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REZENSION/701: Fahim Amir - Schwein und Zeit. Tiere, Politik, Revolte (SB)


Fahim Amir


Schwein und Zeit

Tiere, Politik, Revolte



Wir sind schon verstrahlt, und niemand ist unschuldig. Schon auf den ersten Seiten des im besten Sinne als Streitschrift zu bezeichnenden Buches "Schwein und Zeit" versteht es Fahim Amir, das Lesepublikum entweder zu begeistern oder zu verärgern. Mit naturromantischen Idealen aufzuräumen ist ihm ein zentrales Anliegen, dem er mit Schilderungen eines urbanen wie industriellen Wildwuchses, in dem sich Tiere komfortabel in den kontaminierten Hinterlassenschaften eines in hoher Produktivität leerlaufenden Wachstums einrichten, Flügel verleiht. Die Moral des besseren Menschen ist ihm ein Greuel, dem er mit spitzer Feder zu Leibe rückt. Ihm geht es darum, den Opferstatus sogenannter Nutztiere in einen Begriff des Widerstandes zu überführen, der einen ganz anderen Blick auf nichtmenschliche Tiere voraussetzt.

Amir stellt die Verhältnisse auf der Disassembly-Line monströser Schlachtfabriken auf die Füße einer lebendigen Arbeitskraft, die nichtmenschliche Tiere solidarisch einschließt, anstatt ihnen aus der Distanz vermeintlich unschuldiger Beobachtung mitleidsvoll den letzten Rest an eigenständiger Subjektivität zu nehmen. Indem sie den Instrumenten und Mechanismen ihrer Zurichtung und Verarbeitung alles entgegenstellen, was sie haben, den wie bei menschlicher Lohnarbeit entfremdeten und übereigneten Körper, lasse sich "die Geschichte der Tiere als Teil von Klassengesellschaften aus einer Perspektive der Kämpfe" (S. 15) denken. "Tiere als politische Akteure des Widerstandes zu fassen und tierlichen Widerstand als Motor für die Modernisierung kapitalistischer Produktionsformen zu verstehen" (S. 15) bedarf keiner positivistischen Vergleiche kognitiver Befähigung, wie in den Rangfolgen tierethischer Tötungsbegründungen üblich, sondern bringt ihre Geschichte als eine der Klassenkämpfe auf den Punkt operaistischer Ermächtigung.

Das ist selbstverständlich so subjektiv und haltlos wie die aussichtslose Existenz des Unscheinbaren und Schwachen im Getriebe alles vernichtender Gewalten. Es geht um Positionen und nicht um Wahrheiten, wie sonst sollte in der Welt Befreiung gelingen, wenn alles dagegen spricht. Selbst unter den Bedingungen der züchterischen Standardisierung des Genotyps "Schwein" bleibt das einzelne Lebewesen ein Individuum, das sich seiner Einspeisung in den Schlachtprozeß widersetzt. Daß dieser nach wie vor mit einem hohen Anteil an menschlicher Arbeit vollzogen wird, ist einer Körperlichkeit geschuldet, die nicht zur Zerlegung in verkaufsfreundliche und portionsgerechte Einzelteile geschaffen wurde. Wie der Autor anhand der Genealogie der Entwicklung mechanisierter Tierverarbeitung nachweist, liefert sich das sogenannte Nutzvieh keineswegs wehrlos der Prozedur seiner Verarbeitung aus, sondern widersteht ihm mit dem ganzen Eigensinn seiner Leiblichkeit.

Es geht darum, Tiere nicht als die ultimativen Verlierer von Kultur und Kapitalismus zu verstehen, sondern als widerständige Akteure innerhalb einer nicht-unschuldigen Gemengelage. Die ganze Assemblage von Markierungs- und Manipulationstechnologien, Kontroll- und Käfigarchitekturen, Hormonen und Kalziumzusätzen, Volieren und Gattern, Netzen und Ködern wären nicht bloß Monumente ihres Elends, sondern Beweise ihrer ungeheuren Kraft.
(S. 56)

Anstatt sich auf den Thron einer zivilisatorischen Entwicklung zu setzen, auf dem das Leiden der geschundenen Kreatur die vermeintliche Unantastbarkeit menschlicher Existenz begründet, propagiert Fahim Amir unter Verweis auf die Philosophin Oxana Timofeeva einen "Kommunismus mit nichtmenschlichem Antlitz" (S. 19). Da Menschen- und Bürgerrechte ausschließlich nationalstaatlich gewährleistet sind und somit auf dem Ausschluß von Nichtbürgern und Nichtmenschen beruhen, garantierten an Tiere vergebene Bürgerrechte keinesfalls, daß diese nicht an den blutigen Grenzen moderner Flüchtlingsabwehr verendeten. Ohnehin bleibt zu fragen, welche Instanz gewährt, was keiner Begründung bedarf, da eine solche stets neue Instanzen fremder Verfügungsgewalt hervorbringt. Nicht nur der selektive Charakter dieser Rechte, auch ihre Abhängigkeit von paternalistischer Autorität ist ein Affront gegen das, was sie verkörpern sollen.

Fahim Amir ist so unbescheiden, den avancierten Forderungen der Tierrechtsbewegung nachzuweisen, daß die bloße Anwendung unter Menschen üblicher Rechts- und Vertragsmodalitäten Gewaltverhältnisse fortschreibt, die zu überwinden wesentlich für die revolutionäre Aufhebung der Herrschaft des einen Lebewesens über das andere wäre. Mit den Argumenten eines "leicht verwilderten Kulturmarxismus" (S. 7) arbeitet der in Wien lebende Philosoph und Künstler die bei tierlichen Belangen weit klaffenden Leerstellen eines linken und humanistischen Bewußtseins heraus, das die tiefe Verbundenheit menschlicher und nichtmenschlicher Tiere nicht wahrhaben will, weil dann mehr zur Disposition stände als die bloße Veränderung von Konsumgewohnheiten.

"Keinem Tier fehlt die Menschlichkeit völlig, wie auch keine Person jemals vollkommen menschlich ist." (S. 6) Die Worte des Historikers Boria Sax legen die sorgsam verborgene Sprengkraft eines menschlichen Selbstverständnisses frei, das den ganz persönlichen Anteil an der verzehrenden Gewalt anspricht, von der das Verhältnis zwischen Mensch und Tier bestimmt ist. Dorthin reichen tierschützerische Reformbemühungen, die in eine "biofleischgewordene Idee von Artgerechtigkeit" (S. 6) münden, ebensowenig wie eine die Bedingungen des Tierverbrauchs konsumkritisch moderierende Herangehensweise. Zur dazu erforderlichen Eindampfung des Menschen auf den Typus des Konsumenten respektive Verbrauchers schreibt der Autor: "Der Sieg marktförmigen Bewusstseins könnte nicht vollständiger sein: Die praktische Kritik an sogenannten Auswüchsen des Kapitalismus äußert sich im Verkauf kapitalistischer Produkte." (S. 149)

Fahim Amir stapelt denn auch eher tief, wenn er eingangs erklärt, das Buch sei "ein Plädoyer für Leben und Kämpfen in ökologisch und politisch verschmutzten Räumen" (S. 5). Dies trifft vor allem auf seinen Mittelteil zu. Dort wird die respektlose Neufokussierung des Heideggerschen Hauptwerkes "Sein und Zeit" von abstrakter Ontologie auf tierliche Subjektivität mit antikolonialistischen und herrschaftskritischen Überlegungen verknüpft, um anhand "Renitenter Schweine" und der "Schweinischen Multitude", der "Kraft der Taube: Auf alles scheißen" oder "Neoliberaler Bienen", so einige markante Akzente aus den Kapitelüberschriften, einen ganz anderen Blick auf das Tun der Tiere und damit der Menschen zu richten.

Im ersten Kapitel "Friedrich Engels entschuldigt sich beim Schnabeltier" als auch im abschließenden Teil "Verkokste Veganer*innen: Politik statt Moral" nimmt sein Plädoyer eine konfrontative Schärfe an, die auch unter TierbefreierInnen auf Widerspruch stoßen könnte. So kritisiert der Autor - analog zur kontroversen Verhandlung des Begriffs "Vergewaltigungsopfer" unter Feministinnen und womöglich im Anschluß an Donna Haraways Relativierung der im Vivisektionslabor erlittenen Qualen durch die Umdeutung der Versuchstiere als "workers in labs" - die Anwendung des Opferbegriffs auf Tiere als letztendlich affirmativ:

In Denken und Vorstellung wird genau das wiederholt, was dem Gegner vorgeworfen wird - herrschaftliche Gewalt an Tieren. Die Gewalt, um die es hier geht, ist epistemische Gewalt, also jene Gewalt, die in Ideen und Begriffen liegt. Während Industrie, Biowissenschaften und Landwirtschaft Tiere durch physische Vorrichtungen immobilisieren und zu beherrschen versuchen, tut die Tier-Viktomologie dasselbe, indem sie Tiere zu ewigen Opfern erklärt und den Widerstand von Tieren unwahrnehmbar macht.
(S. 164)

Spätestens wenn die vom Autor als positives Leitbild entworfene "Kampfgefährt*innenschaft zwischen Menschen und Tieren" (S. 17) gelingt, wird sich zeigen, ob die Kategorie des Opfers emanzipatorische Entwicklungen verhindert. Amirs Kritik am Paternalismus moralisierender Zugänge zum Gewaltverhältnis zwischen Mensch und Tier ist nicht nur inhaltlich begründet, sie leistet zudem wertvolle Erkenntnisarbeit zur Fortführung des Anliegens der Tierbefreiung. Dieses wird, wie die Debatte um sogenannten Lifestyle-Veganismus zeigt, durch die ethischen Ornamente konsumistischer Erlebniskulturen herausgefordert, die die klassenherrschaftliche und grünkapitalistische Lösung, die Rettung der Welt und ihrer Lebewesen über den Markt zu organisieren, zum befriedigenden Nonplusultra persönlichen Engagements verklären.

Der von Klassenvorurteilen durchtränkte und kulturalistisch verbrämte Gestus der besseren Behandlung von Tieren durch bessere Menschen ist ein Erbe des Mitleid-Gedankens, der, in neue Schläuche gegossen, als Sittlichkeitsgebot zeitgenössischer Ethik in Supermarkt-Regalordnungen wiederauftaucht.
(S. 17)

Die Emanzipation der Tiere von ihrer Beherrschbarkeit zu unterstützen, ohne den Schmerz der Ohnmacht ihrer Vernutzung in den Apparaturen des massenindustriellen Tierverbrauchs wie beim humanen Töten in der Biofleischerei zu scheuen, könnte dem Anliegen Fahim Amirs nahekommen, keine "moralisierenden Handlungsanweisungen vom Urteilsthron des bürgerlichsten Teils der Philosophie, der Ethik, zu geben", um statt dessen "zur Ausformung politischer Solidarität, die das Empathische in sich aufnimmt" (S. 19), zu gelangen.

Dazu gehört, insbesondere in publizistischen und intellektuellen Kontexten, den Gewaltcharakter der Sprache zu untersuchen. Das umfangreiche Vokabular der Herabwürdigung von Tieren, die als Negativreferenz ganz und gar menschlicher Eigenschaften mißbraucht werden, die Verortung des Animalischen im Abort der Niedertracht und Gemeinheit, die patriarchale Unterwerfung von Frauen als Objekte eines am Fleischkonsum orientierten Verzehrs, die Verdinglichung der Tiere zum nach Belieben zu vernutzenden Neutrum und die Mißachtung ihrer geschlechterspezifischen Individualität zu erforschen wäre ein eigenes Buch wert. Doch schon bei Fahim Amirs Ausführungen über die Fallstricke und Untiefen des Mensch-Tier-Verhältnisses tritt nichts anderes hervor als der reprojektive Charakter epistemischer Gewalt. Je aggressiver sie in Erscheinung tritt, desto weiter entfernt haben sich ihre UrheberInnen von der Möglichkeit, Kontakt mit dem anderen Lebewesen aufzunehmen und die Unteilbarkeit der Schmerzen in produktive Selbsterkenntnis zu verwandeln.

"Schwein und Zeit" berührt bei aller schon im Buchtitel signalisierten Lockerheit des Diskurses und Leichtigkeit des Springens von einem Sujet zum anderen einige sehr empfindliche Punkte im heiß diskutierten Verhältnis zwischen Menschen und Tieren. Vegetarismus und Veganismus, vom Autor kurzerhand als Veg* zusammengefaßt, stehen dabei nicht im Mittelpunkt, werden aber als Möglichkeiten sozialrevolutionärer Wirklichkeitsbemächtigung gewürdigt. Die "utopischen Kräfte von Veg* liegen in der Störung des Normalzustandes, nicht in ihrer Normalisierung in Form von Veggieburger-Ketten. Veg* zu leben bedeutet, materiell und symbolisch mit den herrschenden Kräften zu brechen." (S. 156) Am Beispiel eines dreijährigen Mädchens, die den Fleischverzehr von einem auf den anderen Tag einstellte, nachdem sie erfahren hatte, woher die Wurst auf ihrem Teller stammt, illustriert der Autor, wie umfassend ein solcher Schritt sein kann. Wenn eine Dreijährige bereit ist, es "zugleich mit Familie, Schule, Staat, Gesellschaft, Wissenschaft und Gott aufzunehmen", dann zeige sich darin ein "utopisch-kommunistisches Moment" (S. 156), das zum "Bruch mit allen gesellschaftlichen und ideologischen Mächten" (S. 157) führe.

17. September 2018


Fahim Amir
Schwein und Zeit
Tiere, Politik, Revolte
Edition Nautilus, Hamburg, 2018
208 Seiten, 16,00 Euro
ISBN: 978-3-96054-087-8


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