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AFRIKA/151: Katastrophale Menschenrechtslage in Darfur (ai journal)


amnesty journal 4/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Der Alptraum zieht westwärts

Von Marius Kahl


Die katastrophale Menschenrechtslage im sudanesischen Darfur hat sich auf den Osten des Nachbarlandes Tschad ausgedehnt.


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Seit Jahren erfährt die Weltöffentlichkeit immer wieder von dem schleichenden Genozid in der sudanesischen Krisenprovinz Darfur. Mittlerweile hat sich der Konflikt ausgeweitet und auch den Tschad erfasst. Vor wenigen Monaten führte amnesty international im Osten des Landes eine Mission durch, um die katastrophale Menschenrechtssituation zu dokumentieren. Viele Menschen erleben dort den gleichen Alptraum, der sich auch in Darfur abspielt: Rund 230.000 sudanesische Flüchtlinge, 46.000 Flüchtlinge aus Zentralafrika und 110.000 tschadische Binnenflüchtlinge versuchen dort, ihr Leben zu retten.

Die Hintergründe dieser Katastrophe sind vielschichtig und kompliziert. Nach 30 Jahren Bürgerkrieg prägen immer noch Armut und Unsicherheit das zentralafrikanische Land, rund 80 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Auf der einen Seite unterstützt der Tschad Rebellen in Darfur und bietet ihnen eine Rückzugsbasis. Auf der anderen Seite bewaffnet der Sudan die Gegner der tschadischen Regierung.

Im Tschad sind es die sudanesischen Janjawid-Milizen, die grenzüberschreitend Terror verbreiten. Ihre tödlichen Angriffe erstrecken sich bis zu 150 Kilometer tief in den Tschad hinein. Ungestraft können sie töten, plündern, und vergewaltigen. In einem ai-Bericht beschreibt ein 14-jähriges Mädchen, was sie auf dem Rückweg in ihr Heimatdorf erleben musste, als sie von den Milizen entdeckt wurde. "Drei Männer auf Pferden schlugen mich, banden meine Hände auf dem Rücken mit einem Strick zusammen und legten einen weiteren Strick um meinen Hals. Sie fingen auch meinen Onkel ein. Sie brachten uns zu unserem Dorf und dann in die angrenzenden Felder. Dort waren 19 Männer mit den Armen auf den Rücken gebunden. Ein Mann in einer grünen Uniform kam und schoss einem nach dem anderen in den Kopf. Eine Kugel funktionierte nicht, und so nahm er einen Knüppel und schlug auf den Kopf des Mannes ein, bis er starb. Sie wurden alle umgebracht. Ich habe immer noch Alpträume davon." Das Mädchen blieb verschont.

Die Milizen werden verstärkt von tschadischen Arabern und benachteiligten Stämmen in dieser Region. Die Regierung des Tschad unter Präsident Ibriss Déby scheint weder willens noch fähig, die Zivilbevölkerung im Osten des Landes wirkungsvoll zu schützen. Dies betrifft auch die dortigen Binnenvertriebenen und Flüchtlinge aus dem Sudan. "Bei jedem Angriff bettelten wir das Militär an, zu kommen und uns zu helfen. Sie waren nur zwei Kilometer von uns weg. Sie kamen nie", berichtet ein Augenzeuge in dem ai-Bericht. "Wir werden nicht als Bürger dieses Landes angesehen. Sie wollen, dass wir sterben."

Diese Untätigkeit der tschadischen Behörden bedeutet eine indirekte Unterstützung der Übergriffe. Das tschadische Militär wird nur zum Schutz der Regierung vor Rebellengruppen eingesetzt, die Angriffe auf die Zivilbevölkerung im Osten des Landes spielen hingegen keine Rolle. Die Regierung missachtet damit ihre internationalen Verpflichtungen.

Auch die sudanesischen Behörden unternehmen bisher keine erkennbaren Versuche, die Übergriffe der Janjawid im östlichen Tschad zu verhindern. Viele Mitglieder der Milizen gehören gleichzeitig paramilitärischen Verbänden an und tragen daher häufig sudanesische Militäruniformen. Sie können ungehindert den Sudan verlassen und später wieder mit ihrer Beute zurückkehren.

Das Ziel der Janjawid besteht offensichtlich darin, bestimmte Bevölkerungsgruppen in Darfur zu vertreiben. Die von ai gesammelten Zeugenaussagen bestätigen auch, dass Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt bei den zahlreichen Angriffen der Milizen systematisch angewandt werden.

Die Gefahr zwingt Hilfsorganisationen dazu, ihr Engagement im Tschad stark zu reduzieren. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR versucht zwar, Flüchtlinge außerhalb des Landes zu unterstützen, erhält aber keine Erlaubnis von der Regierung in N'Djamena, den Binnenflüchtlingen zu helfen. Wegen der mangelnden Versorgung müssen viele Flüchtlinge ihre Camps zeitweise verlassen, um Brennholz zu sammeln und ihre Familie zu ernähren - eine Aufgabe, die in der Regel von Frauen unternommen wird. Bei jedem ihrer Besuche in den Flüchtlingslagern wurde der ai-Delegation über Angriffe auf Frauen berichtet. Ein mögliches Engagement der Internationalen Staatengemeinschaft muss deshalb besonders die Situation der Frauen in diesem Konflikt berücksichtigen.

Die einzige Hoffnung der Menschen ist Hilfe und Druck von außen. amnesty international hat wiederholt die Afrikanische Union und die UNO zum Handeln aufgerufen. Ziel ist es, ein angemessen sicheres und stabiles Umfeld zu schaffen. Nur so ist ein menschenwürdiges Leben und eine geeignete humanitäre Versorgung der dortigen Bevölkerung sowie der Flüchtlinge möglich. Dafür muss eine weitere Eskalation und ein Regionalkrieg unbedingt verhindert werden.


Der Autor ist Mitglied der Tschad-Kogruppe der deutschen ai-Sektion.


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Hoffnung auf Gerechtigkeit für die Opfer Hissène Habrés

Der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade willigte vergangenes Jahr in ein Gesuch der Afrikanischen Union ein, den ehemaligen tschadischen Staatpräsidenten Hissène Habré strafrechtlich zu verfolgen. Die erforderlichen Gesetze wurden nun verabschiedet. Zwischen 1982 und 1990 kamen unter der Regierung Habré rund 40.000 Menschen um, über 12.000 wurden vergewaltigt. Bestimmte ethnische Gruppen wurden verfolgt, systematische Folter war an der Tagesordnung. Die Anklage wird auf Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit lauten. Doch für eine zügige Durchführung des Prozesses ist der Senegal auf internationale Unterstützung angewiesen. Diese ist unerlässlich, damit den Überlebenden des Regimes Gerechtigkeit widerfährt. Viele Opfer und potenzielle Zeugen sind bereits gestorben.


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Quelle:
amnesty journal, April 2007, S. 20-21
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2007