisanten Angelegenheit laufen derzeit beim FBI und Justizministerium mehrere Korruptionsermittlungen unter Beteiligung des für den Southern District of New York und damit für das Bankenviertel um die Börse an der Wall Street zuständigen Chefanklägers Preet Bharara.

In ihrem Buch "No Such Thing As A Free Lunch - The Gates Foundation and the Price of Philanthropy" setzt sich die Kanadierin Linsey McGoey, die heute Soziologie an der University of Essex in England lehrt, mit der Bill and Melinda Gates Foundation, die von dem Microsoft-Mitbegründer 1999 ins Leben gerufen wurde und mit Einlagen in Höhe von 43 Milliarden Dollar die mit Abstand größte Privatstiftung der Welt ist, kritisch auseinander. Die selbstgestellte Frage, "Macht Philanthrophie die Reichen reicher und die Armen ärmer?", beantwortet McGoey, die als Beraterin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Auswirkung von Projekten der Gates-Stiftung in Afrika, Asien und Lateinamerika hautnah verfolgen konnte, mit einem eindeutigen Ja.

McGoey zeigt die geschichtliche Kontinuität zwischen den karitativen Anstrengungen des Ölmagnaten John D. Rockefeller und des Stahlindustriellen Andrew Carnegie Ende des 19. Jahrhunderts in den USA und denjenigen Bill Gates', des Finanzspekulanten Warren Buffett und des Google-Chefs Eric Schmidt heutzutage auf. In der Industrialisierungsphase zwischen dem Amerikanischem Bürgerkrieg und dem Ersten Weltkrieg hatten die beiden genannten "Räuberbarone" ähnlich dem Bankenkrösus Henry Morgan und dem Eisenbahnbetreiber und Reeder Cornelius Vanderbildt mit brutalsten Methoden riesige Firmenimperien aufgebaut. Am Ende ihres Lebens, als zur Jahrhundertwende in den USA der Widerstand der arbeitenden Bevölkerung gegen die enorme Wohlstandsschere wuchs, entdeckten Carnegie und Rockefeller bei sich eine soziale Ader. Ersterer baute ein länderübergreifendes Netzwerk von Bibliotheken auf, um dem Volk Muse und Bildung zu ermöglichen, letzterer gründete die Rockefeller-Stiftung, die lange Zeit die führende Wohltätigkeitsvereinigung war und für das Stiftungswesen amerikanischer Art bis heute Vorbildcharakter hat. Schon damals gab es Kommentatoren, die meinten, die Stiftungsgründer setzten sich selbst Denkmäler und versähen ihr teuflisches Lebenswerk mit einer christlichen Patina.

Die Rockefeller Foundation trug später zur Entstehung der WHO bei, während das von Morgan und Gleichgesinnten gegründete Council on Foreign Relations (CFR), das bis heute mit seiner alle zwei Monate erscheinenden Fachzeitschrift Foreign Affairs die einflußreichste Denkfabrik der Welt geblieben ist, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Blaupause für die Vereinten Nationen vorlegte. Für New York als Standort des UN-Hauptquartiers entschied man sich, als John D. Rockefeller jun. das passende Grundstück an der Pelican Bay im Wert von 8,5 Millionen Dollar spendete. Rockefeller profitierte von der großzügigen Geste, gehörten ihm doch an der Upper East Side von Manhattan zahlreiche Immobilien, die durch die ausgelöste Nachfrage nach passenden Botschaftsgebäuden und Wohnungen für Diplomaten und ihre Familien aus aller Welt einen beträchtlichen Wertanstieg erfuhren.

Ähnlich den Zuständen während der Gilded Age in den USA sacken die Schwerreichen im industrialisierten Westen durch Privatisierung und Steuervergünstigungen seit Jahrzehnten einen immer größeren Anteil am Volksvermögen ein. Aus ihrer Perspektive stellt die Investition in Stiftungen, mittels derer man direkt politischen Einfluß auf gesellschaftliche Bereiche wie Gesundheit und Bildung ausüben kann, eine mehr als sinnvolle Geschäftsentscheidung dar. McCoey stellt ihrerseits die von Gates, Buffett et al. propagierte These, wonach die Konzernlenker mit Weitblick global mit ihren Stiftungsgeldern mehr Gutes tun als die gewählten Politiker, wären jene Summen einfach als Steuern in die Staatskasse geflossen, erheblich in Zweifel. Sie begründet ihre Skepsis beispielsweise mit einer ausführlichen Erläuterung des Einsatzes der Gates-Stiftung für das Privatschulwesen, das in den letzten eineinhalb Jahrzehnten das Bildungssystem in den USA revolutioniert hat - leider nicht zum Besseren. Mittels sehr häufigen Testens niedrig-standardisierter Inhalte - Stichwort "Common Core" - hat man den Lebensalltag für Millionen Schüler und Lehrer zur sinnentleerten Tortur gemacht. Die Gates-Stiftung hat auch größere Summen in das sogenannte E-Lernen gesteckt, das sich zu einem hochlukrativen Geschäftsfeld für Medienkonzerne wie Pearson und Rupert Murdochs News Corporation zu entwickeln verspricht.

Die Gates Foundation steuert inzwischen mit rund zehn Prozent mehr Geld als jede andere Einzelinstanz zum Jahresbudget der WHO bei. McCoey würdigt die produktive Arbeit, welche die Stiftung in diesem Zusammenhang wie zum Beispiel mit ihrer Impfkampagne gegen Malaria leistet, hat jedoch mit mehreren anderen Aspekten erhebliche Probleme. Sie kritisiert die fast ausschließliche Ausrichtung auf die Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten, obwohl es die chronischen wie Krebs und Herzleiden sind, welche inzwischen auch in der unterentwickelten Welt jährlich die meisten Todesfälle verursachen. McCoeys Erörterungen lassen die Schlußfolgerung zu, daß es der Gates Foundation hier vor allem um die Verbreitung des seit Jahrzehnten für die Kranken überteuerten und ineffektiven, für die Pharmaindustrie hochprofitablen amerikanischen Gesundheitssystems inklusive der Patentrechte für Medikamente geht.

Bauchschmerzen bereitet McCoey auch die enge Kooperation der Gates-Stiftung mit Konzernen wie Monsanto und Coca Cola im Bereich der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Hinter der Initiative, mittels genveränderten Saatguts eine "grüne Revolution" im afrikanischen Agrarwesen herbeizuführen, sieht sie vor allem die Eroberung ausländischer Märkte durch multinationale Konzerne wie Nestlé. Die Verfügungsgewalt, die Monsanto beispielsweise im landwirtschaftlichen Sektor Indiens ausübt, hat dort zu einer grausamen Selbstmordwelle unter den Kleinbauern geführt. Unfähig, ihre Schulden und die nächste Tranche für das teuere Saatgut Monsantos zu bezahlen, haben sich auf dem indischen Subkontinent seit 1995 mehr als 300.000 Bauern umgebracht - in den meisten Fällen durch das Trinken giftigen Pflanzenschutzmittels.

McCoey stört die Leistungsideologie, die Leute wie Bill Gates propagieren. Sie erkennt im modernen Stiftungswesen den Ansatz, das herrschende Gesellschaftsmodell zu zementieren und seine Infragestellung unmöglich zu machen. Durch die gezielte Vergabe von Forschungsgeldern sind die modernen Philanthropen dabei, eine unkritische, lediglich am Wohle ihrer Geldgeber und der dahinterstehenden Großkonzerne ausgerichtete Wissenschaft heranzuzüchten. Gegen diese Gefahr und für eine offenere Debatte über die Definition des Gemeinwohls, über Wege zur Reduzierung sozialer Ungleichheit sowie zur Erreichung einer gerechteren Globalgesellschaft in Zeiten von Klimawandel, Artenschwund und Ressourcenmangel ist Linsey McCoeys "No Such Thing As A Free Gift" ein flammendes und spannendes Plädoyer. Die Gates Foundation und ähnliche Einrichtungen sind Teil des Problems, nicht der Lösung, nur wollen ihre Betreiber dies natürlich nicht wahrhaben.

30. August 2016


Linsey McGoey
No Such Thing As A Free Lunch
The Gates Foundation and the Price of Philanthropy
Verso, London/New York, 2015
296 Seiten
ISBN: 978-1-78478-083-8


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