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AKTION/1211: Urgent Action - Haiti, Anwälte bedroht und eingeschüchtert


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-279/2012, AI-Index: AMR 36/009/2012, Datum: 4.Oktober 2012 - jw

Haiti
Anwälte bedroht und eingeschüchtert



Drei Anwälte in Haiti berichten, in den vergangenen Monaten zunehmend bedroht und eingeschüchtert worden zu sein. Sie vermuten, dass sie wegen ihres Aktivismus und ihrer Kritik an der haitianischen Regierung zum Ziel der Behörden geworden sind.

Die Anwälte Mario Joseph, Newton St-Juste und André Michel gehören zu 36 Oppositionellen, die der Oberstaatsanwalt von Port-au-Prince, Jean Renal Sénatus, aufgrund einer ministeriellen Verordnung des Justizministeriums festnehmen sollte. Berichten zufolge weigerte er sich, die Festnahme der 36 Oppositionellen vorzunehmen. In einem Interview mit einem lokalen Radiosender am 28. September sprach er über seine darauffolgende Entlassung durch das Justizministerium. Es ist nicht bekannt, auf welcher Grundlage die Festnahmen angeordnet wurden. Das Justizministerium bestreitet eine solche Verordnung erlassen zu haben.

Mario Joseph ist ein bekannter Menschenrechtsanwalt, der an sensiblen Rechtsfällen wie Verfahren gegen den früheren Diktator Jean-Claude Duvalier, Beschwerden gegen die UN wegen ihrer angeblichen Beteiligung an der Verbreitung der Cholera in Haiti sowie an Fällen von Zwangsräumung von Menschen, die bei den Erdbeben obdachlos wurden, beteiligt ist. Als Leiter der Internationalen Anwaltskanzlei (Bureau des Avocats Internationaux) bat er die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte im vergangenen Juli darum, die Menschenrechtsverletzungen in Haiti zu untersuchen. Newton St-Juste und André Michel, ebenfalls Anwälte, haben kürzlich strafrechtliche Beschwerde wegen Korruption und Veruntreuung öffentlicher Mittel gegen die Ehefrau und den Sohn des Präsidenten der Republik Haiti eingereicht.

Die drei Anwälte haben berichtet, dass sie in den letzten Monaten wiederholt telefonisch Morddrohungen erhalten haben. Sie sprachen außerdem von Einschüchterungsmaßnahmen wie an Wände gemalte Drohungen und vermehrte Polizeipatrouillen in der Nähe ihrer Büros und Wohnungen.


HINTERGRUNDIFORMATIONEN

Der Posten des Oberstaatsanwalts ist von grundlegender Bedeutung für das Rechtssystem von Port-au-Prince. Er gewährleistet, dass in der haitianischen Hauptstadt auch die Straftaten verfolgt werden, an denen nationale und örtliche BehördenvertreterInnen beteiligt sind. Seit dem Beginn der Amtszeit von Präsident Michel Martelly im Mai 2011 wurden die Amtsinhaber jedoch immer wieder ausgewechselt. Me Gerald Norguaisse ist innerhalb von sechzehn Monaten der siebte Oberstaatsanwalt, der in Port-au-Prince ins Amt berufen wurde. Nach der Entlassung von Jean Renal Sénatus wurde Elco St. Amand zum Oberstaatsanwalt ernannt, obwohl er 2001 als stellvertretender Oberstaatsanwalt von Port-au-Prince wegen Verwicklung in einen Korruptionsfall seines Amtes enthoben worden war. Er wurde dann aber, möglicherweise auf Druck seitens der Zivilbevölkerung, durch Me Gerald Norguaisse ersetzt. Im November 2011 wurden der amtierende Oberstaatsanwalt von Port-au-Prince und der Justizminister wegen ihrer Beteiligung an der umstrittenen Festnahme von Arnel Belizaire, einem Mitglied der parlamentarischen Opposition, abgesetzt. Die fehlende Unabhängigkeit des haitianischen Justizsystems bereitet nationalen sowie internationalen Menschenrechtsorganisationen bereits seit langer Zeit Sorge. Die Einführung des Obersten Justizrates (Conseil Supérieur du Pouvoir Judiciare), der 2007 gesetzlich beschlossen wurde jedoch erst im Juli 2012 seine Arbeit aufnahm, sollte zu stärkerer Unabhängigkeit führen. Eine der Hauptaufgaben des Rates besteht darin, die Ernennung von neuen RichterInnen zu bestätigen. Nach Angaben des Netzwerks zur Verteidigung von Menschenrechten (Réseau National de Défense des Droits Humains) werden Richter jedoch nach wie vor ohne Zustimmung des Rates eingesetzt.


SCHREIBEN SIE BITTE

LUFTPOSTBRIEFE UND E-MAILS MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich fordere Sie auf, den Vorwurf der Drohungen und Einschüchterungsversuche gegen die drei Anwälte unverzüglich und unabhängig zu untersuchen und sicherzustellen, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Ergreifen Sie bitte zudem in Absprache mit den drei Männern wirksamen Schutzmaßnahmen für sie.
  • Ich bitte Sie aufzuklären, warum die 36 Oppositionellen inhaftiert werden sollen. Ich möchte Sie auch darauf hinweisen, dass allen etwaigen Anklagen eine international als Straftat anerkannte Handlung zugrunde liegen muss.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass die drei Anwälte, sollten sie angeklagt werden, Gerichtsverfahren erhalten, die den internationalen Standards für ein faires Verfahren entsprechen.

APPELLE AN

MINISTERIUM FÜR JUSTIZ UND ÖFFENTLICHE SICHERHEIT
Minister für Justiz und öffentliche Sicherheit
Jean Renal Sanon
18 avenue Charles Summer
Port au Prince
HAITI
(Anrede: Monsieur le Ministre/ Dear Minister/ Sehr geehrter Herr Minister)
E-Mail: secretatriat.mjsp@yahoo.com

OBERSTAATSANWALT VON PORT-AU-PRINCE
Commissaire du Gouvernment de Port-au Prince
Me Gerald Norguaisse
Parquet du Tribunal de Première
Palais de Justice
Blvd. Harry Truman
Port-au-Prince
HAITI
(Anrede: Cher Maître Norguaisse/Dear Mr. Norguaisse/ Sehr geehrter Herr Norguaisse)
E-Mail: parquetpap@yahoo.fr


KOPIEN AN

INSTITUT FÜR GERECHTIGKEIT UND DEMOKRATIE IN HAITI
Institute for Justice and Democracy in Haiti
Email: info@ijdh.org

BOTSCHAFT DER REPUBLIK HAITI
Herr Pierre M. Kerby Lacarriere, Geschäftsträger a.i., Gesandter-Botschaftsrat
Uhlandstraße 14, 10623 Berlin
Fax: 030-8862 4279
E-Mail: amb.allemagne@diplomatie.ht


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 15. November 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Urging authorities to immediately and independently investigate the accusation of threats and intimidation towards the lawyers - ensuring that those responsible are brought to justice - and providing effective protection to the lawyers according to their wishes.
  • Asking the Haitian authorities to clarify why the arrest of the 36 political opponents is being sought and insist that any accusation must be carried out under internationally recognizable criminal offences.
  • Asking authorities to ensure that anyone charged is given a fair trial in compliance with international standards.

*

Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-279/2012, AI-Index: AMR 36/009/2012, Datum: 4.Oktober 2012 - jw
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Kampagnen und Kommunikation
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: ua-de@amnesty.de; info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2012