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AFRIKA/181: Tschad - Schutz für Flüchtlinge ist nicht willkommen (ai journal)


amnesty journal 06/07/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Schutz für Flüchtlinge ist nicht willkommen

Von Sonja Altrock-N'cho und Lena Guesnet


Frauen und Mädchen in den Flüchtlingslagern im Osten des Tschad sind ständig von sexuellen Übergriffen bedroht. Mit der UNO-Mission MINURCAT begann sich die Situation zu bessern. Doch der Tschad will die internationale Truppe loswerden.


Auch Monate danach fiel es Aisha schwer, darüber zu sprechen. Die 26-Jährige war mit ihrem Sohn auf dem Weg zurück in das Flüchtlingslager Bredjing, als sie im September 2008 von zwei bewaffneten Männern angegriffen wurde. Als sie versuchte, sich zu wehren, schlug einer der Männer mit seiner Waffe auf sie ein und vergewaltigte sie. Erst Stunden später wurde sie von anderen Bewohnern des Lagers gefunden.

Rund 260.000 sudanesische Flüchtlinge und 180.000 tschadische Flüchtlinge leben in zwölf Lagern entlang der Grenze zum Sudan. Sie sind in den vergangenen sechs Jahren vor den Kämpfen und Massakern in der sudanesischen Region Darfur geflohen. Doch sicher sind die Flüchtlinge auch im Tschad nicht. Vor allem Frauen müssen ständig fürchten, Opfer von Vergewaltigungen oder anderer sexueller Gewalt zu werden.

Eine Einheit der tschadischen Polizei, die DIS (Détachement Intégré de Séurité), soll für die Sicherheit in den Lagern sorgen. Sie wird von den Soldaten und Polizisten der MINURCAT (Mission in der Zentralafrikanischen Republik und im Tschad) unterstützt und ausgebildet. Seit 2008 ist die internationale Truppe im Einsatz. Das Mandat wurde auf Drängen des UNO-Sicherheitsrats und Organisationen wie Amnesty International schon einmal verlängert. Ab Mitte Mai sollen nun die Truppen nach dem Willen des tschadischen Präsidenten Idriss Deby abziehen.

Doch die Einheiten der DIS allein werden die Flüchtlinge nicht schützen können. "Der Einsatz der MINURCAT ist absolut notwendig", sagt Susannah Sirkin, von der Organisation "Physicians for Human Rights" (Ärzte für die Menschenrechte). "Ein Justizsystem existiert kaum und die Polizeieinheiten sind schwach. Zudem fehlen weibliche Sicherheitskräfte, die mit der allgegenwärtigen Gewalt gegen Frauen umzugehen wissen."

In einigen Fällen sind es tschadische Polizisten selbst, die Gewalttaten an Flüchtlingen begehen. Vor allem aber fürchten die Einheiten um ihre eigene Sicherheit, wenn sie Flüchtlinge außerhalb der Lager begleiten sollen. So berichteten Frauen im Flüchtlingslager Gaga im Mai 2009 gegenüber Amnesty International, dass sie den Schutz der DIS gar nicht mehr ersuchen. Ihre Bitten würden sowieso abgelehnt.

Die Übergriffe werden vor allem durch organisierte Banden und teilweise durch Mitglieder der tschadischen Armee begangen, zum Beispiel, wenn Frauen das Lager verlassen, um Feuerholz oder Wasser zu holen. Doch auch innerhalb der Lager kommt es zu Gewalt, zum Beispiel durch Ehemänner oder sogar durch humanitäre Helfer, wie im Fall der 22-jährigen Mariam. Sie kam vor mehr als sechs Jahren als Flüchtling in das Lager Gaga. Vor vier Jahren begann sie, für eine internationale Hilfsorganisation zu arbeiten. Als ihr Ehemann nicht zu Hause war, nutzte ein tschadischer Kollege diese Situation aus. Mariam wurde in ihrem eigenen Haus vergewaltigt - mitten am Tag. Die Erinnerung daran lässt sie nicht los: "Ich mache meine Arbeit weiter. Aber meine Gedanken sind nicht hier, sie kommen nicht zur Ruhe." Mariam hat die Tat angezeigt, aber auch vier Monate später konnte ihr niemand sagen, ob die Polizei irgendetwas unternommen hat, um den Täter zu fassen. Es fehlt an rechtlichen Grundlagen, an Justizpersonal sowie an politischem Willen, um solche Fälle aufzuklären.

Vor diesem Hintergrund stellt der Abzug der MINURCAT-Truppen ein zusätzliches Risiko dar. "Hunderttausende von Flüchtlingen würden den Angriffen bewaffneter oppositioneller Gruppen, krimineller Banden oder von Teilen der tschadischen Armee ausgesetzt sein, wenn die MINURCAT abzieht", befürchtet der stellvertretende Leiter des Afrika-Programms von Amnesty International, Tawanda Hondora. Der tschadische Präsident Deby will aber lieber eigene Truppen entlang der Grenze zum Sudan einsetzen. Hondora glaubt allerdings nicht, dass sich dadurch die Lage der Flüchtlinge verbessert: "Die tschadische Regierung hat die Pflicht, ihre eigene Bevölkerung und Personen, die auf ihrem Territorium leben, zu schützen. In der Vergangenheit hat sie sich jedoch vor allem im Osten des Tschad unfähig und unwillig gezeigt, dieser Pflicht nachzukommen."


Die Autorinnen sind Mitglieder der Tschad-Ländergruppe der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2010, S. 59
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2010