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REZENSION/706: Karsten Brensing - Die Sprache der Tiere - Wie wir einander besser verstehen (SB)


Karsten Brensing


Die Sprache der Tiere

Wie wir einander besser verstehen



Mit dem neuen Buch von Karsten Brensing, "Die Sprache der Tiere - Wie wir einander besser verstehen", ist es dem Autor gelungen, ein wissenschaftlich fundiertes und gleichwohl in bester Manier populärwissenschaftliches Werk vorzulegen. Obwohl der Titel des Buches mehr verspricht, als dem Leser späterhin in Bezug auf Sprache eröffnet wird, macht er neugierig, denn wer wollte nicht gern mit Tieren sprechen oder sie besser verstehen können?

Sprache, beziehungsweise die Fähigkeit zu sprechen, wird nur dem Menschen zugeschrieben und bezieht sich gemeinhin auf den Gebrauch von Worten. Tiere geben Laute von sich, schnattern, quieken und quaken. Doch wie wir wissen reduziert sich unsere Sprache ganz und gar nicht auf das Aussprechen von Worten, sondern steht im Kontext mit einer komplexen Körpersprache, angereichert mit einer Menge an vielfältigen Lautäußerungen, mit denen wir bestimmte Befindlichkeiten zum Ausdruck bringen (ah, oh, Mmmh, ähm, Hmm, aua, brrr, grrr, säuseln, gurren, schnalzen und so weiter), sowie unzähligen Gesten und einem variationsreichen Mienenspiel. Hier lassen sich bereits Ähnlichkeiten zu den "Sprachmöglichkeiten" der Tiere entdecken. Zudem leben auch heute noch Völker, die sich einer Tonsprache bedienen, in der ein Wort, in drei unterschiedlichen Tonlagen gesprochen, auch drei verschiedene Bedeutungen hat wie bei den Fayu, einem indigenen Volk in Westneuguinea. Doch spielt auch in vielen unserer Sprachen die Tonhöhe oder Satzmelodie eine wichtige Rolle und kann Worten eine abweichende Bedeutung zukommen lassen oder einen Ausdruck abschwächen bzw. steigern.

Schon recht bald verläßt der Autor sein im Titel angegebenes Thema "Sprache" und wendet sich dem weiten Forschungsfeld der Kommunikation zu. Gemeinhin wird Kommunikation recht einfach erklärt. Es bedarf eines Senders, der ein kodiertes Signal über ein geeignetes Übertragungsmedium an einen Empfänger weitergibt, der das Signal dekodieren kann. Von dieser eingeschränkten Auffassung nimmt der Autor Abstand und zeigt in den einzelnen Kapiteln auf, dass beinahe alles, was auf die menschliche, komplexe Kommunikation zutrifft, auch bei Tieren zu entdecken ist. Ausgenommen sind die fehlenden anatomischen Voraussetzungen bei den meisten Tieren zum Artikulieren von Worten und die Entwicklung einer Schriftsprache.

So erfährt der Leser, daß viele Tiere das sogenannte "Pointing" benutzen, das Zeigen auf etwas, das ihr Interesse geweckt hat und auf das sie einen anderen aufmerksam machen wollen. Auch wenn sie keinen Zeigefinger benutzen können, sind selbst Fische und Vögel dazu in der Lage. Überhaupt sind zahlreiche Ähnlichkeiten in den vielfältigen Gesten von Mensch und Tier zu erkennen, was schon mal die Möglichkeit auf gegenseitiges Verstehen eröffnet.

Anhand von Beispielen wird mit der irrigen Auffassung aufgeräumt, Tiere könnten sich nicht in andere Lebewesen hineinfühlen oder anders ausgedrückt, hineindenken. Das Denken und das Wissen um die eigene Persönlichkeit werden gemeinhin als eine Grundlage für eine mögliche Kommunikation gesehen, denn um in einen Dialog treten zu können, bedarf es zu der eigenen Person auch eines Gegenübers. Aber den Tieren wird genau das Wissen um ihre eigene Persönlichkeit abgesprochen. Hier weiß Karsten Brensing eine Menge gegenteiliger Beispiele aus dem Tierreich zu nennen. Im Weiteren wird eine Reihe angeblich von Tieren nicht erreichbarer Fähigkeiten beleuchtet und kritisch hinterfragt, beispielsweise logisches Denken, kreatives Denken, strategisches Denken, Mitgefühl oder Körpersprache lesen. Karsten Brensing wartet an dieser Stelle mit beeindruckenden Berichten auf, in denen genau diese den Tieren angeblich fehlenden Fähigkeiten beschrieben werden. Die Idee, sie hätten keine eigene Biographie, soll heißen keine Vergangenheit, an die sie sich erinnern und aus der sie Schlüsse auf aktuelles Verhalten ziehen, wird genauso widerlegt, wie die Theorie, sie würden nach "Instinkten" handeln.

Der Leser gewinnt einen Einblick in die umfassende Auseinandersetzung des Autors mit der Problematik des gegenseitigen Mensch-Tier-Verstehens beziehungsweise der Mißverständnisse zwischen ihnen, mit denen auch er sich konfrontiert gesehen hat.

Und so ist es sympathisch, von den Schilderungen seiner privaten Erfahrungen mit Tieren und seinen Fehleinschätzungen und Schlußfolgerunen zu lesen, denen er unter anderem während seiner Studienzeit aufgesessen ist. Auf diese Weise gesellt er sich zu den Lesern und zeigt, worauf diese Irrtümer beruhen, wie sie zustande kommen und wie er selbst zu ganz anderen, den Tieren eigentlich entsprechenden, Ansichten gelangt ist.

Wenn Karsten Brensing von der Vermenschlichung der Tiere spricht, geht es ihm darum, zu erkennen, daß ihre Gefühlswelt und auch die daraus entwickelten Verhaltensweisen den unseren sehr ähnlich sind. Um die Übereinstimmungen in der Gefühls- und Gedankenwelt von Mensch und Tier zu unterstreichen, lesen wir Erstaunliches und Überraschendes über Schimpansen, Tauben, Delfine, Orcas, Krähen, Krokodile, Rochen, Hunde, Wildschweine, Rotwild oder Meisen. Doch bei all diesen Berichten wird vornehmlich das jeweilige besondere Verhalten dieser Tiere beschrieben und man fragt sich auch an dieser Stelle, was das mit Sprache zu tun hat. Guten Willens könnte man annehmen, dass der Autor den Begriff "Sprache" auf Verhalten und Emotionen ausgedehnt hat, die es zu lesen gilt, um die Tiere besser verstehen zu können. Davon einmal abgesehen weist Karsten Brensing im Zusammenhang mit oben genannten Beispielen darauf hin, daß Wissenschaftler in Tierversuchen mit Ratten oder Mäusen explizit von einer hohen Übereinstimmung zwischen diesen Versuchstieren und uns Menschen ausgehen. Wie sonst sollten die Ergebnisse der Tests auf den menschlichen Organismus zu übertragen sein? Würde man die Übereinstimmung in einer ganzen Reihe von Reaktionen, psychischer, emotionaler, wie physiologischer leugnen, wären sämtliche Versuchsreihen hinfällig.

Während der Lektüre bleibt das leidenschaftliche Engagement von Karsten Brensing für die Durchsetzung von Tierrechten spürbar und findet an vielen Stellen deutlichen Ausdruck, wobei der direkte Bezug zum Thema Sprache allerdings auch hier in den Hintergrund gerät. Deutlich erklärt er, dass er nicht versteht, wie man bei all dem neu erworbenen Wissen noch weiterhin Tiere essen kann. Aber geht es in der Tierwelt nicht auch um Fressen und Gefressen werden?

Es bedarf keiner Phantasie, sich zu vergegenwärtigen, daß wir im übertragenen Sinn auch Menschen essen. Wie viele sterben in anderen Regionen der Erde, weil ihnen ihr Land, ihre Anbauflächen und ihr Wasser geraubt werden, damit wir hier in Europa fürstlich speisen können? Dabei gehen wir buchstäblich über Leichen. Wenn die Frage nach dem Fleischkonsum gestellt wird, der nur durch brutale Massentierhaltung gewährleistet werden kann, ist eine Ablehnung oder ein striktes Verbot einer derartigen Tierhaltung zu begrüßen. Doch bleibt die Problematik der weltweiten Ernährung von Mensch und Tier zu vielschichtig, als daß sie durch den hier nahegelegten Verzicht auf Fleisch so einfach zu bewältigen wäre.

Als Fazit bleibt: Für Menschen und Tiere ist die soziale Interaktion von grundlegender Bedeutung. Da Karsten Brensing in seinem Buch den Schwerpunkt auf das Entwickeln einer Verständigung zwischen Mensch und Tier gelegt hat, ist zu vermuten, daß er nicht eigentlich die Sprache der Tiere verstehen will, sondern eher das Anliegen hat, eine Verständigung über Worte hinaus, über Sprache hinweg mit den Tieren zu erreichen. Denn Tiere und Menschen haben nicht den gleichen Sprach- Code, um sich mit Worten zu verständigen. Wohl aber, und das ist wahrlich eine beachtliche Leistung, können viele Tiere anhand der Betonung unserer Worte, ihrem Klang und unserer Körpersprache in einem bestimmten Zusammenhang begreifen, was wir ihnen sagen wollen, beziehungsweise wozu wir sie auffordern. Das heißt, für beide, vornehmlich für den Menschen, bedeutet es ein hohes Maß an Bemühen, Bereitschaft und Aufmerksamkeit, quasi ein Sich-Hineinfühlen, in den Tier-Partner, um ihn besser verstehen zu lernen.

"Die Sprache der Tiere - Wie wir einander besser verstehen" ist ein aufschlußreiches Buch, doch ist es im Lesefluß etwas gewöhnungsbedürftig aufgrund der eigenwilligen, oft spontan und schnell wechselnden Beispiele und Berichte, die angeführt werden. Ist es dem Leser gelungen, sich damit anzufreunden, liest es sich leicht, ist anregend, gleichwohl unterhaltsam und spannend. Auf jeden Fall handelt es sich um eine unbedingt empfehlenswerte Veröffentlichung, gerade auch dann, wenn man die beiden vorherigen Bücher von Karsten Brensing noch nicht gelesen haben sollte. Unter den über 400 Quellennachweisen befinden sich mehrere Links zu Veröffentlichungen im Internet, sowie Hinweise auf Tierdokumentationen auf YouTube.

Karsten Brensing ist Meeresbiologe und promovierter Verhaltensforscher und vor allen Dingen engagierter Tierrechtler. Er leitete das Deutschlandbüro der internationalen Wal- und Delfinschutzorganisation WDC und gründete die IRI (Individual Rights Initiative), die sich dafür einsetzt, daß Tiere ein Persönlichkeitsrecht erhalten und ebenso ein Recht auf einen Anwalt vor Gericht. Tiere sind nicht schuldfähig, Menschen schon und so ist sinnvoll, ihnen einen Rechtsbeistand zur Seite zu stellen, um ihr Recht gegen das durch Menschen verursachte Unrecht durchzusetzen. Als Autor veröffentlichte er 2013 sein erstes Buch "Persönlichkeitsrechte für Tiere" und 2017 erschien sein zweites Werk "Das Mysterium der Tiere".

Karsten Brensing
Die Sprache der Tiere
Wie wir einander besser verstehen
Aufbau-Verlag, Berlin 2018
Gebunden mit Schutzumschlag
240 Seiten
22,00 Euro
ISBN 978-3-351-03729-1


2. November 2018


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